Mittwoch, 31. Januar 2024

Kosten für versäumte Energiewende im Süden zahlen Verbraucher bundesweit

Die aktuelle Ablehnung von Windrädern in Altötting kommt nicht von ungefähr - nachdem die CSU jahrelang Windräder und Netzausbau massiv bekämpft hat. Dass Aiwanger und Söder nun plötzlich nach Jahren der Kurzsicht doch dafür sind, ändert halt auch nichts mehr auf die Schnelle. So ist es, wenn Populismus den Boden über viele Jahre bereitet hat und die Saat schließlich aufgeht.

Merkur hier   Stand:30.01.2024, Von Carsten Hoefer

Ganz Deutschland zahlt für Bayerns Versäumnisse bei der Energiewende

In Süddeutschland fehlen Windräder, im Norden müssen sie immer öfter abgeregelt werden, weil die Netze überlastet sind. Das kostet Milliarden. Experten machen dafür nicht zuletzt die Politik in Bayern verantwortlich.

Die Energiebranche rechnet für die nächsten Jahre mit weiteren Milliardenkosten für die Stabilisierung des Stromnetzes. Zu den Hauptursachen zählen die Verzögerungen beim Netzausbau und der unzureichende Ausbau der Erneuerbaren Energien im Süden.
Diese Faktoren machen nach Einschätzung von Unternehmen und Ökonomen ein aufwendiges „Netzengpassmanagement“ nötig – und das wohl noch viele Jahre lang.

Im Norden wird mehr Ökostrom produziert, als gebraucht wird

Zahlen zu den Kosten dieses Engpassmanagements für das ganze Jahr 2023 gibt es noch nicht. Im ersten Halbjahr waren es laut Bundesnetzagentur über 1,6 Milliarden Euro, im Gesamtjahr 2022 4,2 Milliarden. In den Kosten enthalten ist die Vergütung für ungenutzten Ökostrom, der quasi für die Mülltonne erzeugt wird. Im Jahr 2022 zahlten die vier Übertragungsnetzbetreiber allein hierfür 900 Millionen Euro, 2021 waren es laut Bundesnetzagentur 800 Millionen.

Doch was bedeutet „Engpassmanagement“ eigentlich? Im Norden wird mehr Ökostrom produziert als verbraucht, im Süden ist es umgekehrt. Deswegen muss Strom von Nord nach Süd transportiert werden. Weil der Bau der Hochspannungstrassen „Südlink“ und „Südostlink“ sich um Jahre verzögert, reicht die Leitungskapazität häufig aber nicht. Sind die Leitungen überlastet, werden Ökostromanlagen – darunter viele Windräder im Norden – „abgeregelt“. Im Süden müssen dann hingegen konventionelle Kraftwerke hochfahren, die viel teureren Strom produzieren.

„Es ist nicht immer möglich, den Strom von den Erzeugungsanlagen zu den Verbrauchern zu transportieren“, formuliert ein Sprecher der Bundesnetzagentur diplomatisch. Dass das so ist, liegt nicht zuletzt an der Politik in Bayern. Nach ursprünglicher Planung hätten die zwei großen Gleichstromtrassen (HGÜ) schon 2022 fertiggestellt werden sollen. Der frühere Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) beharrte auf der Verlegung als Erdkabel, was die Fertigstellung bis 2027 oder 2028 verzögern wird. Ein prominenter Trassengegner war Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Die Verlegung von Erdkabeln dauert nicht nur Jahre länger, sondern ist auch doppelt so teuer wie der Freileitungsbau.

Kosten für versäumte Energiewende im Süden zahlen Verbraucher bundesweit

Nun fehlten Netzkapazitäten, weshalb immer wieder Windräder abgeschaltet werden müssen. So haben die für die Energiewende wichtigen Windräder in der Nordsee 2023 wegen Engpässen im Netz an Land weniger Strom geliefert als im Jahr zuvor. Insgesamt seien 19,24 Terawattstunden (TWh) Windenergie an Land übertragen worden, teilte Tennet mit, rund neun Prozent weniger als 2022. Rein rechnerisch könnte damit der Jahresbedarf von rund sechs Millionen Haushalten gedeckt werden.

Die gesamte Windstromerzeugung an Land und auf See in Deutschland bezifferte Tennet 2023 auf 148,97 TWh. 2022 wurden nach Angaben eines Sprechers der Behörde drei Prozent des Ökostroms abgeregelt, im Vergleich zur gesamten Stromerzeugung seien die Eingriffe gering. Doch summiert sich dies über die Jahre auf eine zweistellige Milliardensumme.

Die Kosten dafür tragen auch die Verbraucher – nicht nur im Süden, sondern bundesweit. Die Engpasskosten fließen nämlich in die bundesweit einheitlichen Übertragungsnetzentgelte ein, auch der Börsenstrompreis ist bundesweit. Die Entgelte für die örtlichen Verteilnetze sind dagegen regional unterschiedlich, sollen aber ebenfalls vereinheitlicht werden. Die Netzentgelte insgesamt werden in diesem Jahr nach Berechnungen von Verivox und Check24 um etwa ein Viertel teurer, für eine vierköpfige Familie etwa 100 Euro im Jahr. „Jetzt schon steigen durch die höher werdenden Netzentgelte infolge des großen Redispatchaufwandes in ganz Deutschland die Strompreise“, sagt der Energieexperte Raimund Kamm.

Süddeutschland profitiert von einem „umgekehrten Länderfinanzausgleich“

Doch ist das fair? „Den tatsächlichen Kosten entsprechende Marktpreise wären im Norden niedriger und im Süden höher, in Bayern und Baden-Württemberg sehr hoch“, sagt Ökonom Mathias Mier vom Münchner Ifo-Institut. Der Redispatch sei „ein umgekehrter Länderfinanzausgleich, von dem die Unternehmen in Süddeutschland sehr stark profitieren.“ Bei der Stromversorgung werde ganz Deutschland an den höheren Kosten im Süden beteiligt, inklusive der politisch verursachten. „Das zahlen vor allem die Privathaushalte“, sagt Mier.

Für die Experten ist die Aufgabe deshalb klar: Der möglichst schnelle Netzausbau und auch ein schnellerer Ausbau der Erneuerbaren Energien im Süden – insgesamt, nicht nur der Solaranlagen. Es gäbe eigentlich nur eine langfristige Lösung, meint der Wissenschaftler. Unterdessen empfiehlt der Ifo-Forscher Mier: „Und das wäre die Aufteilung Deutschlands in zwei oder mehr Strompreiszonen.“ Norddeutschland hätte dann einen Wettbewerbsvorteil bezüglich Strompreisen. Politik und Wirtschaft im Süden lehnen das aber naturgemäß ab.

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