Sonntag, 12. Oktober 2025

Wirtschaftsministerium Reiche berät Reiche - Vorschlag Druck auf SPD und Angebot einer Lobby-Kampagne über Union

 

hier Frag den Staat
von Jonas Seufert, Arne Semsrott 9. Oktober 2025


Bei Treffen mit der "Stiftung Familienunternehmen" gaben Ministerin Reiche und ihr Staatssekretär Tipps, wie die Superreichen-Lobby Steuersenkungen erreichen könne. 

Das zeigen interne Unterlagen.


Nur zehn Tage nach ihrem Amtsantritt stand Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) zum ersten Mal auf der Bühne der Superreichen. 

Beim sogenannten „Tag des Familienunternehmens“ hielt sie eine Rede, die ganz im Sinne der 400 anwesenden Wirtschaftsbosse war: weniger Regeln für Unternehmen, mehr Wachstum. „Comeback made in Germany“ nennt Reiche das. Der „Tag des Familienunternehmens“ ist ein zentrales Lobby-Event der Stiftung Familienunternehmen, hinter der zahlreiche deutsche Milliardenkonzerne stehen.

Was bislang nicht bekannt war: Katherina Reiche suchte im Anschluss offenbar engen Kontakt zur Milliardärs-Lobby. Das zeigen Dokumente, die wir durch das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) befreit haben. Allein im Juli 2025 gab es drei weitere Treffen von Top-Beamt*innen des Wirtschaftsministeriums mit Vertreter*innen der Stiftung Familienunternehmen. Darunter ein Kennenlerngespräch des Vorstands der Stiftung mit Ministerin Reiche selbst.

Besonders heikel: Das Ministerium nutzte die Treffen offenbar für Parteipolitik – und beriet die Stiftung Familienunternehmen. 

Ein Staatssekretär empfahl einer Runde von Familienunternehmern laut einem Redemanuskript, für schnellere Steuersenkungen Druck bei der SPD zu machen. Und Ministerin Reiche schlug den Stiftungs-Chefs beim Kennenlern-Treffen vor, eine Lobby-Kampagne über die Unionsfraktion zu lancieren. 

Das Ministerium könnte damit gegen das Neutralitätsgebot verstoßen haben. Kern des rechtlichen Konzepts: Staatliche Stellen dürfen nicht in den Parteienwettbewerb eingreifen.

Reiche will einschlägige Initiativen „flankieren“
Vor zwei Wochen deckten Greenpeace Investigativ und NDR Panorama auf, dass die Stiftung im Gegensatz zu ihrem mittelständischen Image vor allem die Interessen superreicher Familien und Konzerne vertritt. Dokumente, die wir erstmals veröffentlichen, zeigen: Dem Ministerium war das bereits vorher klar. Die Beamt*innen wiesen die Ministerin vor ihrem Treffen darauf hin, dass die Stiftung nicht dem Mittelstand zuzurechnen sei. Das „nicht“ wurde in dem Vermerk dick unterstrichen.



Das hielt Reiche allerdings nicht davon ab, Vertreter der Stiftung zu treffen. Im Gegenteil. Laut Gesprächsvermerken plauderte Reiche in dem 20-minütigen Treffen mit der Stiftung über verschiedene Themen, etwa über den Abbau von Bürokratie oder das Lieferkettengesetz.

Besonders wichtig für die Familienunternehmer: Eine Reform der Wegzugbesteuerung, die Kapitalflucht verhindern soll. Insbesondere für Superreiche ist es durch die Steuer unattraktiver, ihr Vermögen ins Ausland zu bringen. Reiches Antwort: Die Stiftung möge sich mit dem Thema an die zuständigen Stellen in der Unionsfraktion wenden. Ihr Ministerium könne eine „einschlägige Initiative“ von dort dann „flankieren“.



Aus einer internen Mail, die die Inhalte des Gesprächs zwischen Ministerin Reiche und der Stiftung Familienunternehmen am 1.7.2025 zusammenfasst.

Möglicherweise hat die Stiftung Familienunternehmen damit gegen das Lobbyregister-Gesetz verstoßen. Denn sie hat das Thema Wegzugbesteuerung nicht im Lobbyregister angegeben. Dort müssen Interessenverbände alle Vorhaben eintragen, auf die sie Einfluss nehmen wollen. Die für das Lobbyregister verantwortliche Bundestagsverwaltung prüft diesen möglichen Verstoß aktuell.

Laut dem Verein Lobbycontrol zeigen die Dokumente, wie eng sich Ministerin Reiche mit der Stiftung Familienunternehmen abstimme.

 „Als Ministerin Lobbyarbeit gegenüber dem Bundestag ausgerechnet mit der Lobby der Superreichen zu planen, ist ein absolutes Unding“, sagt Christina Deckwirth, Campaignerin bei LobbyControl. „Während die Regierung Merz reihenweise Sozialleistungen zusammenstreichen will, verspricht die Wirtschaftsministerin zugleich Unterstützung bei Steuersenkungen für Superreiche.“

Staatssekretär: Druck auf die SPD
Wie eng die Beziehungen zwischen Wirtschaftsministerium und Reichenlobby ist, zeigt ein weiterer Auftritt des Ministeriums bei einer Veranstaltung der Stiftung Familienunternehmen. Eine Woche nach dem Treffen mit Wirtschaftsministerin Reiche war Staatssekretär Stefan Rouenhoff zu Gast bei einem nicht-öffentlichen Treffen mit 16 Vertreter*innen großer deutscher Familienunternehmen. Darunter die Schwarz-Gruppe, zu der unter anderem Lidl und Kaufland gehören, die Gips-Firma Knauf, der Schrauben-Hersteller Würth, die Pharmafirma Roche und Haribo. Die Dokumente dazu veröffentlichen wir erstmals.

In seinem Redemanuskript nennt der Staatssekretär einen Punkt, für den sich die Stiftung Familienunternehmen seit Langem einsetzt: die Senkung der Körperschaftssteuer. Das ist eine Steuer, die viele Unternehmen auf ihr Einkommen zahlen.

Die Bundesregierung hat vor, sie ab 2028 von 15 auf zehn Prozent abzusenken. Doch dem Wirtschaftsministerium geht das offenbar nicht schnell genug. Rouenhoffs Lösung: Druck auf den Koalitionspartner SPD, durch die Stiftung Familienunternehmen.


Aus einem Redemanuskript von Staatsekretär Rouenhoff für ein Treffen mit Hauptstadtleiter*innen großer Familienunternehmen am 9.7.2025

Das Wirtschaftsministerium schreibt auf unsere Nachfrage, dass Rouenhoff bei dem Treffen keine Rede gehalten habe. Stattdessen habe er eine „offene Diskussion mit wenigen Worten eingeleitet“. Die Worte wurden laut Ministerium nicht protokolliert. 

Das Wirtschaftsministerium hat uns allerdings ein stichwortartiges Protokoll des Treffens geschickt. Laut dem Dokument hat Rouenhoff einen 15-minütigen Impuls gehalten, in dem er auch das Thema Körperschaftssteuer ansprach. Weiter schreibt das Ministerium, es sei Aufgabe von Regierungsvertreter*innen für ihre Politik zu werben. Kennenlerngespräche seien üblich und würden mit vielen Verbänden gepflegt. 

Für den Steuer-Experten Gerhard Schick sprechen die Dokumente eine klare Sprache.

„Spätestens seit der Erbschaftsteuerreform 2016 wissen wir, wie stark die Stiftung Familienunternehmen Gesetze beeinflusst“,

sagt Schick, Vorstand des Vereines Finanzwende, der sich für ein gerechtes Finanzsystem einsetzt.

„Wenn aber eine Ministerin und ihr Staatssekretär Tipps geben, wie noch effektiver lobbyiert werden kann, dann ist das ein Skandal. Das ist keine Politik für die Bürgerinnen und Bürger, sondern ganz offensichtlich eine Politik für Milliardärsfamilien.“

Die SPD wollte sich zur Angelegenheit auf Anfrage von FragDenStaat nicht äußern.



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