Freitag, 12. Januar 2024

CSU trifft Letzte Generation: Erwin Huber und Vincent Schäfer streiten über zivilen Ungehorsam und die Frage, was Klima- und Bauernprotest unterscheidet

Da haben sich 2 gefunden, um sich auszutauschen. Ein erhellendes Gespräch an manchen Punkten, das Ende hat mich eher enttäuscht, weil es so typisch ist: Der Rat von Huber "Die Störmanöver nicht so zentral zu sehen, dafür das politische Ziel, die Leute für sich zu gewinnen. Die Menschen müssen ihre Ohren endlich aufmachen und nicht zu" enthält keine erkennbare Antwort zur Lösung der verdrängten Krisen unserer Gesellschaft außerhalb des "Weiter so".

Freitag hier  Ausgabe 02/2024  Thilo Komma-Pöllath

Bauernproteste und Letzte Generation: „Da sind wir wieder bei der Nötigung “

Die Hochschule für Philosophie in München. In Seminarraum 4 sitzen sich zwei Studenten gegenüber, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Erwin Huber, 77, Ex-Parteichef der CSU, Konservativer der Strauß-Ära, und Vincent Schäfer, 20, Elitestudent, Aktivist der Letzten Generation. Kennengelernt haben sie sich in einem Nietzsche-Seminar im ersten Semester, sie duzen sich.

der Freitag: Herr Huber, finden CSU und Letzte Generation ausgerechnet in der Philosophie eine gemeinsame Gesprächsebene?

Erwin Huber: Für mich war das kein Auswahlkriterium für oder gegen das Studium, ob da nun einer von der Letzten Generation sitzt oder ein CSUler. Die Philosophie hat in den letzten fünf Jahren meine Lebenseinstellung verändert. In der Politik ist man doch auf einem sehr eingefahrenen Gleis mit starken Lärmwänden links und rechts unterwegs, die sind in der Philosophie wie weggerissen. Das ist ein Blickweiter!

Und inwiefern hat die Philosophie Ihr Engagement für die Letzte Generation beeinflusst, Herr Schäfer?

Vincent Schäfer: Ich habe im Sommer 2022 an der Hochschule ein Seminar zum zivilen Ungehorsam besucht. Das war das erste Mal, dass ich mit der Theorie dazu in Kontakt kam. Einer der Seminarleiter, Pater Jörg Alt, ein bekannter Jesuit, war selbst schon aktivistisch tätig. Am Ende hat mich diese theoretische Auseinandersetzung ermutigt, an Aktionen teilzunehmen.

Bei drei Aktionen der Letzten Generation waren Sie bisher dabei.

Schäfer: Vor gut einem Jahr bin ich in München das erste Mal auf die Straße gegangen. Weil die Polizei uns abgehalten hat, hat die Blockade erst am nächsten Tag funktioniert. Wir waren insgesamt zehn Leute und wurden über mehrere Wochen in Präventivgewahrsam genommen. Danach habe ich mich noch einmal in Berlin an Straßenprotesten beteiligt, auch hier mit Ankleben. Im Oktober 2023 war ich bei zwei Aktionen von Extinction Rebellion in Den Haag dabei, bei der wir Massenblockaden auf der A 12 verursacht haben.

Was war Ihre Motivation?

Schäfer: Ich sehe, dass wir den öffentlichen Diskurs beeinflussen können. Auch wenn das jetzt blöd klingt, ich schaue auch darauf, dass es persönlich bei mir reinpasst. Ich studiere jetzt nicht auch noch sechs Jahre Medizin, um am Ende keine Approbation zu bekommen, weil mein Führungszeugnis belastet ist. Da war auch Den Haag eine gute Option, weil die niederländische Polizei und Politik ganz anders mit diesen Protesten umgeht.

Nämlich wie?

Schäfer: Die Polizei ist sehr ruppig, das ist schmerzhaft, aber dafür wird man nur kurz verhaftet, in einem Bus 20 Kilometer weggefahren und wieder freigelassen, ohne dass die Personalien aufgenommen werden. Es gibt also keine Strafverfolgung.

Sie wurden nach Ihrer ersten Aktion in München 15 Tage lang eingesperrt. Wie war das?

Schäfer: Ich war 23 Stunden in Einzelhaft und hatte eine Stunde Hofgang. Den Rest des Tages war ich allein auf der Zelle, habe viel gelesen, Briefe geschrieben. Mehr kann man nicht machen. Ich würde sagen, meine Persönlichkeitsstruktur hat das nicht groß erschüttert.

Huber: Auch ich habe den Eindruck, dass Vincent keinen psychischen Knacks davongetragen hat.

Geht Vertrauen in den Staat verloren, wenn einen dieser Staat ohne Verfahren 15 Tage ins Gefängnis steckt?

Schäfer: Witzig war es auf keinen Fall, aber es hat mich nicht radikalisiert. Und es lässt mich ohne persönlichen Groll auch noch mit Vertretern der CSU sprechen (grinst). Vielleicht hilft mir die Philosophie, eine gewisse persönliche Distanz zu halten. Aus der Logik eines Staates kann ich sogar verstehen, dass er so gegen Demonstranten vorgeht, die den Staat in seinem Handeln in Frage stellen. Und trotzdem: Ich finde das Gesetz, von dem bisher über 60 Aktivisten der Letzten Generation betroffen waren, unrechtmäßig.

Herr Huber, ein Elitestudent der Philosophie und Medizin, ein Hochbegabter, unter den zwei Prozent Besten der Studierenden in Deutschland, denkt nicht zuerst an Karriere, sondern sucht die Kontroverse und wird weggesperrt. Was läuft da schief?

Huber: Es müssen sich auch die klügsten Köpfe des Landes an die geltende Rechtsordnung halten.

Schäfer: Erwin, hältst du das für verhältnismäßig?

Huber: Die Präventivhaft, die im Polizeiaufgabengesetz geregelt ist, wurde richterlich überprüft und bisher für zulässig gehalten. Sie wird angewandt in den Fällen, wo man von der Rückfälligkeit der Verdächtigen ausgeht. Vincent hat seinen Willen kundgetan, weiterhin gegen Recht und Gesetz zu verstoßen.

Halten Sie das Gesetz persönlich für richtig?

Huber: Ich habe dem Gesetz seinerzeit zugestimmt. Hätte Vincent beim Staatsanwalt gesagt „Nein, ich beteilige mich nicht mehr an rechtswidrigen Aktionen“, wäre er nicht in Gewahrsam genommen worden.

Schäfer: Mein Verfahren in München läuft noch. Die Richterin wollte einstellen, die Staatsanwaltschaft hat sich geweigert. Ich wurde als Auflage verwarnt, darauf sind wir in die Berufung.

Huber: Die Verwarnung wird nicht eingetragen, das ist wie Falschparken. Akzeptieren und der Fall wäre vergessen …

Schäfer: In meinem Fall war die Urteilsbegründung in Teilen entsetzlich unterkomplex. Es ist mir wichtig, dass die Frage der Verhältnismäßigkeit noch mal rückblickend geklärt wird. Mein Termin vor dem Haftrichter hat fünf Minuten gedauert. Erwin, du glaubst doch nicht, dass in der Zeit eine angemessene Prüfung der Verhältnismäßigkeit stattgefunden hat? Es kann also sein, dass ich in einem höchstrichterlichen Verfahren freigesprochen werde für eine Tat, für die ich schon 15 Tage im Gefängnis gesessen habe, nur weil ein einzelner Haftrichter gesagt hat, den sperre ich über Weihnachten und Silvester mal weg.

Herr Huber, mit dem Grundprinzip der Unschuldsvermutung hat das nichts mehr zu tun?

Huber: Der präventive Gewahrsam ist keine Strafe. Vincent hat nicht in Stadelheim gesessen, weil er ein Krimineller ist, sondern weil der Rechtsstaat sagt, jedenfalls nach der Gesetzeslage in Bayern, wenn jemand ganz praktisch vorhat, Straftaten zu begehen, dann muss man die Rechtsordnung wahren und die Bevölkerung schützen.

Schäfer: Erwin, sag es korrekt: Bei der Novellierung gab es 2017 große Proteste gegen das Gesetz – von Liberalen bis Linke. Der bayerische Staat hat hoch und heilig versprochen, dass es ein Anti-Terror-Gesetz ist. Damit die Polizei Befugnisse hat, etwa gegen die Gefahren des islamistischen Terrorismus. Und jetzt erzählst du mir, dass dieser Paragraf ausgeweitet werden kann auf unliebsame, aber friedliche Proteste aller Art. Aktivisten werden, weil eventuell Nötigung im Raum steht, durch ein Anti-Terror-Gesetz weggesperrt.

Huber: Auch in meinem Bewusstsein war es so, dass wir gesagt haben: Wir müssen uns mit diesem Präventivgewahrsam vor organisierter Kriminalität und Terror schützen. Es war nicht vorherzusehen, dass wir das auf Leute anwenden, die sich auf die Straße kleben.

Haben nicht die recht, die schon lange davor warnen, dass hierzulande immer mehr Anti-Terror-Gesetze gegen die eigene Bevölkerung in Stellung gebracht und legitime, rechtsstaatliche Freiräume beschnitten werden?

Huber: Nein, es zählt der Wortlaut des Gesetzes. Und der ist nicht reduziert auf den Terrorbereich. Das war nur die politische Begründung. Die Rechtmäßigkeit des Polizeiaufgabengesetzes ist bestätigt, die Frage der Verhältnismäßigkeit ist eigentlich die schwierigere. Ob das Ankleben auf der Straße und drei Wochen Haft tatsächlich verhältnismäßig sind, würde ich als juristische Frage offenlassen.

In der öffentlichen Debatte werden Aktivisten wie Herr Schäfer als „Klima-RAF“ beschimpft. Der Verfassungsschutz wurde aktiv, die Generalstaatsanwaltschaft München erklärte die Letzte Generation kurzerhand zur kriminellen Vereinigung. Warum fährt der Staat solche massiven Geschütze auf gegen eine marginale Splittergruppe?

Huber: Der Staat hat gar keinen Handlungsspielraum. Viele der Aktionen der Letzten Generation sind Rechtsbrüche. Auch das Ankleben auf der Straße ist Nötigung und Freiheitsberaubung, also Offizialdelikte, die in einem Rechtsstaat geahndet werden müssen. Man muss diese intelligenten jungen Leute ernst nehmen, aber sie können sich keine Sonderrechte herausnehmen.

Aber dass der Staat so tut, als handele es sich um organisierte Kriminalität, das glaubt doch kein Mensch!

Huber: Das ist schon die politische Bewertung. Ich persönlich teile sie nicht, aber der Staat muss bei Gesetzesverstößen handeln. Da sind wir uns doch einig!

Schäfer: Aber der Rechtsstaat muss verhältnismäßig agieren.

Huber: Die Polizei hat verhältnismäßig reagiert. Es ist nicht so, dass die Polizei mit Prügeln auf die Klimakleber losgegangen wäre. Ich habe Respekt vor Leuten wie Vincent, die für ihre Überzeugungen einstehen, persönlich erhebliche straf- und zivilrechtliche Risiken eingehen. Ich bedauere sogar, dass die Aktionen der Letzten Generation in der öffentlichen Wirkung kontraproduktiv wirken. Es ist schade, dass es nicht gelungen ist, einen größeren Teil der Menschen nachdenklich zu machen und ökologischer handeln zu lassen.

Bei den aktuellen Bauernprotesten spricht niemand von „Bauern-RAF“ oder einer kriminellen Vereinigung, obwohl auch sie den Verkehr lahmlegen oder Minister wie Robert Habeck von einem Bauernmob bedrängt werden. Im Gegenteil, die Politik nimmt bereits geplante Kürzungen wegen der Proteste wieder zurück. Wie geht das?

Huber: Es kann nicht zweierlei Maß geben im Rechtsstaat. Die vom Bauernverband organisierten Traktorendemos sind angemeldet und von den zuständigen Behörden genehmigt. Genau das aber will die Letzte Generation nicht, sie will mit dem bewussten Rechtsverstoß provozieren. Wenn wie bei Habeck einzelne Bauern nach dem gleichen Prinzip vorgehen, müssen sie wie die Letzte Generation behandelt und bestraft werden. Da sind wir wieder bei Nötigung.

Schäfer: Zu behaupten, die Bauern im Fall Habeck würden nach dem gleichen Prinzip wie die Letzte Generation vorgehen, ist eine gefährliche Gleichsetzung. Während in wenigen Wochen bereits mehrere Fälle gewaltbereiter Bauern, die PolitikerInnen bedrohen, vor deren Privathäusern auffahren und ihre Traktoren als Waffe einsetzen, bekannt geworden sind, ist die Letzte Generation dem Prinzip des passiven und friedlichen Widerstands in zwei Jahren ausnahmslos treu geblieben. Solche unüberlegten Gleichsetzungen sind Teil des Problems einer Debattenkultur, die der Vereinfachung wegen keine Unterschiede mehr erkennen möchte.

Warum stößt die Letzte Generation auf so breite Ablehnung, obwohl der Gesellschaft das Thema Umweltschutz wichtig ist?

Schäfer: Ja, es gibt diese Umfragen, aber es ist gar nicht unser Ziel, eine breite Sympathie zu erzeugen. Wir wollen stören. Trotz Pandemie, Ukrainekrieg oder Gasknappheit ist es den Aktivistinnen und Aktivisten, die täglich auf die Straße gehen, zu verdanken, dass in Deutschland so viel über das Klima geredet wird. Das Pariser Klimaschutzabkommen ist 2015 ratifiziert worden und der Expertenrat der Bundesregierung sagt, dass die Bemühungen der aktuellen Politik nicht reichen, um dieses Abkommen einzuhalten. Wir fordern nur die Umsetzung dessen, was schon längst mehrheitlich beschlossen wurde. Um diesen Diskurs hochzuhalten, ist unsere Aktionsform die richtige.

Daran kann man zweifeln. Die Menschen regen sich über Ihre Aktionen auf und nicht darüber, dass die deutsche Klimapolitik ihre Ziele verfehlt!

Schäfer: Das ist sehr bitter! Aber es gibt auch die sozialwissenschaftlichen Analysen, die zeigen, dass die Leute durchaus abstrahieren können. Nach Aktionen ist die Ablehnung der Letzten Generation sehr groß, aber die allgemeine Zustimmung zum Klimaschutz sinkt nicht. Ich würde den Leuten so viel Abstraktionsvermögen zutrauen, dass sie sagen, ich fand die Klimakrise bis 2021 unglaublich wichtig und sie ist seitdem noch schlimmer geworden. Daran ändern auch die einhundert Hanseln nichts, die sich auf die Straße kleben. Wenn wir so simpel denken und den Leuten unterstellen, dass sie den Klimaschutz deshalb nicht mehr als wichtig erachten, dann ist jeder rationale demokratische Willensbildungsprozess gescheitert.

Sind Ihre Aktionen nun spontan oder gibt es eine Theorie des Widerstands?

Schäfer: Natürlich gibt es eine Theorie des Widerstands, des zivilen Ungehorsams, wie ich sagen würde. Es gibt zahlreiche Theoretikerinnen, die darüber geschrieben haben. Und deren Definitionskriterien erfüllen die Aktionsform der Letzen Generation. Es ist der bewusste symbolische Gesetzesbruch, der dafür da ist, die Leute wachzurütteln.

An welche Denkerinnen und Denker denken Sie?

Schäfer: John Rawls, Jürgen Habermas, Hannah Arendt, das sind unsere großen Gewährsmänner und -frauen. Habermas definiert den zivilen Ungehorsam als einen moralisch begründeten Protest, der nicht nur Eigeninteressen verfolgen darf, der öffentlich stattfinden muss, man muss dafür bereit sein, die rechtlichen Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Man steht mit dem Gesicht zu den Aktionen und man macht es gewaltfrei. Das alles trifft auf die Letzte Generation zu.

Deshalb ist Ihr Protest legitim?

Schäfer: Rawls nennt zwei Kriterien, die den zivilen Ungehorsam legitimieren. Zum einen müsse es sich um Fragen schwerwiegender Ungerechtigkeit handeln. Zum anderen müssen die Möglichkeiten aussichtsreicher legaler Proteste ausgeschöpft sein. Beides liegt in der Klimakrise meines Erachtens vor. Fridays For Future hat über Jahre 1,4 Millionen Menschen auf die Straße gebracht und das hat dazu geführt, dass die Bundesregierung ein Klimapaket beschlossen hat, das vom Bundesverfassungsgericht als teilweise rechtswidrig klassifiziert wurde. Die Bundesregierung musste nachsteuern und trotzdem sehen wir, dass das aktuelle Klimaschutzgesetz nicht eingehalten wird. Mehr Legitimation braucht man nicht.

Huber: Vincent, wie du die Habermas-Definition zitierst, das ist glänzend, eine Eins in Philosophie, aber nicht in Politik. Ich habe zum Urteil des Verfassungsgerichts eine Seminararbeit an der Hochschule verfasst. Das Gericht hat nicht die Inhalte des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt, sondern nur den Zeithorizont. Es hat gesagt, es reicht nicht, dass der Staat nur bis 2030 Regelungen macht, und dann ist es in der Tat innerhalb von wenigen Monaten verlängert worden bis 2050. Das Gesetz ist also bestätigt. Es ist ja sehr reizvoll, über die Theorie des zivilen Ungehorsams zu philosophieren. Die Frage ist dann immer, ob ich dieses abstrakte Modell auf die konkrete Situation der Bundesrepublik Deutschland übertragen kann. Ich glaube nicht!

Warum nicht?

Huber: Wir sind ein freies Land, in dem im Grunde jeder auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen kann. Und da ist der Grad für zivilen Ungehorsam schon sehr schmal. Ich halte ein Recht auf Widerstand hierzulande für nicht realisierbar. Mit Habermas kann man nicht kommen. Er sagt, der Ungehorsam muss gewaltfrei sein. Prinzip Gandhi. Die Situation in Deutschland ist aber anders. Die Behinderung des Straßenverkehrs durch Ankleben ist Nötigung und Freiheitsberaubung und damit Gewaltanwendung. Und das ist die Grenze, wo man Habermas nicht mehr in Anspruch nehmen kann.

Schäfer: Ich muss widersprechen. Es gibt kein Gericht, das uns je für Freiheitsberaubung schuldig gesprochen hätte. Alle Autofahrer dürfen aussteigen, sind im juristischen Sinne nicht der Freiheit beraubt. Und natürlich ist passiver Widerstand keine Gewalt. Das Bundesverfassungsgericht hat hohe Schranken eingezogen nach Straßenbahnblockaden in den 1960er-Jahren. Das Urteil im Laepple-Fall besagt, dass es durchaus Formen von Straßenblockaden gibt, die nicht als Gewalt zu werten sind. Der Bundesgerichtshof hat dann gemeint, okay, dann sprechen wir in der ersten Reihe der Autofahrer nicht von Gewalt, weil die nur psychisch beeinträchtigt sind. Aber sobald diese zum Stehen kommen, nötigen sie alle anderen dahinter, stehen zu bleiben. Diese Rechtssprechung gilt bis heute.

Huber: Das heißt, wer in der zweiten Reihe nicht mehr weiterfahren kann, ist ganz praktisch Gewalt ausgesetzt. Deshalb bleibe ich dabei, die Aktionen sind nicht gewaltfrei und entsprechen nicht den theoretischen Annahmen des zivilen Ungehorsams.

Schäfer: Ich wehre mich nicht dagegen, dass das Nötigung ist. Aber wir können den Begriff der Gewaltfreiheit des zivilen Ungehorsams nicht einfach auf den engen juristischen Gewaltbegriff reduzieren.

Huber: Die Aktivitäten der Letzten Generation haben das Bewusstsein in Deutschland nicht gestärkt, weil die Menschen sich nicht gerne pädagogisieren lassen durch eine vermeintlich höherwertige moralische Grundposition. Wenn ich böse wäre, würde ich sagen, es steckt eine moralische Arroganz dahinter, im Sinne der Gesinnungsethik von Max Weber. Nach dem Motto: Ich habe diese Meinung und die bringe ich jetzt zum Ausdruck, koste es, was es wolle. Aber genau dieses „koste es, was es wolle“ geht im Rechtsstaat nicht.

Herr Huber, Sie sind eine Ausnahme innerhalb der Union, wenn es um Klima und Umwelt geht. Sie sagen, die Bewahrung der Schöpfung sei im C des Parteinamens angelegt. Warum tun sich trotzdem viele Konservative so schwer mit echter Klimapolitik?

Huber: Gut, ich könnte jetzt sagen, auch wir sind sündige Menschen … Es sind vor allem zwei Gründe: Die Transformation kostet etwas, was der Bürger zu bezahlen hat. Und vielfach wird der Ruf nach staatlicher Reglementierung laut. Da sind wir als Konservative in der Tat zurückhaltend, wir setzen auf Eigenverantwortung. Ich bin dafür, allen Unionspolitikern Laudato si’, die Enzyklika von Papst Franziskus, als Pflichtlektüre vorzuschreiben. Der Papst verbindet darin den Schöpfungsgedanken mit dem Klimaschutz. Und parallel dazu muss sie das Kirchenvolk lesen, das hätte einen ungeheuer positiven Einfluss auf das allgemeine Klimabewusstsein.

Anders als die Blockadepolitik der Letzten Generation!

Huber: Die Mängel, die wir beim Klimaschutz haben, sind beim Verkehr und bei den Haushalten, dort also, wo Millionen Menschen unmittelbar in der eigenen Verantwortung sind. Die aber werden von der Letzten Generation gar nicht ermutigt. Leider hat auch die Bundesregierung völlig falsche Instrumente angesetzt. Eigentlich müsste es das Ziel sein, die Bevölkerung zu mobilisieren, aus Eigenverantwortung etwas zu tun, damit unsere Kinder und auch meine Enkel noch eine gute Zukunft haben. Da würde man sehr viel mehr erreichen, als wenn man den Leuten mit dem pädagogischen Zeigefinger aufs Hirn haut.

Schäfer: Die Ablehnung für mehr Klimaschutz entsteht immer dann, wenn es die Leute konkret betrifft. Erwin, du meinst doch nicht ernsthaft, dass Habecks Heizungsgesetz besser angenommen worden wäre, wenn die Letzte Generation in den letzten zwei Jahren nicht aufgetreten wäre? Man kann nicht alles auf die bösen Aktivisten schieben.

Herr Huber, welche Strategie würden Sie als Politprofi der Letzten Generation empfehlen?

Huber: Die Störmanöver nicht so zentral zu sehen, dafür das politische Ziel, die Leute für sich zu gewinnen. Die Menschen müssen ihre Ohren endlich aufmachen und nicht zu.

Erwin Huber (geboren 1946 in Reisbach) war von September 2007 bis Oktober 2008 Parteivorsitzender der CSU und von 1994 bis 2008 Mitglied der Bayerischen Staatsregierung, zuletzt als Finanzminister

Vincent Schäfer studiert an der Hochschule für Philosophie in München. 2022 wurde der heute Zwanzigjährige auf die Letzte Generation aufmerksam und entschied sich zur Teilnahme an den Protesten


mehr dazu: Freitag hier

Ex-CSU-Chef Erwin Huber: „Gott will mehr Klimaschutz“

Interview Vor ein paar Jahren bedauerte Erwin Huber noch, wenn seine CSU nach einer Wahl „grüne Kröten schlucken“ musste. Dann studierte der Ex-Parteichef Philosophie und wurde zum Umweltfreak. Was hält er von Schwarz-Grün?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen