Spiegel hier 02.07.2025, SPIEGEL-Leitartikel von Jonas Schaible
Klimapolitik der Regierung
Die dramatischen Folgen des Klimawandels werden immer deutlicher. Die Antwort der Regierung Merz: Die Klimaziele werden infrage gestellt.
Hitze macht müde. Und ein bisschen müde machte zuletzt auch die politische Routine im Umgang mit ihr. Wenn der Asphalt weich wird und am Mittelmeer die Wälder in Flammen aufgehen, dann folgt das politische Bewusstsein verlässlich dem schwitzenden Sein: Ach ja, es ist Klimakrise. Wir müssen etwas tun! Wenn es dann kühler wird, kühlt auch die Leidenschaft fürs Thema schnell ab.
Aber in diesen Wochen, mit dieser neuen Bundesregierung, wären selbst solche ritualisierten Betroffenheitsbekenntnisse schon ein erfrischender Muntermacher. Sie wären ein Zeichen, dass der Epochenbruch nicht in Gänze verdrängt ist. Sie wären mehr, als CDU, CSU und SPD sonst so bieten.
Dass Friedrich Merz sich nicht in erster Linie als Klimakanzler verstehen würde, ist keine Überraschung. Überraschend ist aber doch, wie offensiv egal der schwarz-roten Koalition ökologische Fragen zu sein scheinen.
Da ist nichts, kein wahrnehmbares Krisenbewusstsein, kein Maßnahmenplan, noch nicht einmal ein Lippenbekenntnis.
Keine Bundesregierung war bisher schnell genug darin, den Weg in die Klimaneutralität und damit in eine halbwegs stabilisierte Zukunft zu gehen. Und weil in der Klimakrise nichts so rar ist wie Zeit, führen zu langsame Schritte nicht ans Ziel. Aber Angela Merkel und Olaf Scholz haben zumindest versucht, in die richtige Richtung zu gehen.
Im Kabinett Merz sieht das anders aus. Da sind derzeit mehr Schritte in die falsche Richtung zu erkennen als in die richtige.
Kein Krisenbewusstsein erkennbar
Es ist das eine, Gaskunden von der Gasumlage zu entlasten. Etwas anderes ist es, gleichzeitig die Strompreise für private Haushalte nicht zu senken, obwohl man es versprochen hatte.
Das klimaschädliche Gas wird also bei knapper Kasse bevorzugt. Wer das auch noch aus dem Klima- und Transformationsfonds bezahlen will und schließlich argumentiert, Verbraucher würden doch entlastet, als gäbe es keinen Unterschied zwischen Strom und Gas, der lässt keinerlei Bewusstsein für die Klimakrise erkennen.
Das ist umso erstaunlicher, als niedrigere Energiepreise ja das große Versprechen der Union waren, und weil sie immer wieder dafür geworben hat, die Verbraucher durch eine Senkung auch der Stromsteuer vom CO₂-Preis zu entlasten.
Es ist das eine, den Agrardiesel für die Bauern wieder voll zu subventionieren, immerhin haben die bislang nicht flächendeckend die Möglichkeit, ihre Landmaschinen ohne fossile Treibstoffe zu nutzen. Etwas anderes ist es, parallel die Dokumentationspflichten fürs Düngen zu lockern, obwohl Überdüngung sowohl Treibhausgase freisetzt als auch Böden und Gewässern schadet.
Sogar am großen Ziel wird gerüttelt
Es ist das eine, keinen Ehrgeiz zu zeigen, die Klimaziele zu erfüllen. Etwas ganz anderes ist es, sie gleich ganz infrage zu stellen.
Gerade erst hat Energieministerin Katherina Reiche auf dem Tag der Industrie erklärt, es gebe »sehr starre Ziele«, gemeint waren Klimaziele für einzelne Jahre. Die seien nach oben gesetzt worden, aber sie frage sich, ob das immer durchgerechnet worden sei: »Wir müssen flexibler werden.«
»Eine Harmonisierung mit internationalen Zielen täte gut«, sagte sie noch, was anschließt an eine Diskussion, ob Deutschland wirklich 2045 klimaneutral werden soll. Oder nicht erst 2050, wie die EU als Ganzes. Merz sagte gerade erst zustimmend, das habe etwas »mit der realistischen Einschätzung dessen zu tun, was wir tatsächlich erreichen können«. Die FDP hat eine Zieländerung im Wahlkampf schon gefordert, einzelne Industrievertreter wollen sie auch. Völlig unklar ist, warum eigentlich.
Durch eine Verschiebung würde sich für die Industrie, vor der Reiche sprach, gar nichts ändern. Deren Emissionen sind über den EU-Emissionshandel gedeckelt, der nach aktuellem Stand schon deutlich vor 2045 auf null läuft.
Wer also wirklich mehr Flexibilität will, müsste die gesamte Statik des europäischen Klimaschutzes ändern. Darauf wurde mindestens in Fachkreisen seit Monaten so oft hingewiesen, dass sich langsam die Frage aufdrängt: Will die Regierung womöglich genau das?
Dabei ist Deutschland ohnehin längst nicht auf Kurs, 2050 bei Netto-null-Emissionen zu sein. Auch für das laxere Ziel müsste sich die Republik also mehr anstrengen als jetzt, nicht weniger. Nur wer sagt es den Bürgerinnen und Bürgern? Wer hilft ihnen dabei?
Wie positioniert sich Deutschland in der neuen Welt?
Dass der Stahlgigant ArcelorMittal auf Staatsgeld verzichtet, weil er nun doch nicht auf grüne Stahlproduktion umstellen will, hat die Regierung nicht dazu gebracht, erkennbar intensiv über die Zukunft des klimaneutralen Stahlstandorts Deutschland nachzudenken. Vielleicht war die Industriepolitik des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck nicht erfolgreich. Aber welche könnte erfolgreicher sein?
Ohne neue Gaskraftwerke geht es nicht, aber warum müssen es so viele sein, wie die neue Koalition anpeilt? Union und SPD wollen künftig auch Elektro-Dienstwagen steuerlich fördern, die zwischen 70.000 und 100.000 Euro kosten. Das freut Gutverdiener und deutsche Premiumhersteller. Aber wie will die Koalition erreichen, dass sich die Masse der Bürger E-Autos leisten kann? Wie sollen auf lange Sicht die Emissionen durchs Heizen, Autofahren und durch Landnutzung sinken?
Verkennt die Regierung Merz die Dringlichkeit der Klimakrise?
Ach ja, und wie positioniert sich Deutschland in einer Welt, in der China eine Zukunftstechnologie nach der nächsten perfektioniert, E-Autos mit ultrakurzer Ladezeit, großer Reichweite und für weniger als 10.000 Dollar baut, während die USA demonstrativ auf Öl und Gas setzen?
Alles Fragen, die völlig offen sind.
Fragen, auf die eine Regierung eigentlich eine Antwort geben müsste. Und zwar eine, die nicht nur lautet:
Wir haben es nicht versucht und dabei festgestellt,
dass es nicht geht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen