Samstag, 27. Dezember 2025

Reaktivierung von Bahnstrecken: ziemlich mau, aber BW geht voran

 

Ingolf W LinkedIn

30 Kilometer reaktivierte Bahnstrecken in der Bundesrepublik im Jahr 2024, null Kilometer in 2023, 

während über 5.000 Kilometer Schienenstrecken auf ihre Wiederbelebung warten.

Von der Machbarkeitsstudie bis zum ersten Spatenstich vergehen oft Jahre, manchmal Jahrzehnte.
Der Bund zahlt 90 Prozent, die Nachfrage ist da.

Warum kommt die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken in Deutschland nur im Schneckentempo voran? Die Gründe sind vielfältig und ernüchternd. 

Der gut recherchierte Artikel der SZ zeigt, wie unterschiedlich die Länder das Thema handhaben. Der Freistaat Sachsen fährt hier auch mit angezogener Handbremse.

Die Fotos sind von mir, zeigen stillgelegte Strecken in Ost- und Mittelsachsen.


hier Sächsische Zeitung Von Andrea Barthélémy und Holger Krawinkel 22.12.2025,

Im Schneckentempo zurück auf die Schiene: Warum dauert das Reaktivieren von Bahnstrecken so lange?

Deutschland investiert Milliarden in seine Verkehrsinfrastruktur. Auch das Bahnnetz könnte weitaus größer sein, wenn stillgelegte Strecken wieder angeschlossen würden. Doch das Verfahren ist langwierig. Wie kann es schneller werden?

Viele Kommunen in Deutschland wünschen sich eine Bahnanbindung zurück, die sie bereits einmal hatten. Doch die Reaktivierung von stillgelegten Strecken kommt nur schleppend voran – und das seit Jahren. Gerade einmal 30 Streckenkilometer wurden im vergangenen Jahr bundesweit reaktiviert. 2023 war es kein einziger Kilometer. Für 2025 liegen noch keine Zahlen vor, ein Quantensprung ist jedoch nicht zu erwarten. Denn der Prozess ist langwierig und kompliziert.

Eine Anfrage bei allen 16 Bundesländern, von denen 13 antworteten, ergab vorab: Zwar gibt es zahlreiche Planungen und Projekte in Umsetzung, aber tatsächlich im Bau waren 2025 lediglich 10 Strecken. Das Dilemma hat eine lange Vorgeschichte. 


Seit 1955 wurde rund ein Drittel aller Bahn­strecken stillgelegt
und damit

 das Schienennetz um rund 15.000 Kilometer verkleinert. 

6000 Bahnhöfe und Haltepunkte verschwanden.


Mehr als 5000 Kilometer Schiene könnten wieder flott werden

Bei mehr als einem Drittel des stillgelegten Netzes würde es sich jedoch lohnen, es wieder in Betrieb zu nehmen, betonen die Bahn-Verbände VDV und Allianz pro Schiene. Sie schlagen vor, 325 Bahnstrecken mit 5.426 km Länge zu reaktivieren. Auf diese Weise würden 379 Städte und damit insgesamt 3,8 Millionen Menschen wieder Anschluss an das Bahnnetz bekommen.

Für Reaktivierungen im Personenverkehr gibt der Bund sogar umfassende Zuschüsse: Er übernimmt 90 Prozent der Kosten für die Reaktivierung der Strecke – allerdings nur, wenn auch die verbleibenden Kosten gedeckt sind. Doch oft sind die Kommunen sogar mit ihrem relativ geringen Anteil finanziell überfordert. Vorher ist zudem ein aufwendiges, mehrstufiges Verfahren nötig. An dessen Anfang steht eine Machbarkeitsstudie, die das Kosten-Nutzen-Verhältnis erfolgreich als günstig berechnet.


Der Weg zu einer Streckenreaktivierung auf der Schiene
 ist im Moment noch viel zu lang.

Dirk Flege, Geschäftsführer de Allianz pro Schiene


„Aktuell gehen wir von mehr als 120 positiv aus den Machbarkeitsstudien hervorgegangenen Projekten aus“, sagt VDV-Sprecher Lars Wagner. Allerdings heißt das nicht, dass tatsächlich schon gebaut wird. Denn für die Entwurfs- und Genehmigungsplanung, den Förderantrag und schließlich die Planfeststellung braucht es viele weitere Jahre.

„Der Weg zu einer Streckenreaktivierung auf der Schiene ist im Moment noch viel zu lang“, beklagt auch Allianz pro Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege. „In jedem Bundesland gibt es andere Voraussetzungen, und häufig fehlt den Akteuren vor Ort Unterstützung.“ Personen- und Güterverkehr sollten zudem zusammen gedacht und auch beide vom Bund gefördert werden. Für den Güterverkehr ist das bisher nicht der Fall.

Nicht alle Länder unterstützen Projekte

Der Bahnexperte der Grünen im Bundestag, Matthias Gastel, ergänzt: „Reaktivierungen gestalten sich in der Praxis recht aufwendig. Die Finanzierung muss zwischen dem Land und den Kommunen aufgeteilt werden. Planungskosten sind nicht förderfähig. Gerade Kommunen tun sich mit solchen Investitionen häufig schwer.“ In Baden-Württemberg übernehme deshalb das Land durch ein eigenes Förderprogramm zusätzliche Investitionen, sodass die Kosten für die Kommunen weiter abgemildert würden.

Von Nachteil könne es auch sein, wenn die Deutsche Bahn die Reaktivierung selbst übernehme, sagt Gastel. „Sie baut nach sehr hohen und teuren Baustandards. Die Herstellung von Bahnsteigen können von kommunalen Bauhöfen wesentlich preiswerter und schneller erledigt werden als von der DB.“

Das betont auch Lukas Iffländer von der Spitze des Fahrgastverbands Pro Bahn. „Baden-Württemberg geht da mit eigenen Infrastrukturunternehmen rein.“ Bayern hingegen gebe keinen Zuschuss für die Reaktivierungsarbeiten. Der politische Wille ist für ihn deshalb der wichtigste Hebel bei der Sache. „Dem Willen folgen dann auch die Bedingungen.“

Eine weitere Hürde: Nach der Reaktivierung muss auch der Betrieb der Strecke bezahlt werden. „Die Länder warten wie das Kaninchen vor der Schlange auf das Urteil zur Zulässigkeit der Trassenpreisbremse für den Nahverkehr“, sagt Iffländer. Sollte sie tatsächlich kippen, würde die Schienenmaut sprunghaft steigen. „Die meisten Länder sagen daher aktuell keine neuen Bestellungen zu, weil sie nicht wissen, wie sie dann den aktuellen Verkehr finanzieren sollten.“

Einigkeit herrscht bei den Experten deshalb darüber, dass die Regionalisierungsmittel, mit denen der Bund die Länder bei der Finanzierung des Regionalverkehrs unterstützt, nach Reaktivierungen steigen müssten.

Viele Bürgerinitiativen setzen sich bereits vor Ort für eine umweltfreundliche Wiederanbindung an die Bahn ein. Aber auch das Gegenteil ist der Fall. Denn wer entlang einer ehemaligen Bahntrasse wohnt, will nicht unbedingt neuen Zugverkehr. Auch Fahrradwege, die dort angelegt wurden, sind oft beliebt und werden nur ungern abgetreten. Umweltschutzbelange kommen in manchen Fällen bremsend hinzu.

Die Lage ist also komplex. Ein aktuelles Gutachten der Leibniz-Gesellschaft fordert deshalb, die Länder sollten Reaktivierungen stärker zentral steuern. Wiederholte Prüfschleifen, Personalmangel in Behörden, fehlendes Monitoring der Umsetzungsschritte und unsichere Finanzierung führten zu starken Verzögerungen. Der gesamte Prozess sei deshalb höchst instabil, störungsanfällig und oft eher vom Zufall abhängig.


Kommentar Frank von Meissner /Eisenbahnbetriebsleiter

Am 31. Januar 2026 nehmen wir die 19 km Nebenbahnstrecke zwischen Calw im Nordschwarzwald und Weil der Stadt wieder in Betrieb. 

Diese Schienenverbindung am Rande des Großraums Stuttgart und am Endpunkt der Stuttgarter S-Bahn wurde 1983 im Personverkehr und 1988 im Gesamtverkehr stillgelegt: heute eine fast unverständlich kurzsichtige Entscheidung der damaligen Verantwortlichen.

Das Reaktivierungsprojekt zog sich über rund 10 Jahre, die vorgelagerten Diskussionen nochmals über fast 10 Jahre. Den langen Kampf haben wir hier nachgezeichnet:

https://www.hermann-hesse-bahn.de/projekt/zeitplan/__Zeitplan.html





Zum Thema der hohen Subventionen empfehle ich, mal mit den Suchstichworten 'Externe Kosten Straßenverkehr' zu googeln. Hier nur ein Suchergebnis:

"Die externen Kosten des Verkehrs belaufen sich in Deutschland auf 149 Milliarden Euro jährlich. Größter Kostentreiber ist der Straßenverkehr mit 141 Milliarden Euro. Dabei sind die volkswirtschaftlichen Kosten von Staus nicht einmal berücksichtigt"

Weiterlesen: https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/umwelt/externe-kosten/


Allianz pro Schiene e.V.  LinkedIn

22 Kilometer – so wenig Schienenstrecken wurden 2025 für den Personenverkehr reaktiviert. Dabei zeigen doch die zahlreichen positiv bewerteten Machbarkeitsstudien zu Streckenreaktivierungen, dass da so viel mehr möglich wäre. 194 Kilometer pro Jahr hatten wir zuletzt angesichts dieser Machbarkeitsstudien als Zielwert für Reaktivierungen in Deutschland identifiziert. Aber von dieser Marke sind Bund und Länder auch in diesem Jahr kilometerweit entfernt.

Was hilft, um mehr Tempo reinzubekommen? Und wie ist der aktuelle Stand bei den Machbarkeitsstudien? Im Frühjahr 2026 kommt unser Update. 


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