Netzpolitik.org hier 24.12.2025 Markus Reuter
Sanktionen gegen HateAid-Führung: Die Bundesregierung muss jetzt scharf protestieren
Die USA belegen Menschen mit Sanktionen, weil sie demokratisch legitimierte Gesetze gegen Tech-Konzerne verteidigen. Das erfordert eine klare Antwort aus Europa. Es geht um die Souveränität der EU, Gesetze selbst zu gestalten, und um die Freiheit der europäischen Zivilgesellschaft. Ein Kommentar.Die HateAid-Geschäftsführerinnen Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon wurden von der US-Regierung mit Sanktionen belegt.
Am Dienstagabend hat das US-Außenministerium Visa-Sanktionen gegen Mitglieder eines angeblichen „globalen Zensur-industriellen Komplexes“ verhängt. Der bekannteste Sanktionierte ist der frühere EU-Kommissar Thierry Breton, der eine tragende Rolle für den europäischen Digital Services Act (DSA) spielte.
Daneben gehören die Gründerin des britischen Global Disinformation Index (GDI), Clare Melford, und der Gründer des in Großbritannien und USA tätigen Center for Countering Digital Hate (CCDH), Imran Ahmed, zu denjenigen, die künftig Einreisebeschränkungen für die USA unterliegen. In Deutschland haben die USA mit Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon die Geschäftsführerinnen von HateAid sanktioniert.
Feindlicher Akt gegen europäische Souveränität
Die Sanktionen erfüllen zwei Funktionen: Sind sind einerseits ein feindlicher Akt gegen die europäische Gesetzgebung des Digital Services Acts, dem auch die US-amerikanischen Tech-Konzerne unterworfen sind. Die EU-Verordnung enthält vor allem für sehr große Tech-Konzerne zahlreiche Pflichten: etwa zu Moderation und Transparenz, zur Löschung illegaler Inhalte oder dem Schutz von Nutzer:innen vor manipulativem Design.
Diese Gesetzgebung versuchen die mittlerweile sehr nahe an den autoritären Trump gerückten Tech-Milliardäre von Musk bis Zuckerberg schon seit Langem und nun mit verstärkter Hilfe der Trump-Regierung zu attackieren. Früher mit massiver Lobbyarbeit in Brüssel, jüngst auch mit Zoll-Drohungen und jetzt mit Sanktionen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen, die die Umsetzung des DSA mitgestalten.
Es handelt sich bei den jetzigen Sanktionen um einen direkten Angriff auf die Souveränität Europas, selbst digitale Märkte zu regulieren und die eigenen Gesetze gegen Konzerne auch durchzusetzen. Die Sanktionen sind Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit, denn nichts anderes ist die Durchsetzung von Recht und Gesetz.
Bestrafung und Einschüchterung
Die zweite Ebene ist die Bestrafung, Markierung und Einschüchterung politischer Gegner:innen. Die jetzt durch ihre Mitglieder sanktionierten Nichtregierungsorganisationen sind alle gegen Hassrede, illegale Inhalte und Desinformation tätig. Natürlich sind solche Organisationen denjenigen ein Dorn im Auge, deren Aufstiegs- und Machterhaltungsstrategie auf Hass, Lügen und Desinformation aufbaut. HateAid ist nicht umsonst hierzulande ein Lieblingsgegner der rechtsradikalen AfD und ihrer rechtskonservativen Steigbügelhalter.
Während US-Präsident Trump in den USA mit der New York Times die renommierteste Zeitung des Landes zum „Gegner des Volkes“ deklariert und die „Einschläferung“ des Satirikers Stephen Colbert fordert, malen er und seine Anhänger:innen das Schreckgespenst eines allmächtigen europäischen Zensurapparates an die Wand. Gleichzeitig übernehmen Trump-Getreue die US-Medienlandschaft und ein regierungsnahes global agierendes autoritäres Netzwerk von Tech-Konzernen hat sich gebildet.
Die Realität ist also:
Die Meinungsfreiheit ist in den USA in Gefahr –
und weniger in Europa.
Bei den jetzt verhängten Einreiseverboten für die Betroffenen dürfte es nicht bleiben. Die Mitarbeitenden von HateAid wurden als „radikale Aktivisten“ klassifiziert, die ihre Organisationen als Waffe einsetzen würden. Es kann gut sein, dass die Organisationen ihre Social-Media- und sonstigen Accounts bei US-Konzernen verlieren könnten. Die Sanktionen gegen HateAid sind als Drohung gegen alle zu verstehen, die sich kritisch mit US-amerikanischen Tech-Konzernen auseinandersetzen.
Jetzt scharf und entschieden protestieren
Gegen das Vorgehen der US-Regierung müssen die Bundesregierung und die EU-Kommission scharf und entschieden protestieren. Es geht dabei um nicht weniger als die europäische Unabhängigkeit, selbst über die hier geltenden Gesetze zu entscheiden. Es geht darum, dass wir in der EU mit unseren 450 Millionen Einwohner:innen selbst aushandeln, welche Regeln bei uns gelten. Und dass wir uns nicht alles von den Konzernen der Oligarchen gefallen lassen, auch wenn diese bei Donald Trump auf dem Schoß sitzen.
Neben der europäischen Souveränität geht es auch darum, hier tätige zivilgesellschaftliche Organisationen in ihrer Handlungsfreiheit zu schützen. Sonst müssen in Zukunft alle möglichen Akteure damit rechnen, von den USA bestraft zu werden, wenn dies der autoritären Führung der USA und ihren Oligarchen nicht in den Kram passt. Es geht also um nicht weniger als um die politische und wissenschaftliche Freiheit unserer Zivilgesellschaft.
Jetzt sind also Bundeskanzler Merz und Kommissionspräsidentin von der Leyen gefragt, deutliche Worte und eine politische Antwort zu finden, damit dieser Präzedenzfall der Einschüchterung nicht unerwidert bleibt. Auch wenn heute Heiligabend ist.
RND hier Von Markus Decker 27.12.2025
„Maßnahmen kommen Einschüchterung gleich“
US-Sanktionen gegen HateAid und andere: Macron protestiert – Merz schweigt
Die US-Regierung hat die HateAid-Geschäftsführerinnen Josephine Ballon und Anna-Lena von Hodenberg mit Einreiseverboten belegt. Das sorgt für Kritik – aber nicht überall.
Die US-Regierung beließ es nicht bei Ankündigungen. Sie ließ umgehend Taten folgen. Ihr sei am Mittwochabend von der US-Verwaltung mitgeteilt worden, dass sich der Status ihres noch bis April gültigen US-Visums geändert habe und damit keine Einreise mehr möglich sei, sagte HateAid-Geschäftsführerin Josephine Ballon der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Ihre Mit-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg verfüge aktuell über kein Visum für die USA.
Im Übrigen werde von HateAid geprüft, ob das Vorgehen der US-Behörden Einfluss auf den Zahlungsverkehr der Organisation haben könne, fügte Ballon hinzu. So sei unklar, ob die US-Entscheidung ausgeweitet und auch Sperrungen von Kreditkarten oder bei US-Anbietern geführten Online-Konten nach sich ziehen könne.
Kritik fällt unterschiedlich aus
Die US-Regierung hatte kurz zuvor für einen neuen Affront im europäisch-amerikanischen Verhältnis gesorgt. Sie verhängte Einreiseverbote gegen Ballon, von Hodenberg sowie gegen drei andere Europäer – darunter der frühere französische EU-Kommissar Thierry Breton, der als einer der Architekten des Digital Services Act (DAS) gilt. Das Gesetzespaket und dessen praktische Anwendung sollen verhindern, dass im Internet ein rechtsfreier Raum entsteht. HateAid wiederum bietet psychologische und rechtliche Unterstützung für Menschen an, die im Internet diskriminiert, beleidigt, bedroht oder angegriffen werden.
Die US-Regierung fordert seit längerem Änderungen an den strengen EU-Digitalgesetzen, die zum Beispiel die Verbreitung von Falschinformationen über Plattformen wie X verhindern sollen und auch Unternehmen wie Amazon, Apple und Meta (Facebook), Alphabet (Google) und Microsoft betreffen.
Die EU-Kommission betont immer wieder, dass diese nur einen fairen Wettbewerb und den Schutz von Kindern und demokratischen Wahlen garantieren sollen. Das Gesetz über digitale Dienste verpflichtet Plattformen dazu, einfache Verfahren zum Melden illegaler Inhalte, Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Zudem müssen sie Maßnahmen ergreifen, um Minderjährige vor Glücksspielen oder Pornografie zu schützen.
Diese Maßnahmen kommen Einschüchterung und Zwang gleich, die darauf abzielen,
die europäische digitale Souveränität zu unterwandern.
Emmanuel Macron, französischer Präsident
Der jüngste Schritt der US-Regierung sorgte in Deutschland und anderen Staaten Europas für Kritik. Nur fiel diese Kritik sehr unterschiedlich aus.
Von Hodenberg sagte:
„Wir sind nicht überrascht.
Es ist ein Akt der Repression einer Regierung,
die zunehmend Rechtsstaatlichkeit missachtet und versucht,
ihre Kritiker mit aller Härte zum Schweigen zu bringen.“
Die US-Regierung versuche mit allen Mitteln zu verhindern,
dass sich US-Konzerne in Europa
an geltendes Recht halten müssten,
und stelle damit „die europäische Souveränität infrage“.
Breton verglich die US-Sanktionen mit der „Hexenjagd“ auf vermeintliche Kommunisten zu Zeiten der berüchtigten McCarthy-Ära in den USA, in der viele Menschen zu Unrecht ins Visier der Staatsgewalt gerieten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron äußerte sich ebenfalls sehr scharf. „Diese Maßnahmen kommen Einschüchterung und Zwang gleich, die darauf abzielen, die europäische digitale Souveränität zu unterwandern“, schrieb er bei X.
Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour (Bündnis 90 / Die Grünen) forderte die Einbestellung des Geschäftsträgers der US-Botschaft in Berlin. So ein Schritt gilt als Geste des Protests.
Ansonsten schwieg Kanzler Friedrich Merz (CDU) ebenso wie Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Stattdessen meldete sich die niederrangigere Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) zu Wort mit der Feststellung: „Nach welchen Regeln wir in Deutschland und in Europa im digitalen Raum leben wollen, wird nicht in Washington entschieden.“ Außenminister Johann Wadephul (CDU) nannte die Einreiseverbote nicht akzeptabel. Er betonte zugleich: „Andere Auffassungen wollen wir mit den USA grundsätzlich im transatlantischen Dialog klären, um unsere Partnerschaft zu stärken.“
Dem liegt offenbar der Glaube zugrunde, dass sich die Administration von US-Präsident Donald Trump doch noch irgendwie mäßigen lässt und man den Rest des transatlantischen Verhältnisses nicht durch offenen Widerspruch zusätzlich gefährden dürfe.
Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen droht Vergeltungsmaßnahmen gegen die von der US-Regierung verhängten Einreiseverbote gegen den früheren EU-Kommissar Thierry Breton und andere Europäer an.
Tatsächlich geht aber sowohl aus der Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz zu Jahresbeginn, als auch aus der zuletzt publik gewordenen neuen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA hervor, dass die Trump-Administration genau jene politischen Kräfte in Europa stärken will, die sich auf den digitalen Plattformen meist aggressiv äußern.
Die Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung im Europaparlament, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, rief Ballon und von Hodenberg unterdessen zum Durchhalten auf.
Die Devise müsse lauten, „Kopfschütteln und weiter machen“, sagte die FDP-Politikerin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „HateAid macht eine wichtige Arbeit und schützt unsere Demokratie besonders im Netz – basierend auf europäischem Recht.“ Die Liberale fuhr fort: „Angriffe von außen darauf zeigen, wie selbstbewusst und entschlossen wir mehr denn je in Europa sein müssen.“
Zeit hier Ein Kommentar von Johannes Schneider 27. Dezember 2025
US-Sanktionen gegen HateAid: HateAid bedroht die freie Rede? HateAid beschützt die freie Rede!
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