Ideen von unserem Nachbarland, die Deutschland sicher auch gut anstehen würden. 10% Einsparung sind eine Nummer, die sich zu berücksichtigen lohnt.
Standard hier Norbert Regitnig-Tillian 26. Jänner 2024Veraltete Richtlinien und Normen bremsen die klimaschonende Errichtung von Straßen, Bahnstrecken und Gebäuden. Das soll sich nun ändern
Normen und Bauvorschriften, die bei der Errichtung von Infrastruktur befolgt werden müssen, gelten gemeinhin als spröde Themen, die wohl nur selten Begeisterungsstürme auslösen. Nicht jedoch bei Detlef Heck, Professor für Bauwirtschaft an der Technischen Universität Graz. Wenn er über Normen redet, bekommen diese eine ganz neue Bedeutung. Denn dann werden die drögen Vorschriften plötzlich zu einem quicklebendigen Ort der Klimapolitik, wo der "Stand der Technik" nur ein Faktor unter ferner liefen ist.
Tempo für CO2-Sparen
Faktum ist, dass viele Richtlinien für den Bau von Straßen, Gebäuden oder auch Eisenbahnstrecken eine gehörige Anzahl an Jahren auf dem Buckel haben. Auch wenn sie immer mal wieder nachgeschärft werden, um den Stand der Technik einzufangen, haben die allermeisten den Klimaschutz noch nicht als Kriterium in ihrem Korpus. Das aber wäre, will man das Ziel, bis 2040 in Österreich Klimaneutralität zu erreichen, dringend notwendig. Denn der Straßen-, Bahn- und Gebäudebau ist in Österreich insgesamt für rund ein Drittel der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Tempo, Tempo wäre daher angesagt.
Derzeit können sich Planende und Ausschreibende aber noch nicht auf verbindliche Richtlinien berufen, um CO2-arme Ökobilanzen von Infrastruktur über den ganzen Lebenszyklus einzufordern. "Klimaschutz ist noch kein Kriterium für den Zuschlag als Bestbieter", sagt Heck. Das aber macht Probleme: Bauunternehmen, die von sich aus etwa Elektro-Lkws auf Baustellen einsetzen oder treibhausgasärmere Asphalt- oder Betonarten anbieten wollen, haben einen Wettbewerbsnachteil. Denn ihre Leistungen sind zwar klimafreundlicher, aber durch die Bank auch teurer als die Standardvarianten.
Öffentliche Institutionen geraten bei Ausschreibungen in einen Zielkonflikt: Zum einen sollen sie "budgetschonend" vorgehen. Zum anderen sollen sie sich aber auch darum kümmern, die Klimaziele zu erreichen. Wer sich aber für Letzteres entscheidet und teurere Errichtungskosten akzeptiert, muss sich unter Umständen im Nachhinein vor Rechnungshöfen und Kontrollinstanzen rechtfertigen. Auch Bürgermeister und Bürgermeisterinnen dürften wenig Lust verspüren, von der Opposition wegen Mittelmissbrauchs – auch wenn es im Namen des Klimaschutzes geschah – frontal angegriffen zu werden.
350 Richtlinien geprüft
Das soll nun anders werden. Im Auftrag der österreichischen Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr (FSV), die unter anderem auch das Klimaschutzministerium berät, hat Heck nun mit Fachleuten der Technischen Universität Graz und der Universität Graz alle Bauvorschriften einem "Klimacheck" unterzogen. Dabei wurden mehr als 350 Richtlinien nicht nur systematisch darauf abgeklopft, inwieweit sie Treibhausgase im Baustellenverkehr oder bauwerksbedingt minimieren könnten, sondern auch untersucht, inwieweit sie die Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft fördern. Auch die generelle Reduktion von Energieeinsatz, Ressourcen- und Flächenverbrauch stand im Fokus.
Das Ergebnis: Bei 35 der am häufigsten angewendeten Richtlinien ist "Feuer am Dach".
Sie regulieren den Einsatz von Asphalt, Beton oder Stahl in Straßen, Brücken oder anderen Infrastrukturbauten und waren bislang noch frei von jeglichem Normierungsgedanken in Richtung Klimaschutz. CO2-Grenzwerte, Recyclinganteile oder eben Kriterien für Kreislaufwirtschaft fehlten durch die Bank. Im Änderungsprozess müssen nun nicht nur standardisierte Klimagasgrenzwerte definiert werden. Es muss auch berücksichtigt werden, inwiefern der größere Einsatz von Recyclingmaterial die CO2-Werte eines Werkstoffes senkt, das Recycling selbst aber neue Treibhausgase produziert.
Platzsparende Autobahnen
Über den Tellerrand hinaus denken sollen die Teams laut Heck auch bei der Planung von Straßenverläufen: So sind etwa Kurvenverläufe von Autobahnen derzeit für Höchstgeschwindigkeiten von 130 km/h ausgelegt und entsprechend groß dimensioniert. Würde die Geschwindigkeit im Sinne des Klimaschutzes auf 100 km/h gesenkt und die Norm adaptiert, würde das nicht nur im laufenden Betrieb weniger Emissionen verursachen, sondern auch bei der Errichtung, da weniger Fläche benötigt wird und weniger Boden versiegelt werden muss.
Tempo 100 würde nicht nur im laufenden Betrieb Emissionen einsparen,
sondern auch bei der Errichtung und beim Ausbau von Strecken.
Heck schätzt, dass die Überarbeitung der Richtlinien, in die dutzende Ausschüsse involviert sind, ein bis drei Jahre dauern wird. Dabei sei auch mit internen Widerständen zu rechnen, sagt Heck. "In den einzelnen Ausschüssen sitzen auch Fachleute, die kein besonderes Interesse an der schnellen Umsetzung strengerer Klimaschutzkriterien haben oder einer Überarbeitung grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen."
Klimaschutzkosten berücksichtigen
Damit Planer und Ausschreiber, vom Bund bis hin zu Bürgermeistern von Kleingemeinden, die neuen Kriterien auch für das Erreichen der Klimaneutralität nutzen können, muss der Klimaschutz im Vergabeprozess dann noch bei Bestbieterkriterien verankert werden: Heck kann sich vorstellen, dass die Unterbietung standardmäßig festgelegter CO2-Äquivalente höhere Preise von Anbietern rechtfertigen könnte.
Wird der vorgeschriebene Mindeststandard etwa um fünf Prozent unterboten, könnte dies im Gegenzug um zwei Prozent höhere Kosten rechtfertigen. Das würde eine Win-win-Situation für den Klimaschutz erzeugen, da klimasensible Anbieter trotz höherer Preise zum Bestbieter werden könnten. Klimaschutz als Bestbieterkriterium könnte sich nach Hecks Einschätzung dabei genauso durchsetzen wie die Einhaltung von Sozialstandards oder andere Kriterien wie eine Gleichstellung von Männern und Frauen oder die Förderung von Auszubildenden.
Auch wenn der Prozess, mehr Tempo für die Erreichung der Klimaziele durch Normen und Richtlinien zu erzielen, erst am Anfang steht und mitunter noch fragil wirkt: International habe er bereits für Aufsehen gesorgt, denn "damit lassen sich fast zehn Prozent der jährlichen CO2-Emissionen einsparen", sagt Heck. "Deutschland und die Schweiz beobachten den Klimacheck für Bauvorschriften jedenfalls mit großem Interesse. Österreich ist da ein Vorreiter." (Norbert Regitnig-Tillian, 26.1.2024)
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