hier im ARD Stand: 18.01.24 von Oda Lambrecht
Die Bauern und ihr Minister
Vor zwei Jahren ist der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir mit dem Ziel angetreten, die Landwirtschaft in Deutschland nachhaltiger aufzustellen. Doch davon sei er weit entfernt, kritisieren Agrarwissenschaftler und die Umweltschutzorganisation Greenpeace.
Mehr Bio, bessere Tierhaltung, kein Glyphosat - mit diesen Zielen ist der grüne Agrarminister Cem Özdemir vor rund zwei Jahren angetreten. Was hat er erreicht?
Agrarforscher: Nachhaltigkeitsstrategie fehlt
Es fehle bisher vor allem eine Nachhaltigkeitsstrategie für die große Mehrheit der konventionellen Betriebe, sagt etwa der Agrarforscher Achim Spiller von der Universität Göttingen, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Agrarpolitik.
Martin Hofstetter, Agrarexperte von Greenpeace, findet, dass Özdemir bei drängenden Problemen jeden Konflikt scheue. Während die Bauern etwa gegen die geplante Rücknahme klimaschädlicher Vergünstigungen protestierten, stellte sich der Minister an ihre Seite. "Ich halte nichts von den Streichungen", hatte Özdemir auf einer Großdemo in Berlin erklärt. Kurz darauf nahm die Bundesregierung einen Teil der geplanten Kürzungen zurück.
Özdemir: "Landwirtschaftsminister von allen"
Im Panorama-Interview beschreibt sich der Grünen-Politiker als Minister der Mitte: Er sei der Landwirtschaftsminister von allen, nicht der großen oder kleinen Höfe, nicht von konventionell oder Bio.
Agrarforscher: Größte Baustelle Tierhaltung
Seine größte Baustelle ist aus Sicht der Wissenschaft die Tierhaltung, denn hier werden große Mengen an Treibhausgasemissionen verursacht. Der Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten müsse deshalb endlich gesenkt werden, fordert Matin Qaim, Professor an der Universität Bonn und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften. Er sagt, Fleisch dürfe nicht weiter durch den reduzierten Mehrwertsteuersatz künstlich günstiger gemacht werden. Doch dafür gebe es keine politische Mehrheit, erklärt Özdemir im Panorama-Interview. Ob sich daran nun im Zuge der Bauernproteste etwas ändert, scheint ungewiss.
Glyphosat weiter erlaubt
Auch keine Mehrheit gab es bisher dafür, das umstrittene Pestizid Glyphosat vom Markt zu nehmen, so wie es eigentlich im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vereinbart ist. Denn die FDP ist im Gegensatz zu den Grünen dagegen. So hat sich Deutschland bei der entsprechenden EU-Abstimmung enthalten.
Agrarwissenschaftler Spiller findet jedoch ohnehin, dass die generelle Reduktion des Einsatzes aller chemischer Pflanzenschutzmittel wichtiger sei als ein bloßes Verbot von Glyphosat. Letzteres fordern die Grünen. Und auch Agrarforscher Qaim hält die Diskussion über ein einzelnes Mittel für eine "Scheindebatte".
Eine Milliarde für die Tierhaltung
Immerhin stellt Özdemir den Landwirtinnen und Landwirten zusätzlich eine Milliarde Euro zum Beispiel für bessere Ställe zur Verfügung. Aus Sicht der Branche ist das aber viel zu wenig. Auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Agrarpolitik hatte bereits vor vielen Jahren ausgerechnet, dass für den nötigen Umbau der Tierhaltung insgesamt etwa drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr nötig wären. Özdemir sagt auf Nachfrage, er kämpfe in der Koalition für mehr Geld.
Agrarwissenschaftler: "Politisch herzlich wenig passiert"
Insgesamt fällt die Halbzeitbilanz von Agrarminister Özdemir für Wissenschaftler Qaim eher bescheiden aus, es sei "politisch herzlich wenig" passiert.
hier Von Jonas Schaible 04.09.2023
Verschleppte Agrarwende: Warum sich unter Cem Özdemir so wenig ändert
Die aktuelle Landwirtschaft schadet dem Klima, den Tieren, der Natur, sogar Bauernvertreter sind zu weitreichenden Veränderungen bereit. Aber unter dem grünen Minister passiert kaum etwas – kann er nicht oder will er nicht?
Weit hinter Cem Özdemir stehen ein paar Schafe und schauen herüber. Über Cem Özdemir treibt der Wind Wolken über den Sommerhimmel, von dem eben noch Platzregen fiel. Vor Cem Özdemir stehen Menschen, denen er Förderbescheide über mehr als 18 Millionen Euro übergeben hat, für Projekte, in denen erforscht wird, wie man ehemalige Moorlandschaften zugleich schützen und nutzen kann.
Alles soll leicht wirken hier westlich von Berlin nahe der Havel, beim ersten Termin einer mehrtägigen Sommerreise. Aber ganz so leicht ist es nicht.
Denn unter Cem Özdemir, unter den Halmen, auf denen Regentropfen glitzern, war früher einmal Moor, das trockengelegt wurde. Nur deshalb können hier die Schafe weiden. Deshalb kommt aber auch Luft an das kohlenstoffreiche Material im Boden, Mikroorganismen zersetzen es. In jedem Moment entweicht hier Kohlendioxid. Unter dem Bundesagrarminister liegt eine Treibhausgasbombe.
Um das Klima zu schützen, müsste man die Flächen hier wieder vernässen, bis das Wasser knapp unter der Grasnarbe steht. Dann aber steht hier kein Schaf mehr, dann mäht hier keine schwere Maschine mehr Futter für Tiere, dann wachsen vielleicht noch Rohrkolben oder Schilfrohre, und wie gut man damit Geld verdienen kann, das ist noch nicht so richtig klar.
Das Wasser muss kommen, eigentlich ist das unausweichlich. Aber es soll nicht unausweichlich klingen. Bauern sollten freiwillig mitmachen, betont Özdemir. Und dann sagt er einen Satz, der schillert in seiner Widersprüchlichkeit: »Das Land gehört ja jemandem. Natürlich greifen wir ein …, wenn wir Angebote machen.«
Die Fortschritte sind überschaubar
So klingt es wohl, wenn einer mitten im Satz abbiegt: vom Eingriff zum Angebot. Wenn einer nicht sagt, was er sagen müsste, sondern sagt, was er vermitteln zu können glaubt. Zwischen beidem klafft eine Lücke: zwischen dem Notwendigen, und dem, was möglich ist.
Das ist das ganz große Problem mit der Transformation, in allen Sektoren, aber vielleicht noch einmal besonders in der Landwirtschaft und der Ernährung.
Dabei gäbe es Grund genug für eine schnelle und radikale Veränderung. Die Landwirtschaft ist, rechnet man die Nutzung von Böden wie auf dem Moor nahe Berlin mit ein, in Deutschland für gut zwölf Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Weltweit sogar für schätzungsweise etwa ein Viertel.
Die Flächennutzung, das Roden der Wälder, das Pflügen der Böden, die Pflanzenschutzmittel sind die wichtigsten Ursachen für das Artensterben. Im Wasser sammeln sich Stickstoff- und Phosphorverbindungen, die ins Meer geschwemmt werden und dazu beitragen, das Leben in der Ostsee zu ersticken. Noch immer werden Antibiotika in der Tiermast in großer Menge eingesetzt, was die Gefahr von Resistenzbildungen erhöht. Das Höfesterben hält an und an und an, viele Bauern sind frustriert bis verzweifelt.
Und die Lebensmittel, die aus dem Angebauten hergestellt werden, führen zu Fällen von Diabetes und Adipositas. All das sollte besser werden unter der Ampel. »Eine nachhaltige Landwirtschaft dient zugleich den Interessen der Betriebe, des Tierwohls und der Natur und ist Grundlage einer gesunden Ernährung«, heißt es im Koalitionsvertrag.
Aber nach rund der Hälfte der Regierungszeit sind die Fortschritte überschaubar. Zwischen gesellschaftlichem Druck und interner Uneinigkeit ist der Elan weitgehend zum Erliegen gekommen.
Es ging schon verkorkst los
Es ging schon verkorkst los. Die Ampel war gerade ein paar Monate im Amt, da kamen schlechte Nachrichten aus Brüssel.
Seit Jahren überschreitet Deutschlands Wasser an zu vielen Stellen die Grenzwerte für Nitrate und Phosphorverbindungen, die vor allem aus der Gülle stammen. Seit Jahren fordert die EU eine Lösung. Der aktuelle Konflikt reicht ein knappes Jahrzehnt zurück.
Nicht untypisch für die Landwirtschaftspolitik machten zunächst die Interessenvertreter mobil, weil sie wirtschaftliche Härten fürchteten, wenn die Düngung reguliert würde. Die Politik zuckte zurück, das Problem wurde verschleppt. Bis es nicht weiter verschleppt werden konnte.
Schon 2018 hatte der Europäische Gerichtshof Deutschland verurteilt. Es folgte eine drängende Mahnung der Kommission, adressiert an Özdemirs Vorgängerin Julia Klöckner. Nun, nach Amtsantritt der Ampel, kam eine erneute Ansage: Bald könnten Strafzahlungen fällig werden. Von Hunderten Millionen Euro war die Rede.
Es folgten lange Verhandlungen, mit der EU, aber auch mit den Ländern und den Bauernvertretern. Nun ist der Konflikt vorerst aus der Welt geschafft. Neue Regeln gelten. Das Ministerium ist zufrieden und stolz.
Allerdings war es für eine Weile von dem Problem stark eingenommen. Der Minister, der eigentlich angetreten war, Vorbehalte auszuräumen, hatte politisches Kapital für etwas einsetzen müssen, das so gar nicht auf der Agenda stand. Und in der Politik ist es so, dass man Zumutungen sparsam dosieren muss.
Es war auch deshalb so schwierig, weil der Streit um die Düngung so grundsätzlich geführt wurde. Bauernvertreter und Parteien, die ihnen gefallen wollten, stellten mitunter gleich die Messungen in Frage, die Verteilung der Messstellen, die Korrektheit der Modelle.
Wenn man mit Bauern sprach, führten die als Grund für die hohe Nitratbelastung schon mal Argumente wie dieses an: Auf einem Schild nahe der Messstelle säßen häufig Vögel und deren Exkremente würden die Werte verzerren.
Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen wird immer noch heftig gestritten, aber vor allem über den richtigen Weg zur ökologischen Wende. Fast niemand stellt ernsthaft in Frage, dass es zur Erderhitzung beiträgt, wenn man Diesel oder Heizöl verbrennt. In der Landwirtschaft dagegen werden sattsam bekannte Zusammenhänge noch immer bestritten.
Es wird bestritten, dass die hohen Nitratbelastungen maßgeblich von der Düngung herrühren; dass die Tierhaltung wirklich ein Treiber der Erderhitzung ist; dass das Insektensterben mit der Landwirtschaft zu tun hat.
Politischer Konsens
Dabei ist nicht nur die Wissenschaft in diesen Fragen relativ eindeutig. Auf dem Papier gibt es sogar längst einen politischen Konsens.
Die zwei Männer, die ihn herbeigeführt haben, sind unwahrscheinliche Paten einer Transformation. Da ist Jochen Borchert, 83, einst Agrarminister unter Helmut Kohl, unter dessen Vorsitz eine Kommission einen Plan für den Umbau der Tierhaltung ausgearbeitet hat. Die Kernforderungen: mehr Platz für die Tiere, mehr Tierwohl, dafür höhere Preise für Fleisch und mehr Geld für die Bauern. Und da ist der Historiker Peter Strohschneider, noch unter Angela Merkel eingesetzt als Leiter der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL).
Strohschneiders Truppe hatte das ganz große Rad zu drehen: Eine Vision für die Landwirtschaft der Zukunft sollten sie entwerfen, und das zwischen Leuten, die sich teils seit Jahrzehnten kennen und ebenso lange misstrauen.
Doch was aussichtslos schien, gelang. Es war ein kleines politisches Wunder.
»Die Kehrseite dieses Fortschritts sind Formen der Übernutzung von Natur und Umwelt, Tieren und biologischen Kreisläufen bis hin zur gefährlichen Beeinträchtigung des Klimas«, heißt es in dem Abschlussdokument der ZKL. Man empfehle »eine Reduzierung des Konsums von tierischen Produkten, eine Verbesserung des Tierwohls und eine umweltverträglichere räumliche Verteilung der Tierhaltung, die aller Voraussicht nach mit einer weiteren Verringerung der Tierbestandszahlen einhergehen werden«.
Solche Sätze haben nicht nur Handel und Verarbeiter unterschrieben, sondern auch der Bauernverband und sogar die radikalere Interessengruppe »Land schafft Verbindung«.
Der 2021 geschlossene Großkompromiss war eigentlich eine Steilvorlage für den grünen Agrarminister Özdemir, immerhin Mitglied einer Partei, die mit dem Slogan »Veränderung schafft Halt« in den Wahlkampf gezogen ist. Wann, wenn nicht jetzt sollte etwas vorangehen? So weit die Theorie.
In der Praxis jedoch ....
In der Praxis jedoch war Özdemir erkennbar wenig auf den Job vorbereitet. Im ersten Jahr passierte kaum etwas, was selbst Ministeriale zugaben.
In der Praxis geht das Programm zum Moorschutz trotz eines Fördertopfes, der mit vier Milliarden Euro für natürlichen Klimaschutz gefüllt ist, nur langsam voran, weil kaum jemand in Bund und Ländern die Bauern zu irgendetwas drängen will.
In der Praxis werden Russlands Einmarsch in der Ukraine ebenso wie Schäden durch Dürre oder Starkregen als Argumente genutzt, Flächen nicht zum Schutz der Artenvielfalt stillzulegen.
In der Praxis scheitert die umfassende Förderung von Stallumbauten bislang daran, dass das Ministerium dafür zu wenig Geld vom Finanzminister bekommt.
In der Praxis fragen sich die Ersten, ob der Minister besonders wenig Lust hat, sich Feinde zu machen, weil er den nächsten Karriereschritt im Blick haben könnte, als Kandidat für die Nachfolge von Winfried Kretschmann als Ministerpräsident in Baden-Württemberg.
In der Praxis, schließlich, gibt es immer noch keine substanziellen Maßnahmen, um den Fleischkonsum der Deutschen zu reduzieren, obschon längst ein Kulturkampf um das Essen tobt.
Dann rot: Fett, Süßzeug
An einem Montag im Juli sitzt Özdemir in einem Aufenthaltsraum der Adipositas-Ambulanz der Charité. Hier werden Kinder begleitet, die schwer übergewichtig sind. An einer Stellwand prangt ein Poster, darauf abgebildet ist eine Pyramide der Lebensmittel. Unten Wasser und Tee. Darüber Grundnahrungsmittel, Kartoffeln, Fladenbrot, Obst und Gemüse. Alles grün markiert, vieles davon ist kein Problem. Dann gelb: Fleisch, Milchprodukte. Dann rot: Fett, Süßzeug.
»Viele empfinden es als selbstverständlich, dass wir einen Teil der Kinder abschreiben«, sagt Özdemir. Aber das sei es nicht. Er nehme das nicht hin, er nicht! Aus der Runde gibt es Dank.
Er macht solche Termine jetzt häufiger. Einige Wochen vorher war er schon bei einem Berliner Kinderarzt vorstellig geworden. Auch der sollte ihm – vor allem aber den anwesenden Medienvertretern – erklären, dass Zucker, Fett und Salz für Kinder ein Problem sind. Oder er lud einen Wissenschaftler ein zur Pressekonferenz, der alarmierende Zahlen über die Entwicklung des Zuckergehalts in Müsli vortrug. Özdemir selbst zeigte ein Glas, in dem fünf Zuckerwürfel lagen. Der Minister zieht alle Register der Lebensmittelpädagogik.
Er hat es auch nötig. Was er vorhat, hört sich vergleichsweise harmlos an: Er will Werbung für sehr fettige, salzige und zuckrige Lebensmittel einschränken, wenn sie sich an Kinder richtet. Der Effekt des Gesetzes lässt sich schwer kalkulieren, dürfte aber überschaubar sein. Andererseits schaut kaum jemand freiwillig Werbung und kaum einer möchte, dass Kinder krank werden.
Trotzdem ist der Widerstand ebenso groß wie die Bereitschaft des Ministers, dieses Projekt gegen alle Widerstände durchzukämpfen.
Kleinster gemeinsamer Nenner
»Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir verfolgt scheinbar das Ziel, aus jedem unmündigen Kind einen unmündigen Bürger werden zu lassen«, kommentierte Gero Hocker, der agrarpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, den Gesetzesvorstoß: »Damit bleibt er den Vorschlägen seiner Partei durchaus treu, wird innerhalb der Koalition allerdings keine Mehrheit finden.« Das ist so der Ton zwischen Grünen und FDP.
Grüne und Liberale legen den Koalitionsvertrag in dieser Frage unterschiedlich aus. So, wie in fast allen Fragen von Ernährung und Landwirtschaft.
»Das ist ein bisschen wie Feuer und Wasser«, sagt eine Agrarpolitikerin, die die Diskussionen oft aus der Nähe verfolgt. Man käme nicht auf die Idee, dass beide Parteien zusammen regierten, wenn man es nicht wüsste, sagt sie. Wenn es überhaupt Einigungen gäbe, sei das immer der kleinste gemeinsame Nenner. Selbst die Fachleute in beiden Reihen hören sich nicht mehr zu.
Im Agrarministerium machte irgendwann die Deutung die Runde, die Landwirtschaftspolitik werde in Geiselhaft genommen, um andere Vorhaben der Grünen zu blockieren. Ständig würden Projekte durch Leitungsvorbehalte von FDP-geführten Ministerien aufgehalten, lautet die Klage.
Mittlerweile kursiert bei den Grünen die Idee, künftig im Gegenzug Projekte der Liberalen zu stoppen. Man hält es für Notwehr.
Nur so: Auge um Auge, Blockade um Blockade. Die Frage ist, ob sich auf diese Weise Politik machen lässt.
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