Donnerstag, 11. Januar 2024

Schlüttsiel: Wer organisierte die Blockade gegen Habeck?

 hier  Zeit Von Christian Fuchs und Robert Pausch  10. Januar 2024

Vergangene Woche empfingen Hunderte Demonstranten Robert Habeck an einem Fähranleger. Unsere Recherche zeigt: Am Anfang der Proteste standen radikal rechte Kräfte.

Wirtschaftsminister Robert Habeck konnte eine Fähre in Schlüttsiel wegen Demonstrierenden nicht verlassen und musste auf die Insel Hallig Hooge zurückkehren, auf der er Urlaub gemacht hatte. 

Wer organisierte die Blockade gegen Habeck? 

Am Ende fliegen Silvesterraketen in den Nachthimmel von Schlüttsiel. Abgefeuert aus einer Menge, die zuvor den Fähranleger blockierte, eine Polizeikette durchbrach und den urlaubenden Vizekanzler Robert Habeck zur Abreise zwang. Gerade noch rechtzeitig hatte das Schiff vom Hafen abgelegt, wenige Augenblicke, bevor die Demonstranten die Fähre stürmen konnten.

Die Bilder von den Protesten der aufgebrachten Landwirte verbreiteten sich schon am vergangenen Donnerstagabend schnell. Die Tagesschau berichtete über die "Eskalation in Schlüttsiel", der Regierungssprecher sprach am Tag darauf von einer "Verrohung politischer Sitten", der Bauernverband rief die Demonstranten vor der angekündigten Protestwoche, die am Montag begann, zur Mäßigung auf.

Es sei eine Grenzüberschreitung gewesen, so lautete in den folgenden Tagen der Tenor. Einem Minister im Urlaub aufzulauern, sein Gesprächsangebot auszuschlagen und sich stattdessen gewaltsam Zugang zum Schiff verschaffen zu wollen, das alles bewege sich nicht mehr im Rahmen eines legitimen Protests. Mittlerweile ermittelt der Staatsschutz der Polizeidirektion Flensburg wegen Nötigung und Landfriedensbruch gegen unbekannt.

Was bislang ebenfalls unbekannt war, ist, wie der Protest überhaupt zustande gekommen war. Wie erfuhren die Landwirte und die anderen Protestierenden von Habecks Reise auf die Hallig Hooge und seiner Ankunft am Hafen von Schlüttsiel? Wer mobilisierte die Demonstranten?

Recherchen der ZEIT legen nahe, dass der Ursprung der Proteste in rechtsradikalen Kreisen liegt. Es geht um eine Frau, die für die AfD bei einer Wahl antrat und offenbar der Verschwörungsideologie der QAnon-Bewegung anhängt. Und es geht um einen bekannten Lohnunternehmer aus Nordfriesland, der mit seiner Firma für Landwirte unter anderem Gülle und Saatgut ausfährt und seine Fahrzeuge mit Fahnen schmückt, auf denen das Symbol der rechtsradikalen Landvolkbewegung prangt.

Dies bedeutet nicht, dass alle Landwirte, die am Fähranleger protestierten, rechtsradikal sind, im Gegenteil. Ein Augenzeuge von der Hallig, der mit der Fähre nach Hause fahren wollte, beschreibt die Stimmung als "überwiegend friedlich". Insgesamt sei dort "kein Alarm" gewesen. Nach der Eskalation mit der Polizei distanzierten sich einige Landwirte öffentlich. Ein anderer versichert im Gespräch mit der ZEIT, dass ihnen die Entwicklung des Abends leidtue, dass die Privatsphäre von Habeck nicht geachtet wurde und die ganze Aktion "total aus dem Ruder gelaufen" sei. Der Demonstrant sagt, er würde sich gerne dafür bei Habeck entschuldigen. Auch der Chef des Schleswig-Holsteinischen Bauernverbands erklärte, das sei keine gute Form des Protests gewesen, es dürfe keine Gewalt geben.

Rechte Kräfte nutzen die Wut der Bauern geschickt für ihre Zwecke

Die Recherchen zeigen allerdings, wie gut organisiert radikal rechte Kräfte vorgehen. Wie sie die Wut und Verunsicherung der Landwirte für sich nutzen. Und in welchem Maße bürgerlicher und rechtsradikaler Protest mittlerweile ineinanderfließen.

Als Robert Habeck am vergangenen Donnerstagvormittag die Fähre MS Hil­li­gen­lei in Schlütt­siel besteigt, um auf die Hallig Hooge überzusetzen, fährt auch eine Frau mit. Es ist die Akkordeonspielerin und Künstlerin Tanja B. Auch sie will an diesem Tag auf die Hallig im Nordfriesischen Wattenmeer. Während die Fähre über die Nordsee schippert, nimmt sie Kontakt zu Habeck auf, so beschreiben es Augenzeugen. Durch das Gespräch erfährt sie wohl von Habecks Plänen, am Nachmittag mit der einzigen Fähre, die am selben Tag zurückfährt, wieder zum Festland zu fahren.

Was Habeck wohl nicht wusste: Tanja B. ist eine politische Gegnerin. Im vergangenen Jahr kandidierte sie für die AfD bei der Kreiswahl in Nordfriesland, zog aber nicht in den Kreistag ein. Der Landesvorsitzende der AfD in Schleswig-Holstein, Kurt Kleinschmidt, möchte nicht bestätigen, dass B. Mitglied seiner Partei ist, sagt der ZEIT aber, dass sie in der AfD in Nordfriesland sehr aktiv sei und auch persönlich mit ihm bekannt sei. In ihrem WhatsApp-Status teilt Tanja B. eine populäre Botschaft der verschwörungsideologischen QAnon-Bewegung, die dem Glauben anhängt, eine weltweite satanistische Elite halte Kinder gefangen, um aus ihrem Blut ein Verjüngungsserum zu gewinnen. 

"Das hat sich verbreitet wie ein Lauffeuer"

Was in den kommenden Stunden passiert, lässt sich nicht exakt rekonstruieren, auch weil Tanja B. nicht mit der ZEIT sprechen möchte. "Kein Kommentar", lautet ihre Antwort auf eine Anfrage. Fest steht aber, dass kurz nach B.s Gespräch ein Mann namens Holger T., mit dem B. zusammenlebt, die Information verbreitet, dass Robert Habeck wieder mit der Fähre in Schlüttsiel ankommen wird. 

Auch T. ist im Norden politisch kein Unbekannter. Bei einer Protestaktion von Landwirten im vergangenen September im Kiel nimmt er mit Kollegen teil. Der ZEIT liegt ein Foto vor, das zwei Sattelschlepper seiner Firma auf dieser Kundgebung zeigt. Am Kühlergrill der Lkw sind Fahnen der historischen Landvolkbewegung angebracht: ein weißer Pflug und ein rotes Schwert auf schwarzem Grund. Das Symbol stammt von einer Protestbewegung aus den 1920er- und 1930er-Jahren, als Landwirte im Norden, teilweise mit Unterstützung paramilitärischer Verbände, mit Steuerboykott, Widerstand gegen Zwangspfändungen und Bombenanschlägen die Demokratie der Weimarer Republik angriffen. "Was wollen wir vernichten? Das jüdisch-parlamentarische System mitsamt seinen Parteien, Bonzen und Cliquen", schrieb der Bauer und Vordenker der Bewegung Wilhelm Hamkens 1930 in einem programmatischen Flugblatt.

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