Samstag, 4. Oktober 2025

Der Klima-Reset: Notwendiger Schritt um weiter zu kommen?

Ein neuer Ansatz zum drüber nachdenken ist die Idee von Liebreich auf alle Fälle. Ich glaube ja wirklich, dass unsere Energiewende bereits so am Rollen ist, dass auch Ministerin Reiche nicht alles aufhalten kann, so wie sie gerne würde. China, als größter Schadstoff- Emittent, hat letzthin äußerst  ambitionierte Pläne veröffentlicht. Und vom Ausbau der Erneuerbaren wissen wir, dass China schon die eigenen Ziele übertroffen hat. Auch Indien scheint auf einem guten Weg zu sein. Können wir uns diesem Fortschritt wirklich verschließen?

30. September 2025  Rico Grimm hier  30.9.25

Net Zero sein lassen? 

Der britische Energieanalyst Michael Liebreich hat die Beratungsagentur New Energy Finance gegründet und später an Bloomberg verkauft. Inzwischen ist er einer der publizistisch einflussreichsten Energieanalysten und -berater des Westens. 

Er ruft nach der Wahl von Donald Trump in einer zweiteiligen Serie zu einem Klima-Reset auf (Teil I und II):

Diejenigen, die eine saubere Energiezukunft aufbauen wollen, stehen vor einer Wahl. Sie können entweder an ihren alten Erzählungen festhalten, mit bestehenden Plänen weitermachen und hauptsächlich zu den bereits Überzeugten predigen. Oder sie können ihr Angebot erneuern. Sie können historische Übertreibungen zurücknehmen, die berechtigten Anliegen der Wähler ansprechen und entschlossen auftreten.

Für Liebreich ist die Energiewende ein Erfolgsmodell. 

Zwar könne das 1,5-Grad-Ziel nicht gehalten werden, das 2-Grad-Ziel, aber schon. Es brauche keinen kompletten Neuanfang, wie ihn manche Kritiker fordern (z.B. der ehemalige britische Premierminister Tony Blair oder der US-Wissenschaftler Daniel Yergin). 

Die Zahlen sprächen für sich. Liebreich nutzt ein Gedankenspiel, um das zu verdeutlichen: 

Sollten Erneuerbare Energien mit 5% jährlich wachsen können, was langsamer als bisher wäre, würden sie fossile Energien langfristig komplett verdrängen können. Das ist möglich, weil sie Jahr für den zusätzlichen Bedarf der Menschheit decken und fossilen Erzeugern Marktanteil abnehmen können.

Rechnerisch wäre es im Jahr 2065 so weit:

Ausgehend von dieser Annahme fordert Liebreich:

Wir müssen neu kalibrieren. Weiterhin auf technologischer Reinheit und auf Politiken zu bestehen, die die Kosten in die Höhe treiben, insbesondere für die Armen und Verwundbaren, ist kein tragfähiger Plan. Nicht mehr. Was wir brauchen, ist ein pragmatischer Klimaneustart.

Worin dieser pragmatische Klimaneustart bestehen sollen, listet Liebreich im zweiten Teil der Mini-Serie auf. Es ist der interessantere, weil provokantere Teil. So will er die „vernünftige Mitte“ zurückgewinnen:

1. Neuausrichtung der Klimapolitik:

Kommunikation ändern: Statt Menschen von oben herab zu behandeln, ihnen Schuldgefühle zu machen oder mit unrealistischen Szenarien Angst zu machen, sollte die Klimabewegung auf Eigeninteresse, Fairness und Harmonie setzen

Prioritäten setzen: Anliegen wie hohe Energierechnungen sollten Vorrang vor symbolischen Gesten haben.

2. Neuausrichtung der Klimaziele:

1,5°C-Ziel aufgeben: Dieses Ziel sei nicht mehr erreichbar und führe zu schlechten politischen Entscheidungen.

Fokus auf 2°C: Die Konzentration sollte wieder auf dem 2°C-Ziel des Pariser Abkommens liegen.

Realistische Zeitpläne: Industrieländer sollten Netto-Null bis 2050 anstreben, China bis 2060 und Indien bis 2070, wobei ein "Netto-Null-ish"-Ansatz mit 5-10 % Abweichung und späteren Kurskorrekturen erlaubt sein sollte.

3. Neuausrichtung der Energieprioritäten:

Fokus auf das Machbare: Die Priorität sollte darauf liegen, die ersten 90 % der Wirtschaft so schnell und kostengünstig wie möglich zu dekarbonisieren. Dies umfasst vor allem die Umstellung der Stromerzeugung und die Elektrifizierung von Verkehr und Wärme.

Schwierige Sektoren zurückstellen: Die Dekarbonisierung der letzten, schwierigsten Sektoren (z.B. Luft- und Schifffahrt) ist keine unmittelbare Priorität. Hier sollte auf schnelle und günstige Fortschritte mit bestehenden Technologien gesetzt werden, anstatt auf perfekte, aber ferne Lösungen zu warten.

4. Neuausrichtung bei Wasserstoff:

Erwartungen anpassen: Es bestehe eine große Lücke zwischen den physikalischen Möglichkeiten von Wasserstoff und den politischen Erwartungen. Die Darstellung als perfekte, aber undurchführbare Lösung könnte die Energiewende verzögern.

5. Neuausrichtung der Finanzierung:

Regulierung überdenken: Der Versuch, die Dekarbonisierung durch Finanzmarktregulierung und Zentralbankinterventionen voranzutreiben, sei gescheitert. 



In dieser Liste verbergen sich mehrere unorthodoxe Punkte; ich greife mir drei heraus. 

Je früher wir das 1,5°C-Ziel mental hinter uns lassen, desto besser. Bereits als es 2015 formuliert wurde, war es extrem ambitioniert. Heute noch daran festzuhalten, würde zu so radikalen Politiken führen müssen (Komplettabschaltung ganzer Industriezweige und Lebensbereiche), dass wir das Feld ernsthafter und durchführbarer Politik verlassen würden. Heute daran festzuhalten, versperrt die Sicht auf das, was eigentlich möglich wäre. 

Liebreich kritisiert, dass Menschen „von oben herab“ behandelt worden wären, dass sie für politische Ziele zahlen mussten, die sie im Zweifel gar nicht teilen würden. Das ist im ganzen Text der schwächste Punkt. Denn ja, natürlich ließe sich immer besser kommunizieren. So wäre die Einführung der Wärmepumpe in Deutschland glatter gelaufen, hätte die Ampel zuvor die Wärmepumpe als Technologie breit vorgestellt. Aber irgendwann muss die Politik entscheiden, das wird zwangsläufig von oben herab geschehen müssen. In anderen Politikteilen werden Menschen auch gezwungen, auf Basis demokratischer Prozesse, für politische Ziele zu zahlen, die sie nicht unterstützen. Warum sollte das ausgerechnet bei der Energiewende anders sein? 

Was Liebreich weiter vorschlägt, ist ein Sakrileg. Ich nenne es mal „Durchwursteln“ mit einem Technologie- und Politikmix, der die meisten Emissionen senkt, aber nicht alle. Liebrich gibt den Kampf für eine volle Dekarbonisierung aller Sektoren also vorerst verloren. Warum bleibt unklar im Text. Denn bisher gibt es keinen populären Aufschrei gegen die Dekarbonisierung der Schifffahrt oder Luftfahrt. Außerdem benachteiligt diese Art der Herangehensweise alle Industrien und Bereiche, die dekarbonisieren müssen. Das mag technologisch vernünftig sein, politisch ist es nicht gangbar, jedenfalls nicht zu Beginn. 100% Dekarbonisierung ist mehr als ein technologisches Ziel, es kommt einem Gesellschaftsvertrag gleich. In Dänemark gelangen ambitionierte Ziele für die Landwirtschaft nur, weil alle anderen Bereiche bereits selbst welche verfolgten.


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