Donnerstag, 10. Juli 2025

Diese Landkreise haben die höchsten Schäden durch Extremwetter

 Correctiv  hier  von Gesa Steeger , Max Donheiser  10. Juli 2025

Grafik: CORRECTIV
Quelle: GDVKartenmaterial: © OSM

Fluten reißen Häuser mit, Stürme decken Dächer ab – Extremwetter trifft Deutschland immer häufiger und vielerorts völlig ungeschützt. Welche Bundesländer und Kreise besonders betroffen sind und welche Ereignisse am zerstörerischsten waren, zeigt diese Datenauswertung.

Das Hochwasser im Sommer 2024 im Süden Deutschlands oder die Sturzflut im Ahrtal im Jahr 2021. Katastrophen, die Schäden in Milliardenhöhe hinterlassen haben. Nicht nur an Autos oder Infrastruktur, auch an Häusern. In manchen Fällen wurden ganze Existenzen zerstört.

Besonders betroffen in den vergangenen Jahren: die Bundesländer Rheinland-Pfalz, Bayern und Sachsen.

 Nirgends sonst wurden zwischen 2002 und 2022 höhere durchschnittliche Schäden an Wohnhäusern durch Extremwetter gemeldet. Das zeigt eine Auswertung von CORRECTIV. Grundlage sind Daten des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) aus dem Jahr 2024.

Extremwetter: Vor allem Mittel- und Hochgebirge in Deutschland sind gefährdet

In Sachsen führte das Augusthochwasser im Jahr 2002 zu besonders schweren Schäden. Am stärksten betroffen: der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge mit durchschnittlich rund 75.000 Euro Schaden pro betroffenem Gebäude.

Auch in Bayern kam es zwischen 2002 und 2022 immer wieder zu zerstörerischen Extremwetterereignissen. Hier traf das Juni-Hochwasser im Sommer 2013 den Landkreis Deggendorf besonders hart – mit durchschnittlich 190.000 Euro Schaden pro Gebäude.

Eine Summe, die nur im Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz übertroffen wurde. Dort sorgte die Sturzflut Bernd im Sommer 2021 für einen durchschnittlichen Schaden von rund 250.000 Euro pro betroffenem Gebäude. Insgesamt ist in Rheinland-Pfalz zwischen 2002 und 2022 ein durchschnittlicher Schaden von rund 10.700 Euro pro Gebäude entstanden. Ein Spitzenwert in Deutschland.

Rheinland-Pfalz sei allerdings kein Sonderfall, sagt Kathrin Jarosch, Pressesprecherin des GDV. Auch wenn die Sturzflut Bernd die Schadenstatistik geprägt habe. „Alle Mittel- und Hochgebirgslagen in Deutschland sind ähnlich gefährdet“, sagt sie gegenüber CORRECTIV.

Extremwetter wird durch Klimakrise häufiger

Künftig könnten deutschlandweit noch höhere Schäden entstehen: Extremwetterereignisse wie Sturm, Hitze, Dürre oder Starkregen nehmen aufgrund der Klimakrise in Deutschland zu. Einer der Gründe: steigende Temperaturen. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 ist es in Deutschland durchschnittlich um 1,8 Grad wärmer geworden – deutlich mehr als im globalen Durchschnitt. Das geht aus einer Studie des Deutschen Wetterdienstes hervor.

Doch bisher ist kaum ein Landkreis auf diese Entwicklung vorbereitet. „Zu viel Klimawandel trifft auf zu wenig Schutz davor“, bilanziert der Gesamtverband der Versicherer (GDV) in einem aktuellen Report zu Naturgefahren.

Abhilfe soll das im Juli 2024 in Kraft getretene bundesweite Klimaanpassungsgesetz bringen. Doch ob das gelingt, ist fraglich. Bisher streiten sich Länder, Kommunen und Bund vor allem um die Finanzierung der nötigen Maßnahmen. Dazu zählen unter anderem der Schutz der Bevölkerung vor Hitze, Dürre, Hochwasser und Starkregen – durch Entsiegelung von Flächen, Begrünung von Städten oder einen sparsamen Umgang mit Wasser. Das Bundesumweltministerium unter der ehemaligen Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) schätzte den Finanzbedarf dafür bis 2030 auf rund 38,5 Milliarden Euro.

Klimafolgenanpassung: Kommunen stehen enorm unter Druck

„Die Kommunen stehen unter enormem Druck“, sagt Reimund Schwarze gegenüber CORRECTIV. Er ist Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und forscht zu den Kosten der Klimaanpassung. In vielen Städten und Gemeinden fehlten Personal und finanzielle Mittel, um konkrete Klimaanpassungspläne zu entwickeln. Deshalb könne es noch Jahre dauern, bis dringend nötige Maßnahmen umgesetzt werden, so Schwarze.

Wie unzureichend viele Landkreise auf Extremwetter wie Hochwasser oder Starkregen vorbereitet sind, zeigen Recherchen von CORRECTIV, NDR Data, WDR Quarks und BR Data: So hatten im Jahr 2023 nur ein Viertel der 329 Landkreise und kreisfreien Städte, die an einer umfangreichen Umfrage teilnahmen, ein Schutzkonzept für die Klimakrise, weitere 22 Prozent planten eines.

Die Extremwetter-Problematik sei bei vielen Städten angekommen, sagt Christine Wilken gegenüber CORRECTIV. Sie ist ständige Stellvertreterin des Geschäftsführers des Deutschen Städte- und Gemeindebund und Leiterin des Dezernats Klima, Umwelt, Wirtschaft, Brand- und Katastrophenschutz. „Viele Städte haben bereits Maßnahmen eingeleitet wie Hitzeaktionspläne, Klimaanpassungskonzepte oder Starkregenkarten“. Diese blieben aber „Papiertiger, wenn wir die geplanten Maßnahmen nicht umsetzen können, weil den Städten das Geld fehlt.“ Alleine könnten die Städte die Herausforderungen finanziell nicht stemmen, sagt Wilken. „Wir brauchen eine bessere Finanzausstattung durch Bund und Länder.“

114 Milliarden Euro Schäden durch Extremwetter

Wenn Kommunen keine Schutzmaßnahmen umsetzen, zahlen am Ende alle – mit kaputten Straßen, vollgelaufenen Kellern und zerstörten Häusern. Laut einer Studie des deutschen Beratungsunternehmens Prognos, dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) sind im Zeitraum von 2000 bis 2021 in Deutschland Schäden über 114 Milliarden Euro durch Extremereignisse entstanden. Kosten, die nicht nur die betroffenen Kommunen tragen müssen, sondern auch Versicherungsunternehmen wie die Munich Re oder die Allianz – und zuletzt auch die Bürgerinnen und Bürger. Denn je mehr Schäden es gibt und je öfter die Versicherer einspringen müssen, desto mehr steigen auch die Versicherungsprämien.

Sollte Klimafolgenanpassung nicht konsequent umgesetzt werden, dann könnten sich die Versicherungsprämien für Wohnhäuser nach Schätzungen des GDV innerhalb der nächsten zehn Jahre verdoppeln, sagt Katrin Jarosch gegenüber CORRECTIV. „Betroffen wären alle Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer, anteilig über die Miete auch alle Mieterinnen und Mieter.“ Im schlimmsten Fall könnten Gebäudeversicherungen so teuer werden, „dass sich das Kunden und Kundinnen nicht mehr leisten können.“

Pflichtversicherungen als Lösung?

Abhilfe soll nach Plänen der neuen Bundesregierung eine Pflichtversicherung für Elementarschäden wie Hochwasser oder Überschwemmungen bringen. Das sieht der aktuelle Koalitionsvertrag vor. Weiter sollen alle bisherigen Wohngebäudeversicherungen um eine Elementarschadenversicherung ergänzt werden. Bisher hat nur etwa die Hälfte aller Wohngebäude in Deutschland eine Versicherung gegen Elementarschäden.

Der Vorstoß der Bundesregierung sei ein „wichtiges Signal“, sagt GDV-Pressesprecherin Kathrin Jarosch gegenüber CORRECTIV. Versicherungsschutz alleine reiche dabei aber nicht aus: „Keine Form der Pflicht senkt Schäden und macht Versicherungen automatisch günstiger.“ Es brauche neben Versicherungsschutz auch wirksame Prävention, wie „ein verbindlicher Baustopp in hochgefährdeten Gebieten sowie eine Klima-Gefährdungsbeurteilung bei Baugenehmigungen.“

Auch Reimund Schwarze vom UFZ findet den Vorschlag einer Pflichtversicherung grundsätzlich richtig, aber nicht ausreichend. Es brauche nun schnelle Umsetzungen von Klimaanpassungsmaßnahmen wie Starkregenkarten für Kommunen oder Hitzepläne. Diese seien aber mit großen Eingriffen in die städtische Infrastruktur verbunden, etwa bei der Entsiegelung von Flächen. „Wir stehen vor riesigen Herausforderungen“, sagt Schwarze gegenüber CORRECTIV.


Faktencheck: Katarina Huth



Pressemitteilung DUH  hier  10.07.2025

Vier Bundesländer mit extrem hohem Hochwasser-Risikograd: Große Hochwasser-Abfrage der Deutschen Umwelthilfe verdeutlicht deutschlandweit Nachholbedarf

• Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben deutschlandweit höchsten Risikograd: Karten und Berechnungen der DUH zeigen von potenziellen Schäden durch Jahrhunderthochwasser betroffenen Flächenanteil, Ausmaß betroffener Wohnadressen sowie daraus resultierende Risikobewertung

• Umfangreiche Abfrage in allen Bundesländern zu Hochwasservorsorge und -Monitoring von 2014 bis 2024 offenbart massiven Nachholbedarf vor allem bei naturbasiertem Hochwasserschutz

• DUH identifiziert fünf Stellschrauben für zukunftsfähigen Hochwasserschutz in Deutschland


Eine neue Bewertung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) belegt das teils enorme Risiko für schwere Schäden durch ein sogenanntes Jahrhunderthochwasser in allen deutschen Bundesländern: 10 von 16 Bundesländer weisen demnach mindestens einen sehr hohen Risikograd auf. Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben sogar einen extremen Risikograd. 

Für den Hochwasser-Risikograd hat die DUH die bei einem Jahrhunderthochwasser potentiell von Schäden betroffene Fläche mit den betroffenen Wohnadressen verrechnet. In Bayern liegen mit 65.517 die meisten Wohnadressen in potenziell von einem Jahrhunderthochwasser betroffenen Gebieten. 

Die größten Anteile Risikofläche an der Landesfläche – also Fläche mit einem Schadenspotenzial bei einem Jahrhunderthochwasser – haben Nordrhein-Westfalen (6,8 Prozent), Brandenburg (6,2 Prozent) und Sachsen-Anhalt (5,9 Prozent). Ein Jahrhunderthochwasser ist statistisch gesehen einmal alle 100 Jahre zu erwarten, wobei sich diese Werte auf Messreihen in der Vergangenheit beziehen. Durch die Klimakrise und die landschaftlichen Veränderungen des letzten Jahrhunderts treten jene Pegel in Zukunft häufiger auf.

Dazu Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 hat Deutschland schmerzlich vor Augen geführt, wie gefährlich die Auswirkungen der Klimakrise für uns sind. Das steigende Risiko für Extremwetterereignisse und das damit einhergehende Risiko, dass sogenannte Jahrhunderthochwasser deutlich häufiger als im hundertjährigen Durchschnitt auftreten, stellt die Bundesländer vor enorme Herausforderungen. 

Bislang tun die Bundesländer jedoch zu wenig für den Schutz der potenziell hunderttausenden Betroffenen. Bei der dringend erforderlichen Anpassung und Vorsorge muss der Fokus stärker auf naturbasierten Hochwasserschutz gelegt werden. Flüsse und Bäche brauchen endlich mehr Raum, Wasser muss in intakten Wäldern, Wiesen und Feuchtgebieten zurückgehalten werden.“

Eine umfangreiche Abfrage der DUH in allen Bundesländern zu Hochwasservorsorge und -Monitoring von 2014 bis 2024 offenbart den flächendeckenden Nachholbedarf bei naturbasiertem Hochwasserschutz. Kein Bundesland hat die DUH in der Abfrage im Gesamtkonzept mit all seinen Hochwasserschutzmaßnahmen überzeugt.

Sabrina Schulz, Stellvertretende Bereichsleitung Naturschutz bei der DUH: „Unsere Abfrage unter allen Bundesländern bestätigt, dass noch viel zu häufig technische Schutzmaßnahmen gegenüber naturbasiertem Hochwasserschutz bevorzugt werden – das ist teuer und verschenkt das Potenzial, wichtige Nebeneffekte für Biodiversität, Gewässerschutz und Dürrevorsorge zu erzielen.“

Aus ihrer Abfrage leitet die DUH fünf wesentliche Stellschrauben für zukunftsfähigen Hochwasserschutz in Deutschland ab:

  1. Bundesländer müssen Kommunen dabei unterstützen, schneller fit für Extremwetterereignisse zu werden, die mit Überflutungsgefahren und Wassermangel einhergehen

  2. Naturbasierter Hochwasserschutz muss Vorrang haben vor technischem Hochwasserschutz

  3. Bundesländer müssen Rückbaumaßnahmen in Überschwemmungsgebieten fördern

  4. Bundesländer müssen mehr Daten zu ihren Hochwasserschutzmaßnahmen erheben und diese vergleichbarer gestalten

  5. Austausch zwischen den Ländern zu guten Lösungen für den naturbasierten Hochwasserschutz

Link: hier
Die Ergebnisse der Abfrage und die Berechnungen im Detail 

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