Sonntag, 28. Dezember 2025

Warum schweigt Merz - opfert er die Zivilgesellschaft im AFD-Interesse?

Netzpolitik.org hier 24.12.2025  Markus Reuter 

Sanktionen gegen HateAid-Führung: Die Bundesregierung muss jetzt scharf protestieren

Die USA belegen Menschen mit Sanktionen, weil sie demokratisch legitimierte Gesetze gegen Tech-Konzerne verteidigen. Das erfordert eine klare Antwort aus Europa. Es geht um die Souveränität der EU, Gesetze selbst zu gestalten, und um die Freiheit der europäischen Zivilgesellschaft. Ein Kommentar.

Die HateAid-Geschäftsführerinnen Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon wurden von der US-Regierung mit Sanktionen belegt. 

Am Dienstagabend hat das US-Außenministerium Visa-Sanktionen gegen Mitglieder eines angeblichen „globalen Zensur-industriellen Komplexes“ verhängt. Der bekannteste Sanktionierte ist der frühere EU-Kommissar Thierry Breton, der eine tragende Rolle für den europäischen Digital Services Act (DSA) spielte.

Daneben gehören die Gründerin des britischen Global Disinformation Index (GDI), Clare Melford, und der Gründer des in Großbritannien und USA tätigen Center for Countering Digital Hate (CCDH), Imran Ahmed, zu denjenigen, die künftig Einreisebeschränkungen für die USA unterliegen. In Deutschland haben die USA mit Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon die Geschäftsführerinnen von HateAid sanktioniert.

Feindlicher Akt gegen europäische Souveränität

Die Sanktionen erfüllen zwei Funktionen: Sind sind einerseits ein feindlicher Akt gegen die europäische Gesetzgebung des Digital Services Acts, dem auch die US-amerikanischen Tech-Konzerne unterworfen sind. Die EU-Verordnung enthält vor allem für sehr große Tech-Konzerne zahlreiche Pflichten: etwa zu Moderation und Transparenz, zur Löschung illegaler Inhalte oder dem Schutz von Nutzer:innen vor manipulativem Design.

Diese Gesetzgebung versuchen die mittlerweile sehr nahe an den autoritären Trump gerückten Tech-Milliardäre von Musk bis Zuckerberg schon seit Langem und nun mit verstärkter Hilfe der Trump-Regierung zu attackieren. Früher mit massiver Lobbyarbeit in Brüssel, jüngst auch mit Zoll-Drohungen und jetzt mit Sanktionen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen, die die Umsetzung des DSA mitgestalten.

Es handelt sich bei den jetzigen Sanktionen um einen direkten Angriff auf die Souveränität Europas, selbst digitale Märkte zu regulieren und die eigenen Gesetze gegen Konzerne auch durchzusetzen. Die Sanktionen sind Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit, denn nichts anderes ist die Durchsetzung von Recht und Gesetz.

Bestrafung und Einschüchterung

Die zweite Ebene ist die Bestrafung, Markierung und Einschüchterung politischer Gegner:innen. Die jetzt durch ihre Mitglieder sanktionierten Nichtregierungsorganisationen sind alle gegen Hassrede, illegale Inhalte und Desinformation tätig. Natürlich sind solche Organisationen denjenigen ein Dorn im Auge, deren Aufstiegs- und Machterhaltungsstrategie auf Hass, Lügen und Desinformation aufbaut. HateAid ist nicht umsonst hierzulande ein Lieblingsgegner der rechtsradikalen AfD und ihrer rechtskonservativen Steigbügelhalter.

Während US-Präsident Trump in den USA mit der New York Times die renommierteste Zeitung des Landes zum „Gegner des Volkes“ deklariert und die „Einschläferung“ des Satirikers Stephen Colbert fordert, malen er und seine Anhänger:innen das Schreckgespenst eines allmächtigen europäischen Zensurapparates an die Wand. Gleichzeitig übernehmen Trump-Getreue die US-Medienlandschaft und ein regierungsnahes global agierendes autoritäres Netzwerk von Tech-Konzernen hat sich gebildet.


Die Realität ist also: 

Die Meinungsfreiheit ist in den USA in Gefahr – 

und weniger in Europa.


Bei den jetzt verhängten Einreiseverboten für die Betroffenen dürfte es nicht bleiben. Die Mitarbeitenden von HateAid wurden als „radikale Aktivisten“ klassifiziert, die ihre Organisationen als Waffe einsetzen würden. Es kann gut sein, dass die Organisationen ihre Social-Media- und sonstigen Accounts bei US-Konzernen verlieren könnten. Die Sanktionen gegen HateAid sind als Drohung gegen alle zu verstehen, die sich kritisch mit US-amerikanischen Tech-Konzernen auseinandersetzen.

Jetzt scharf und entschieden protestieren

Gegen das Vorgehen der US-Regierung müssen die Bundesregierung und die EU-Kommission scharf und entschieden protestieren. Es geht dabei um nicht weniger als die europäische Unabhängigkeit, selbst über die hier geltenden Gesetze zu entscheiden. Es geht darum, dass wir in der EU mit unseren 450 Millionen Einwohner:innen selbst aushandeln, welche Regeln bei uns gelten. Und dass wir uns nicht alles von den Konzernen der Oligarchen gefallen lassen, auch wenn diese bei Donald Trump auf dem Schoß sitzen.

Neben der europäischen Souveränität geht es auch darum, hier tätige zivilgesellschaftliche Organisationen in ihrer Handlungsfreiheit zu schützen. Sonst müssen in Zukunft alle möglichen Akteure damit rechnen, von den USA bestraft zu werden, wenn dies der autoritären Führung der USA und ihren Oligarchen nicht in den Kram passt. Es geht also um nicht weniger als um die politische und wissenschaftliche Freiheit unserer Zivilgesellschaft.

Jetzt sind also Bundeskanzler Merz und Kommissionspräsidentin von der Leyen gefragt, deutliche Worte und eine politische Antwort zu finden, damit dieser Präzedenzfall der Einschüchterung nicht unerwidert bleibt. Auch wenn heute Heiligabend ist.


RND hier  Von Markus Decker  27.12.2025

„Maßnahmen kommen Einschüchterung gleich“

US-Sanktionen gegen HateAid und andere: Macron protestiert – Merz schweigt

Die US-Regierung hat die HateAid-Geschäftsführerinnen Josephine Ballon und Anna-Lena von Hodenberg mit Einreiseverboten belegt. Das sorgt für Kritik – aber nicht überall.

Die US-Regierung beließ es nicht bei Ankündigungen. Sie ließ umgehend Taten folgen. Ihr sei am Mittwochabend von der US-Verwaltung mitgeteilt worden, dass sich der Status ihres noch bis April gültigen US-Visums geändert habe und damit keine Einreise mehr möglich sei, sagte HateAid-Geschäftsführerin Josephine Ballon der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Ihre Mit-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg verfüge aktuell über kein Visum für die USA.

Im Übrigen werde von HateAid geprüft, ob das Vorgehen der US-Behörden Einfluss auf den Zahlungsverkehr der Organisation haben könne, fügte Ballon hinzu. So sei unklar, ob die US-Entscheidung ausgeweitet und auch Sperrungen von Kreditkarten oder bei US-Anbietern geführten Online-Konten nach sich ziehen könne.

Kritik fällt unterschiedlich aus

Die US-Regierung hatte kurz zuvor für einen neuen Affront im europäisch-amerikanischen Verhältnis gesorgt. Sie verhängte Einreiseverbote gegen Ballon, von Hodenberg sowie gegen drei andere Europäer – darunter der frühere französische EU-Kommissar Thierry Breton, der als einer der Architekten des Digital Services Act (DAS) gilt. Das Gesetzespaket und dessen praktische Anwendung sollen verhindern, dass im Internet ein rechtsfreier Raum entsteht. HateAid wiederum bietet psychologische und rechtliche Unterstützung für Menschen an, die im Internet diskriminiert, beleidigt, bedroht oder angegriffen werden.

Die US-Regierung fordert seit längerem Änderungen an den strengen EU-Digitalgesetzen, die zum Beispiel die Verbreitung von Falschinformationen über Plattformen wie X verhindern sollen und auch Unternehmen wie Amazon, Apple und Meta (Facebook), Alphabet (Google) und Microsoft betreffen. 

Die EU-Kommission betont immer wieder, dass diese nur einen fairen Wettbewerb und den Schutz von Kindern und demokratischen Wahlen garantieren sollen. Das Gesetz über digitale Dienste verpflichtet Plattformen dazu, einfache Verfahren zum Melden illegaler Inhalte, Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Zudem müssen sie Maßnahmen ergreifen, um Minderjährige vor Glücksspielen oder Pornografie zu schützen.


Diese Maßnahmen kommen Einschüchterung und Zwang gleich, die darauf abzielen,
die europäische digitale Souveränität zu unterwandern.

Emmanuel Macron, französischer Präsident


Der jüngste Schritt der US-Regierung sorgte in Deutschland und anderen Staaten Europas für Kritik. Nur fiel diese Kritik sehr unterschiedlich aus.


Von Hodenberg sagte: 

„Wir sind nicht überrascht. 

Es ist ein Akt der Repression einer Regierung,
die zunehmend Rechtsstaatlichkeit missachtet und versucht,
ihre Kritiker mit aller Härte zum Schweigen zu bringen.“ 

Die US-Regierung versuche mit allen Mitteln zu verhindern,
dass sich US-Konzerne in Europa
an geltendes Recht halten müssten,
und stelle damit „die europäische Souveränität infrage“. 


Breton verglich die US-Sanktionen mit der „Hexenjagd“ auf vermeintliche Kommunisten zu Zeiten der berüchtigten McCarthy-Ära in den USA, in der viele Menschen zu Unrecht ins Visier der Staatsgewalt gerieten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron äußerte sich ebenfalls sehr scharf. „Diese Maßnahmen kommen Einschüchterung und Zwang gleich, die darauf abzielen, die europäische digitale Souveränität zu unterwandern“, schrieb er bei X. 

Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour (Bündnis 90 / Die Grünen) forderte die Einbestellung des Geschäftsträgers der US-Botschaft in Berlin. So ein Schritt gilt als Geste des Protests.

Ansonsten schwieg Kanzler Friedrich Merz (CDU) ebenso wie Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Stattdessen meldete sich die niederrangigere Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) zu Wort mit der Feststellung: „Nach welchen Regeln wir in Deutschland und in Europa im digitalen Raum leben wollen, wird nicht in Washington entschieden.“ Außenminister Johann Wadephul (CDU) nannte die Einreiseverbote nicht akzeptabel. Er betonte zugleich: „Andere Auffassungen wollen wir mit den USA grundsätzlich im transatlantischen Dialog klären, um unsere Partnerschaft zu stärken.“

Dem liegt offenbar der Glaube zugrunde, dass sich die Administration von US-Präsident Donald Trump doch noch irgendwie mäßigen lässt und man den Rest des transatlantischen Verhältnisses nicht durch offenen Widerspruch zusätzlich gefährden dürfe.

Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen droht Vergeltungsmaßnahmen gegen die von der US-Regierung verhängten Einreiseverbote gegen den früheren EU-Kommissar Thierry Breton und andere Europäer an.

Tatsächlich geht aber sowohl aus der Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz zu Jahresbeginn, als auch aus der zuletzt publik gewordenen neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA hervor, dass die Trump-Administration genau jene politischen Kräfte in Europa stärken will, die sich auf den digitalen Plattformen meist aggressiv äußern.

Die Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung im Europaparlament, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, rief Ballon und von Hodenberg unterdessen zum Durchhalten auf. 

Die Devise müsse lauten, „Kopfschütteln und weiter machen“, sagte die FDP-Politikerin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „HateAid macht eine wichtige Arbeit und schützt unsere Demokratie besonders im Netz – basierend auf europäischem Recht.“ Die Liberale fuhr fort: „Angriffe von außen darauf zeigen, wie selbstbewusst und entschlossen wir mehr denn je in Europa sein müssen.“


Zeit hier Ein Kommentar von Johannes Schneider  27. Dezember 2025

US-Sanktionen gegen HateAid: HateAid bedroht die freie Rede? HateAid beschützt die freie Rede!

Die US-Regierung belegt eine deutsche NGO mit Sanktionen – in Deutschland freuen sich die, denen sie eh ein Dorn im Auge ist. Man hüte sich vor deren Argumenten.

Es sagt einiges aus, welcher schon etwas ältere Videoschnipsel gerade in rechten und rechtsliberalen deutschen Internetkreisen kursiert – im Rahmen der Auseinandersetzung mit US-Einreiseverboten für die Geschäftsführerinnen der Organisation HateAid, Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon. 

Ballon ist dort zu sehen, wie sie im US-Sender CBS deutsche Beschränkungen der freien Meinungsäußerung verteidigt: "Freie Rede braucht Grenzen", sagt Ballon, jedes Wort betonend, auf Englisch mit hartem deutschen Akzent. 

Interessant sind hier zunächst einmal zwei Sachen. Interessant ist zuallererst, dass der zweite Teil der Aussage oft bewusst weggeschnitten wird: "Im Falle Deutschlands sind diese Grenzen Teil unserer Verfassung", sagt die Juristin Ballon da – was dem Statement natürlich noch einmal ein anderes Gewicht gibt. Denn auf das Grundgesetz können sich in Deutschland fast alle einigen, auch parlamentarische Rechtsaußen, oder sie tun zumindest so, als ob.  

Interessant ist aber auch, dass die erste Aussage auch ohne diesen ominös weggeschnittenen Zusatz hierzulande kaum Anstoß erregen sollte. Dass freie Rede Grenzen hat – in Deutschland ist das eine Selbstverständlichkeit. Die wichtigste Grenze der Demokratie ist die Grenze zum Faschismus, zur Menschenfeindlichkeit, zum Hass – und die darf auch die freie Rede nicht übertreten. Das wissen auch eigentlich alle in einem Land, wo die eine (Demokratie) aus den Trümmern des anderen (Faschismus) erwachsen ist. Und vermeiden zum Beispiel nationalsozialistische Symbole (es sei denn, sie sind Nazis und bereit, mit den juristischen Konsequenzen zu leben). 

Doch wie wenig selbstverständlich lang erprobte Selbstverständlichkeiten sind, wenn Teile der Debatte gern den entgrenzten und entleerten Free-Speech-Begriff aus Trumps Amerika importieren würden, zeigt gerade die weitere deutsche Auseinandersetzung mit HateAid. 

Nachdem die US-Regierung die Geschäftsführerinnen mit Einreiseverboten belegt und sie als radikale Aktivistinnen eingestuft hat, sagen schließlich auch Angestellte großer deutscher Presseverlage "Gut so" und ihre Kolumnisten freuen sich über "schlechte Zeiten für Zensoren". Nur kurz zur Erinnerung: In der Realität ist HateAid eine Organisation, die Hass im Netz bekämpfen will, indem sie Opfer berät, juristischen Beistand leistet und digitalen Plattformen, die mutmaßlich Hass fördern, auf die Pelle rückt. Beziehungsweise indem sie diejenigen unterstützt, die das tun und deshalb in Schwierigkeiten geraten. 

Und trotzdem stehen Rechte oder rechtsliberale Medien und Player, denen HateAid schon lange ein Dorn im Auge ist, unmittelbar und lautstark kritisch parat, um die Organisation im Windschatten der trumpschen Diffamierung auch in Deutschland untragbar zu machen.

Ein wesentlicher Vorwurf dabei ist: Zensur. HateAid wird mit knapp 1,3 Millionen Euro öffentlich teilfinanziert, Hauptgeldgeber sind in diesem Ausschnitt der transparent aufgeschlüsselten Mittelherkunft die Bundesministerien für Justiz und Familie. Zudem gilt HateAid der Bundesregierung seit Juni 2025 als Trusted Flagger – als Organisation mit besonderer Expertise also, deren Meldungen mutmaßlich rechtswidriger Inhalte im Netz besondere Priorität erhalten. 

Richtig giftig wird die Skandalisierung dieser Rolle und Funktion mit einem zweiten wesentlichen Vorwurf: Einseitigkeit. Da beschweren sich etwa AfD-Abgeordnete und rechte Blogger, denen die Organisation nach eigenem Bekunden nicht helfen wollte, obwohl sie natürlich auch Ziel von digitalen Anfeindungen sind. HateAid hat darauf noch keine wirklich überzeugende Antwort, zumindest nicht prominent auf seiner Homepage – hier wie in den sozialen Medien bleibt es in puncto negativer Kriterien bei der wächsernen Aussage, man helfe allen, die Hilfe brauchen "und selbst keinen Hass verbreiten".

So wird es für die Kräfte diesseits dieser agitierten Rechten und Rechtsliberalen tatsächlich zu einer etwas anspruchsvolleren Aufgabe, die Organisation nicht nur vor den USA in Schutz zu nehmen, was in den vergangenen Tagen verbal ausreichend geschehen ist. Wo es aber entsprechend noch etwas Nachholbedarf gibt, ist bei der Verteidigung ihrer gesellschaftlichen Rolle und thematischen (und ja: vielleicht auch politischen) Ausrichtung auch nach innen. 

Insofern ist jetzt vielleicht ein ganz guter Zeitpunkt, das hier noch mal in aller Klarheit zu sagen: Nicht gemeinnützige Organisationen wie HateAid sind eine Brandgefahr für die Demokratie, sondern diejenigen im In- und Ausland, die HateAid nun angreifen. Denn sie tun das mit dem klaren strategischen Ziel, wichtige zivilgesellschaftliche Player zu diskreditieren und aus staatlichen Förderungsstrukturen zu verdrängen.  

Dabei ist das Handeln dieser Angreifer so offensichtlich wie nachvollziehbar: Dass die USA Europa als Ort der bedrohten Meinungsfreiheit framen wollen, ist spätestens seit der Rede von JD Vances bei der Münchner Sicherheitskonferenz klar, und keinesfalls sollte man ihnen diesen Gefallen tun. Dass sie damit Widerhall finden bei all jenen, die hierzulande den öffentlichen Diskurs entgrenzen wollen, ist ebenfalls so einleuchtend wie gefährlich – und keinesfalls sollte man diese Leute unterstützen, indem man ihre Gesprächsanlässe aufnimmt und ihre "kritischen Fragen" zum Zentrum einer weitergehenden Debatte macht, à la "Wird schon ein bisschen was dran sein". 

Damit macht man sich nämlich zum Teil von etwas, das man vielleicht Augenklappenpolitik nennen kann. Mit breitem Fokus blicken dann rechte Agitatoren und Analytikerinnen der politischen Mitte gemeinsam auf die manifesten Schwächen zivilgesellschaftlicher Organisation und staatlicher Gefahrenabwehr. Und sie finden natürlich besonders saftige Themen, wo die beiden (noch) recht fadenscheinig verknüpft sind – etwa in ersten Umsetzungen des europäischen Digital Services Act (DSA) mit deutschen Trusted Flaggern wie HateAid. Schon wird überall der Punkt gesucht, der HateAid angreifbar macht und der sich – siehe oben – natürlich auch finden lässt. Derweil verschwinden auf der anderen Seite die wirklichen Bedrohungen wie die Trump-Regierung, die AfD und ihr Vorfeld thematisch aus dem unnötig verkleinerten Blickfeld.  

Das alles geht für die Mitte so lange gut, bis einem dieser Teil der Öffentlichkeit dann machthabend gegenübertritt. Und das wiederum geschieht im Zweifel auch, weil nach einem ähnlichen Schema die volkstümlicheren "Nichts darf man mehr sagen"-Diskurse geschürt und gepflegt werden, als nimmermüdes, von rechts getriebenes und von der Mitte willfährig verstärktes Ventilieren der vielen, vielen Unzulänglichkeiten offener Gesellschaften, ohne einen ähnlich tiefen Blick darauf, was eine geschlossene Gesellschaft denn so mit sich bringen würde, wenn sie denn käme. Derweil lässt Wladimir Putin einen winterlichen Drohnenhagel auf Kyjiw niedergehen und Donald Trump hängt kindische Schmähtexte im Weißen Haus auf, was zwar nur ein symbolischer Akt ist, aber just in diesem Kontext daran erinnern sollte: Alles, was aus dieser Richtung kommt an Diskursbewertungen, ist nicht satisfaktionsfähig. Man kann nicht an einem Tag sagen "Den sollte man nicht so ernst nehmen" und seiner Administration am nächsten Tag irgendeinen Einfluss auf die eigenen Debatten einräumen. 

Die Debatte muss geführt werden – aber wie?
Leider stimmt mit Blick auf diese Debatten aber auch das: An forcierte Grausamkeit Russlands und ekelhafte verbale Attacken seitens der US-Regierung hat man sich irgendwie gewöhnt, auch in Deutschland. Das Hadern mit dem eigenen System ist den in der Demokratie gelangweilten Deutschen jedoch immer wieder neu – und Kritik an hiesigen Missständen oder auch nur Missverständlichkeiten ja auch nicht falsch. Das macht die anstehende Debatte über HateAid so schwierig: Sie muss einerseits geführt werden – und Organisationen wie HateAid brauchen überzeugende und unmittelbar kommunizierte Kriterien, wem sie nicht helfen und warum. Aber sie darf auch nie so geführt werden, als wäre eine solche Organisation das zentrale Problem oder der Staat, der sie unterstützt – und nicht die zersetzenden Kampagnen, denen sie entgegenwirken will.  

Zu denen, die nun just so eine Kampagne gegen HateAid selbst führen (mit zynischen Stilblüten wie jener, dass Mitarbeitende von HateAid per Foto als "Experten für digitales Denunzieren"... denunziert werden), ist schließlich zu sagen: Natürlich nennen die Wölfe den Jäger einen Mörder. Die Schafe reißen sie aber trotzdem. Das ist im Übrigen der dritte und noch öfter abgeschnittene Teil von Ballons Aussage über die freie Rede bei CBS – und ihm ist unbedingt zuzustimmen: "Ohne Grenzen kann eine sehr kleine Gruppe von Menschen sich auf die endlose Freiheit verlassen zu sagen, was sie will, während jeder andere ängstlich und eingeschüchtert ist." Man kann sich nun entscheiden, ob man die USA oder Deutschland näher an diesem Abgrund sieht. 


Martin Leissl   LinkedIn

Die US Regierung ist jetzt völlig plemplem, wenn sie Hate Aid als „Ideologen“ sanktionieren, die „amerikanische Unternehmen zensieren.“

 Aber wen von euch wundert das noch. 

„Die US-Regierung werde »exterritoriale Zensur« nicht länger tolerieren und Einreiseverbote gegen »führende Persönlichkeiten des globalen Zensur-Industrie-Komplexes» einführen. Man sei bereit, die Liste zu erweitern, wenn es keine Kurskorrektur gebe.“

Ich sag’s doch. Völlig plemplem. 😵‍💫


Liebe Grüße und Danke an HateAid für eure tolle Arbeit, macht weiter so. 

Eigentlich müsste der Bundeskanzler jetzt mal ordentlich auf den Tisch vom Donald hauen und sagen: „so geht es nicht weiter.“
Aber ehrlich: erwart noch jemand von euch vernünftige Aussagen und Politik von ihm und der Bundesregierung? 

Mehr davon bei HateAid und den Geschäftsführerinnen Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen