Südkurier hier Michael Schnurr
Kein Bahn-Tunnel am Bodensee: Regionalverband erteilt Milliarden-Vorschlag klare Absage
Die Bodenseegürtelbahn könnte teilweise durch den Untergrund führen: Diese Idee hat die Gemeinde Sipplingen ins Gespräch gebracht. Der Plan ist aber teuer, unsicher und würde die Elektrifizierung der Strecke verzögern.
Die Bodenseegürtelbahn zwischen Sipplingen und Überlingen fährt mit Dieselloks. Bahn, Land, Regionalverband und Kreis arbeiten an der Elektrifizierung. Nun bringt die Gemeinde Sipplingen eine unterirdische Streckenführung ins Gespräch, damit hier keine Oberleitungsmasten stehen.
Die geplante Elektrifizierung der Bodenseegürtelbahn hat den Sipplinger Gemeinderat immer wieder beschäftigt. Und immer hat er sich dafür ausgesprochen, die dieselbetriebene Bahn durch eine alternative Antriebsform zu ersetzen. Doch wie dieses Dieselloch zwischen Radolfzell und Friedrichshafen zu schließen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Während sich die Deutsche Bahn, das Land, der Bodenseekreis und der Regionalverband für eine Elektrifizierung mit Oberleitungsmasten aussprechen und entsprechende Planungen seit vielen Jahren vorantreiben, wehren sich die Sipplinger gegen diese Variante. Vor allem fürchten sie, dass die Masten für die Oberleitungen den ungetrübten Blick von der Seestraße über den Bodensee auf den bewaldeten Bodanrück stören würden. Sie befürchten Nachteile im Tourismus. Eine unterirdische Streckenführung, wie sie die Gemeinde kürzlich aufgrund eines Gutachtens in die Diskussion brachte, haben die Deutsche Bahn, das Land und der Regionalverband jetzt abgelehnt.
Zweimal hatte die Fachhochschule Nordwestschweiz Studien erarbeitet, in denen es darum ging, batteriebetriebene Antriebsformen für Züge zwischen Radolfzell und Friedrichshafen einzusetzen. Entsprechende Studien kamen zum Ergebnis, dass der Einsatz technisch möglich ist. Dieses Vorhaben wurden von Bahn und Regionalverband aber abgelehnt.
Regionalverband sieht Nachteile für überregionale Anbindung
Unlängst schrieb Wolfgang Heine, Vorsitzender des Regionalverbandes, dem SÜDKURIER: „Für die Bodenseegürtelbahn (…) strebt das Land die Elektrifizierung an und keine Hybridlösung, zumal es sich (…) um Lückenschlüsse zum elektrifizierten Netz handelt. Auf der Bodenseegürtelbahn soll ja nach der Elektrifizierung auch wieder der IRE Ulm-Basel fahren und je länger solche durchgehenden Verbindungen sind, um so nachteiliger sind die Hybridlösungen.“
Nun hat die Fachhochschule Nordwestschweiz im Auftrag der Gemeinde Sipplingen für 1500 Euro eine weitere Studie erarbeitet. Drei Studierende haben sich mit dem „Vergleich zwischen der bestehenden, derzeit nicht elektrifizierten Strecke über Salem, einer Elektrifizierungs- und Ausbauvariante dieser Trasse gemäß Planungen der Deutschen Bahn sowie einer neu geplanten Streckenführung mit zwei Tunnelabschnitten über Meersburg“ befasst, wie es in der Vorlage für die Sitzung des Gemeinderats Sipplingen hieß.
Bericht zum Tunnel-Projekt jetzt öffentlich
Der 56 Seiten umfassende Projektbericht unter dem Titel „Neue Bodenseegürtelbahn“ lag zur Ratssitzung am 5. Juni zunächst nur den Gemeinderäten vor. Er wurde in einer überarbeiteten Version vom 12. Juni schließlich am 23. Juni ins Ratsinformationssystem eingestellt.
Verfügbar war in der Ratssitzung am 5. Juni indes die Zusammenfassung des Sipplinger Diplom-Ingenieurs Leonard Widenhorn, der die Studie selbst angeregt, mit beauftragt und betreut hatte. In dieser Schlussfolgerung heißt es: „Es zeigt sich beim Vergleich, dass die neue Strecke höhere Investitionen erfordert, aber das Potenzial für den ökonomischen Rückfluss deutlich höher als beim Ausbau der alten Strecke ist.“ Zudem wird für die Tunnellösung positiv auf „höhere Fahrgeschwindigkeiten, höhere Taktraten sowie deutliche Verkürzung der Fahrzeiten als die bestehende Streckenführung“ sowie „die ökologischen Vorteile durch frei werdende Gleistrassen und unterirdische Strecken“ hingewiesen.
Die Studierenden hatten die verschiedenen Entwürfe „hinsichtlich ihrer Investitions- und Betriebskosten sowie ihres potenziellen regionalökonomischen Nutzens analysiert“, den sie modellhaft errechneten.
Studenten sehen Tunnellösung selbst kritisch
Sie kommen in der Zusammenfassung ihrer jetzt vorliegenden Studie zu einer etwas anderen Schlussfolgerung: „Insgesamt deutet die Analyse darauf hin, dass der Ausbau und die Elektrifizierung der bestehenden Strecke aktuell die wirtschaftlich robustere und planungssicherere Option darstellen.“ Zwar biete „die neue Trassenführung (…) ein größeres verkehrliches und wirtschaftliches Entwicklungspotenzial“, sei jedoch mit erheblich höheren Investitionskosten und Unsicherheiten verbunden. Wörtlich heißt es: „Besonders die Tunnelbaukosten sowie die ungenaue geologische Datenlage führen zu einem erhöhten finanziellen Risiko. Auch der Nutzen lässt sich derzeit nur unter optimistischen Annahmen abschätzen.“
Mit Bezug auf diese Einschätzung der Studenten kommt der Regionalverband deshalb in einem Schreiben an den SÜDKURIER zu dem Ergebnis: „Der Regionalverband sieht in Übereinstimmung mit DB InfraGo und dem Landesverkehrsministerium in dem Vorschlag der Gemeinde Sipplingen beziehungsweise des Projektberichtes vom 12. Juni 2025 keinen gangbaren und erfolgversprechenden Weg. Der Projektbericht selbst stellt seine Ergebnisse infrage.“ Man werde diesen Ansatz nicht weiter verfolgen, der eine erhebliche Verzögerung einer elektrifizierten Verbindung zwischen Radolfzell und Friedrichshafen zur Folge hätte und für den zudem keine Chance auf eine Finanzierung bestünde.
In Markdorf und Meersburg liegt die Studie noch nicht vor
Der Bürgermeister von Markdorf, Georg Riedmann, will sich zu dem Projekt nicht äußern – Markdorf würde bei der unterirdischen Streckenführung ebenso wie Salem von der Bodenseegürtelbahn abgekoppelt. Von Meersburgs Bürgermeister Robert Scherer ging keine Stellungnahme ein. Ebenso wie der Stadt Markdorf liegt auch Meersburg die Studie bis heute nicht vor.
Bahnhof in Sipplingen würde geschlossen
Ob die vorgeschlagene Tunnellösung bei den Sipplinger Bürgern letztlich auf Gegenliebe stoßen würde, wäre ebenso fraglich: Die vorgeschlagene und untersuchte Streckenführung sieht keinen Bahnhof in Sipplingen vor. Bei einer Tunnellösung müssten sie Sipplinger zukünftig also entweder nach Ludwigshafen oder zum Westbahnhof in Überlingen fahren, um einen Zug besteigen zu können.
Ein spannender Ansatz, von dem man unbedingt mehr erfahren sollte!
So ohne Grundlagen sieht der Vorschlag sehr abenteuerlich-verwegen aus: ich sehe die Bahnstrecke Salem-Friedrichshafen noch lange nicht als zukünftigen Radweg. Dafür fahren zu viele Menschen täglich auf dieser Strecke. Es gibt nicht nur den Tourismus im Bodenseeraum, über den man sich Gedanken machen muss, es gibt auch viele Pendler, die den Weg zur Arbeit bewältigen müssen.
Mir scheint mir auch die Aussage vom "zusätzlichen Bevölkerungswachstum mit größerem Steueraufkommen" noch ziemlich nebulös....Und dann: wie schlagen sich 20 km Tunnel auf die CO2-Bilanz nieder?
Südkurier hier Holger Kleinstück
Tunnel für die Bodenseegürtelbahn: Laut Studie wäre das für 1,5 Milliarden Euro möglich
In großen Dimensionen denkt eine Studie, die im Gemeinderat Sipplingen vorgestellt wurde. Für viel Geld könnten eine neue Trasse mit Tunneln gebaut werden und neue Möglichkeiten für die Region entstehen.
Kommt die Bodenseegürtelbahn, hier in Sipplingen, unter die Erde? Der Gemeinderat von Sipplingen ist von einer entsprechenden Studie durchaus angetan, wohl wissend, dass die Kosten für die Lösung rund 1 Milliarde Euro höher sind als die angedachte Elektrifizierung.
Mit der Bahn auf einer neuen Strecke von Sipplingen über Meersburg, Hagnau und Immenstaad, dies durch zwei Tunnel von insgesamt 22 Kilometern Länge – Zukunftsplanung aus dem Reich der Fantasie? Nicht für den Gemeinderat von Sipplingen, in dessen jüngster Zusammenkunft die Fachhochschule Nordwestschweiz eine entsprechende Studie zur Zukunft der Bodenseegürtelbahn vorstellte. Die Hochschule war mit der Idee der Studie auf die Gemeindeverwaltung zugekommen, Bürgermeister Oliver Gortat hatte diese daraufhin beauftragt.
Bürgermeister Oliver Gortat fasste zusammen: „Die Studie zeigt vorbildlich, wie wichtig es ist, dass die Verantwortlichen über den Tellerrand hinausblicken und auch Möglichkeiten vollkommen neu denken.“ Und weiter: „Insbesondere die Zufügung der Tunnel bringt wirtschaftliche und touristische Nutzen.“ Klaus Eisele von der Fachhochschule, der ebenso als technischer Berater fungierte wie Leonhard Widenhorn aus Sipplingen, sagte: „Eine Grundlage, um eine gute Diskussion zu entfachen.“
Gemeinde will Diskussion um Trasse neu entfachen
Die knapp 60 Kilometer lange Bodenseegürtelbahn ist aktuell weitgehend eingleisig und nicht elektrifiziert. Kapazitätsengpässe, niedrige Geschwindigkeiten, eine mögliche Verunstaltung der Landschaft fürs Auge durch die Elektrifizierung und verkehrstechnische Probleme veranlassten die Gemeinde Sipplingen, eine neue Trassenführung für die Bahn in Betracht zu ziehen.
Laut der Studie belaufen sich die jährlichen Kosten für die aktuelle Strecke mit Dieselbetrieb zwischen Ludwigshafen und Friedrichshafen über Salem auf 33 Millionen Euro. Die Kosten für Ausbau und Elektrifizierung der Strecke ohne neue Leittechnik und Lokomotiven werden auf grob 650 Millionen Euro beziffert. Eine neue Strecke mit Tunneln erfordere zwar mit rund 1,5 Milliarden Euro dreimal höhere Investitionen, „aber das Potenzial für den ökonomischen Rückfluss ist deutlich höher als beim Ausbau der alten Strecke“, wie es in der Zusammenfassung des Abschlussberichtes heißt.
Züge würden schneller und öfter fahren
Die neue Strecke ermögliche durch den zweigleisigen Ausbau, die Elektrifizierung und eine gerade Streckenführung höhere Geschwindigkeiten, einen engeren Takt sowie deutlich verkürzte Fahrzeiten. Die ökologischen Vorteile durch frei werdende Gleistrassen und unterirdische Strecken lägen auf der Hand; die Lösung der Verkehrsprobleme entlang des Bodensees werde dadurch wahrscheinlicher.
Investition soll sich nach 30 Jahren amortisiert haben
Die technischen Berater für die Studie empfahlen daher, den Neubau der Strecke in die politische Diskussion einzubringen und die anliegenden Gemeinden davon zu überzeugen. Mit der Tunnellösung kämen mehr Touristen, ließen sich durch zusätzliche Haltestellen mehr Tickets verkaufen, folge ein Bevölkerungswachstum sowie ein höheres Steueraufkommen. Dadurch amortisiere sich die Investition nach 30 Jahren, wie Widenhorn dem SÜDKURIER mitteilte. „Deshalb besser eine Tunnellösung für 1,5 Milliarden Euro, die sich nach 30 Jahren bezahlt macht, als eine reine Elektrifizierungslösung, die sich nie bezahlt macht.“
Gemeinderat Martin Kitt (DBS) machte deutlich, dass die Bodenseegürtelbahn ihrem Namen bislang nicht gerecht werde: Die Strecke verlaufe nicht wie ein Gürtel um den Bodensee, sondern zweige in Uhldingen-Mühlhofen ab und führe über Salem seefern Richtung Friedrichshafen. Gerade für touristisch stark geprägte Orte wie Meersburg, Hagnau oder Immenstaad brächte eine attraktive Bahnanbindung in Form einer Tunnellösung einen erheblichen Mehrwert. „Eine solche Verbindung würde nicht nur die Erreichbarkeit für Gäste deutlich verbessern, sondern auch helfen, den Autoverkehr rund um den See zu reduzieren, was wiederum der Umwelt und der Lebensqualität vor Ort zugutekommt“, sagte Kitt gegenüber dem SÜDKURIER. Der Gemeinderat regte in der Sitzung an, diese Gemeinden frühzeitig in den politischen Diskussionsprozess einzubinden und das Thema auch auf Kreisebene nochmals umfassend zu beleuchten.
Neuer Bodenseeradweg auf der alten Trasse
Auch Gemeinderat Clemens Beirer (CDU) griff Vorteile einer Tunnellösung für die Region auf, wohl wissend, dass eine Milliarde Euro Mehrkosten gegenüber der Elektrifizierung der Bodenseegürtelbahn nach aktuellem Stand in naher und mittlerer Zukunft nicht tragbar seien. „Politischer Wille vorausgesetzt, wäre dies natürlich möglich, mit all den Vorteilen, die eine Tunnellösung mit sich bringt“, teilte er auf Nachfrage mit. Bei der Umsetzung des Konzepts sieht Beirer die Möglichkeit für einen leistungsfähigen Radweg entlang des Bodensees auf der bisherigen Strecke der Bahn – und dadurch die Entschärfung von Gefahren- und Engstellen auf dem aktuellen Bodenseeradweg. Auch rechnet er mit einer Reduzierung des Autoverkehrs, weil der Nahverkehr von Pendlern und Gästen stärker genutzt werde.
Lärmbelastung durch Güterverkehr würde reduziert
Clemens Beirer wies zudem darauf hin, dass der Güterverkehr schneller den Bodenseebereich passieren könnte und dadurch die Lärmbelastung sinke. Schon jetzt verursache die Elektrifizierung der Gürtelbahn zwischen Friedrichshafen und Lindau mehr Lärm durch Güterverkehr. Güterzüge würden im Falle der Elektrifizierung auch in der Nacht fahren und brächten dann „einen erheblichen Verlust an Lebensqualität mit sich“. Bei einer Tunnellösung würde sich der Eingriff in Gebiete, die unter Natur- und Landschaftsschutz gestellt sind, auf ein Minimum reduzieren. „Diese Vision kann nur durch eine politische Entscheidung verwirklicht werden“, teilte Clemens Beirer mit.
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