Job in der Industrie statt auf dem Acker
Wenn Manuel Gessler auf seinem Feld in Hirschlatt steht, fühlt er sich wohl. Gut 20 Hektar ist das Areal groß: Dort, wo links die Kirschbäume stehen und rechts die Apfelbäumchen. Noch scheint es, als wäre alles beim Alten. Doch hier könnte es bald ganz anders aussehen. Vielleicht. In einigen Jahren. Denn wo es heute grünt, könnten morgen Gewerbebauten entstehen. Doch der Reihe nach.
Wenn Manuel Gessler danach gefragt wird, wie lange seine Familie bereits in der Landwirtschaft tätig ist, schaut er nach oben und beginnt zu rechnen. Dann senkt er den Kopf und sagt: „Ganz genau weiß ich es nicht. Aber 400 Jahre sind auf jeden Fall belegt.“ ....
„Mein Vater war der Letzte von uns, der noch in Vollzeit Landwirt war.“ Der Wandel hat bereits begonnen. Der Sohn kümmert sich noch um die Kirschen. Die Apfelbäumchen und auch Teile des Hofs nebenan sind längst vermietet. Hauptberuflich arbeitet der 39-Jährige als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender einer großen Firma in Tettnang. „Nur von der Landwirtschaft zu leben, das ist härter geworden als früher.“ Lohnkosten, Auflagen, Preisdruck: Letztlich hat sich Manuel Gessler dazu entschieden, in der Industrie zu arbeiten.
Regelungen im Regionalplan
Jetzt könnte die Industrie – oder sonstiges Gewerbe – sogar zu den Gesslers kommen. Denn die Felder sind markiert in einer Karte des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben. Dessen Regionalplan legt für die Landkreise Sigmaringen, Ravensburg und Bodenseekreis fest, wo in den nächsten Jahrzehnten Häuser gebaut werden könnten. Wo die Natur geschützt wird – und wo Gewerbegebiete entstehen dürfen. Gesslers Felder sind grau gestreift. Grau steht für ein Gewerbegebiet.
Manuel Gessler nimmt einen Schluck Wasser. „Irgendwann im Jahr 2018 habe ich erfahren, dass unser Areal als Potenzialfläche gilt.“ Ein Bekannter habe ihn gefragt, ob er seine Felder verkauft hat. Das war nicht der Fall. „Schon witzig. Da plant jemand mit deinem Land und fragt dich nicht als Besitzer.“ Böse ist Gessler niemandem. Er findet es tatsächlich so, wie er es sagt: witzig.
... „Die Festlegungen von Vorranggebieten für den Wohnungsbau oder für Industrie und Gewerbe finden unabhängig von der Frage statt, wem ein Grundstück gehört“, schreibt Heine auf Anfrage dieser Zeitung. Weiter führt er aus: „Grundstückseigentümer können im Anhörungsverfahren zum Regionalplan, der auch öffentlich einsehbar ist, als Privatperson Stellung nehmen, ebenso die jeweilige Kommune als Trägerin öffentlicher Belange.“
Der Gemeinderat der Stadt Friedrichshafen, zu der das Dorf Hirschlatt gehört, hat sich gegen ein Gewerbegebiet nahe dem Dörfchen ausgesprochen, Manuel Gessler hat darüber in der Zeitung gelesen. Auf den aktuellen Regionalplan hatte das bislang keinen Einfluss (Weshalb dann also der Hinweis von Hr. Heine auf eine mögliche Stellungnahme?). Doch enteignet werden könnte der Landwirt wohl eher nicht. Regionalplaner Heine schreibt dazu: „Enteignungen spielen insbesondere im Verkehrsbereich eine Rolle, wenn die Nichtverfügbarkeit eines Grundstücks einem zu realisierenden und im öffentlichen Interesse stehenden Verkehrsprojekt im Wege steht.“ Soll heißen: Wenn Manuel Gessler die Felder nicht verkaufen möchte, entsteht hier kein Gewerbegebiet. Doch würde er?
„Das kann ich noch nicht entscheiden“, gibt er zurück. ....
So geht es weiter
Der Regionalplan Bodensee-Oberschwaben wurde noch nicht verabschiedet. Das hätte bereits im Jahr 2022 geschehen sollen. Für die Prüfung des Regionalplans ist das Ministerium für Landesentwicklung zuständig. Warum bislang noch nichts passiert ist, beantwortet ein Sprecher auf Anfrage: „Das MLW führt im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eine umfassende Rechtsprüfung durch.“ Das Verfahren sei komplex, die Prüfung nehme ein großes Zeitfenster in Anspruch. „Ein weiterer Grund hierfür ist auch das große öffentliche Interesse am Regionalplan“, so der Sprecher weiter. Zahlreiche Anfragen an das Ministerium binden „erhebliche Kapazitäten“. Wann genau wird der Plan also verabschiedet? Das weiß auch der Sprecher nicht.
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