Dienstag, 16. Januar 2024

Atomkraft: Großbritannien plant mit teurem Strom

Immer wieder dieselbe Diskussion aus der Mottenkiste. Es wird teuer für die Menschen und für die Staaten.

hier  FR  Artikel von Joachim Wille  • 15.1.24 

Sunaks Regierung will die Atomenergie ausbauen – von finanziellen Problemen lässt sie sich nicht abschrecken.

Großbritannien war einst ein Vorreiterland der Atomenergie. Im Oktober 1956 ging hier das erste Kernkraftwerk in einem westlichen Land ans Netz. Nach einem starken Ausbau bis 1995 ist die AKW-Flotte wegen Abschaltungen inzwischen stark geschrumpft, und die Regierung in London will laut einer aktuellen Ankündigung mit dem „größten Ausbau der Kernkraftkapazitäten seit 70 Jahren“ gegensteuern. Ob das angesichts der hohen Kosten neuer Reaktoren realistisch ist, halten Fachleute allerdings für fraglich.

In Großbritannien werden derzeit noch neun AKW-Blöcke an vier Standorten betrieben. Von der historisch maximal erreichten Kapazität von 15,7 Gigawatt (GW) ist inzwischen mehr als die Hälfte wieder stillgelegt worden.

Im Jahr 2023 betrug der Atomstrom-Anteil nur noch 15 Prozent. Aktuell ist sogar rund die Hälfte der noch laufenden Reaktoren ausgefallen und produziert keinen Strom. Sie gingen laut dem Betreiber, dem französischen Energiekonzern EDF, aufgrund technischer Probleme unplanmäßig vom Netz, und das mitten im Winter.

Die jetzt von der Regierung in London verkündete Atomkraft-„Roadmap“ sieht vor, die aktuelle Gesamtkapazität von rund sechs GW bis 2050 auf 24 GW hochzufahren, also in etwa zu vervierfachen. Neben der derzeit ist im Bau befindlichen Doppel-AKW-Anlage Hinkley Point C im Südwesten Englands und dem geplanten Neubau Sizewell im Südosten wird geprüft, ob ein drittes großes AKW errichtet werden soll, dass nach den Angaben Strom für sechs Millionen Haushalte liefern könnte; der Standort dafür ist noch offen. Des Weiteren plant London den Bau von Klein-AKW, sogenannten Small Modular Reactors (SRM). Aktuell läuft ein Wettbewerb, in dem das beste und preiswerteste Modell dafür ermittelt werden soll.

Großbritannien: Sunak hält Atomkraft für „das perfekte Gegenmittel“

Der britische Premierminister Rishi Sunak sagte zur Begründung der AKW-Ausbaupläne, die Nuklearenergie sei das „perfekte Gegenmittel gegen die Energieherausforderungen, denen Großbritannien gegenübersteht. Sie ist grün, langfristig günstiger, und sie wird die britische Energiesicherheit langfristig garantieren.“ Auf die Bauzeitverlängerung und Kostenexplosion beim Bau von Hinkley Point C geht London in der Roadmap nicht direkt ein. Es heißt darin nur, der Bauherr EDF solle sich verstärkt um das Projekt kümmern, damit dort noch in diesem Jahrzehnt Strom produziert werden kann. Hinkley Point C sollte nach dem ursprünglichen Plan jetzt schon am Netz sein, nach aktuellem Stand wurde die Inbetriebnahme nun aber auf den Juni 2027 (C1) respektive Juni 2028 (C2) verschoben.

Die Regierung Sunak lässt sich von den hohen Kosten der Atomkraft-Strategie offenbar nicht beeindrucken. Wie teuer sie für die Stromkundinnen respektive die Steuerzahler wird, machte jetzt eine Berechnung des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR) deutlich. Danach werden die Kosten für den von Hinkley Point C erzeugten Strom zum geplanten Start ab 2027 deutlich höher als umgerechnet 15 Cent pro Kilowattstunde liegen – und damit weit über dem Markt-Strompreis.

Die Regierung in London hatte mit dem Bauherrn EDF vor der Investitionsentscheidung einen Mindest-Vergütungspreis von 10,3 Cent pro Kilowattstunden vereinbart, der mit der britischen Inflationsrate steigt und für 35 Jahre garantiert wird. Geregelt wurde das in einem Vertrag, genannt „Contract for Difference“ (CFD). Liegt der jeweilige aktuelle Markt-Strompreis an der Börse darunter, dann müssen die britischen Stromkund:innen die Differenz tragen.

Experte zu Atomkraft in Großbritannien: Möglicherweise spielen Kostenerwägungen nur eine kleine Rolle“

Der Mindest-Vergütungspreis ist im „CFD-Register“ laut IWR bereits 2023 auf 14,8 Cent gestiegen, ein Kostensprung um über 43 Prozent. Doch die Preisspirale dürfte weiterlaufen, denn allein unter der Annahme einer Inflationsrate von drei Prozent pro Jahr und ohne weitere Bauverzögerungen würde der Strompreis bei Hinkley Point C1 bei Inbetriebnahme im Juni 2027 bereits auf 16,7 Cent steigen.

Die Einspeisevergütung für das Groß-AKW liegt damit deutlich über den garantierten Vergütungen, die in Großbritannien und europaweit für erneuerbare Energien gezahlt werden; teilweise werden Wind- und Solar-Kraftwerke hier bereits auch ohne solche Hilfen errichtet. In Großbritannien betrug der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung 2023 bereits deutlich über 40 Prozent.

IWR-Direktor Norbert Allnoch sagte zu den Perspektiven der Atomkraft auf der britischen Insel, möglicherweise spielten Kostenerwägungen hier nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Nagelprobe komme mit der noch nicht erfolgten Investitionsentscheidung für Sizewell C. „Private Investoren sind vermutlich außen vor, es sei denn der Staat übernimmt die finanziellen Risiken komplett“, sagte Allnoch der FR. Das gelte wahrscheinlich auch für die Mini-AKW. Der Experte verwies darauf, dass in den USA ein SMR-Vorzeigeprojekt des Unternehmens Nu-Scale nach einer Kostenexplosion wegen fehlender privater Investoren gescheitert ist. Das zeige, „dass nur staatliche Stellen solche Atomkraftwerke bauen können und dann auch die Risiken übernehmen müssen“.

Atomkraft: Hinkley Point C wird noch später fertig als geplant

AKW-Betreiber EDF prüft unterdessen, die in diesem Jahrzehnt noch geplante Abschaltung von vier älteren Reaktoren um zwei oder mehr Jahre zu verschieben, um „die drohende Lücke in der britischen Kernenergieversorgung gegen Ende des Jahrzehnts zu schließen“, wie der britische „Guardian“ schrieb. Das könnte laut IWR darauf hindeuten, dass Hinkley Point C noch später als jetzt geplant fertig wird. Ob eine Laufzeitverlängerung für die Alt-AKW möglich ist, hängt maßgeblich vom Zustand der Graphitkerne dieser gasgekühlten Reaktoren und den darin festgestellten Rissen ab. EDF will die Entscheidung zur Verlängerung bis Ende 2024 treffen. Die Kosten dafür und für längere Laufzeiten beim neueren Reaktor Sizewell B sollen umgerechnet 1,5 Milliarden Euro betragen.

Die Präsidentin des deutschen Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), Simone Peter, kommentierte die neuen Strompreis-Prognose zu Hinkley Point C so: „Atomenergie demontiert sich weiter selbst und wird dabei zu einem teuren Alptraum für Verbraucherinnen und Verbraucher, Staaten und Unternehmen.“ Das britische AKW werde die Strompreise in Großbritannien über Jahrzehnte nach oben schieben. Wind und Sonne produzierten dagegen größtenteils für deutlich unter zehn Cent pro Kilowattstunde. Jetzt müsse es darum gehen, in Europa das gesamte Stromsystem auf die Bedürfnisse der erneuerbaren Energien auszurichten. „Förderungen von Atomkraft passen hier nicht mehr dazu“, sagte Peter.

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