Dunkelflauten-Adventskalender Türchen 3: Wir reden von ein paar Prozent der Emissionen
Jan Hegenberg LinkedIn
Gemessen daran, wie oft der Energiewende wegen Dunkelflauten der Sinn abgesprochen wird, spielen diese bezogen aufs Ziel, CO2 einzusparen, eine geradezu niedliche Rolle.
Wir reden da von vielleicht 5% des Stroms, den wir in der Dunkelflautenzeit mit Gas überbrücken, aber selbst wenn wir das weiter fossil machten, wäre die Energiewende ein 95%-CO2-Einsparungswunder.
Das liegt auch daran, dass dann nicht nur unser Strom zu 95% sauber wäre, sondern auch unsere Heizungen und Autos mit 95% sauberem Strom liefen anstatt mit 100% fossilen Flüssigkeiten und Gasen.
Ich habe es hier genauer aufgeschrieben und mit Quellen belegt: hier
Dunkelflauten-Adventskalender Türchen 3: Wir reden von ein paar Prozent der Emissionen
Dezember 11, 2025 von Der Graslutscher
Zuerst wollte ich diesen Teil „Wenn werdende Eltern vor lauter Sorge um die Auswahl der Uni für den Nachwuchs vergessen, überhaupt mal ein Kind zu zeugen“ nennen, aber ich hatte Sorge, das könne dann doch etwas zu verwirrend sein. Der Vergleich hätte aber grundsätzlich gut gepasst, denn die zusätzlichen Emissionen, die während unserer Dunkelflauten durch die Verstromung Gas entstehen werden, sind ein winziger Bruchteil verglichen mit unseren Gesamtemissionen.
Die Energiewende wäre deswegen selbst dann eine Teillösung
für einen sehr, sehr großen Teil des Problems,
wenn wir die Dunkelflauten auch in Zukunft
mit fossilem Gas überbrücken.
Sich lieber auf die letzten paar Prozent eines Projekts zu konzentrieren anstatt auf die Gesamtwirkung der (wenn auch unvollendeten) Lösung ist ein Paradebeispiel für German Angst Overthinking.
Ein Bahnhof ohne funktionierendes WLAN ist um Längen besser als gar kein Bahnhof, eine Bibliothek ohne digitales Ausleihsystem besser als gar keine Bibliothek, eine Toilette ohne Desinfektionsspender besser als gar keine Toilette.
Gerade in Bezug aufs Klima wäre es das Falscheste, lieber nichts als etwas Unperfektes zu tun.
Die Energiewende ist schlicht unser riesiges Klima-Ass im Ärmel.
Oder halt vier Asse in normaler Größe. Hier müssen wir kaum Klimaschutz gegen Komforteinbußen abwägen und können uns stattdessen über eine Menge Win-Win freuen.
Hier gilt: Viel hilft viel, je schneller desto besser, los jetzt mach schon, dalli dalli. Es ist billiger, sauberer, rohstoffärmer, fairer, erhöht unsere Wertschöpfung und ist natürlich dramatisch weniger klimaschädlich als unser jetziges System.
Der Effekt ist so groß, dass es selbst dann ein absoluter No-Brainer wäre, wenn wir Dunkelflauten erst einmal als unlösbar hinnehmen müssten (müssen wir nicht). Unsere Energieemissionen sinken nämlich vorher schon in 4 Stufen, sortiert von schnell und viel nach langsam und wenig:
Stufe 1: Wir ersetzen Kohlestrom und Gasstrom durch neue Wind- und Solarkraftanlagen. Weil diese Anlagen nicht immer Strom erzeugen, sondern auf Sonnenschein und Wind angewiesen sind, kommen wir damit „nur“ auf ungefähr 80 Prozent EE-Strom im Netz (Dänemark ist bereits soweit). Das aber eben unvergleichlich schnell. Keine Energiequelle der Menschheit ist jemals so schnell gewachsen wie Solarkraft.
Stufe 2: Wir stellen Autos, Lieferwagen, Busse und die meisten LKW auf Strom um, das macht (exkl. der Treibstoffherstellung) etwa 22 Prozent der heutigen Emissionen aus.
Stufe 3: Wir stellen Heizungen (nochmal 20 Prozent) und den Bedarf an Prozesswärme in der Industrie* und Gewerben auf Wärmepumpen um.
* (das geht aktuell schon ziemlich gut bei Temperaturen bis 150 Grad Celsius)
Stufe 4: Wir errichten Batterie-Großspeicher, deren ursprüngliches Ausbauziel im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung für 2045 vermutlich schon in den kommenden Jahren erreicht wird. Diese versorgen uns in Sommernächten mit Solarstrom und im Winter mit all dem Windstrom, der heute abgeregelt werden muss. Ergebnis: >95 Prozent EE-Strom im Netz.
Die Stufe 5 wäre dann, auch den letzten 5 Prozent des Stroms während der Dunkelflauten die fossilen Kohlenstoffatome abzutrainieren. Ja, sollten wir machen und es gibt ja heute schon eine langfrsitige nationale Wasserstoff-Strategie dafür. Aber selbst wenn nicht ist dieses zwanghafte Fokussieren auf Stufe 5 vollkommen irrational.
In Kommentarspalten gewinnen wir schnell den Eindruck, dass insbesondere Stufe 5 über Wohl und Wehe des Landes und auch des Klimas entscheidet, dabei sind die Schritte 1 bis 4 viel effektiver, günstiger und auch schneller umsetzbar.
Selbst wenn wir es nur bei diesen ersten vier Schritten beließen, hätten wir am Ende nicht nur 95 Prozent sauberen Strom im Netz, sondern versorgten mit diesem zu 95 Prozent sauberen Strom auch Millionen von Maschinen, die früher mit 100% fossilem Erdöl oder Erdgas betrieben wurden.
Die Einsparung an Klimaemissionen wäre auch dann gigantisch, denn 2024 lagen wir noch bei 40 Prozent Fossilstrom im Nettostrommix und zusätzlich bei knapp 100 Prozent Fossilenergie in dutzenden Millionen Ölautos, Ölheizungen und Gasheizungen.
Unsere gesamte Wohnwärme, unsere Stromversorgung und unser Straßenverkehr würden dann nur noch 30 Megatonnen CO2 anstatt der heute 476 Megatonnen CO2 emittieren (das entspricht etwa den heutigen CO2-Emissionen Dänemarks).
Besonders eindrucksvoll ist das, wenn wir das inklusive der ganzen Verluste ansehen, die das heutige System in Form von Abwärme und Auspuffe durch diverse Schlote in die Umwelt ballert. Der Block links ist nicht nur zum Großteil fossil, er enthält all die Effizienzverluste, die wir schon durch einen Umstieg auf bessere Technik loswerden. Übrig bleibt lediglich der mickrige, rot umrahmte Anteil Erdgas.
SELBST WENN von diesen 1.500 TWh Strom noch 5 Prozent aus Erdgas stammen, weil die Dunkelflaute uns alle kalt (haha) erwischt hat, reden wir da von lächerlichen 75 TWh Gasstrom. Aktuell verbrauchen wir allein 3 mal so viel Gas nur für unsere Heizungen.
Ja, um diese letzten 5 Prozent kümmern wir uns dann auch noch, aber aktuell wird ja so getan, als würden diese paar Prozent das ganze Projekt ad absurdum führen. Sobald der Wind mal für ein paar Tage wegfällt, verteilen allerlei User braun eingefärbten Screenshots von Stromportalen, auf denen Momentaufnahmen zu sehen sind, so als würde das im Jahresschnitt eine große Rolle spielen – tut es nicht.
Solange es genehm ist, fordern Energiewendegegner ja auch Erdgas anstatt Kohle, „hochmoderne Verbrennungsmotoren“ und sparsamere Flugzeuge. Das Argument: Dadurch sinken die Emissionen zwar nicht auf null, aber immerhin ein bisschen. Gerade bei Verbrennungsmotoren reden wir da von ein paar wenigen Prozentpunkten oder Zehntelprozent, die hochbegabte Ingenieurinnen hier vielleicht noch aus dem Aggregat herauskitzeln können.
Bei der Energiewende hingegen kommen wir selbst bei Nichtbeachtung von Dunkelflauten auf Einsparungen von bis zu 95% aller Emissionen des kompletten (!) Energiesektors (!). Aber nee, das reicht nicht, ist ja nicht 100. Lass lieber erst diskutieren, wie wir den Strommix nach dieser phänomenalen Reduktion von 95% auf 100% Erneuerbare bekommen, während 6,72 Liter / 100 km anstatt 6,87 l / 100 km für Benziner als respektables Ziel ins Spiel gebracht werden.
Wir bewegen uns hier in Dimensionen, die in allen anderen Branchen als revolutionärer Durchbruch gefeiert würden. Stellt euch ein Medikament vor, das günstiger ist als alle am Markt befindlichen Chemotherapien und in seiner ersten Version 95 Prozent aller Krebserkrankungen heilt oder ein System, das 95 Prozent der Plastikrückstände in den Weltmeeren entfernen kann. Und dass auch die letzten 5 Prozent machbar sind, die Kosten dafür dann aber steigen. Nach den Erfinderinnen würden Straßen, Plätze und Krankenhäuser benannt.
Niemand würde fordern, dieses Medikament erst dann einzuführen, wenn es 100 Prozent der Erkrankten heilt. Also niemand Vernünftiges.
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