Spiegel hier Ein Kommentar von Maria Marquart 22.01.2024
Bauernpräsident Joachim Rukwied hat sich mit seinem Fokus auf den Agrardiesel verrannt. Es geht längst um mehr. Wenn die Landwirte wirklich etwas bewegen wollen, müssen sie jetzt zurück auf den Hof – und woanders ansetzen.
Wer in diesen Tagen die Grüne Woche in Berlin besucht, könnte den Eindruck gewinnen, die deutsche Landwirtschaft stehe vor einer vielversprechenden Zukunft: Begeisterte Kinder erklimmen gigantische Traktoren, die mit Pflanzenöl fahren können. Ein paar Meter weiter steht ein solarbetriebener Feldroboter. Tierschützer und Bauernvertreter sind sich in herzlichem Du verbunden.
Draußen aber, jenseits der Berliner Messehallen, gehen die Proteste in die dritte Woche. Bauernpräsident Joachim Rukwied droht damit, dass es so lange Aktionen geben werde, bis die Regierung »eine angemessene Lösung beim Agrardiesel« vorlege.
Dabei ist der Lobbyist gefangen im eigenen Protest: Er hat einen Bauernaufstand ausgerufen, aus dem er selbst kaum noch unbeschadet herauskommt. Denn Rukwied muss den Landwirten klarmachen, dass sie Veränderungen nicht mehr mit Traktoren aufhalten können. Dass Tierwohl und Klimaschutz keine Hirngespinste der Grünen sind. Es ist an der Zeit, die Traktoren auf den Höfen zu lassen und an einer Lösung mitzuarbeiten.
Ja, die Landwirte hatten gute Gründe zu protestieren. Die Regierung wollte einer Gruppe, die sich eh schon unverstanden fühlt, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mehr als 900 Millionen Euro streichen . Inzwischen ist die Ampel deutlich zurückgerudert, aber es bleibt eine kommunikative Katastrophe. Zugleich lässt die Koalition alle Transformationskonzepte für eine nachhaltige Landwirtschaft seit Jahren in den Schubladen ihrer Ministerien verstauben. Pläne, die Agrarverbände, Umwelt- und Tierschutzorganisationen, Handel und Wissenschaft zusammen erarbeitet haben .
Weil die Regierung so lange kein Konzept vorgelegt hat, sind wieder jene Agrarnetzwerke stärker geworden, die den Bauern einreden, man könne Veränderung mit Lautstärke aufhalten.
Ein Fehler dabei: Viele Bauern bleiben lieber unter sich. Dabei müssten sie mit denen ins Gespräch kommen, die sie für ihre Zukunft brauchen: die Bürger und Verbraucher. Dann kommt auch die Politik nicht an ihnen vorbei.
Es gibt sogar eine gemeinsame Ebene: Die Sorge, dass die anstehende Transformation alle überfordert. Was für die Bürger Heizungsgesetz, E-Autowende und der Verzicht auf den Sonntagsbraten sind, ist bei den Landwirten die komplizierte Düngeverordnung, der Umstieg auf emissionsarme Maschinen und der teils unfreiwillige Ausstieg aus der Tierhaltung.
Mit Traktoren kann man Druck auf Politiker aufbauen, Lärm machen und Straßen versperren. Das Verständnis und die Herzen der Menschen gewinnt man so auf Dauer nicht. Diese Form des Protests wird sich abnutzen, die Leute werden genervt sein.
Viele Bürger fragen sich, warum ein Berufsstand für klimaschädliche Subventionen protestiert, wenn er es sich leisten kann mit Traktoren im geschätzten Wert von mehr als einer Milliarde Euro in die Hauptstadt zu rollen und dabei Tausende Liter Diesel zu verbrennen.
Die Bauern sollten die Menschen stattdessen auf die Höfe einladen, auch wenn dort noch kein Vorzeigestall steht. Sie sollten von EcoSchemes, Roten Gebieten, GLÖZ-Standards und der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung erzählen. Umgekehrt können die Städter vom Spagat zwischen Homeoffice und Büro erzählen oder von Bemühungen, sich im Mehrparteienhaus auf eine Balkonsolaranlage zu einigen.
Die Veränderungen fordern eben alle heraus.
Wir können uns das leisten, wenn alle mitmachen
Längst nicht jeder Landwirt will und schafft den Wandel. Auf den Höfen stehen Kühe oftmals noch angebunden im Stall, die alte Unkrautspritze rumpelt übers Feld, und es herrscht Angst vor der Zukunft.
Doch die Chance ist jetzt da, den Menschen zu erklären, warum viele Landwirte solche Angst haben vor der Transformation. Dieser abstrakte Begriff bedeutet: sich mit einem neuen Stall 20 oder 30 Jahre Schulden aufzuhalsen, ohne zu wissen, ob er den Anforderungen in zehn Jahren noch genügt. Einen Businessplan zu entwickeln und Höfe komplett neu aufzustellen. Teils gegen den Willen der Eltern all das über Bord zu werfen, was diese mal voller Überzeugung aufgebaut haben.
Anderen Landwirten kann es nicht schnell genug gehen mit der Transformation. Sie haben längst Ideen und Konzepte und können sie nicht umsetzen, weil Fördermittel fehlen oder sie an veralteten Vorschriften scheitern.
Es gibt also unterschiedliche Ausgangslagen für den Frust. Allen Landwirten ist gemein, dass sie ein Zukunftskonzept vermissen. Darum hat Bauernpräsident Rukwied es geschafft, so viele von ihnen auf die Straße zu holen – egal ob bio oder konventionell, Groß- oder Kleinstbetriebe. Die Macht der Traktoren hat gewirkt, die Ampel hat einen Teil der Kürzungen ganz einkassiert, der Rest der Streichungen soll stufenweise erfolgen.
Was jetzt noch übrig ist, kann die Landwirtschaft verkraften. Zugleich muss aber Geld in zukunftsgerichtete Projekte fließen. Ohne staatliche Unterstützung geht es nicht, vor allem für Tierhalter. Die gute Nachricht aus der Wissenschaft lautet: Wir können uns das leisten, wenn alle mitmachen. Nachhaltigkeit bedeutet nicht, dass gute Nahrungsmittel unbezahlbar werden und die Landwirtschaft in Deutschland stirbt.
Aber es wird ungemütlich: Kleine Höfe werden nur mit einer rentablen Geschäftsidee überleben, die Zeit des Vor-sich-hin-Produzierens ist vorbei. Tierhalter stehen unter Beobachtung, weil ihr Produkt Lebewesen sind. Vermarktungsstrategien sind gefragt, kein staatliches Eingreifen wird eine Preishängematte garantieren. Subventionen für Umweltleistungen sind kein Almosen, sondern eine wichtige Leistung fürs Gemeinwohl.
Und Verbraucher müssen vermeintliche Gewissheiten über Bord werfen: Große Höfe sind nicht automatisch Tierquälerei. Bauern sind keine hohlen Subventionsempfänger. Der Anteil der Akademiker auf den Höfen steigt kontinuierlich. Landwirtschaft ist komplex.
Der Traktorenprotest könnte große Veränderungen anstoßen, wenn die Bauern und ihre Vertreter jetzt nicht überziehen. Denn in einem wichtigen Punkt gehen Selbst- und Fremdwahrnehmung der Landwirte auseinander. Sie beklagen mangelnde Wertschätzung und Unterstützung. Aber Umfragen zeigen, dass die Bürger durchaus Sympathien für die Landwirte haben. Diesen Bonus sollten sie nicht verspielen.
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