Spiegel hier Eine Kolumne von Christian Stöcker 30.04.2023
Es gibt vier Kategorien von Scheinargumenten, die echte Klimapolitik weiter verzögern sollen. Ein vielstimmiger Chor trägt sie derzeit mit verteilten Rollen vor: von »Bild« bis Sahra Wagenknecht. Woran liegt das?
Die wichtigste wissenschaftliche Publikation zum Verständnis der gegenwärtigen politischen Debatte über Klimapolitik ist 2020 im Fachjournal »Global Sustainability« erschienen hier (frei lesbar).
Es gibt sogar eine mehrsprachige Cartoon-Version . Darin erzählt etwa ein Unternehmercowboy mit Marsrakete am Gürtel mit irrem Grinsen von »zukünftigen Technologien«, eine treuherzig dreinschauende Politikerin versichert, dass man der Gesellschaft nur »freiwillige Politik« zumuten könne, ein froschäugiger Geschäftsmann behauptet: »Die Reduzierung der Emissionen wird uns schwächen.«
Vier Kategorien der Verzögerungstaktik
Die zugrundeliegende Publikation, an der auch Autorinnen und Autoren aus Deutschland beteiligt sind, zerlegt die Verzögerungsdiskurse in vier Grobkategorien:
»Es ist nicht möglich, die Folgen des Klimawandels abzumildern: Kapitulation.«
»Andere sollen zuerst etwas unternehmen: Abwälzen von Verantwortung.«
»Disruptiver Wandel ist unnötig: Forcieren nicht transformativer Lösungen.«
»Die Veränderungen werden tiefgreifend sein: Hervorheben der Kehrseiten.«
Jede davon umfasst eine Reihe von Unterargumenten von »fossile Brennstoffe werden für die Entwicklung benötigt« bis zu »unser CO₂-Fußabdruck ist im Vergleich zu (China, Indien, USA, usw.) zu vernachlässigen«. Manche enthalten, so die Autoren, »Teilwahrheiten« oder werden »in gutem Glauben« vorgetragen. Alle haben aber letztlich den gleichen Zweck: »Verwirrung zu stiften und von ambitionierter Klima-Aktivität abzuhalten.«
Wovon Friedrich Merz schwärmt
Immerhin wird ja endlich überall über Klimapolitik geredet: über Wärmepumpen, Elektroautos, den Ausbau erneuerbarer Energien, Wärmedämmung, CO₂-Preise. Unglücklicherweise dominieren aber zwei Extreme oft den öffentlichen Diskurs: die Protestaktionen der »Letzten Generation« und deren Ablehnung – und in Talkshows, Interviews und anderswo vorgetragenen Positionen, die eins-zu-eins aus dem Fachartikel über Verzögerungstaktiken zu stammen scheinen.
Ein paar aktuelle Beispiele:
Kategorie »Technologischer Optimismus«: Friedrich Merz schwärmte diese Woche wieder einmal, dass CO₂ doch ein »werthaltiger Stoff für die Industrie« sei, und »nur in der Atmosphäre gefährlich«. Man brauche nur »Technologie«, damit könne Deutschland »nicht nur CO₂-neutral, sondern vielleicht sogar CO₂-negativ werden«. Die FDP preist abwechselnd Fusionskraftwerke und E-Fuels an.
Tatsache ist: Weder Fusionskraftwerke noch Carbon Capture and Storage (CCS) oder Direct Air Capture (DAC) für CO₂ sind auch nur annähernd in der Nähe der Marktreife. Die 18 Anlagen für »Direct Air Capture« (DAC), die derzeit weltweit operieren, holen derzeit zusammen ein Hundertstel einer Megatonne CO₂ pro Jahr aus der Atmosphäre (das reicht nur für ein paar Fässchen »E-Fuels«). Allein Deutschland emittiert im Moment aber 678 Megatonnen CO₂ pro Jahr .
Funktionierende Fusionsreaktoren wiederum werden im besten Fall in mehreren Jahrzehnten möglich sein – wenn überhaupt.
Es geht ihnen in Wahrheit nicht um Lösungen
Wenn wir noch katastrophalere Erwärmung verhindern wollen, müssen die Emissionen sehr schnell sinken. Technologien, die vielleicht in Jahrzehnten gangbar sein könnten, werden uns definitiv nicht retten (auch wenn wir zusätzlich darauf hoffen können und müssen, dass sie eines Tages vielleicht tatsächlich kommen).
Union und FDP führen mit Grund einen lehrbuchhaften Verzögerungsdiskurs: Sie haben selbst einfach keine Vorschläge. FDP-Politiker sprechen öffentlich immer gern von einem höheren CO₂-Preis, damit der Markt den Rest regelt. Politisch tut die Partei dafür aber praktisch nichts. Das würde nämlich vieles teurer machen, und das heimliche Versprechen ist ja: Eigentlich muss sich gar nichts ändern (Stichwort »Tankrabatt«). Den Wunsch der Delegierten, den Handel mit CO₂-Zertifikaten auf 2024 vorzuziehen, kassierte FDP-Chef Lindner noch auf dem Parteitag vor laufender Kamera wieder.
Das Schweizer Taschenmesser des Verzögerungsdiskurses
Das Schweizer Taschenmesser des Klimaverzögerungsdiskurses ist aber Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU): In einer Talkshow erklärte Spahn, man könne doch mit der Fotovoltaikanlage auf dem Dach Wasserstoff im Keller herstellen und den dann verheizen. Absurd und unsinnig. Bei einem anderen Talkshowauftritt ließ Spahn CO₂-Speicherung, E-Fuels und Kernfusion gleichzeitig aufmarschieren . In der gleichen Sendung wiederholte er den bei Verzögerungstaktikern auch sehr beliebte (aber falsche) Behauptung, Deutschland sei nur für zwei Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich.
Das passt in die nächste Kategorie: »Abwälzen von Verantwortung«.
Fakt ist: Deutschland liegt historisch kumuliert auf Platz vier, was die verbrennungsbedingten Emissionen angeht. Nur die riesigen Länder Russland, China und die USA haben mehr emittiert, wir aber stellen gerade mal ein Prozent der Weltbevölkerung. Deutschland verdankt seinen Wohlstand maßgeblich seinem gewaltigen CO₂-Ausstoß. Mittlerweile leiden wir selbst daran – siehe Ahrtal-Katastrophe, vertrocknende Wälder, Ernteausfälle, Waldbrände und so weiter. Andere leiden aber schon viel mehr. Deutschland trägt viel Verantwortung für die klimabedingten oder -verschärften Katastrophen überall, die schon längst passieren .
Wir sind aber nicht nur maßgeblich mitschuldig, wir sind auch – theoretisch – in der glücklichen Lage, wirtschaftlich und technologisch zum Vorreiterland werden zu können.
Das passt zur Scheinargument-Kategorie: »Die Reduktion von Emissionen wird uns schwächen.« Tatsächlich ist das exakte Gegenteil der Fall: Anderswo ist man mit dem Umbau von Energieversorgung und Industrie schon viel weiter als hierzulande, denn der lohnt sich. Deutschland droht derzeit den technologischen Anschluss zu verlieren – die Verzögerungstaktiker in Politik und Industrie waren zu lang erfolgreich. Jetzt haben wir Probleme.
Dazu passt, wie verdreht diese Woche darüber gesprochen wurde, dass das deutsche Unternehmen Viessmann seine Klimasparte für zwölf Milliarden Dollar an den US-Konzern Carrier verkauft – übrigens 20 Prozent davon in Form von Carrier-Aktien. Der Deal ist in Wahrheit ein Signal für die Stärke des Unternehmens und für das gewaltige Wachstumspotenzial in der für Klimaneutralität so wichtigen Zukunftstechnologie Wärmepumpe. Die Preise werden fallen – zum Glück!
Bei der FDP entdeckte man trotzdem Anzeichen für »unzulängliche Standortpolitik« und warnte vor »chinesischen Wärmepumpen«. Julia Klöckner von der einst doch mal transatlantisch orientierten Union fand es »schade«, dass ein deutscher Heizungsbauer auf dem Weltmarkt der Zukunft mitspielen möchte und sich dazu einen US-amerikanischen Partner sucht. Und Jens »Brechstange« Spahn beklagte (!), die große Nachfrage (!) erzeuge »großen Druck auf deutsche Hersteller«. Wirklich.
Bei Union und FDP kann man augenscheinlich schmerzfrei zwei konträre Positionen problemlos gleichzeitig vertreten:
Wärmepumpen werden zu schnell billiger – schlecht für die deutsche Industrie!
Wärmepumpen sind zu teuer – schlecht für die Verbraucher!
Letzteres passt in die argumentative Kategorie »soziale Gerechtigkeit als Vorwand«: Wie auch schon beim Verbrennungsmotor, entdecken Union und FDP auch beim Thema Wärmepumpe plötzlich ihr Herz für die »kleinen Leute«. An dieser Stelle sei ein weiteres Mal darauf hingewiesen: Sozialer Ausgleich und effektive Klimapolitik können völlig unabhängig voneinander betrachtet werden. Union und FDP möchten aber natürlich lieber nicht über Steuererhöhungen für Wohlhabende, Erbschafts- oder Vermögenssteuern reden, um den »kleinen Leuten« mit Umverteilung zu helfen.
Lieber fabulieren sie, es drohe ein »Heizungsverbot« – und preisen unsinnige, nicht gangbare Scheinlösungen wie Wasserstoffheizungen an. Insgesamt haben wir es also mit einem argumentativen Mix aus »Wandel ist in einer demokratischen Gesellschaft unmöglich umzusetzen«, »fossile Brennstoffe werden für die Entwicklung benötigt« und »die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft werden belastet« zu tun. Garniert mit einem bisschen purem Gaga.
Die bizarre Allianz der Verzögerer
Der deutschsprachige Newsletter des Fossilinvestors KKR , besser bekannt als »Bild«-Zeitung , brachte vergangene Woche auch noch die Kategorie »politischer Perfektionismus« ins Spiel: »Bild« ließ einen Professor, der gerne mal Klimawandel-»Skeptiker« zu Konferenzen einfliegen lässt, behaupten, Wärmepumpen brächten doch gar nichts fürs Klima. Dabei standen in dem Artikel selbst Zahlen, denen zufolge eine Wärmepumpe gegenüber einer Gasheizung beim aktuellen Strommix 43 Prozent CO₂ einspart (in Wahrheit ist es noch mehr ). (Noch) nicht perfekt = sinnlos!
An dieser Stelle kommt auch noch Sahra Wagenknecht ins Spiel. Sie sprach diese Woche ihren eigenen Angaben zufolge bei »Bild TV« über »Habecks wirre Heizungs- und Solarpläne«, die »unseren Wohlstand und unsere Industrie« ruinieren würden.
Allein die Allianz Wagenknecht-»Bild« lässt schon aufhorchen. Auch wenn Wagenknechts Tweets vermutlich mehr Reichweite haben als der erfolglose Springer-Sender .
FDP, Union, Wagenknecht, Springer – wie kommt es zu dieser bizarren Allianz der Verzögerungstaktiker? Um die Antwort zu sehen, muss man nur einen Schritt zurücktreten. Im Endeffekt dienen sie alle bestimmten Interessengruppen: der Öl-, Gas- und Chemiebranche etwa, den letzten Automobilherstellern, die vom Verbrenner nicht lassen wollen, oder dem Petro-Staat Russland, der gern in Zukunft wieder Gas nach Europa exportieren würde.
In der FDP spielen bis heute Leute Schlüsselrollen, die nachweislich enge Verbindungen zu den Organisatoren jahrzehntelanger Klima-Desinformation unterhalten. Zum Beispiel Frank Schäffler , der Mann, der den Anti-Wärmepumpen-Antrag beim FDP-Parteitag durchbrachte, die ehemalige Generalsekretärin Nicola Beer , die statt einer Klimakrise nur »kleine Ausschläge« sehen will, oder der aktuelle »Klimareferent« der FDP, der mit Klimawandelleugnern auftritt und bis heute immer wieder die Klimakrise kleinredet oder leugnet, wie »Frontal 21« gerade berichtet hat .
Die FDP ist nicht nur eine Marionette einzelner Unternehmen, sie ist auch massiv unterwandert von Leuten, die persönlich im Desinformationsnetzwerk der Fossilbranchen hängen. Man darf nie vergessen, um wie viel Geld es hier geht.
Bei der Union ist das, in Teilen, ähnlich. Die EU soll künftig zum Beispiel mehr Gas aus Aserbaidschan kaufen (das man mit Wärmepumpe natürlich nicht mehr braucht) – und der Petro-Staat Aserbaidschan pflegt seine intensiven Verbindungen in die Union seit vielen Jahren mit Hingabe.
(Thomas Bareiß lässt grüssen!)
Und Springer – nun ja, das Unternehmen wird geführt von einem Mann der »sehr für den Klimawandel« ist, »Welt«-Herausgeber Aust ist bekennender Klimakrisen-Skeptiker, und die größten Springer-Anteilseigner investieren weiterhin massiv in fossile Brennstoffe.
Und Sahra Wagenknecht? Nun, auch Russland und seine Kriegsmaschinerie leben bekanntlich vor allem von Öl und Gas. Der Kreml hält viel von Wagenknecht, wohl nicht nur wegen ihrer moskautreuen Linie zum Ukrainekrieg.
Das ist die neue Front: Es geht in Wahrheit nicht um politische Ideologien, es geht um die Verteidigung fossiler Geschäftsmodelle. Da sind sich Frank Schäffler, Mathias Döpfner, Jens Spahn und Sahra Wagenknecht dann auf einmal völlig einig.
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