Montag, 15. Januar 2024

Proteste gegen die Ampelkoalition: Die sagenumwobene Macht der Bauernlobby

Süddeutsche Zeitung hier  14. Januar 2024, Von Thomas Hummel

Proteste gegen die Ampelkoalition: Die Bauernproteste setzen die Regierung unter Druck.

Seit Jahrzehnten hat der Deutsche Bauernverband beste Verbindungen in die Politik. Doch das Höfesterben konnte - und wollte - er offenbar nie verhindern.

Bild links: aus dem Satiremagazin Postillion

Achim Spiller kennt die geheime Macht der Bauernlobby. Beispiel Düngemittelverordnung. Im vergangenen Jahrzehnt gelangte in Deutschland zu viel Nitrat ins Grundwasser, die Europäische Union pochte auf Einhaltung der vereinbarten Grenzwerte. Das Kernproblem: Die Landwirte düngen zu viel, die überzähligen Nährstoffe sickern durch den Boden und verunreinigen das Wasser.

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, dem Spiller seit 2015 angehört und heute vorsitzt, habe mehrere Gutachten geschrieben, wie man das Problem lösen könne, sagt der Professor für Agrarökonomie an der Uni Göttingen. Doch bevor die Politik abstimmte, seien teils noch am Vorabend entscheidende Stellen abgeschwächt worden.

Spiller nennt das "Lobbyverhinderungsarbeit". Es sei auf der Hand gelegen, was geschehen müsse: weniger Dünger auf den Acker. Aber das sei einfach nicht durch die politischen Gremien gekommen. "Wir im Beirat wussten bald nicht mehr, was wir empfehlen sollen." Erst als die EU mit Strafzahlungen drohte, ging es noch unter der CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner voran. Doch auch die aktuellen Regelungen seien problematisch, findet er.

Am Montagstelefon der Stiftung Land und Leben können Bäuerinnen und Bauern anrufen, um über ihre Sorgen zu reden. Und, einiges los gerade? Zeit, mal Katharina Stanglmair zuzuhören, die seit Jahren den Landwirten zuhört.

Jetzt stellt der Deutsche Bauernverband (DBV) für alle sichtbar die Machtfrage

In der Rangelei ums Düngen zeigte sich der sagenumwobene Einfluss der Agrarbranche. Politik in Hinterzimmern, Strippenziehen - das beherrscht sie wie kaum eine andere. Umso erstaunlicher, dass die Bundesregierung im Dezember verkündete, im Angesicht eines Haushaltslochs gleich zwei Agrarsubventionen zu streichen: Steuererleichterung auf Diesel und die Befreiung von der Kfz-Steuer für land- und forstwirtschaftliche Maschinen. In der stillen Diplomatie war der Deutsche Bauernverband (DBV) offenbar gescheitert, weshalb er jetzt laut die Machtfrage stellt.

Ein erster Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, die Bunderegierung ruderte zurück, die Kfz-Steuer-Befreiung bleibt. Der Agrardiesel wird erst auf Raten teurer. Doch der Bauernverband fordert, dass die Ampelkoalition komplett einknickt. Alle Subventionen sollen bleiben! Es gehe um die Existenz der Landwirte. Für diesen Montag kündigt der Verband die nächste Großdemonstration am Brandenburger Tor in Berlin an.

Der DBV ist seit Jahrzehnten die große Interessenvertretung der Landwirtschaft. Nach eigenen Angaben sind etwa 90 Prozent der noch 254 300 Betriebe Mitglied. "Die Branche ist sehr gut organisiert", sagt Achim Spiller. Dazu sehr erfahren im Umgang mit staatlichen Stellen. Subventionen fließen reichlich, im Jahr 2022 allein 6,3 Milliarden Euro aus der EU nach Deutschland. Der Bund schießt weitere Milliarden zu. Das Kernargument: Sonst sei die heimische Lebensmittelproduktion nicht überlebensfähig, das Essen müsste aus fernen Ländern importiert werden, wo es zu niedrigeren Standards produziert werde. Und was soll aus den Landwirten und dem Land werden? Das zieht. Nicht nur in Deutschland.

Der DBV hat enge Verbindungen hergestellt zwischen Bauern, Industrie und Politik

DBV-Präsident Joachim Rukwied spricht die Ambitionen offen aus. In einer ARD-Dokumentation 2019 sagte er: Die Landwirtschaft brauche ein Sprachrohr, deshalb müsse der DBV politisch aktiv sein. "Und ich freue mich, wenn wir bei der ein oder anderen Entscheidung, aufgrund unserer guten Argumente, die Politik überzeugen können."

Dabei hatte der Verband nach dem Zweiten Weltkrieg Probleme, denn die Zahl der Landwirte in Westdeutschland nahm rasant ab, ebenso die wirtschaftliche Bedeutung. Um schlagkräftig zu bleiben, stellte sich der DBV bald breiter auf. Er erschuf ein bis heute wirkendes Geflecht, das von außen bisweilen schwer zu durchschauen ist.

Es gibt enge Verbindungen zu Herstellern von Futtermitteln, Düngemitteln und Pestiziden bis hin zu Abnehmern wie Molkereien oder Schlachtbetrieben. Vieles ist in Genossenschaften organisiert, die den Landwirten anteilig selbst gehören. Rukwied etwa sitzt auch im Präsidium des Raiffeisenverbands, im Verwaltungsrat der Landwirtschaftlichen Rentenbank, im Aufsichtsrat der Südzucker AG oder der Baywa AG und noch einiges mehr.

Die Drohung, sich mehr nach rechts zu wenden, hat den Bauern in der Vergangenheit geholfen

Personelle Verquickungen führen auch in die Politik, vor allem in die Unionsparteien CDU und CSU. Der Agrarausschuss des Bundestags war lange weitgehend besetzt mit Vertretern der Branche. Erst in dieser Legislaturperiode änderte sich die Zusammensetzung, der Einfluss von gewählten Landwirten nahm ab. Eng sollen auch die Beziehungen der Agrarverbände zu Mitarbeitern im Landwirtschaftsministerium sein. "Man kennt sich aus dem Studium oder von Veranstaltungen, tauscht sich aus", berichtet Martin Hofstetter, 62, politischer Beobachter bei Greenpeace, der selbst Agraringenieur in Witzenhausen bei Göttingen studiert hat. Das sei historisch gewachsen.

Nach dem Krieg sprachen Agrarvertreter mit, als staatliche Garantiepreise für Getreide oder Fleisch festgelegt wurden. Als 1957 in Brüssel erstmals eine gemeinsame europäische Agrarpolitik beschlossen wurde, setzte der damalige Bauernpräsident Edmund Rehwinkel einen staatlichen Zuschuss für die Milcherzeuger durch, 400 Millionen Mark. Die erste Subvention. Und als zehn Jahre später Kanzler Ludwig Erhard (CDU) die Zuschüsse kürzen wollte, für mehr freien Markt eintrat, traf sich Rehwinkel demonstrativ mit der NPD. Die Drohung, die treuen Bauern könnten sich von der Union nach rechts abwenden, half damals, die Einschnitte abzuwenden. Sie könnte auch heute helfen.

Denn jetzt buhlen Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und die AfD um die Landwirte. Deshalb war die CSU umso erfreuter, dass Rukwied in der vergangenen Woche zu Besuch ins Kloster Seeon kam, zur Klausursitzung der Partei. Ein Dutzend prominenter Parteimitglieder trat mit ihm zu einer Pressekonferenz nach draußen. Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Bundestagsgruppe, überreichte dem Bauernchef "ein ganz herzliches Dankeschön, dass Sie heute zu uns kommen". Es waren Szenen der Verbrüderung.

Jährlich schließen zwei bis drei Prozent der Betriebe

Dabei ist sich die Branche intern nicht immer einig über den Kurs. Zum Beispiel über die Frage, inwieweit man gesellschaftlichen Forderungen nach mehr Umwelt- oder Tierschutz nachkommen soll. Und trotz der ganzen Lobbyarbeit und eines über viele Jahre von der Union geführten Landwirtschaftsministeriums sinkt die Zahl der Betriebe kontinuierlich: Von mehr als 900 000 im Jahr 1975 blieb bis 2000 nur etwa die Hälfte übrig. Seitdem hat sich die Zahl noch einmal fast halbiert.

Die Zahl der Schweinezüchter etwa ging seit der Jahrtausendwende um mehr als 80 Prozent zurück. Generell schließen jährlich zwei bis drei Prozent der Betriebe, subventionierter Agrardiesel hin oder her. Vor allem die Kleinen tun sich schwer, wurden und werden aus dem Markt gedrängt, finden oft keine Nachfolger.

Schuld daran ist laut Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) primär die Billigmentalität in der Branche. Molkereien wollen günstige Milch, Schlachthöfe günstiges Fleisch - das erhöht die dortigen Gewinne und die Aussichten auf lukrative Exporte. Bei den Landwirten bleibt oft nicht viel. "Die Ausrichtung auf den Weltmarkt ist das eigentliche Strukturproblem", kritisiert AbL-Sprecherin Berit Thomsen, "deshalb wirtschaften viele Betriebe an der Kante."

Dazu komme die Abhängigkeit von wenigen Abnehmern. "Wenn ein Landwirt seine Milch heute zur Molkerei bringt, erfährt er in sechs Wochen, wie viel er damit verdient", sagt Thomsen. Die Milchbauern seien hier ein "Restgeldempfänger". Bundestag und Bundesrat könnten zusammen diesen Missstand beheben, erklärt Thomsen. Doch wollen die Parteien das auch? Und die große Agrarlobby?

Von den Subventionen bekommen die Großen viel, die Kleinen wenig

"Die Frage, wie man schwächere Landwirte besser unterstützen kann, war nie Sache des DBV", erklärt Greenpeace-Beobachter Martin Hofstetter. Viele der Subventionen sind sozial nicht abgestuft, weshalb ein Großteil der EU-Milliarden nach Fläche ausbezahlt wird. Heißt: Die Großen bekommen viel, die Kleinen wenig. So war das schon 1957, die erste Agrarsubvention wurde pro Liter Milch bezahlt. Auch mit der Transparenz hat es die Szene nicht so, vor 20 Jahren wehrte sie sich gegen die Offenlegung, wer wie viel öffentliches Geld bekommt.

Heute, sagt Achim Spiller, wird eine saubere Berechnung der Einkünfte verhindert. So verdienten manche prächtig an der Verpachtung ihrer Flächen für Windräder oder Solaranlagen. Doch oft würden solche Projekte in GmbHs ausgegliedert und fehlten bei der Einkommensberechnung.

Der DBV wehrt sich gegen die Vorwürfe, sie seien Versuche, den Verband zu spalten, teilt ein Sprecher mit. Dass sich der Bauernverband vor allem um die Großbetriebe kümmere, sei "schlicht Blödsinn".

Tatsächlich bleibt der Bauernverband für viele Landwirte anziehend. Er bietet eine Art Rundumversorgung: Beratung, Versicherungen, Aus- und Weiterbildung, Rechtsschutz, dazu die Raiffeisenbank als Kreditgeber. Für vieles wird gesorgt. Und wenn ein Angriff von außen kommt, hält die Branche ohnehin zusammen. "Der Bauernverband hat weniger den Anspruch, Politik zu gestalten denn zu verhindern. Und da ist er besonders erfolgreich", sagt Hofstetter. Seine Mitglieder sollen das nun durchsetzen.


ARD Tagesschau  ANALYSE  Stand: 15.01.2024   Eva Huber

Interessenvertretung: 
Wie groß ist der Einfluss der Bauern auf die Politik?

Während viele Landwirte der Politik vorwerfen, sie entscheide über ihre Köpfe hinweg, sehen Wissenschaftler großen Einfluss von Bauernvertretern auf politische Entscheidungen. Widerspruch oder System?

Es klingt auf den ersten Blick wie ein Widerspruch. Viele Landwirte fühlen sich seit Jahren nicht ausreichend gehört. Gleichzeitig sagen Experten, wie der Agrarpolitologe Peter H. Feindt, der Bauernverband und die Bauernschaft insgesamt haben einen großen Einfluss auf die Politik. Wie passt das zusammen?

Feindt forscht an der Humboldt-Universität in Berlin zur Agrar- und Ernährungspolitik und hat sich in mehreren Studien angeschaut, wie Reformen zum Tier- oder Umweltschutz politisch angegangen wurden - was für Ziele und Ideen am Anfang standen und was am Ende herauskam.

Immer, wenn der Bauernverband ein Vorhaben unterstützt hat, ist es nach Einschätzung von Feindt vorangegangen - und wenn der Bauernverband skeptisch gewesen ist, dann nicht.
"Das politische Ergebnis ist oft sehr nah dran an der Position, die der Bauernverband vorher bezogen hat." Sprich, die Bauernschaft konnte ihre Interessen in diesen Reformprozessen gut durchsetzen, so Feindts Studien.
Als Beispiel nennt Peter Feindt einen Vorschlag der EU von 2013. Sie wollte der Natur mehr Raum geben und deshalb sogenannte ökologische Vorrangflächen einrichten. Auf denen sollten die Landwirte nur noch sehr eingeschränkt anbauen dürfen. Am Ende kamen deutlich abgeschwächte Regeln raus, Landwirte konnten eine Zeitlang zum Beispiel dort auch noch Pflanzenschutzmittel einsetzen.

Bauernverband mit viel Einfluss

Aus Sicht des Agrarexperten ist der Deutsche Bauernverband "nach wie vor eine der einflussreichsten Interessenorganisationen" in Deutschland.
Das Gefühl der Bäuerinnen und Bauern aber ist ein ganz anderes. Das liegt aus Sicht von Feindt daran, dass "die Bauern sich als machtlos erfahren, weil sie das schwächste Glied in der Kette sind".
Sie fühlen sich zerrieben, zwischen einerseits starken Dünge- und Pflanzenschutzfirmen, die Preise ihrer Produkte diktieren, und mächtigen Handelsverbänden andererseits, die die Lebensmittelpreise drücken.
Außerdem gebe es durchaus mehr bürokratische Lasten, die Mehrarbeit und Kosten verursachen. Die Landwirte könnten das aber nicht in höhere Preise für ihre Produkte ummünzen, sagt der Agrarwissenschaftler.

Richtungswechsel in der Agrarpolitik

Seit zehn bis 20 Jahren gibt es einen Richtungswechsel in der Agrarpolitik - hin zu einem stärkeren Fokus auf Tier- und Umweltschutzthemen. Auch befeuert durch die einflussreicher werdenden Stimmen von Natur- und Tierschützern. Gleichzeitig liefert die Wissenschaft neue Erkenntnisse zum Beispiel zum Artenschwund.

Die Landwirte stehen unter Druck, nachhaltiger zu wirtschaften. Also mehr Klima-, Umwelt- und Tierschutz, sagt der Agrarwissenschaftler Alfons Balmann bei NDR Info. Gleichzeitig verändern sich die Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft, unter anderem durch die Digitalisierung und dem demographischen Wandel. Die Politik schafft es aus Sicht Balmanns nicht, die eigentlichen Probleme anzusprechen, was zu Orientierungslosigkeit führt. Die Politik gibt den Bauern keine Planungssicherheit.

Aber auch der Bauernverband hat nach Einschätzung von Experten lange wenig Perspektiven entwickelt. Die Landwirtschaft hat "bei allen Problemen immer versucht zu blockieren, Veränderungen möglichst in die Länge zu ziehen", statt Lösungen zu entwickeln, sagt Balmann.

Landwirte in den Parlamenten

Und sie hatte damit durchaus Erfolg im Ringen um politische Reformen. Woher dieser Einfluss kommt, das hat Guido Nischwitz vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen erforscht, unter anderem mit einer Studie im Auftrag des Naturschutzbundes Deutschland. 

Ein Punkt ist, dass überdurchschnittlich viele Landwirte direkt in den Parlamenten sitzen. Teils sind sie gleichzeitig auch im Bauernverband aktiv, haben also mehrere Funktionen und Posten inne.In Schleswig-Holstein ist der Präsident des Bauernverbands, Werner Schwarz (CDU) gerade auf den Posten des Landwirtschaftsministers gewechselt. Im letzten Bundestag war der Abgeordnete Johannes Röring eine Zeitlang gleichzeitig auch Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands.

Im Bundestag, im EU-Parlament und den Landtagen finden sich dann in den entsprechenden Ausschüssen viele Landwirte wegen ihrer Expertise. Sie "bestimmen dann maßgeblich die Politik, die sie dann sehr eng mit ihren Verbänden abstimmen", sagt Guido Nischwitz. Ihr Vorteil sei, "mittendrin im Prozess zu sitzen und die Entscheidungen da sehr stark zu beeinflussen".

Bauernverband tief verwurzelt in Deutschland

Diese Vernetzung hat auch historische Gründe. Der Bauernverband ist tief verwurzelt im ländlichen Raum, mit vielen Orts- und Kreisverbänden. Außerdem engagieren sich viele Landwirte in ihren Gemeinden, sind in Vereinen aktiv, helfen bei den Dorffesten und sind dann oft auch im Gemeinderat und in Parteien - viele bei CDU und CSU, aber auch bei den Grünen und anderen Parteien.

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