Fururezone hier von Philipp Rall 20.10.2025
Deutschlands teuerster Fehler? Nobelpreis-Trio fordert Zerstörung des Status quo – mit Folgen für Haushalte
Lange Zeit galt Erdgas als Grundpfeiler des deutschen Wohlstands. Doch nun stellen drei Nobelpreisträger infrage, ob dieses Erfolgsmodell überhaupt noch eine Zukunft hat.
Als die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften den Wirtschaftsnobelpreis 2025 verkündete, wirkte die Meldung auf den ersten Blick abstrakt: Drei Forscher werden für ihre Arbeiten zu Innovation und Wachstum geehrt. Doch hinter dieser Entscheidung steckt ein klarer Fahrplan – einer, der Deutschlands Energiezukunft unmittelbar berührt und Auswirkungen auf jeden Haushalt hat, der noch mit Erdgas heizt.
Erdgas am Wendepunkt: Vom Sicherheitsanker zum Risiko
Philippe Aghion und Peter Howitt haben das Prinzip der „schöpferischen Zerstörung“ in den 1990er-Jahren weiterentwickelt, das ursprünglich von Joseph Schumpeter stammt. Joel Mokyr lieferte den historischen Beweis:
Gesellschaften wachsen nur dann, wenn sie veraltete Technologien durch neue ersetzen –
und verstehen, warum Innovation funktioniert,
nicht nur dass sie funktioniert.
und verstehen, warum Innovation funktioniert,
nicht nur dass sie funktioniert.
Zusammengenommen entsteht daraus kein theoretisches Modell, sondern eine Handlungsanleitung für Länder, die zwischen alten Strukturen und neuen Realitäten feststecken. Nirgendwo ist dieser Konflikt sichtbarer als in Deutschlands Abhängigkeit von Erdgas.
Es war lange der Komfort-Brennstoff Deutschlands – günstig, verfügbar, sauberer als Kohle und zentral für Heizung und Industrie. Selbst nach dem Wegfall russischer Lieferungen wurde das System stabilisiert: gesetzliche Vorgaben für Speicherstände, beschleunigte Flüssigerdgas-Terminals und staatliche Preisbremsen. 2024 wurden Speicherziele von 85 Prozent und 95 Prozent sogar vorzeitig erreicht – ein Zeichen für die neue Versorgungssicherheit.
Doch im Hintergrund findet ein tiefgreifender Wandel statt. Deutschland und die Europäische Union schreiben den Gasmarkt neu:
- Die EU-Methan-Verordnung (EU) 2024/1787 verpflichtet Betreiber zur Messung und Reduktion von Methan-Leckagen – „schmutziges“ Gas wird teurer.
- Das Gesetzespaket für Wasserstoff- und dekarbonisierte Gase schafft einen eigenen Markt- und Regulierungsrahmen für klimafreundliche Gase.
- Die Bundesnetzagentur hat ein Wasserstoff-Kernnetz von 9.000 Kilometern genehmigt – gebaut vor allem auf bestehenden Gasleitungen, aber primär für Industrie und Stromsektor, nicht für Privathaushalte.
- Erdgas wird also nicht abgeschafft, sondern umgebaut. Genau das fordern die Nobelpreisträger: Alte Systeme nicht konservieren, sondern den Übergang zur nächsten Technologie ermöglichen.
Nobelpreis-Forschung vs. Energiepolitik
Aghion und Howitt zeigen: Wachstum entsteht, wenn neue Technologien alte verdrängen. Wer versucht, veraltete Systeme zu optimieren, verliert langfristig. Wer sie schützt, verhindert Fortschritt. Das gilt für die Automobilindustrie ebenso wie für Deutschlands Energiepolitik. Mokyr ergänzt: Innovation braucht offene Institutionen, Wettbewerb und Wissen. Nur dann entstehen aufeinander aufbauende Entwicklungen.
Übertragen auf das deutsche Energiesystem bedeutet das:
Nicht das alte Gassystem perfektionieren –
das neue System aufbauen und skalieren.
das neue System aufbauen und skalieren.
Und genau das spiegelt sich bereits im Gesetz wider. Das 2023 novellierte Gebäudeenergiegesetz (GEG) verlangt bei neuen Heizungen mindestens 65 Prozent erneuerbare Energien. Das Wärmeplanungsgesetz (WPG) verpflichtet jede Kommune, festzulegen, welche Stadtteile künftig über Fernwärme, elektrische Wärmepumpen oder – in Ausnahmefällen – Wasserstoff versorgt werden. Gasnetze können offiziell zurückgebaut oder umgewidmet werden.
Diese Politik sagt nicht „Gasverbot“. Sie sagt: Lass bessere Lösungen gewinnen. Das ist gelebte schöpferische Zerstörung.
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Haushalte spüren Preisverschiebung zuerst
Für Verbraucher*innen zeigt sich der Wandel nicht nur in politischen Reden, sondern vor allem in deinen Rechnungen. Konkret sind es drei Faktoren, die die Gaskosten 2025 spürbar treiben:
- Mehrwertsteuer zurück auf 19 Prozent:
Die temporäre Senkung auf 7 Prozent endete im April 2024. Allein das treibt jährliche Heizkosten deutlich nach oben. - Der CO₂-Preis steigt:
Der nationale Emissionshandel legt für 2025 55 Euro pro Tonne CO2 fest. Bei Erdgas entspricht das etwa 1,1 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Eine Wohnung mit 12.000 kWh Gasverbrauch zahlt über 130 Euro zusätzlich – allein durch CO2-Kosten. Und der Preis steigt weiter. - Methan-Regulierung erhöht Importkosten:
Händler müssen Methanverluste messen und reduzieren. Sauberere Lieferketten werden bevorzugt, aber alle zahlen für neue Auflagen.
Selbst wenn Großhandelspreise stabil bleiben, zeigt die politische Kostenkurve für Erdgas langfristig nach oben. Wärmepumpen oder Fernwärme hingegen vermeiden viele dieser Aufschläge.
Der entscheidende Hebel
Die wichtigste – und zugleich am wenigsten bekannte – Veränderung im deutschen Wärmesystem ist die kommunale Wärmeplanung. Bis Mitte 2026 in größeren Städten und bis 2028 in kleineren Kommunen legt jede Gemeinde verbindlich fest, welche Technologien in welchen Stadtteilen künftig zum Einsatz kommen. Dabei wird entschieden, ob ein Viertel an ein Fernwärmenetz angeschlossen wird, ob elektrische Wärmepumpen zur dominierenden Lösung werden, ob Wasserstoff oder andere erneuerbare Gase eine realistische Option darstellen – oder ob bestehende Gasnetze erhalten, umgebaut oder sogar stillgelegt werden.
Für betroffene ist das weit mehr als ein technischer Plan. Diese Entscheidung bestimmt, ob du deine Gasheizung weiterhin nutzen oder modernisieren darfst, ob dein Anschluss langfristig bestehen bleibt und für welche Heiztechnologie du überhaupt Fördermittel erhalten kannst.
Es handelt sich also keinesfalls um ein Randthema, sondern um den tatsächlichen Fahrplan deiner persönlichen Wärmeversorgung. Der Staat spricht dabei kein direktes Verbot aus, sondern schafft klare Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich neue Technologien durchsetzen können. Genau dieses Prinzip – Strukturwandel ermöglichen, statt ihn zu blockieren – steht im Zentrum der Arbeiten der Nobelpreisträger.
Schöpferische Zerstörung im Heizungskeller
Die Internationale Energieagentur (IEA) bringt es im Deutschlandbericht 2025 auf den Punkt: Das Land darf fossile Systeme nicht weiter verfeinern, sondern muss den großflächigen Einsatz disruptiver Lösungen wie Wärmepumpen und Fernwärme vorantreiben. Wasserstoff solle nur dort eingesetzt werden, wo Elektrifizierung technisch nicht sinnvoll ist.
Entscheidend sei außerdem, Planungssicherheit zu schaffen, damit Haushalte und Unternehmen überhaupt investieren können. Dieses Vorgehen gleicht einer kontrollierten Form schöpferischer Zerstörung: Erdgas verschwindet nicht von heute auf morgen, verliert aber seine Sonderstellung und wird Schritt für Schritt durch effizientere und klimafreundlichere Alternativen ersetzt.
Der Übergang in das neue Wärmesystem kann auf zwei grundlegend unterschiedliche Arten verlaufen. Im besten Fall setzt Deutschland auf einen geordneten Wandel: Wärmepläne werden konsequent umgesetzt, Förderprogramme greifen, neue Infrastrukturen entstehen und alte Netze werden sozialverträglich zurückgebaut. Innovation kann sich in diesem Szenario schrittweise durchsetzen.
Im schlechten Fall hingegen dominiert die Angst vor Veränderung: Alte Strukturen werden künstlich geschützt, Investitionen unterbleiben, Kosten steigen und irgendwann bricht das System abrupt um – mit Zwangsentscheidungen für Haushalte und chaotischen Übergängen. Genau vor dieser Stagnationsfalle warnt Joel Mokyr: Stillstand entsteht nicht, weil Fortschritt unmöglich wäre, sondern weil er nicht zugelassen wird.
Quellen: „A Model of Growth Through Creative Destruction“ (Econometrica, 1992); „Capitalism, Socialism and Democracy“ (New York: Harper & Brothers, 1942); „The Gifts of Athena: Historical Origins of the Knowledge Economy“ (Princeton University Press, 2002); Amtsblatt der Europäischen Union; Bundesnetzagentur
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