Die Kritik an der Ampel ist überzogen, die Forderung nach Neuwahlen gefährlich. Die schlechte Stimmung im Land hat weniger mit Fakten zu tun als mit einer getrübten Wahrnehmung.
Eigentlich tut man das in meinem Beruf nicht: die Regierung loben, sie verteidigen. Ich tue es trotzdem.
Erstens, weil dies hier eine Kolumne ist, eine freie Form. Zweitens, weil die kritische Distanz zwar die Basis meines Berufes ist, genau das aber auch bedeutet, weitverbreitete Sichtweisen zu hinterfragen.
In diesen Tagen gibt es nahezu ausschließlich Kritik an der Regierung. Es ist laut auf den Straßen. Streiks, Proteste. Der Bundespräsident rügt am vergangenen Wochenende in einem Interview in der »Süddeutschen Zeitung« die Ampel, der Bundeskanzler übt in einer Videobotschaft desselben Wochenendes Selbstkritik.
Dieser Winter wird als »Wutwinter« in Erinnerung bleiben. Auch an ein bestimmtes Bild wird man sich erinnern: an die auf Demonstrationen hochgereckten Galgen. Die Galgen sind für Politiker der Ampel vorgesehen.
Oppositionschef Friedrich Merz forderte schon im Dezember Neuwahlen, die »Bild«-Zeitung auch. Das war der Moment, an dem ich unruhig wurde.
Gut möglich, dass sich ein Sog entwickelt: Was schlechtgeredet wird, wird auch irgendwann schlecht.
Selbst wenn man wohlwollend auf die CDU schauen möchte, muss man feststellen, dass sie im Bund in keiner guten Verfassung ist. Sie weiß nicht, wer sie sein will und auch nicht, wer sie anführen soll. Ihr fehlt das Personal für die Vielfalt der Aufgaben. Es sei schade, dass die CDU im Moment nicht regierungsfähig sei, sagte vor ein paar Tagen der Soziologe Heinz Bude im Podcast »Politikteil« der »Zeit«, denn wenn sie es wäre, dann könnte sie die Ampel ganz anders herausfordern.
Was mich aber wirklich empört an den Forderungen nach Neuwahlen ist die Leichtfertigkeit, mit der sie angesichts des Umfragehochs der AfD erhoben werden. Jetzt Neuwahlen? Zu welchem Ziel? Zur mutwilligen Demontage der Demokratie?
Eine aktuelle Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos zeigt, dass 36 Prozent der Deutschen es für sehr wahrscheinlich halten, dass es dieses Jahr noch Neuwahlen geben wird. Unter der Wählerschaft der AfD ist der Anteil derjenigen, die vorgezogene Neuwahlen für sehr wahrscheinlich halten, mit 53 Prozent am größten. Auch unter den Unionsanhängern glaubt dies fast die Hälfte der Befragten (48 Prozent).
Gut möglich, dass sich ein Sog entwickelt in diesen Tagen. Man kennt das: Was schlechtgeredet wird, wird auch irgendwann schlecht. Und dann ergibt sich etwas, was die Mehrheit so dann doch nicht gewollt hat.
Die Regierung also. Was leistet sie?
Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung hat die Ampel bereits knapp zwei Drittel (64 Prozent) ihres, so heißt es hier, »ambitionierten Koalitionsvertrages« entweder umgesetzt (38 Prozent) oder mit der Umsetzung ihres Vertrages begonnen (26 Prozent).
Doch nur ein kleiner Teil der Deutschen nehme dies wahr. »Der öffentlich inszenierte Koalitionsstreit führt dazu, dass die tatsächliche Regierungsleistung und Umsetzungstreue unterschätzt wird«, heißt es.
Der Staat ist abstrakt, die Regierung stellt identifizierbare Personen. Deswegen fokussiert sich die Öffentlichkeit auf diese Personen.
Das bedeutet ja nichts anderes, als dass der Grund für die schlechte Stimmung weniger mit Fakten zu tun hat als mit Wahrnehmung – einer getrübten Wahrnehmung, die allerdings die Ampel mit ihren Streitereien mitverursacht.
Wie groß war die Angst vor dem ersten Winter nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Deutschland war abhängig von russischem Gas, das möglicherweise nicht mehr fließen würde. Man fragte sich, wie das Land durch den Winter kommen würde? Würde »Das große Zittern« beginnen, wie eine der Überschriften hieß? Würden die Energiepreise explodieren?
Führende Ökonomen bescheinigten der Ampel schon bald nach diesem ersten Winter, die Energiekrise gut bewältigt zu haben. Die Regierung ließ Flüssiggasterminals bauen, sie suchte nach neuen Lieferquellen in anderen Weltregionen. Deutschland wurde schneller als es möglich schien unabhängig von russischem Gas. Auch der Ausbau der erneuerbaren Energien geht voran, vor allem bei der Solarenergie.
Und außerdem? Die Regierung erhöhte den Mindestlohn, sie führte das 49-Euro-Ticket ein. Was daran ist falsch? Das Sondervermögen für die Bundeswehr ist nicht bei allen Deutschen beliebt, nötig ist es trotzdem. Die Einführung des Bürgergeldes ist sogar sehr umstritten, zugleich ist es nachvollziehbar, dass sich eine SPD-geführte Regierung nach all dem Streit um Hartz IV und dem Ausfransen des linken Randes in der Sozialpolitik profilieren möchte.
Das Wort »Heizungsgesetz« macht nach wie vor viele Bürgerinnen und Bürger wütend. Dazu ließe sich viel sagen, aber eben auch dieses: Öl- und Gasheizungen für Neubauten zu verbieten, ist richtig.
Wirklich: Besser geht es immer, aber insgesamt schlägt sich die Ampel gar nicht so schlecht. Wir Bürgerinnen und Bürger sollten unsere Wahrnehmung überprüfen. Nicht nur in Bezug auf die Ampel, sondern auch auf den Staat an sich. Der Staat besteht nicht nur aus einer Regierung. Es ist ein Staatswesen mit einer vielgliedrigen Struktur. Die Politik muss den Rahmen bilden und absichern, aber innerhalb dieses Rahmens sind unendlich viele Institutionen und Personen mitverantwortlich für das Gelingen der Vorhaben.
Das Staatswesen bleibt abstrakt, die Regierung besteht aus identifizierbaren Personen. Die Öffentlichkeit fokussiert sich auf diese handelnden Personen, weil Politik durch sie greifbarer wird. Und diese Personen werden schuldig gesprochen für alles, was schiefläuft. Eine Zugverspätung zwischen Kassel-Wilhelmshöhe und Erfurt Hauptbahnhof? Die Ampel ist schuld.
Hier wären wir auch wieder beim Journalismus. Wir Journalisten machen abstrakte Vorgänge gern anhand handelnder Figuren anschaulich. Wir machen das nicht ausschließlich so, wirklich nicht, dennoch müssen wir aufpassen, dass wir mit diesem gewissen Fokus auf Menschen, auf Konflikte, auf Negatives nicht eine Wirklichkeit mit erschaffen, die wir dann wieder kritisieren müssen. Zugleich aber muss sich die politische Klasse bewusst sein, dass Menschen die Welt vor allem über andere Menschen wahrnehmen.
Und wenn Menschen streiten, wie die Kabinettsmitglieder es tun (jetzt zögert FDP-Mann Christian Lindner wieder bei der Erhöhung des Kindergeldes und bringt damit SPD und Grüne gegen sich auf), dann werden sie halt als zerstritten wahrgenommen.
Ganz am Ende hat es die Regierung also selbst in der Hand, wie es weitergeht. Mit ihr und diesem Land.
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