hier Krautreporter 14.07.2025
Isolde Ruhdorfer
AfD und auch die CDU/CSU kopieren immer öfter, was Machthaber wie Viktor Orbán perfektioniert haben – das habe ich bei meinem Besuch in Ungarn und Sachsen gesehen.
Manchmal ist es schon ein Akt des Widerstands, im Kreis zu tanzen.
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Im Auróra finden Veranstaltungen statt, wie dieser Tanzabend, bei dem die Gruppe traditionelle rumänische Tänze übte. Es sind aber auch offen politische Aktionen darunter, etwa ein gemeinsames Briefeschreiben für politische Gefangene in Russland oder der Aufruf, ein selbstgestaltetes Plakat einzureichen, das sich mit Demokratie befasst.
Eine Woche später, knapp 700 Kilometer weiter. In Wurzen, einer kleinen Stadt in Sachsen, eine Viertelstunde mit der Bahn von Leipzig entfernt, sitzt Martina Glass auf einer Bierbank vor dem „D5“. Hier gibt es einen regelmäßigen Schreibtreff für Frauen, Gedächtnistraining für Senior:innen oder einmalige Veranstaltungen wie einen Abend mit ukrainischer Musik. Das D5 gehört dem Verein „Netzwerk für Demokratische Kultur“ (NDK), Martina Glass ist die Geschäftsführerin. „Es gibt in Wurzen sonst nicht viel anderes“, sagt sie.
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind ein wichtiger Teil jeder Zivilgesellschaft.
Sie setzen sich für Menschen- oder für Tierrechte ein, engagieren sich für die Umwelt oder ermöglichen es, dass sich Gemeinschaften bilden, wie im D5 und dem Auróra. Ohne dabei Profit zu machen.
Das Auróra und das D5 bieten Raum für Veranstaltungen oder Vereinstreffen. Man kann dort Bier oder Kaffee trinken oder einfach nur herumsitzen. Obwohl das auf den ersten Blick unpolitisch wirkt, attackieren rechte Politiker:innen beide Orte immer wieder. Deshalb steht ihre Weiterarbeit auf der Kippe. Der Angriffspunkt: ihre Finanzierung.
Damit sind sie nicht allein. In vielen EU-Ländern formiert sich eine Bewegung gegen NGOs. In Deutschland fängt sie gerade an. In Ungarn macht der Ministerpräsident Viktor Orbán schon seit Jahren Stimmung gegen NGOs. Das Auróra zeigt, wohin das führen kann.
Im schlimmsten Fall droht die Auflösung der Organisation
Beim Tanzabend in Budapest gibt es eine Pause. Die Bandmitglieder, die gerade mit ihrer Musik alle angetrieben haben, trinken nun gemeinsam einen Shot. Sie treten schon seit vier Jahren regelmäßig hier auf. Es sei ein besonderes Gefühl der Freiheit, das so eine Veranstaltung erzeuge, sagt Flötenspieler Máté Herczeg.
Einer der Gäste, Béla Szegedi, macht ebenfalls eine Pause vom rasanten Tanzen. „Ich mag die Atmosphäre hier“, sagt er. An den Wänden hängen Poster, Sticker und eine Regenbogenflagge. An der Bar gibt es Moscow Mule für umgerechnet 5,70 Euro. Das Auróra wirke sehr „anti Regierung“, sagt er. Und genau das scheint der Regierung nicht zu passen.
Im Mai dieses Jahres brachte ein Mitglied der Regierungspartei Fidesz das sogenannte Transparenzgesetz ins Parlament ein. Es soll festlegen, dass Organisationen und Medien, die die „Souveränität Ungarns bedrohen“ und Geld aus dem Ausland bekommen, auf eine „Schwarze Liste“ gesetzt werden können. Wenn eine Organisation auf dieser Liste steht, wäre es nahezu unmöglich für sie, weiter Spenden zu sammeln oder Fördergelder aus dem Ausland zu bekommen.
Dabei kann ein Euro aus dem Ausland reichen. Es geht nicht nur um Spenden oder Fördergelder, sondern auch um andere Transfers oder Dienstleistungen. Wenn zum Beispiel jemand aus dem Ausland ein Abo bei einem ungarischen Medium abschließt oder wenn eine deutsche Stadt etwas an eine NGO in ihrer ungarischen Partnerstadt verschenkt, könnten diese Organisationen auf der Schwarzen Liste landen. Egal ob 1 Euro, 1.000 Euro oder 100.000 Euro – jeder Betrag hat die gleichen Folgen.
Ist eine Organisation auf der Schwarzen Liste gelandet, dürfte sie weitere Zahlungen aus dem Ausland nur noch mit Genehmigung annehmen. Wenn die Organisation dagegen verstößt, könnte sie mit einer Geldstrafe in 25-facher Höhe belegt werden. Im schlimmsten Fall können Vereine aufgelöst und Unternehmen abgewickelt werden.
Ursprünglich wollte das Parlament das Gesetz im Juni verabschieden, hat es aber nun auf den Herbst verschoben. Niemand weiß, warum genau. Vielleicht war die ungarische Regierung doch von der Stärke des Gegenwinds überrascht. Oder sie nutzt die Verzögerung, um die betroffenen Organisationen in einem konstanten Zustand der Angst zu halten.
So wie das Auróra: Das alternative Zentrum ist eine Non-Profit-Firma, die wiederum zu einer größeren NGO namens „Marom“ gehört. Marom bekommt private Spenden, aber auch EU-Gelder und andere internationale Förderungen. Marom und damit auch das Auróra wären von dem Gesetz betroffen. Aber ob das Auróra dann wirklich auf der „Schwarzen Liste“ landet, kann dort momentan niemand mit Sicherheit sagen. Deshalb können die Betreiber:innen noch nicht abschätzen, wie schlimm es wirklich wird. Sorgen machen sie sich trotzdem.
Das Transparenzgesetz terrorisiert Ungarns NGOs wie ein Krokodil, das monatelang neben seinem Opfer herschwimmt, aber offenlässt, ob es am Ende nur ein Bein oder doch das ganze Tier verschlingt.
So gehen verschiedene Länder gegen NGOs vor
Kritiker:innen sehen in dem ungarischen Gesetzentwurf eine Nachahmung des russischen Gesetzes über „ausländische Agenten“. Der Kreml nutzt es seit 2022 verstärkt, um missliebige Meinungen de facto zu verbieten. Ein besonders bekanntes Beispiel ist die russische Menschenrechtsorganisation „Memorial“, die 2022 den Friedensnobelpreis bekam. Da war die NGO in Russland bereits verboten.
Aber nicht nur Russland und Ungarn nehmen NGOs ins Visier. In Georgien trat im Juni 2024 ein ähnliches Gesetz in Kraft, das vordergründig zur „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ beitragen soll. Es gab wochenlang Proteste, die Beziehungen zur EU verschlechterten sich. Ganz ähnlich war es ein Jahr später, im Juni 2025 in der Slowakei.
Diese Gesetze sind Warnschüsse.
Eine stabile Demokratie braucht eine lebendige Zivilgesellschaft und dazu gehören auch Vereine, Stiftungen, gemeinnützige GmbHs, kurz: alle möglichen gemeinnützigen Organisationen.
Die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, sorgen idealerweise dafür, dass ihr Land lebenswerter wird. Sie sammeln Müll auf, helfen Kindern beim Lesen, unterstützen Geflüchtete bei Bewerbungen oder begleiten Sterbende.
Und dann gibt es noch die großen NGOs, wie etwa Amnesty International oder die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Sie ziehen vor Gerichte, treten in Medien auf und kritisieren Politiker:innen. NGOs können ein Hebel für Bürger:innen sein, um dort einzugreifen, wo die Politik versagt.
Am Tag nach dem Tanzabend sitzt die Geschäftsführerin Blanka Rákos im Innenhof auf einer Bank und zündet sich eine selbstgedrehte Zigarette an. Dieses Gesetz ist nicht die erste Attacke der Orbán-Regierung gegen das Auróra. Im Jahr 2017 musste das Zentrum sogar für mehrere Monate schließen, weil die Polizei bei zwei Gästen eine geringe Menge Marihuana fand. Eine ganze Truppe bewaffneter Polizisten stürmte dafür das Auróra. „Am Anfang war es für alle ein Schock“, sagt Blanka über die Angriffe der Fidesz-Regierung. Es sei vor allem ein Problem gewesen, als bei ihnen auf lokaler Ebene noch Fidesz regiert habe. Aber mit der Zeit gewöhne man sich daran.
Sie zieht eine Parallele zu den 1950er Jahren, damals gab es in Ungarn Kaffeehäuser, die „Presszó“ genannt wurden. „Der Sinn dieser Orte war, dass man seinen Espresso in einer Minute trinkt und wieder geht, sodass man keine Zeit hat, sich mit anderen an einen Tisch zu setzen und vielleicht darüber zu reden, dass etwas nicht gut läuft“, sagt sie. Viele NGOs seien quasi das Gegenteil davon. „NGOs haben eine Stimme und sie bilden Gemeinschaften.“ Die Regierung wolle aber keine Gemeinschaften und selbstständig denkende Menschen in Ungarn haben.
Wer gemeinsam tanzt, könnte auch gemeinsam protestieren. Genau das möchte Orbáns Regierung offenbar verhindern.
Auch in Deutschland wird unliebsamen Vereinen das Geld gekappt
Deutschland ist zwar weit entfernt von einem Gesetz, wie es in Ungarn kommen könnte, aber auch hierzulande wendet sich die Stimmung gegen NGOs. Vorangetrieben von der AfD und zunehmend gestützt von Konservativen.
Im Februar stellten die Unionsparteien CDU und CSU eine sogenannte Kleine Anfrage im Bundestag. 551 Fragen, die offiziell auf die Finanzierung und Neutralität von NGOs abzielten. Es ging um Organisationen wie die „Omas gegen Rechts“, den BUND oder Greenpeace. In Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin kopierte die AfD diese Anfrage.
Es gibt sogar schon erste Fälle, bei denen Politiker:innen unliebsamen Vereinen das Geld gekappt haben. So wie beim D5 in Wurzen. Die Stadt mit 16.000 Einwohner:innen liegt in der Nähe von Leipzig. Es gibt einen Marktplatz, ein Schloss – und das Kultur- und Bürgerzentrum. Es liegt am Domplatz 5, direkt neben Schloss Wurzen.
An einem warmen Sommerabend sitzt Martina Glass vor dem D5 und bekommt rote Augen, wenn sie von der Stadtratssitzung im April erzählt. Es ging um 12.000 Euro, die das Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK) von der Stadt braucht, um eine größere Fördersumme von 70.000 Euro abrufen zu können. Glass war dort mit einer Kollegin und zeigte mit einer Power-Point-Präsentation die verschiedenen Veranstaltungen des NDK.
Damit hatte vor allem die AfD ein Problem. „Sie mögen uns nicht, wir sie nicht“, sagte AfD-Stadtrat Lars Vogel, wie die Leipziger Volkszeitung berichtete. Vogel habe rund zehn Minuten lang erklärt, warum das NDK seiner Meinung nach keine Förderung verdiene und begründete das mit feministischen Veranstaltungen und dem CSD, den das NDK mitorganisiert, erzählt Glass. „Wir mussten das alles anhören, obwohl das teilweise Falschinformationen waren“, sagt Glass. Sie und ihre Kollegin hätten gar nicht gewusst, wie sie darauf reagieren sollen.
Dann kam die Abstimmung, ob das NDK die Förderung bekommen soll – ausnahmsweise geheim. „Da war für mich klar, dass wir keine Chance mehr haben“, sagt sie. Zwölf Räte stimmten dagegen, fünf dafür, drei enthielten sich. Glass ist sich sicher, dass alle sechs anwesenden AfD-Stadträte dagegen stimmten. Die anderen sechs Stimmen, vermutet sie, müssen von der Wählervereinigung „Bürger für Wurzen“ stammen. Und von der CDU.
Wurzen ist deshalb auch ein gutes Beispiel dafür, was Vereinen bevorstehen könnte, wenn die AfD auf Bundesebene mehr Macht bekommt und wenn sich die Konservativen von ihr treiben lassen.
Es wird nämlich getrieben: Welt-Herausgeber Ulf Poschardt behauptete, es gebe einen „Deep State aus NGOs, Kirchen und öffentlich-rechtlichen Medien“. Die Bild-Zeitung schrieb, dass die „NGO-Industrie“ aufgebläht worden sei. Auch „Nius“, ein rechtspopulistisches Portal, berichtet immer wieder über einen angeblichen „NGO-Komplex“.
Wieso Vereine zum Feindbild werden
Die Sache mit der Transparenz ist die: Alle finden sie gut. Deshalb ist es auch in Ordnung nachzufragen, woher Organisationen ihr Geld bekommen und was sie damit machen. Schwierig wird es, wenn diese Forderungen als Deckmantel benutzt werden, um unliebsame NGOs anzugreifen. Das zumindest warfen Grüne, Linke und die betroffenen NGOs den Unionsparteien nach deren Anfrage vor.
„Wir stören hier, weil wir andere Akzente setzen und andere Angebote machen“, sagt Martina Glass. Das NDK setze sich mit Themen wie Rassismus und Queerness auseinander. Ein bis zwei Mal pro Jahr wurde das D5 in den vergangenen Jahren Ziel einer Attacke: eingeworfene Scheiben, zerfetzte Plakate, ein Hakenkreuz auf der Tür. Seit sie gute Überwachungskameras installiert haben, seien die Angriffe weniger geworden.
Glass versucht, mit einer Spendenaktion an das Fördergeld zu kommen. Wenn genug Menschen eine zweckgebundende Spende an die Stadt Wurzen schicken, könnten die nötigen 12.000 Euro zusammenkommen – zumindest für dieses Jahr. In Zukunft will sie weiterhin Anträge stellen und sich auf solche Sitzungen im Stadtrat anders vorbereiten. Und sie sagt: „Auf die CDU kommt es jetzt an.“
Viktor Orbán gilt als Vorbild für autoritäre Machthaber. Was er in Ungarn tut, schauen sich andere gerne ab. Deutschland ist immer noch weit entfernt von einem Gesetz, wie es in Ungarn geplant ist. Doch das Drehbuch ist jetzt bekannt.
Redaktion: Rebecca Kelber und Nina Rossmann, Bildredaktion: Gabriel Schäfer, Schlussredaktion: Susan Mücke; Audioversion: Iris Hochberger
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