Freitag, 5. Dezember 2025

»Trotz aller Kritik bleiben saubere Energie und Klimaschutz das Fundament, auf dem die Weltwirtschaft neu gestaltet wird«

 Spiegel hier  Ein Newsletter von Susanne Götze 05.12.2025,


Nach der Weltklimakonferenz in Brasilien: Warum ein Ausstieg aus Öl und Erdgas das wichtigste Klimathema für 2026 werden könnte


Der Energiemarkt zeigt sich von der COP30 unbeeindruckt, die Ölpreise könnten sogar sinken. Doch der Triumph der Petrostaaten währt nur kurz, der Wandel ist im Gang. Ein Förderland wagt den ersten Schritt.

Die Klimakrise hat eine klare Ursache: fossile Energien. 
Erdöl, Erdgas und Kohle sind für mehr als drei Viertel der Erderwärmung verantwortlich. Ihre Verbrennung treibt die Temperaturen immer weiter nach oben – im vergangenen Jahr bereits 1,6 Grad  gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit und außer Klimawandelleugnern stellt diese wissenschaftlichen Fakten niemand mehr in Frage.

Doch dieser Zusammenhang ist auf Uno-Klimakonferenzen immer noch ein Tabu. 
Die rund 200 Länder ringen seit Jahren in den Verhandlungen darum, ob fossile Rohstoffe als die Schuldigen der Klimakrise beim Namen genannt werden dürfen. So endete das 30. Klimatreffen in Brasilien vor zwei Wochen mit einem Schlusstext, dem Mutirão-Paket, in dem Öl, Gas oder Kohle abermals nicht vorkommen und selbst das Wort »fossil« unerwähnt bleibt.
Wie kann das sein? Warum findet das Offensichtlichste keine Erwähnung?

Der Trick der Ölstaaten
Die Europäer, allen voran EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra, lieferten sich in Belém mit den ölreichen Staaten – allen voran Saudi-Arabien und Russland – in den letzten Stunden der Konferenz einen erbitterten Schlagabtausch. In einem abgeschotteten Raum, in dem pro Land nur zwei hochrangige Vertreter teilnehmen durften, hätten sich beiden Seiten schwere Vorwürfe gemacht, berichten Teilnehmende danach. Es sei ein regelrechter Showdown gewesen

Der Grund: Der Druck auf die fossilen Länder steigt mit jeder Klimakonferenz. Und in Brasilien war er besonders hoch, weil dort erstmals ein Ausstiegsplan für ihre Einkommensquellen – Öl und Gas – diskutiert wurde.

Um das abzuwenden, hätten die Saudis einen alten Trick angewandt. Sie sollen sich bei der Sitzung als Beschützer der Entwicklungsländer aufgespielt und der EU vorgeworfen haben, die armen Länder nicht ausreichend bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen, so kolportierten im Nachgang einige die Diskussion. Auch andere Ölländer sollen den Europäern vorgeworfen haben, dass ärmere Staaten wirtschaftliche Einbußen hinnehmen müssen, wenn sie auf Einnahmen aus Öl- und Gas verzichten. Es ist das Lied vom bösen Norden, ergo den Industrieländern, der anderen die Entwicklung verwehrt, nur fordert statt fördert und selbst nicht genug tut.

Diese Masche ist so alt wie die Klimakonferenzen selbst und hat auch in Belém wieder funktioniert
So schlugen sich am Ende auch afrikanische Länder und sogar einige besonders vom Klimawandel betroffene Inselstaaten auf die Seite der Ölländer. Wohl auch in der Hoffnung, dass die EU, Kanada, Australien oder Japan noch mehr Geld locker machen. 

Vertreter aus Delegationen europäischer Länder waren fassungslos. Denn auch wenn die Vorwürfe der Ölländer einen wahren Kern haben, dass die alten Industrieländer längst nicht genug Mittel für ärmere Länder bereitstellen und auch beim Klimaschutz noch besser sein könnten, sind die Anschuldigungen perfide. Länder wie Russland und Saudi-Arabien finanzieren ihre Herrschercliquen seit Jahrzehnten durch den Verkauf der klimaschädlichen Rohstoffe und tun selbst wenig bis nichts dafür, anderen Ländern zu helfen oder selbst ihre Emissionen zu senken. So kam es, dass der Abschlusstext abermals schwach ausfiel. Ein klimapolitisches Zeichen an die Weltmärkte: Fehlanzeige.

Die USA überschwemmen die Weltmärkte mit Erdöl
Wenige Tage nach Abschluss der COP30 meldete dann die Opec, das Kartell der Ölmacht um Saudi-Arabien und Russland, die Märkte seien »gesund« , man wolle die Fördermengen auch im ersten Quartal 2026 unverändert lassen. Der brasilianische Ölkonzern Petrobas veröffentlichte nur sechs Tage später seinen Investitionsplan bis 2030 : Demnach will er rund 78 Milliarden Dollar in »Explorations- und Produktionsaktivitäten« stecken, rund eine Milliarde Dollar mehr als in den vergangenen Jahren, auch in Raffinerien, Pipelines und Marketing sollen 20 Milliarden Dollar fließen.

Der Ölmarkt zeigt sich unbeeindruckt von den globalen Klimaschutz­bemühungen – und die lahme Abschlusserklärung der COP30 liefert ihm kaum Anlass, das zu ändern.
Wie die saudischen Delegierten bei den Klimagesprächen tun auch die großen Produzenten und ihre Abnehmer so, als ließe sich das fossile Zeitalter endlos verlängern.

»Die Nachfrage nach Erdöl hat – entgegen vieler pessimistischer Einschätzungen – die Erwartungen stetig übertroffen«, sagte JP-Morgan-Analystin Natasha Kaneva unmittelbar nach Abschluss der Konferenz. Zudem sei das Ölangebot mehr als doppelt so stark gestiegen wie die Nachfrage, und der Löwenanteil des zusätzlichen Angebots komme aus den USA. Der dortige Präsident, ein notorischer Klimaskeptiker, lässt die Weltmärkte mit amerikanischem Rohöl fluten.

Die Folgen: Laut Kaneva droht sich der Ölpreis bis 2027 zu halbieren. Benzin und Diesel würden billiger, ebenso Containertransporte und Flugreisen. Kurz: fossile Energie würde wieder verführerisch günstig. Ein Szenario, das nicht nach dem Ende des Ölzeitalters klingt, sondern nach seinem zweiten Frühling.

Billiges Öl ist Gift für den Klimaschutz und erst recht für alle politischen Ausstiegspläne. 
Wenn Regierungen nicht mit klugen Instrumenten gegensteuern, droht eine Schieflage: ökonomisch verlockend, politisch brandgefährlich. Denn den Spielraum, den die Politik lässt, füllen dann rechtspopulistische Parteien, die bereits jetzt den sozialen Keil in die Klimadebatte treiben. Schon heute behauptet etwa die AfD, CO₂-Steuern träfen vor allem die »kleinen Leute«, während sich angebliche Eliten Wärmepumpen und Elektroautos leisten könnten. Das Narrativ sitzt, weil es einfach klingt und weil es an reale Ungleichheiten rührt.

Fallen die Ölpreise, bekämen solche Erzählungen neuen Auftrieb: Die Energiewende als Wohlstandsvernichter, als Projekt der Besserverdienenden, das die Mehrheit zahlen soll. Ein Märchen – aber eines mit politischem Sprengstoff, wenn die Regierung beim Klimaschutz nicht sozialer wird.

Es gibt wahrscheinlich mehr Ausstiegsplan-Unterstützer als angenommen
Doch es gibt Entwicklungen, die Mut machen. Zunehmend mehr Länder und Regionen setzen auf erneuerbare Energien und wollen unabhängiger werden, etwa die EU.

Brüssel verweist mittlerweile auch auf die Kosten – bis zu 400 Milliarden pro Jahr –, die mit den fossilen Importen verbunden sind, da die 27 Mitgliedsländer selbst kaum eigene Öl- und Gasreserven besitzen. Die Energiewende aufzubauen, kostet zwar zunächst Geld, weil neue Infrastruktur installiert werden muss, zahlt sich längerfristig aber wirtschaftlich und sicherheitspolitisch aus, glaubt die EU-Kommission, genauso wie der britische Energieminister Ed Miliband : »Trotz aller Kritik bleiben saubere Energie und Klimaschutz das Fundament, auf dem die Weltwirtschaft neu gestaltet wird«, sagt er nach der COP30. 

Denn stehen die Wind- und Solarparks, die Großspeicher und Elektrolyseure erst einmal, wird der Strom dauerhaft sicher, günstig und lokal – also ohne große Anfahrtswege über die Weltmeere und Renditen für ausländische Regierungen oder fossile Konzerne – produziert.

Solarstrom-Erzeugung weltweit

So denken auch mindestens 84 Länder, die sich in Belém für einen fossilen Ausstiegsplan aussprachen. Laut dem Portal »Carbon Brief« könnte der Widerstand gegen die Initiative auf der brasilianischen Klimakonferenz sogar kleiner gewesen sein als ursprünglich angenommen. Einer internen Liste der COP-Präsidentschaft zufolge seien einige Länder zu Unrecht zu den Gegnern des fossilen Ausstiegsfahrplans gezählt worden. Im fossilen Team spielten angeblich nur 39 von rund 200 Ländern, so die Analyse . Wie tragfähig die neue Allianz ist, dürfte sich spätestens Ende April 2026 auf dem Gipfel der Ausstiegskoalition in Kolumbien zeigen. Dort wird sich erweisen, ob der Schulterschluss mehr ist als ein symbolisches Bekenntnis. Besonders spannend: Wird auch der deutsche Umweltminister Carsten Schneider anreisen? In Belém hatte er den Fahrplan selbst mit angeschoben.

Eines aber steht schon fest: Der fossile Ausstieg dürfte allein durch diese Länderallianz zum zentralen Klimathema des kommenden Jahres werden.

Ein erstes Signal kam an diesem Mittwoch aus Norwegen: Die Regierung in Oslo will eine Kommission einsetzen, die Szenarien für einen möglichen Ausstieg des Landes aus der klimaschädlichen Öl- und Gasförderung entwickeln soll. Je mehr Staaten zeigen, dass der Abschied von fossilen Energien nicht nur machbar, sondern auch gesellschaftlich gewinnbringend ist, desto mehr werden folgen. Ein Anfang ist gemacht.



Bleiben Sie zuversichtlich!

Ihre Susanne Götze
Redakteurin Wissenschaft

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