Freitag, 17. Oktober 2025

Das EU-Renaturierungsgesetz: Die entscheidende Frage ist, wie daraus Politik wird

Zeit hier 16. Oktober 2025,Eine Kolumne von Petra Pinzler

Artenschutz: Voller Einsatz für die Hummel

Der knallharte Kampf um die Natur entscheidet sich direkt vor unserer Haustür. Das Tolle: Wir können ihn gewinnen. Sofern jetzt viele aktiv werden.

Erst gestern habe ich es mir wieder heftig gewünscht, als mich das wahrscheinlich letzte Exemplar des Sommers entdeckte: Mögen die Mücken doch alle verschwinden, subito! Moskitos, so hatte ich erst kürzlich gelesen, töten mehr als fast jedes andere Wesen auf diesem Planeten. Nur wir sind darin noch besser. Ich habe das Exemplar, das mein Blut saugte, mit großer Genugtuung erschlagen.

Nicht ganz so heftige Abneigung wie Mücken lösen bei vielen Leuten Spinnen aus, Kakerlaken und Silberfische, um nur die bekannten Ekeltiere zu nennen. Die Liste der Geschöpfe, auf die man schon aus rein ästhetischen Gründen verzichten könnte, ließe sich noch deutlich verlängern. Aber selbstredend kommt man ziemlich schnell darauf, dass Insekten wichtige Teile des Ökosystems sind, leider auch die stechenden. Sie dienen als Futter für viele andere Tiere, weshalb ihr Aussterben für die Natur katastrophale Folgen hätte. Vögel und Fledermäuse hätten ohne sie noch mehr Hunger als sowieso schon. Auch die Spinnen sollten besser nicht einfach so verschwinden – obwohl ein Drittel das in Deutschland bereits getan hat. Womit wir bei der wohl meist ignoriertesten Katastrophe der Gegenwart wären: dem Biodiversitätsverlust.


Bio-was? Das Wort an sich ist schrecklich technisch, so wie auch viele andere, die das Sterben der Tiere und Pflanzen beschreiben. Die Europäische Umweltagentur (EEA) hat das gerade wieder gezeigt: "Der Gesamtzustand der Umwelt Europas ist nicht gut", schreibt die EEA in ihrem aktuellen Bericht. Die Natur sei von "Zerstörung, Übernutzung und dem Verlust biologischer Vielfalt bedroht". Wasser werde an vielen Orten knapp, die Böden litten und auch von den geschützten Gegenden seien 81 Prozent in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand.

Der Bericht beschreibt so das Drama und verschleiert es zugleich durch seine Sprache. Denn er bietet Zahlen, Fakten und Fachwörter – aber keine Worte, die der Dramatik auch nur halbwegs gerecht werden, die Bilder im Kopf entstehen lassen und Gefühle wecken. 


Verschleiernde Sachlichkeit statt voller Dramatik
Dabei ist die verschleiernde Sachlichkeit der Agentur nur der eine Teil des Problems. Der andere ist unser Blick auf die Natur: Wir stehen zwar im Zoo Schlange, um den bedrohten Panda zu sehen. Wir spenden für den Löwen in Afrika und leiden mit Tieren, die dem Kindchenschema entsprechen. Aber wir nehmen hin, dass weltweit die Korallenriffe sterben und Urwälder abgeholzt werden und (schlimmer noch, weil wir hier direkten Einfluss hätten), dass in unserer direkten Nachbarschaft die Rückzugsflächen für Tiere und Pflanzen immer rarer werden. Wir leiden mit dem Feldhasen und lassen zu, dass dessen Naturraum zerstört wird.

Es sind also zwei Seiten einer Medaille: Einerseits informieren uns Behörden und Agenturen gewissenhaft, aber leider in viel zu trockenen Worten darüber, dass wir gerade in rasantem Tempo die Natur und unsere Lebensgrundlagen zerstören. Andererseits sorgen wir uns immer mal wieder punktuell um nur wenige Arten, die uns aus irgendeinem Grund berühren. Beides nützt der Natur (und damit am Ende auch uns) wenig.

Wirklich einen Unterschied würde etwas anderes machen: Interesse, Einmischung und Härte – an und in einem aktuellen Machtkampf, der hierzulande derzeit ganz still stattfindet und in dem es um nichts weniger als die gesamte Natur in Europa geht: Die EU hatte mit den Stimmen der Deutschen 2024 etwas sehr Mutiges gewagt. Sie hatte eine "Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law)" verabschiedet, die vorsieht, dass es auf mindestens zwanzig Prozent der Flächen bis 2030 sogenannte "Wiederherstellungsmaßnahmen" geben soll. 

Das Ganze soll jetzt in nationales Recht umgesetzt werden. Die Bundesregierung muss einen nationalen Wiederherstellungsplan schreiben, in dem steht, wie und wo Wälder, Flüsse und Moore renaturiert werden und wo in den Städten mehr Grünflächen entstehen. Zudem soll der Rückgang der Bestäuberinsekten bis 2030 gestoppt werden. (Mücken gehören da offensichtlich nicht dazu, uff. Es geht um Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und Käfer).

Natur in unserer Nachbarschaft lebensfreundlicher machen, die Zahl der Tiere und Pflanzen wieder steigern: Das ist nicht so schwer und an unglaublichen Orten auch schon gelungen. Die Emscher beispielsweise, einst die Kloake des Ruhrgebietes, ist heute durch Renaturierungsmaßnahmen wieder ein grüner Fluss – und ein beliebtes Naherholungsgebiet. Naturschutz wirkt und Politiker, die dafür kämpfen, könnten ihren Wählern also sehr konkrete Erfolge bieten. Sofern sie sich denn trauen.

Wer wird aktiv?
Womit wir bei dem entscheidenden Interessenkonflikt sind: der Flächenkonkurrenz. Immer noch weisen Kommunen lieber neue Wohn- und Industriegebiete aus, als sie der Natur zu lassen. Der Verkehrsminister will immer noch neue Straßen bauen. Und auch die Lobbyisten der konventionellen Landwirtschaft wollen keine Ökoauflagen, die unionsgeführten Bundesländer fordern deswegen sogar die vollständige Aufhebung der Naturwiederherstellungsverordnung (NRL).

Da kommt eine Civey-Umfrage im Auftrag des Naturschutzbundes NABU, die diese Woche veröffentlicht wurde, gerade rechtzeitig. Danach befürwortet eine große Mehrheit die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur. Jetzt kann man natürlich fragen, ob eine große Mehrheit deren Text überhaupt so genau kennt. Doch selbst wenn das Gegenteil der Fall sein sollte, bleibt das Ergebnis der Umfrage interessant. Denn unabhängig von der EU-Gesetzgebung wünscht sich eine große Mehrheit grundsätzlich, dass in Deutschland Maßnahmen ergriffen werden, um Natur langfristig zu erhalten, beziehungsweise zerstörte Natur wiederherzustellen. 

Die entscheidende Frage ist, wie daraus Politik wird. Wie erstens genug Widerstand entsteht, damit die Verordnung nicht aufgeweicht, sondern umgesetzt wird. Wie zweitens lokale Kämpfe für das Grün um die Ecke gewonnen werden können. Und wer drittens dafür aktiv wird. 

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