hier AMNESTY JOURNAL DEUTSCHLAND 29. 1.2024 Interview: Patrick Loewenstein
"PROTEST DARF UNBEQUEM SEIN"
Die Rechtsanwältin und Verfassungsrichterin Roda Verheyen über die enge Verbindung von Klimaschutz und Menschenrechten, die Rechtsgrundlagen und die maximale Wirkung von Klimaprotest.
Ist die Klimakrise eine Menschenrechtskrise?
Ganz sicher ist sie das! Die lange vorherrschende Meinung, dass Umwelt- und Klimaschutz nichts mit Menschenrechten zu tun hätten, war unsinnig. Heute hat sich diese Einstellung glücklicherweise substanziell geändert. Die Menschenrechte sollen unter anderem Leben und Gesundheit schützen, diese Rechtsgüter sind systematisch bedroht. Laut Weltklimarat hat sich durch Extremwetterereignisse schon jetzt die Lebenswirklichkeit der Hälfte der Weltbevölkerung verschlechtert. Zudem steht in der Klimarahmenkonvention von 1992 klar, dass die Vertragsstaaten den gefährlichen Klimawandel verhindern müssen. Das ist nicht passiert. Immerhin wird aktuell auf der Ebene der UN und der des Europarats an der Formulierung neuer Menschenrechte zum Recht auf saubere und gesunde Umwelt gearbeitet.
Was sind die rechtlichen Grundlagen für Klimaproteste?
Artikel 5 und 8 des Grundgesetzes, die Europäische Menschenrechtskonvention und die EU-Grundrechtecharta garantieren Versammlungs- und Meinungsfreiheit und damit alle Formen des Umwelt- und Klimaprotests. Das Versammlungsrecht bürgt für die Freiheit der Ortswahl und des Zeitpunkts. Allerdings schränkt das Strafrecht diese grundsätzlichen Freiheiten durch Delikte wie Nötigung oder Hausfriedensbruch ein, außerdem kann das Versammlungs- und Polizeirecht zum Tragen kommen.
Das Pariser Klimaabkommen gilt in Brasilien seit dem vergangenen Jahr als Menschenrechtsvertrag. Ist das auf Deutschland übertragbar?
In Brasilien gilt deshalb, dass sich jedes Regierungshandeln an den Zielen des Abkommens messen lassen muss. Bei uns sollte das genauso sein. Das Bundesverfassungsgericht hat dafür mit dem Klimabeschluss vom März 2021 den Rahmen gesetzt. Aber wir befinden uns mitten in der Diskussion zum Klimaschutzgesetz sowie dessen Umsetzung, und da sind wir noch lange nicht weit genug.
Wie werden die Klimaproteste in Deutschland gesetzlich und politisch bewertet?
Protest darf auch unbequem sein, sagt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung. Darüber hinaus kommt es für die juristische Sicht nicht auf den Inhalt an. Das Grundgesetz garantiert Protest ohne Zensur. Vor allem für Minderheiten, einschließlich Gruppen wie Extinction Rebellion oder die Letzte Generation. Manche Politiker*innen suggerieren uns mittlerweile, dass Klimaproteste teils schwere Straftaten darstellen und gar von Terrorist*innen verübt werden. Hier findet eine unzulässige Vorverurteilung statt. Die Beurteilung hat vielmehr durch Strafgerichte aufgrund des konkreten Geschehens und der Schuld im Einzelfall zu erfolgen.
Die Klimakrise und der Umgang mit den Folgen lösen zwingend hochbrisante soziale Fragen aus. Deshalb wären Koalitionen mit gesellschaftlichen Bewegungen, die sich mit der Einhaltung sozialer und wirtschaftlicher Menschenrechte befassen, sicher sehr effektiv.
Sehen Sie hierzulande einen Wandel in der juristischen Beurteilung?
Die Debatte zu Klimaprotesten dreht sich vor allem um die Grenzen des Protests. Wir beobachten momentan neue einschränkende Gesetze und die schärfere Anwendung bestehender Gesetze. Zu nennen ist da das Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen, das etwa Veranstaltungen auf Autobahnen grundsätzlich verbietet. Das gilt allerdings nicht nur für Klimaprotest, sondern für alle. Solche Einschränkungen von Grundrechten sind verfassungsrechtlich problematisch. In Bayern wird verlängerte präventive Ingewahrsamnahme, eigentlich eine allgemeine gesetzliche Grundlage für die Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, aktuell vor allem bei Klimaprotesten angewendet. Der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Klimaprotestgruppen aus dem Mai 2023 ist ebenfalls eine neue, sehr kritisch zu sehende Dimension. In Brandenburg und München wurde der Anfangsverdacht bereits bejaht, in Berlin hingegen nach Prüfung abgelehnt.
Gibt es einen veränderten prozessualen Umgang?
Die Straftaten der Klimaaktivist*innen sind aus unserer Sicht vorwiegend versammlungstypische Bagatelldelikte. Verfahren dieser Art wurden in der Vergangenheit sehr häufig eingestellt. Bei aktuellen Delikten und Aktionen wie Straßenkundgebungen wird das manchmal anders gesehen. Und als Reaktion auf das hohe Aufkommen steigt die Zahl beschleunigter Verfahren. Der Staat reagiert mit Personalaufstockung, um den Vollzug dieser Verfahren garantieren zu können, anstatt eine neue Gesetzesgrundlage zu schaffen. Bei Klimaprotesten wird, im Unterschied zu anderen Strafverfahren, derzeit von Strafverteidiger*innen mit einer Notstandslage (§ 34 StGB) durch negative Folgen der Klimakrise argumentiert. Die Verhältnismäßigkeit des Protests muss auch in diesem Kontext bei einer strafrechtlichen Beurteilung in Betracht gezogen werden.
Ansonsten sind die Gerichte gegenüber Klimaaktivist*innen bisher mehrheitlich dem jeweiligen Sachverhalt angemessen vorgegangen. Viele Daten zu solchen Verfahren sind allerdings nicht zugänglich. Unser Verein Green Legal Impact will das in Kooperation mit Amnesty International mit dem Projekt Green Legal Spaces ändern.
Welche repressiven Entwicklungen bezüglich der Klimaproteste sind besonders bedenklich?
Die Gewährung von Versammlungs- und Meinungsfreiheit sollte nicht nur in Deutschland gut beobachtet werden. Die Tendenz in vielen Ländern, diese Freiheiten zu beschneiden oder abzuschaffen, ist schädlich für jede Demokratie. Dieser Trend muss unbedingt verhindert oder rückgängig gemacht werden. Ein weiteres repressives Element ist Abschreckung. Unsere Kanzlei vertritt derzeit Aktivist*innen im Kontext einer Aktion vor dem Landtag in Nordrhein-Westfalen. Die Staatsanwaltschaft dort hat Strafbefehle wegen Beihilfe zum Hausfriedensbruch beantragt – auch gegen Zuschauer*innen. Das Gericht hat die Strafbefehle zwar abgelehnt, aber der Vorgang an sich hat aus unserer Sicht einen erheblichen negativen Effekt auf die aktive oder passive Teilnahme an ähnlichen Veranstaltungen.
Was stimmt sie als Juristin hoffnungsvoll?
Ich gehe davon aus, dass Gerichte sich nicht von Forderungen anstecken lassen, Bagatelldelikte unverhältnismäßig hart zu ahnden.
Was raten Sie Aktivist*innen für eine möglichst große Wirkung?
Die Klimakrise und der Umgang mit den Folgen lösen zwingend hochbrisante soziale Fragen aus. Deshalb wären Koalitionen mit gesellschaftlichen Bewegungen, die sich mit der Einhaltung sozialer und wirtschaftlicher Menschenrechte befassen, sicher sehr effektiv.
Finden Sie radikalen Klimaprotest gerechtfertigt?
Ich bin als Juristin involviert, es geht bei mir immer um den einzelnen Fall. Aber persönlich kann ich die Verzweiflung der Aktivist*innen verstehen, denn diese Verzweiflung sehe ich auch teilweise bei meinen Kindern.
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