Ach so: Bei der CDU heißt es plötzlich »Dass der VDA – wie auch andere Verbände, NGOs oder Unternehmen – bei der Erstellung von Papieren und der Erarbeitung von Positionen durch die Politik nach seiner Expertise gefragt wird, ist ein ganz normaler Vorgang« - seit wann werden denn die NGOs gefragt? Die werden doch meines Wissens eher bekämpft...
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»Wir haben das falsch entschieden, und wir werden das korrigieren«, sagte der Bundeskanzler (über die Regel für CO2-neutrale Neuwagen ab 2035, irrtümlich oft "Verbrennerverbot" genannt).
Er werde Brüssel »das Stöckchen in die Räder halten«. Hat er das wirklich gesagt? Hashtag#Merz
Spiegel hier Von Gerald Traufetter 03.10.2025,
Verbrenner-Aus: Wie die Autolobby an einem CDU-Positionspapier mitschrieb
»LILA – Änderung vom VDA«: Ein geleaktes Positionspapier der Union zeigt, wie sich die Partei ganze Passagen vom Lobbyverband der Autoindustrie diktieren lässt. Für die CDU kein Problem.
Monatelang wollte sich der Kanzler nicht recht festlegen. Sollen Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 verboten werden, so wie es die Europäische Union festgeschrieben hatte? Vergangenen Freitag war Friedrich Merz auf einmal entschlossen. »Wir haben das falsch entschieden, und wir werden das korrigieren«, sagte der Bundeskanzler auf einer Konferenz seiner Mittelstandsvereinigung in Köln. Er werde Brüssel »das Stöckchen in die Räder halten«.
Was aber hat ihn letztlich zum Umdenken bewogen?
Womöglich hat es auch mit der fleißigen Lobbyarbeit der Autoindustrie zu tun.
Der Verband der Automobilindustrie, kurz VDA, verfügt jedenfalls über einen sehr kurzen Dienstweg in die CDU. Das geht aus einer internen Unterlage hervor, die dem SPIEGEL zugespielt wurde. Der schlichte Titel: »Positionssammlung zur IAA 2025«, also der Internationalen Automobilausstellung Anfang September in München. Daneben prangt das Logo der Fraktion von CDU und CSU. Doch schon gleich darunter findet sich ein heikler Einschub: »LILA – Änderung vom VDA« Dann folgen vier Seiten, gespickt mit Einfügungen in Lila, der Handschrift des Verbands.
Seit Jahrzehnten verflochten
Die enge Bande zwischen der Lobbyistentruppe der deutschen Autoindustrie und der CDU hat Tradition. Seit je gibt es einen Personalaustausch. Der langjährige VDA-Chef Matthias Wissmann diente zuvor als Bundesverkehrsminister für die CDU unter Kanzler Helmut Kohl.
Der SPIEGEL konnte ihm immer mal wieder nachweisen, wie er seine alten Kontakte spielen ließ, etwa beim Thema Emissionskontrollen. Schon damals, im März 2015, gelang es Wissmann, dass sich das Kanzleramt unter Angela Merkel in Brüssel gegen strengere Abgastests (»realistisches Gesamtpaket«) engagierte. Damals hatte auch Eckart von Klaeden, der Mercedes-Cheflobbyist und Ex-Staatsminister der CDU im Kanzleramt, mit interveniert. Man kennt sich, man schätzt sich. Es gibt einen kurzen Draht.
Wissmanns spätere Nachfolgerin, die CDU-Politikerin Hildegard Müller, war eine enge Vertraute von Angela Merkel und wurde 2005 Staatsministerin im Kanzleramt. Seit 2020 lenkt die CDU-Frau nun schon die Geschicke des VDA, tritt häufig in Talkshows auf und äußert sich dieser Tage immer wieder mit Hinweisen, wie schlecht es der heimischen Autoindustrie geht: »Der Standort ist international immer weniger wettbewerbsfähig«, sagt sie dann, durchaus zutreffend. 190.000 Jobs würden in den nächsten Jahren wegfallen. Gründe seien die Abkehr vom Verbrennerauto – und auch die chinesischen Elektroautos.
Womit wir beim Positionspapier der Unionsfraktion wären.
Der erste lila Einschub des VDA soll zunächst unterstreichen, wie vorbildlich sich die Autoindustrie gegen ihr Schicksal stemmt. Sie hat einen »Investitionsbooster« gezündet. »Weltweit investieren die Hersteller und Zulieferer insgesamt 320 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung sowie weitere 220 Mrd. Euro in den Auf- und Umbau von Werken.« Die Botschaft soll wohl lauten, dass man mit der Zeit gehe, sich nicht gegen die Herausforderungen der Gegenwart stemme. Der Subtext: Hey, wir stecken doch so viel Geld rein, jetzt müsst ihr von der Politik uns auch mal helfen.
»Zusätzliche Mittel aus Sondervermögen Infrastruktur zur Modernisierung der Autobahnen und Bundesstraßen nutzen.«
Formulierungshilfe des VDA an die CDU
In diesem Sinne folgt ein paar Zeilen weiter der Einschub des VDA in eckigen Klammern. Der Umstieg auf Elektroautos werde zu weniger Beschäftigung führen. »Doch es liegt an der Politik, ob Zukunftsinvestitionen wieder in DE getätigt werden und so neue Jobs entstehen.« Was alles zu diesen Investitionen zählen soll, listen die Unionsleute in verschiedenen Punkten auf. Der VDA etwa wünscht sich neben besseren Mobilfunknetzen an der Autobahn: »Zusätzliche Mittel aus Sondervermögen Infrastruktur zur Modernisierung der Autobahnen und Bundesstraßen nutzen.«
Kollektive Schreibwerkstatt
Im weiteren Text verschwimmt immer mehr, von wem welcher Gedanke im Positionspapier denn eigentlich von der Union stammt. In der dem SPIEGEL vorliegenden Fassung (»Entwurf_Textbausteine_AG03«) schreibt offensichtlich auch der Bundestagsabgeordnete Tilman Kuban mit. Der Ex-Vorsitzende der Jungen Union oder seine Mitarbeiter fügen ihre Anmerkungen mit roter Schrift hinzu und unterstützen dabei die Punkte des VDA. Man schaffe ein nationales Sofortprogramm zum Bürokratierückbau mit klar messbaren Zielen und, so ergänzt man, »die sofortige Aufhebung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes«. Die Unionsfraktion formuliert, dass ein Qualifizierungsprogramm für die Beschäftigten aufgelegt werden solle. Doch Kuban oder seine Leute widersprechen: »Nicht sinnvoll: Aktuell herrscht Stellenabbau und kein Fachkräftemangel, sieht VDA auch so.«
In ihrer Positionssammlung brandmarkt die Union das »übergriffige Verbrenner-Aus«, ganz im Sinne des VDA, der diesen Punkt also selbst nicht mehr machen muss. Abgeordneter Kuban oder seine Büroleute steuern bei, dass die lästige »Grenzwertregulierung« wegfallen müsse. Man verlangt: »Stärkeres Wording muss her: Strafzahlungen abschaffen oder aussetzen.« Der VDA fordert in Lila: »Ein vorausschauender Ausbau von Strom- und Wasserstoffnetzen ist unerlässlich.« Kuban, in eckigen Klammern: »Punkt sollte weiter nach oben.«
So hangeln sich Union und VDA zu einem Papier aus einer kollektiven Schreibwerkstatt.
Es ist kaum mehr erkennbar, wessen Interessen hier vertreten werden: die der Union oder die der Autoindustrie? Auf Anfrage wollte sich die Unionsfraktion nicht äußern, bestreitet aber nicht die Existenz des Schreibens. Dort versteht man nicht, dass es problematisch sein könnte.
Der VDA hält das Ganze für einen normalen, demokratischen Vorgang. »Dass der VDA – wie auch andere Verbände, NGOs oder Unternehmen – bei der Erstellung von Papieren und der Erarbeitung von Positionen durch die Politik nach seiner Expertise gefragt wird, ist ein ganz normaler Vorgang«, erklärte eine Sprecherin des Verbands. Welche der Einschätzungen Eingang finden, liege in der Entscheidung des Anfragenden.
Am kommenden Donnerstag treffen sich die Autoindustrie und Friedrich Merz zum Gipfelgespräch im Kanzleramt. Praktischerweise spricht man jetzt schon die gleiche Sprache.
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