Dienstag, 16. Dezember 2025

Ein Schlupfloch, um Milliarden in eine alte Technologie zu investieren, die nicht mehr Zukunftsfähig ist

 

Europas industriepolitischer Irrtum  hier

Benjamin Schwarz  12. Dezember 2025


Die Entscheidung, das faktisch beschlossene Verbrenner-Aus auf europäischer Ebene wieder aufzuweichen, 

markiert keinen pragmatischen Kurswechsel. Sie ist ein politischer Rückschritt mit Ansage und ein weiterer Beleg dafür, wie tief die deutsche und europäische Politik im alten Reflex gefangen ist: Wenn es ernst wird, rettet man nicht die Zukunft, sondern die bestehende Industrie.

Was aktuell als „Technologieoffenheit“ verkauft wird, ist in Wahrheit das Verbrenner-Aus-Aus und damit ein historischer Fehler mit absehbaren Folgen.


1. Der Kern des Problems: Politik verwechselt Schutz mit Stillstand

Das ursprüngliche Verbrenner-Aus war kein ideologisches Projekt, sondern das Ergebnis nüchterner Analyse:

Der Verkehrssektor verfehlt seit Jahren seine Klimaziele.

Elektromobilität ist global der dominante Innovationspfad.

Planungssicherheit ist die zentrale Währung industrieller Transformation.

Die Aufweichung dieser Entscheidung sendet nun das gegenteilige Signal: Europa ist bereit, Regeln zu ändern, sobald ausreichend Lobbydruck entsteht.

Das ist industriepolitisch fatal. Denn Industrien werden nicht dadurch wettbewerbsfähig, dass man ihnen die Realität vom Leib hält, sondern dadurch, dass man sie zwingt, sich ihr zu stellen.


2. Das Prinzip dahinter: Die Bundesregierung als Interessenvertreter

Wer glaubt, diese Kehrtwende sei europäische Notwendigkeit, verkennt die Machtverhältnisse. Der Druck kam nicht aus Paris, Madrid oder Kopenhagen, sondern aus Berlin.

Die Bundesregierung erfüllt der deutschen Autoindustrie erneut einen zentralen Wunsch:

mehr Zeit,

weniger Regulierung,

geringere Investitionsrisiken im Kerngeschäft.

Das Muster ist bekannt. Schon bei Abgasgrenzwerten, Flottenzielen, Plug-in-Hybriden und Dienstwagenprivilegien wurde Regulierung systematisch verwässert, sobald sie die Geschäftsmodelle der Hersteller ernsthaft berührte.

Das Ergebnis ist paradox: Ausgerechnet der Staat, der Transformation ermöglichen soll, verhindert sie aktiv.


3. Die ökonomischen Folgen: Planungsunsicherheit statt Wettbewerbsfähigkeit

Industrie braucht Verlässlichkeit. Investitionen in Batteriefabriken, Ladeinfrastruktur, Software und neue Produktionsketten rechnen sich nur, wenn der Zielpfad klar ist.

Mit dem Verbrenner-Aus-Aus passiert nun das Gegenteil:

Investitionen werden verschoben.

Doppelstrukturen bleiben bestehen.

Innovationsdynamik verlangsamt sich.

Während China und die USA ihre Märkte klar auf Elektromobilität ausrichten, signalisiert Europa: Vielleicht doch nicht.

Das ist kein Schutzschirm für Arbeitsplätze, es ist ein Risikoprogramm für den Industriestandort.


4. Die technologische Illusion: Der „hocheffiziente Verbrenner“

Ein zentrales Narrativ der Debatte lautet, man müsse dem Verbrenner noch eine Chance geben, etwa über E-Fuels oder Hybridlösungen. Das klingt vernünftig, hält aber keiner näheren Betrachtung stand.

E-Fuels sind:

extrem energieineffizient,

teuer in der Herstellung,

auf absehbare Zeit nicht in relevanten Mengen verfügbar.

Sie werden im Flug- und Schiffsverkehr gebraucht und nicht, um Pkw-Technologie von gestern künstlich am Leben zu halten.

Was hier verteidigt wird, ist keine Zukunftstechnologie, sondern ein emotional aufgeladenes Industriesymbol.


5. Die gesellschaftlichen Kosten: Klima, Gesundheit, Glaubwürdigkeit

Die Folgen dieser Entscheidung sind nicht abstrakt:

höhere Emissionen,

schlechtere Luftqualität,

steigende Gesundheitskosten,

verfehlte Klimaziele.

Hinzu kommt ein politischer Schaden, der schwerer wiegt als jede Zahl: Verlust an Glaubwürdigkeit.

Wenn selbst beschlossene Regeln jederzeit wieder zur Disposition stehen, warum sollten Bürger*innen, Kommunen oder Unternehmen langfristige Entscheidungen treffen?

Transformation funktioniert nur, wenn Politik zu ihren eigenen Beschlüssen steht.


6. Der eigentliche historische Fehler

Der größte Fehler liegt nicht im Festhalten am Verbrenner, sondern im Verkennen der globalen Realität:

Die Welt bewegt sich längst weiter.


Elektromobilität ist kein europäisches Projekt, sondern ein globaler Markt.

Wer zu spät kommt, verliert nicht nur Marktanteile, sondern Gestaltungsmacht.

Das Verbrenner-Aus war eine Chance, europäische Industriepolitik zukunftsfähig auszurichten. Das Verbrenner-Aus-Aus ist das Gegenteil: eine Politik der Verlängerung, nicht der Erneuerung.


7. Fazit: Stillstand ist keine Neutralität

Die Aufweichung des Verbrenner-Ausstiegs ist kein pragmatischer Kompromiss. Sie ist ein industriepolitischer Rückschritt, der kurzfristig beruhigt und langfristig schadet.

Wer Transformation ernst meint, muss Entscheidungen aushalten und auch gegen mächtige Interessen. Alles andere ist Verwaltung des Alten.

Oder anders gesagt: Europa rettet gerade nicht seine Autoindustrie. Es verschiebt ihr Problem auf Kosten der Zukunft.





Jan-Uwe Dahnke  LinkedIn

Wie versetzt du einer Industrie, die durch Billigimporte und Druck von außen - vor Allem im Bereich E-Mobilität - gebeutelt ist, den Dolchstoß?


Genau so: Du gibst ihr ein Schlupfloch, um Milliarden in eine alte Technologie zu investieren, die nicht mehr Zukunftsfähig ist und noch niemand was, was daran hocheffizient werden kann. 

Deutsche Top-Ökonomen warnen jetzt vor dem Schritt, der in Brüssel beschlossene Sache scheint.



DER SPIEGEL  Link zum Artikel: hier





Freitag hier  Von Andreas Knie  16.12.2025

Verbrenneraus: Die deutsche Autoindustrie kann sich nur retten, wenn sie diese 5 Dinge tut

Vom Weltmarktführer zum Zulieferer: Das Aus vom EU-Verbrenner-Aus rettet die deutsche Autoindustrie nicht. Das Überleben klappt nur, wenn sich die Branche völlig neu erfindet

An diesem Dienstag wird die EU-Kommission mutmaßlich das Ende vom Ende des Verbrennungsmotors verkünden. Wenn es bei dem bleibt, was bis jetzt bekannt ist, ändert sich am faktischen Aus von Diesel und Benziner gar nichts. Zwar soll es keine 100 Prozent CO₂-Reduktion gegenüber den heutigen Flottengrenzwerten geben, sondern nur noch 90 Prozent eingespart werden. Im Kern würde diese Entscheidung bedeuten, dass noch Hybride zugelassen sind, also E-Motoren in Kombination mit kleinen Verbrennern. Die Zeit von reinen Diesel- und Benzinmotoren wäre dann ab 2035 wirklich vorbei.

Wobei die EU-Kommission entgegen den populistischen Verlautbarungen der deutschen Regierung immer „technologieoffen“ argumentiert hat. Selbstverständlich können auch wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen oder gar die synthetischen E-Fuels als Kraftstoffe eingesetzt werden. Alles wäre möglich, vorausgesetzt, kein Gramm CO₂ würde mehr in die Luft geblasen.

Aber der CSU ging es in Brüssel und hier in Deutschland ja nicht um die Sache, sondern darum, einfach mal auf den Tisch zu hauen und Macht zu demonstrieren. Den deutschen Herstellern sollte das mehr als peinlich sein. Die politische Intervention ist ein Pyrrhussieg und wird den Untergang der deutschen Autoindustrie nur beschleunigen. Aber noch ist nicht alles verloren.

Folgende Vorschläge könnten die Branche retten:

1. Demut
Wer einmal Vertreter der deutschen Hersteller auf nationalem und internationalem Parkett beobachtet hat, der sieht Männer, die vor lauter Adrenalin fast nicht laufen können. Hersteller und Teile der Zulieferbranche sehen sich immer noch als das Maß der Dinge und können und wollen sich einfach nicht verstellen, dass sich die Welt ändert. Die vorherrschende Attitüde ist, dass wir in Deutschland die besten Autos mit den besten Motoren bauen und sich die Welt daran auszurichten hat.

Es wird einfach nicht wahrgenommen, dass sich politische, technologische und gesellschaftliche Umstände ändern und dass sich selbst Konsumgewohnheiten wandeln. Als bereits vor mehreren Jahren die Signale aus China eindeutig in die Richtung gingen, doch am Design, an den Features und auch beim Antrieb etwas zu ändern, kam die Antwort immer prompt: Wir bauen die Autos so, wie wir sie immer bauen. Dumm nur, dass die Hälfte der Produktion damals noch in China verkauft wurde.

Was die gesamte Branche als Erstes braucht, ist daher Demut! Zu erkennen, dass die anderen besser sind und in strategischen Feldern einfach vorn liegen. Es gilt, sich hinten wieder anzustellen.

2. Aus der Schutzzone befreien
Die Aktivitäten der aktuellen Regierung unter der Führung der CDU und CSU tun den deutschen Herstellern nicht gut, weil sie suggerieren: Ihr seid immer noch die Besten. Eure Produkte garantieren unseren Wohlstand und wirtschaftliche Prosperität. Und bitte lasst Euch nicht von BYD oder Tesla irgendwas vorgaukeln. Und die Zeit des übertriebenen Umweltschutzes ist jetzt sowieso auch vorbei. Bleibt einfach, wie ihr seid.

Das ist – siehe Punkt 1 – Gift für die herrschende Unternehmenskultur. Damit bleibt der Glaube an eine Allmacht, die längst vorbei ist, weiterhin in den Köpfen und stärkt das Gestrige. Die Unternehmen werden ihres eigentlich sicheren Instinktes beraubt, die Märkte genau zu beobachten und schnell mit Veränderungen und Anpassungen zu reagieren.

Vielmehr domestiziert die Regierung die Konzerne mit der Aussicht, der Staat sichert auch im Namen von Europa alle Gewinne ab. Das kennen wir in Deutschland schon aus der Erfahrung mit der Textil-, Kohle- und Stahlindustrie. Das Ergebnis: Diese Industrien gibt es nicht mehr, die Arbeitsplätze sind auf ewig verloren, die hinterlassenen Schäden sehr groß.

3. Veränderte Umgebungen akzeptieren
Autos werden heute anders gebaut als noch vor 50 Jahren. Deutsche Hersteller setzten immer noch primär auf die Hardware, das berühmte Spaltmaß gilt weiterhin als Alleinstellungsmerkmal für die Bestimmung von Qualität. Als die Idee publik wurde, Autos würden zukünftig quasi wie rollende Smartphones funktionieren, war der Aufschrei der Branche groß. Vielmehr: Die Apologeten einer solchen Idee wurden milde belächelt. Ein Auto muss immer und überall sicher sein und kann nicht mal eben neu gebootet werden. Der Automobilbau ist eben doch ganz anderen Herausforderungen im öffentlichen Raum ausgesetzt als Computer oder Smartphones.

Doch auch hier hat sich mit dem mobilen Internet und den digitalen Plattformen die Wettbewerbsbedingung völlig verändert. Gleichsam vor die physische Erscheinung eines Verkehrsmittels hat sich eine digitale Realität geschoben, die entscheidet, was wie wo genutzt wird und was überhaupt gut und schlecht ist. Hardware gilt nur noch als Commodity, die einfach da ist. Die Intelligenz kommt durch die Software, die dieser Hardware erst ihre Gebrauchsfähigkeit verschafft.

4. Foxconn oder Waymo?
Ein Auto ist daher heute in ein völlig neues Ökosystem eingebunden und vielfach vernetzt. Die Idee einer gleichsam autistischen Fahrmaschine ist vorbei. Features werden über Nacht per Luftschnittstelle eingespielt, die Art und Weise der Nutzung über digitale Plattformen entschieden und das Auto Teil einer Speicherlandschaft in dezentralen Energiesystemen. Diese Herausforderungen sind in der Tat komplexer Natur und brauchen eine strategische Grundentscheidung: Was kann man gut und was kann man nicht?

Für die deutschen Hersteller kann es nur noch darum gehen, die Kernkompetenzen einer Blechbiegeanstalt zu erhalten. Denn Blechkisten werden auch in Zukunft immer noch gebraucht. Eine App alleine bringt keinen Menschen von A nach B. Aber die Intelligenz der Systeme, die im Trial-and-Error Verfahren permanent in hoch riskanten Umgebungen produziert werden, ist nichts für deutsche Automobilhersteller.

Daher bleibt die Perspektive kristallklar: Die deutschen Autobauer können das Foxconn der neuen Mobilität werden, verantwortlich für die Hardware in verlässlicher Qualität.

5. Autonomes Fahren
Vollautomatisches Fahren – etwas unscharf als „autonomes Fahren“ bezeichnet – gilt als Gamechanger in der gesamten Mobilitätsbranche. Kein Fahrzeuglenker mehr. Autos, die völlig alleine von A nach B fahren und das noch viel sicherer als in manueller Bedienung. Autos, die nicht mehr 24 Stunden und das ganze Jahr vorgehalten werden müssen, um wenige Minuten am Tag ihren Dienst zu verrichten, wird es nicht mehr geben. Die gewünschte Dienstleistung ist einfach „On-Demand“ genau passend verfügbar.

Deutsche Hersteller haben diesen Trend lange vernachlässigt, weil die alte Formel „Ich fahre also bin ich“ als Leitmotiv galt. Mittlerweile wird verzweifelt versucht verlorenes Terrain zurückzugewinnen, aber der Kampf um die Zukunft ist längst verloren. Volkswagen hat die dafür eigens gegründete Firma Cariad längst im Fegefeuer der unterschiedlichen Marken verbrannt und Mercedes versucht, die S-Klasse in einer Weise für das automatische Fahren zu ertüchtigen, wie es damals die Kutschenhersteller getan haben, als sie vergeblich hinter dem Motorwagen hergefahren sind.

Dies bedeutet: 
Die deutsche Autoindustrie hat eine wettbewerbsfähige Produktionskompetenz. Diese kann gerettet werden. Strategischer Weitblick, innovative Produkte und digitale Dienstleistungen gehören schon seit Jahren nicht mehr zu den Tugenden der Branche.

Die Empfehlung lautet daher: Fokussierung auf die Hardware und das Eingehen einer strategischen Zusammenarbeit als Zulieferer von amerikanischen und/oder chinesischen Tech-Konzernen. Von der Vorstellung und dem Wunsch, auch in der Zukunft eine Endkundenmarke für Autos sein zu können, gilt es, sich zu verabschieden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen