Sonntag, 20. Juli 2025

„Es gibt größere Umweltprobleme als den Klimawandel“

 

hier  Freitag  Von Elena Prudlik  11.07.2025

Felix Ekardt für radikalen Umbruch

Der Transformationsforscher Felix Ekardt fordert eine radikale Umkehr: nicht nur weg von fossilen Energien, sondern hin zu echter demokratischer Teilhabe. In seinem Buch „Postfossile Freiheit“ zeigt er, warum beides nur zusammen gelingt

„Es gibt größere Umweltprobleme als den Klimawandel.“ Ausgerechnet Felix Ekardt, der Kämpfer für das Pariser Klimaabkommen, vertritt diese These in seinem neuen Buch „Postfossile Freiheit“. Was der Transformationsforscher damit meint, ist aber nicht etwa eine Verharmlosung der Klimakatastrophe. Als größeres Problem sieht er allerdings die mangelnde Verknüpfung von Demokratie und Umweltschutz: Auf etwas mehr als dreihundert Seiten macht er sich auf den Weg aufzuzeigen, warum Klimaschutz, Wohlstand und Frieden nur mit funktionierender Demokratie zu erreichen ist.

Bloß auf die Konzerne und die Regierung zu schimpfen, das ist für Felix Ekardt zu kurz gedacht, sagt er in einem Gespräch mit dem Freitag. „Wir alle sind Teil des Problems, aber auch die mögliche Lösung. Solange wir frei reden können — historisch eher eine Ausnahme — sollten wir es tun“, schreibt er in seiner Einleitung und fordert damit jeden Einzelnen zur demokratischen Teilhabe auf. Warum seiner Meinung nach die Demokratie das einzige politische System ist, in dem eine Transformation gelingen kann und weshalb die Postfossilität ein so wichtiger Baustein für diesen Wandel ist, erläutert er in den ersten sechs Kapiteln.

Postfossilität als radikale Gegenwart, nicht ferne Zukunft

An eine postfossile Welt zu glauben, wirkt im aktuellen globalen politischen Klima, in dem ein US-Präsident Donald Trump sich allem, was mit Klimaschutz zu tun hat, entgegenstellt und auch die neue Bundesregierung sich wieder auf fossile Brennstoffe stützen will, beinahe wie eine Geisterfahrer-Utopie. „Das will mein Buch genau sagen: Wir brauchen das präzise Gegenteil von dem, was wir jetzt haben. Wir brauchen kein Rollback, wir brauchen auch kein bloßes ‘Weiter so‘! Wir brauchen eine radikale Beschleunigung Richtung Postfossilität.“

Regierungen fallen nicht vom Himmel, sagt der Forscher. „Wir demonstrieren nicht gegen ihre Politik, wir treten nicht in Parteien ein, um Veränderung anzustoßen, wir gehen nicht in Umweltverbände, um gegen die Klimakatastrophe zu kämpfen. Wir haben also die Regierung, die wir verdienen, und so wie es momentan läuft, fürchte ich, dass wir mit dem fossilen Ausstieg nicht schnell genug sein werden“, sagt Ekardt. Ein wesentlicher Schritt wäre eine Reform des EU-Emissionshandels: „Man könnte Postfossilität statt 2050 wie bis jetzt geplant für 2035 vorschreiben.“

Dafür seien natürlich sehr große Schritte notwendig. Andere allerdings blieben uns dadurch erspart. Zum Beispiel, so der Forscher, würde das die Wahrscheinlichkeit eines großen Krieges in Europa massiv reduzieren. Nicht nur das: „Schon aufgrund von Folgeschäden des Klimawandels, möglichen Kriegen und Schadstoffschäden ist wirtschaftswissenschaftlich weitgehend unbestritten, dass eine postfossile Gesellschaft am Ende deutlich kostengünstiger ist als eine fossile.“

Transformation braucht Demokratie – keine Öko-Diktatur

Ist eine solche Transformation in einer Demokratie, in der Entscheidungsprozesse oft wie ein schieres Tauziehen wirken, überhaupt denkbar? Ekardt sagt ja und er sagt, ohne den demokratischen Ringkampf geht es nicht. Denn wer sich eine sogenannte Öko-Diktatur als Ausweg vorstellt, begehe einen Denkfehler. „Den einen wohlwollenden Herrscher, der uneigennützig und unfehlbar nur das Beste für alle im Sinne hätte, den gibt es nur in der Theorie“, sagt er.

Auch eine autoritäre Führung wäre eingebunden in Machtstrukturen, Zwänge – und selbst wenn nicht, hätte jener Diktator vielleicht auch mal eine üble Laune oder eine Schnapsidee. Eine lebendige Demokratie hingegen lebt vom Mitdenken, Mitreden und Mitgestalten – von Gehirnen, die sich gegenseitig befeuern und befruchten, erläutert der Wissenschaftler.

Es würde nicht reichen, wenn ein oder zwei kluge Köpfe meinen, sie wüssten, wie alles funktioniert. „Was es braucht, ist Diskurs – menschliche Lernfähigkeit und kollektives Nachdenken. Nur, wenn viele beteiligt sind, kann der Wandel gelingen.“ sagt Ekardt. Der Umweltschutz, wie ihn Felix Ekardt in seinem neuen Buch denkt, funktioniert also nur in einem demokratischen System. In einem autoritären System hingegen würde es an öffentlichem Druck, freier Wissenschaft, unabhängiger Justiz und einer bunten Medienlandschaft fehlen, so Ekardt. All jene Elemente, die notwendig sind, um Umweltinteressen gegenüber kurzfristigen Machtinteressen durchzusetzen.

Ein Beispiel liefert der Prozess am Oberlandesgericht in Hamm: Der peruanische Landwirt Saúl Luciano Lliuya klagte gegen den Energiekonzern RWE. Er forderte, dass RWE sich anteilig an den Kosten für Schutzmaßnahmen gegen eine mögliche Flutwelle in der peruanischen Stadt Huaraz beteiligen solle.

Das Oberlandesgericht Hamm wies den Anspruch des Bauern ab, mit der Begründung, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Flutgefahr nur bei etwa einem Prozent liegt. Trotz der Abweisung stellte das Oberlandesgericht aber klar, dass Konzerne wie RWE grundsätzlich nach deutschem Zivilrecht für Klimaschäden im Ausland haftbar gemacht werden könnten, sofern eine konkrete Gefährdung nachweisbar ist. Ein solches Urteil wäre in einem autoritären Staat kaum denkbar.

Warum der Klimaschutz mehr braucht als gute Absichten

Wandel jedoch ist kein geradliniger Prozess. Er entsteht und scheitert im Zusammenspiel.
„Und das ist die zweite große Erkenntnis“, so Ekardt. „Die Bedingungen von Veränderung sind komplex. Weder bloße Fakten noch hohe moralische Ideale reichen aus. Es sind oft andere Dinge, die entscheiden: vor allem Eigennutz und emotionale Faktoren wie Bequemlichkeit, Gewohnheiten, Sündenbockdenken und das Bedürfnis nach einfachen Erklärungen – all das beeinflusst unser Handeln und zwar bei uns allen.“

Der gute Wille des Menschen sei begrenzt, so der Forscher. „Ob nun bei den sogenannten Gutmenschen oder jenen, die als böswillig gelten. So manch ein Gutmensch spart vielleicht Strom ein und kauft Bio-Produkte. Wenn diese Person dann aber einmal im Jahr nach Patagonien fliegt, um wandern zu gehen, hat sie einen größeren Kohlenstoffdioxidausstoß als jemand, der oder die nicht auf das Auto verzichten mag und den Klimawandel leugnet.“

Bei all unserer Eigenverantwortung, sollte man nicht eher die großen Konzerne in die Pflicht nehmen? Jene Industrien, die jahrzehntelang den fossilen Wahnsinn befeuerten und die den Begriff des „ökologischen Fußabdrucks“ überhaupt erst prägten, um Verantwortung auf die Konsument:innen abzuwälzen? So spielt beispielsweise British Petroleum (BP) eine entscheidende Rolle bei der Einführung des Begriffes, um von der eigenen Verantwortung der Ölindustrie abzulenken.

Sicherlich, sagt Felix Ekardt, trägt die Industrie einen großen Teil der Verantwortung. „Transformation scheitert aber nicht an einzelnen Akteuren allein, wie etwa den Konzernen.“ Es sei ein Teufelskreis: Politik reagiert auf die Wählenden, Konsument:innen kaufen, was angeboten wird, Unternehmen liefern, was nachgefragt wird. „Und am bequemsten ist es immer, den anderen die Schuld zu geben. Doch am Ende gelingt oder scheitert der Wandel nur im Zusammenspiel“, so der Wissenschaftler.

Warum kleine Schritte große Wirkungen haben

Dass kleine Schritte nicht unterschätzt werden dürfen – in die richtige wie in die falsche Richtung – zeigt eine Geschichte, die Ekardt gern erzählt: „Liegt ein ganzes Stück Käse auf dem Buffet, bleibt es liegen. Schneidet man ihn aber in kleine Würfel, wird er aufgegessen. Der Käse bleibt derselbe.“ So funktionieren auch Bequemlichkeit, Selbsttäuschung und schleichender Rückschritt – beim Essen wie beim Klimaschutz. In kleinen Portionen verliert das Falsche seinen Schrecken und wird zur neuen Normalität. Gerade deshalb, sagt Ekardt, braucht es klare Brüche mit der Normalität und den Mut zu großen, bewussten Schritten.

Dieses Buch, sagt Ekardt ist das Ergebnis von 30 Jahren Nachdenken über Nachhaltigkeit und der Analyse jener Gesellschaftsform, die wir als „liberale Demokratie“ beschreiben. 

Als Jurist, Soziologe und Philosoph beschäftigte sich Ekardt unter anderem mit der humanwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung, Fragen zur Transformation, Gerechtigkeit und sozialen Lernprozessen. Seit 2009 leitet Ekardt neben seiner Tätigkeit als Professor für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Uni Leipzig die Forschungsstelle für Nachhaltigkeit und Klimapolitik.

Felix Ekardts „Postfossile Freiheit“ ist keine Klima-Dystopie oder gar ein Fingerzeigen auf Politik und Konzerne, sondern eine wissenschaftliche und interdisziplinäre Analyse unserer fossilen Verstrickungen – politisch, gesellschaftlich und individuell. So wichtig es sei, die Konzerne und politischen Entscheider im Blick zu behalten, so wichtig sei persönliches Handeln: „Rein in die Parteien! Rein in die Verbände! Auf die Straße und ins Gespräch mit den Nachbarn!“ sagt Ekardt. Nur durch kollektives Denken und demokratisches Handeln, so seine These, kann die postfossile Transformation gelingen.


Felix Ekardt, Postfossile Freiheit – Warum Demokratie, Umweltschutz, Wohlstand und Frieden nur gemeinsam gelingen, erschienen am 18.06.2025 beim Bonifatius Verlag in Paderborn. ISBN 978-3-98790-097-6

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