Riffreporter hier vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel: Björn Lohmann 26.07.2025
Klimaschutz: IGH-Gutachten macht 1,5-Grad-Grenze zur völkerrechtlichen Pflicht aller StaatenEs ist ein Meilenstein des Völkerrechts: Staaten sind verpflichtet, den Klimawandel zu bekämpfen. Diese Pflicht ergibt sich aus Klimaabkommen, aber auch aus Menschenrechten und dem Gewohnheitsrecht. Subventionen fossiler Energien sind völkerrechtswidrig.
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Zum ersten Mal seit seinem Bestehen äußert sich der Internationale Gerichtshof (IGH) umfassend zur Klimakrise – und das mit einem Paukenschlag. In seinem Gutachten vom 23. Juli 2025 legt das höchste Gericht der Vereinten Nationen dar, dass alle Staaten – unabhängig von Vertragsmitgliedschaften – völkerrechtlich verpflichtet sind, Treibhausgasemissionen zu senken, sich an Klimafolgen anzupassen und klimabedingte Schäden zu verhindern.
„Das Gutachten stellt einen historischen Schritt für die internationale Klimapolitik dar“,
sagt Carl-Friedrich Schleussner, der an der Humboldt-Universität Berlin zu Klimafolgen forscht.
„Es ist vielleicht das wichtigste Dokument zum globalen Klimaschutz seit Jahren.“
Der IGH erkennt ein Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt an sowie dass unterlassener, unzureichender Klimaschutz zu völkerrechtlicher Haftung führen kann. „Das wiederum kann dafür sorgen, dass im Einzelfall vulnerable Staaten Völkerrechtsverletzungen oder Individuen Menschenrechtsverletzungen geltend machen und dafür Wiedergutmachung verlangen können“, erläutert Giacomo Sebis vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.
Verpflichtung folgt aus zahlreichen Rechtsgrundlagen
Die Richter:innen des IGH betonen, dass Klimaschutzpflichten nicht nur aus der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC), dem Kyoto-Protokoll und dem Pariser Abkommen folgen, sondern auch aus dem Seerecht, der Biodiversitätskonvention, den internationalen Menschenrechten und aus dem Völkergewohnheitsrecht.
„Das Gutachten formuliert klar die Verpflichtung der Staaten zum Schutz des Klimas und anderer Teile der Umwelt vor menschlich verursachten Treibhausgasemissionen“, sagt Catharina Caspari, Referentin beim Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). „Damit wird die Verpflichtung auch für die Staaten ausformuliert, die etwa den Klimaverträgen nicht beigetreten sind“ – oder wie die USA beabsichtigen, wieder auszutreten.
Die 1,5-Grad-Grenze ist nun völkerrechtlicher Maßstab
Besonders weitreichend ist die Aussage des Gerichts zur Begrenzung der Erderwärmung. Die Grenze von 1,5 Grad Celsius ist laut Gutachten kein politisches Ziel, sondern völkerrechtlich verbindlich. Die Richter:innen führen unmissverständlich aus: „Eine Erwärmung um 1,5 Grad Celsius gilt für die meisten Länder, Gemeinschaften, Ökosysteme und Sektoren als nicht sicher und birgt erhebliche Risiken für natürliche und menschliche Systeme.“
Jedes Land müsse somit Maßnahmen ergreifen, um einen angemessenen Beitrag zum Temperaturziel des Paris-Abkommens zu leisten. Gemeinsam müssten alle Maßnahmen geeignet sein, die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. „Eine klare Botschaft auch an die deutsche Bundesregierung. Eine Verwässerung der Klimaziele ist unzulässig“, betont Schleussner. Das ist besonders brisant, weil davon auszugehen ist, dass der Punkt, an dem die 1,5-Grad-Grenze überschritten wird, nur noch wenige Jahre entfernt und kaum mehr abzuwenden sein dürfte.
Dass die Forderung nach konsequentem Klimaschutz
nicht bloß ein moralischer Appell ist,
verdeutlicht das Gericht in einem weiteren Punkt:
nicht bloß ein moralischer Appell ist,
verdeutlicht das Gericht in einem weiteren Punkt:
Staaten, die untätig bleiben oder gezielt Maßnahmen blockieren – etwa durch Subventionen für fossile Energien –
können völkerrechtlich haftbar gemacht werden.
„Insbesondere die Erteilung von Lizenzen für die Exploration fossiler Energien sowie die Gewährung von Subventionen für fossile Brennstoffe können eine völkerrechtswidrige Handlung darstellen“, so Schleussner.
Die Vertreter:innen der UN-Mitgliedsstaaten verfolgten die Vorstellung des IGH-Gutachtens – insbesondere jene der USA. Unter Präsident Trump will das Land erneut aus dem Paris-Abkommen aussteigen – doch das ändere laut IGH nichts an den völkerrechtlichen Verpflichtungen, die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten.
Was das für Deutschland bedeutet
Für Industrieländer wie Deutschland, das unter die sogenannten Anhang-I-Staaten des UNFCCC fällt, leitet der IGH eine besondere Verantwortung ab. „Sie sind zusätzlich verpflichtet, eine Führungsrolle bei der Bekämpfung des Klimawandels zu übernehmen“, erklärt Silja Vöneky, Völkerrechtlerin an der Universität Freiburg. „Das bedeutet eine echte Handlungspflicht für jeden Staat, die auch verletzt werden kann.“
Der IGH betont außerdem, dass Staaten verpflichtet sind, private Akteure zu regulieren. Das betrifft Energieunternehmen ebenso wie Industrie oder Landwirtschaft – auch in Deutschland. Staaten haben eine Pflicht, alle verfügbaren Mittel zu nutzen, um zu verhindern, dass Aktivitäten unter ihrer Kontrolle erhebliche Umwelt- und Klimaschäden verursachen. Und sie können für Schäden haftbar gemacht werden, die durch das Versagen bei der Erfüllung ihrer Klimapflichten entstanden sind.
Rechte künftiger Generationen
Erstmals verknüpft der IGH den Klimaschutz explizit mit den Menschenrechten. „Das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt ist untrennbar mit der Bewahrung der Menschenrechte für heutige und zukünftige Generationen verbunden“, sagt Schleussner. Daraus folgt: Staaten müssen nicht nur heute lebende Menschen schützen, sondern auch zukünftige Generationen. Das stärkt Klimaklagen von jungen Menschen und Umweltverbänden auch vor nationalen Gerichten.
Signalwirkung für Gerichte weltweit
„Gutachten des IGHs sind nicht rechtsverbindlich im formalen Sinne, aber haben entscheidende rechtliche Wirkungen, weil sie den Stand des Völkerrechts darlegen“, erklärt Vöneky. „Dieses wichtige Gutachten wird über viele Jahre und Jahrzehnte entscheidend sein.“ Die Juristin schränkt jedoch ein: „Es wird oft nicht leicht möglich sein, im Einzelfall beispielsweise die konkreten Sorgfaltspflichten eines Staates zu bestimmen.“
Auch Caspari betont, dass das Gutachten voraussichtlich von nationalen Gerichten zur Auslegung internationaler Verpflichtungen herangezogen und darüber Eingang in rechtsverbindliche Entscheidungen finden werde.
Sebis beschreibt es als „Orientierungs- oder Warnfunktion“. Denn auch wenn kein Zwang besteht, das Gutachten umzusetzen, dürften Staaten und Unternehmen ihr Verhalten anpassen – nicht zuletzt, weil es die Tür für künftige Klimaklagen öffnet. Seine Beachtung sei davon abhängig, dass Staaten die Autorität des IGH anerkennen und Beteiligte das Gutachten in gerichtlichen Verfahren einbringen. „Das vorliegende Gutachten ist nicht verbindlich – es stellt jedoch klar, wie die Rechtslage wohl aussähe, wenn die aufgeworfenen Fragen vor Gericht verhandelt würden.“
Historischer Konsens
Das Gericht verabschiedete sein Gutachten einstimmig. „Angesichts der bahnbrechenden Rulings ist das besonders bemerkenswert“, sagt Thomas Burri, Professor für internationales Recht. Es sei ein „Meilenstein des Völker- und des Klimaschutzrechts“, der den Standard deutlich anhebe – etwa mit Blick auf das 1,5-Grad-Ziel, auf Staatenverantwortung für Klimaschäden oder das anerkannte Recht auf eine saubere Umwelt.
Burri betont auch die politische Dimension: Die große Mehrheit der beteiligten Staaten – rund 80 Prozent – habe den weiten Ansatz des Gerichts unterstützt, darunter insbesondere kleine Inselstaaten, die das Verfahren angestoßen hatten. Nur etwa zehn Prozent – darunter die USA, Japan, Großbritannien und Indien – hätten versucht, die völkerrechtliche Bedeutung zu relativieren.
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