Spiegel - Eine Kolumne von Christian Stöcker 27.07.2025
Forschung gegen gefühlte Wahrheit
Die Deutschen haben keineswegs die Nase voll vom Klimaschutz
Niemand interessiert sich mehr für die größte aller Krisen? Falsch. Das zeigen Forschungsdaten ebenso wie ein Erlebnis in meinem Motorradunterricht.
Zum Einstieg eine Quizfrage: Wie viel Prozent der Menschen weltweit finden, es müsse mehr gegen die Klimakrise getan werden, auch in ihrem eigenen Land? Schätzen Sie mal.
Zum Autor : Christian Stöcker, Jahrgang 1973, ist Kognitionspsychologe und Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale Kommunikation und mehrere Forschungsprojekte über digitale Öffentlichkeit und Desinformation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.
Die Antwort verrate ich weiter unten.
Mir ist neulich etwas passiert, das mit der richtigen Antwort zu tun hat. Und zwar in der Fahrschule.
Ich habe dort einen Kurs für eine Führerscheinerweiterung gemacht, weil mein Elektroroller für den Stadtverkehr fünf Stundenkilometer zu langsam fährt und ich deshalb gern die sogenannte B196-Berechtigung erwerben möchte. Damit darf man auch Motorräder bis zu 125 Kubikzentimeter Hubraum oder E-Motorräder bis 11 Kilowatt Leistung (Klasse A1) mit einem alten Autoführerschein fahren.
Einmischen oder schweigen?
Motorrad-Theorieunterricht im Hamburger Umland, in einem schlecht belüfteten Raum mit 15 oder 20 anderen Menschen, verteilt auf Klappstühlen. Die meisten sind um die 20 Jahre alt. Einige, überwiegend Männer mittleren Alters wie ich selbst, streben die B196-Berechtigung an, für die man nur Unterricht braucht, keine Prüfung.
Irgendwann kommt der Fahrlehrer auf das Thema Elektromobilität. »Was meint Ihr«, fragt er in die Runde, »was besser für die Umwelt ist: ein Elektroauto oder ein Verbrenner?« Ich wappne mich, aus bitterer Erfahrung, und werde nicht enttäuscht: »Ganz klar der Verbrenner«, behauptet der Fahrlehrer.
Jetzt der Zwiespalt: dem Mann die Laune verderben und im Anschluss vermutlich auch mir selbst? Die ohnehin schon zähe Theoriestunde noch verlängern, einen Konflikt riskieren – oder einfach schweigen? Ich entscheide mich für die Intervention: »Sorry, aber das ist nicht richtig.«
Dann passiert etwas Überraschendes
Selbstverständlich widerspricht der Fahrlehrer sofort und vehement. Ich erkläre, dass die Studienlage glasklar ist: Ein Elektroauto ist immer besser fürs Klima , selbst dann, wenn man einen noch intakten Verbrenner damit ersetzt (manchen ist das so unangenehm, dass sie entsprechende Studien unter Verschluss halten). Der Fahrlehrer knurrt (»irgendwelche Studien mögen das sagen, aber …«). Ich stelle mich auf eine frustrierende Diskussion ein.
Dann aber passiert etwas Unerwartetes.
Jemand, der beruflich viel Zeit in Autos verbringt, hat Zahlen parat: Nach 20.000 bis 30.000 Kilometern sei der durch die Herstellung des E-Autos entstandene CO₂-Ausstoß in der Tat bereits ausgeglichen – das stimmt . Ein weiterer Fahrschüler stimmt zu: Die Sachlage sei tatsächlich klar, das E-Auto eindeutig überlegen.
Der Fahrlehrer wendet erwartungsgemäß ein, das hänge aber ja davon ab, wie der Strom hergestellt wird, mit dem das Auto geladen wird, »und woher kommt der Strom??« Als ich ihm verrate, dass in Deutschland bereits 60 Prozent der Last erneuerbar erzeugt wird , ist er erkennbar verblüfft. Erbitterte Gegner der sauberen Elektrifizierung sind oft besonders schlecht informiert.
Dann zaubert der Fahrlehrer ein bei Freunden des CO₂-Motors beliebtes Argument hervor: den »Raubbau an der Natur«, wegen der in E-Auto-Akkus verbauten Mineralien. Da meldete sich ein weiterer Mann mittleren Alters zu Wort: Ob ihm, dem Fahrlehrer, klar sei, wie viel »Raubbau an der Natur« bei der Förderung von Öl betrieben werde? Tatsächlich werden zwar Millionen Tonnen von Mineralien für saubere Energie und Batterien gebraucht – aber jedes Jahr Milliarden Tonnen Öl, Gas und Kohle ausgegraben oder aus dem Boden gepumpt und verfeuert. Und haben Sie schon mal von einem Lithium-Tankerunglück gehört, das eine gigantische Umweltkatastrophe auslöst?
Trotzdem dagegen
Der Fahrlehrer, das sei hier betont, blieb durchweg höflich und freundlich, beharrte aber: »Ich bin trotzdem gegen Elektromobilität.« Dann ging es weiter mit dem Unterricht. Erleichterung machte sich breit.
Auf dem Nachhauseweg lief ich neben einer Mit-Fahrschülerin Mitte fünfzig aus Norderstedt her. Sie erzählte von ihrer Arbeit als Pflegefachkraft an einem Klinikum in Hamburg. Ich hatte es also mit der berühmten Krankenschwester auf dem Land persönlich zu tun, die so gern als Beispiel herangezogen wird, wenn es um die angebliche Unverzichtbarkeit des Verbrennungsmotors für die Fahrt zur Arbeit geht.
Als sie hörte, was ich so mache, sagte sie: »Ach, deshalb hast du dich da vorhin eingemischt.« Ich stellte mich auf ein weiteres Konfliktgespräch ein. »Das fand ich übrigens super«, sagte die Frau. Das gehe ja nun nicht, dass den jungen Leuten in der Fahrschule weiterhin dieser Blödsinn über umweltfreundliche Verbrenner erzählt werde.
Nur eine Anekdote? Weit gefehlt
Dieses Erlebnis, das sich wirklich so zugetragen hat, ist selbstverständlich nicht repräsentativ. Es zeigt aber, dass es sich lohnt, öffentlich zu widersprechen, wenn jemand wieder einmal profossile Desinformation verbreitet.
Diejenigen, die ständig von sich behaupten, sie seien die »schweigende Mehrheit«, sind erstens in der Minderheit, und zweitens schweigen sie eben nicht. Die echte schweigende Mehrheit sind die Leute, die dann nicht widersprechen. Das mag auch daran liegen, dass man Streit mit denjenigen, die den Unsinn verbreiten, meist lieber vermeiden möchte.
An dieser Stelle die Antwort auf die eingangs gestellte Quizfrage: Global kommen, in einer Vielzahl von Studien mit vielen Zehntausend Befragten rund um die Erde, verlässlich ähnliche Ergebnisse heraus: An die oder sogar mehr als 80 Prozent sind der Meinung, dass ihr eigenes Land mehr gegen die Klimakrise tun sollte.
Ein paar konkrete Ergebnisse:
Dem »Edelman Trust Barometer« von 2023 zufolge sagten im Durchschnitt 93 Prozent der Befragten in 14 Ländern, darunter China, Indien, die USA und Deutschland: »Der Klimawandel stellt eine ernste und akute Bedrohung für den Planeten dar.«
In einer im April 2025 publizierten Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit 40.000 Befragten sagten 82 Prozent in reichen Ländern und sogar 88 Prozent in Wachstumsnationen wie China oder Indien, ihr eigenes Land solle »Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels ergreifen«.
In einer 2024 erschienenen, in »Nature Climate Change« publizierten Studie mit knapp 130.000 Befragten, repräsentativ für mehr als 90 Prozent der Weltbevölkerung, forderten sogar 89 Prozent mehr Klimaschutz von der eigenen Regierung. In der gleichen Studie gaben 69 Prozent der Befragten an, sie wären bereit, ein Prozent ihres eigenen Haushaltseinkommens zur Bekämpfung des Klimawandels zur Verfügung zu stellen. Interessanterweise ist die Bereitschaft, diesen Beitrag zu leisten, in ärmeren Ländern tendenziell weiter verbreitet als in den reichsten Ländern der Erde.
Im »Peoples’ Climate Vote« des Uno-Entwicklungsprogramms (UNDP) sagten im Schnitt 80 Prozent der 73.000 Befragten in 77 Ländern, ihr eigenes Land solle »seine Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel verstärken«. In Deutschland bejahten das immerhin 67 Prozent der Befragten.
Es gibt noch viel mehr solcher Ergebnisse. Sie alle weisen in die gleiche Richtung : Die Weltbevölkerung will mehr Klimaschutz, und zwar schnell.
Hätten Sie das gedacht? Dass es global 80 Prozent und hierzulande eine Zweidrittelmehrheit für mehr Klimaschutz gibt? Falls Sie jetzt überrascht sind, hat das seinen Grund. Die bereits zitierte »Nature Climate Change«-Studie förderte auch dieses verblüffende, aber erhellende Faktum zutage: Die Leute glauben überall: Die anderen wollen nicht.
Höchst erfolgreiche Meta-Desinformation
Zwar wären, wie erwähnt, 69 Prozent weltweit bereit, ein Prozent ihres Haushaltseinkommens für Klimaschutz zur Verfügung zu stellen – aber wenn man danach fragt, wie das wohl die anderen sehen, schätzen die Befragten, dass nur 43 Prozent diese Frage bejahen würden.
Das könnte man erfolgreiche Meta-Desinformation nennen: Die Freunde der fossilen Brennstoffe sind, mit tatkräftiger Unterstützung gewisser Medien und politischer Akteure, gut darin, die tatsächliche Zustimmung zu starkem Klimaschutz kleinzureden. Das ist so wirksam wie fatal, denn soziale Normen sind ein mächtiger Faktor , wenn es um die eigene Handlungsbereitschaft geht. Wer glaubt, dass die anderen nicht wollen, handelt eher auch selbst nicht.
In der erst diese Woche erschienenen PACE-Studie der Universität Erfurt findet sich ein weiteres bemerkenswertes Datum, das in die gleiche Richtung weist: Wählerinnen und Wähler ausnahmslos aller im Bundestag vertretenen Parteien wünschen sich mehr Klimaschutz – und zwar jeweils von der Partei, die sie selbst gewählt haben. Das gilt, wenn auch marginal, sogar für die AfD. »Die Menschen hätten gern mehr politischen Ehrgeiz in Sachen Klimaschutz – und sehen aktuell nicht, dass er realisiert wird«, so die Autorinnen und Autoren.
Auch das belegen andere Studien in ähnlicher Weise: Das Vertrauen in klimafreundliches Verhalten von Politik, Institutionen, Unternehmen und anderen Ländern sinkt , während die eigene Angst vor der Klimakrise meist eher zunimmt.
Bedenkliche Trends
Die erwähnte PACE-Studie zeigt allerdings auch einen widersinnig erscheinenden Trend: So nimmt der Anteil derer, die die Klimakrise für ein akutes, menschengemachtes Problem haben, hierzulande gerade leicht ab. Das deutet darauf hin, dass Desinformation und Verzögerungstaktiken im Dienste fossiler Geschäftsmodelle bei manchen weiterhin verfangen.
Andere Befragungen bestätigen: Das Klima rückt im Bewusstsein mancher Einwohner dieses Landes nach hinten , was zweifellos mit der Vielzahl anderer Krisen, Kriege und Probleme zu tun hat – und mit einem auch politisch herbeigeführten Gefühl der Hilflosigkeit.
Ein Grund mehr, zu widersprechen, wenn mal wieder jemand Unsinn erzählt. Die Physik wird nicht darauf warten, dass wir unseren Einstellungen Taten folgen lassen.
Das sehen übrigens auch die meisten unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger so. Was wiederum unsere auf der Bremse stehende Bundesregierung, insbesondere die Wirtschaftsministerin , interessieren sollte. Die oben zitierte Studie zum »Peoples’ Climate Vote« enthält ein hochinteressantes Resultat für Deutschland: Die Frage »Wie schnell sollte Ihr Land Kohle, Öl und Gas durch erneuerbare Energien wie Wind- und Sonnenenergie ersetzen?« beantworteten hierzulande 32 Prozent mit »sehr schnell« und weitere 44 Prozent mit »recht schnell«. Nur 16 Prozent antworteten »langsam« und nur 6 Prozent »gar nicht«.
Das ist eine Dreiviertelmehrheit für eine zügige Energiewende. Aber wir haben es eben mit fossilen Profitinteressen zu tun. Und mit einer lautstarken Minderheit, die bremsen will.
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