Sonntag, 4. September 2022

Desinformationen zum Klima: Pseudo-Experten schaffen Glaubwürdigkeit

hier  ARD  Faktenfinder 02.09.2022 Carla Reveland

Immer wieder tauchen offene Briefe oder Deklarationen auf, die den menschengemachten Klimawandel anzweifeln - unterschrieben von Wissenschaftlern. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf: Die vermeintlichen Experten sind gar keine Klimaforscher.

Eine Datenanalyse vom Institut für strategischen Dialog (ISD) und der Koalition Climate Action Against Disinformation (CAAD) zeigt, dass Desinformationen zum Thema Klima gezielt verbreitet werden, um Klimamaßnahmen zu verhindern oder zu verzögern.

Der Bericht "Leugnen, Täuschen, Verzögern" kommt zu dem Schluss, dass sich "Junk-Wissenschaft, Klimaverschleppung und Angriffe auf Klimaexperten" durchsetzen konnten, weil nicht genügend gegen Desinformationen im Internet vorgegangen wurde. 

Wenige Akteure sind für sehr viele der verbreiteten Desinformationen über das Klima verantwortlich - viele von ihnen haben einen wissenschaftlichen oder akademischen Hintergrund und könnten so Glaubwürdigkeit für ihre Analysen beanspruchen. 
Sowohl strukturell als auch inhaltlich überschnitten sich viele Konten von Corona- und Klimaskeptikern.

Vermeintlich wissenschaftliche Beweise

Immer wieder kursieren angeblich wissenschaftliche Dokumente, welche die globale Erderwärmung in Zweifel ziehen. So war ein Beitrag des österreichischen rechten Medienportals "AUF1" in einschlägigen Kanälen eines der erfolgreichsten Telegrambeiträge der vergangenen Woche.
Im Titel des Videos heißt es: "Klima-Wahn: Über eintausend echte Wissenschaftler wehren sich gegen CO2-Lüge".
Darin geht es um ein Schreiben mit dem Titel: "Es gibt keinen Klimanotstand". Mehr als 1107 Unterzeichner hat der Brief weltweit, darunter zahlreiche Wissenschaftler. In dem Schreiben werden Behauptungen aufgestellt, die belegen sollen, dass es keinen Klimanotstand gebe. So heißt es etwa, dass die Erwärmung langsamer stattfinde als angenommen und die Klimapolitik sich auf unzulängliche Modelle verlasse. Außerdem sei CO2 essenziell für das Leben, eine Zunahme von Umweltkatastrophen nicht bewiesen und eine Null-CO2-Politik schädlich und unrealistisch.

Ein nahezu identisches Schreiben mit etwa der Hälfte der Unterzeichner kursierte bereits 2019. Herausgegeben ist die "World Climate Declaration" von der "Climate Intelligence Foundation" (CLINTEL). Laut DeSMog, einer Plattform für investigativen Umweltjournalismus, ist CLINTEL eine in den Niederlanden ansässige Klimawissenschafts-Leugnergruppe, die 2019 von dem pensionierten Geophysik-Professor Guus Berkhout und dem Journalisten Marcel Crok gegründet wurde.

Wiederkehrende Behauptungen

Schaut man sich die Behauptungen genauer an, wird schnell ersichtlich, dass sie alles andere als neu sind. So findet sich auch eine oft genutzte Aussage von Klimawandelleugnern in dem Dokument, die besagt, dass die Temperaturen nicht übermäßig ansteigen würden und es Wetterschwankungen schon immer gegeben habe.

Nicht nur im aktuellen Dokument ist diese Behauptung aufgeführt, sie ist auch im AfD-Wahlprogramm von 2021 zu finden. Darin heißt es: "Es ist bis heute nicht nachgewiesen, dass der Mensch, insbesondere die Industrie, für den Wandel des Klimas maßgeblich verantwortlich ist. Die jüngste Erwärmung liegt im Bereich natürlicher Klimaschwankungen, wie wir sie auch aus der vorindustriellen Vergangenheit kennen."

Silke Hansen, Leiterin des ARD-Wetterkompetenzzentrum, widerspricht dem entschieden. Den immensen Anstieg der Temperaturen weltweit hätte es so noch nie gegeben, die Zahlen der Wissenschaft belegten den menschengemachten Klimawandel eindeutig. Die globale Erwärmung, die wir derzeit sehen, sei definitiv nicht natürlichen Ursprungs, sondern außergewöhnlich.

Keine Leugnung des menschengemachten Klimawandels

Dass die Menschen Einfluss auf den Klimawandel haben, leugnen die Thesen der Briefes aber nicht per se. Stattdessen heißt es: "Sowohl natürliche als auch vom Menschen verursachte Faktoren verursachen die Erwärmung".

Einer der deutschen Unterzeichner, Fritz Vahrenholt, ehemaliger Hamburger Umweltsenator von der SPD, geht beispielsweise davon aus, dass natürliche Faktoren wie der Aktivität der Sonne etwa die Hälfte der globalen Erwärmung geschuldet sei. Eine These, die in ähnlicher Weise auch von AfD-Politikern wie Alice Weidel in der Vergangenheit vertreten wurde.

Jennie King, Leiterin der Abteilung für Klimadesinformation bei ISD, sagt, dass "Klimadesinformationen komplexer geworden sind und sich von offener Leugnung zu erkennbaren 'Diskursen der Verzögerung'" entwickelt hat, um die Kluft zwischen Akzeptanz und Handeln für die Energiewende zu missbrauchen. Dass der gegenwärtige Klimawandel fast ausschließlich auf anthropogene - also vom Menschen verursachte - Faktoren zurückzuführen ist, gilt als weitgehender wissenschaftlicher Konsens.

"Wissenschaftlich wertlos"

"Diese sogenannte 'World Climate Declaration' ist wissenschaftlich wertlos", sagt Toralf Staud, Fachjournalist des Wissensportals klimafakten.de. Es fehlten jegliche Belege für die aufgestellten Behauptungen. "Genau das aber ist in der Forschung eine Grundvoraussetzung: Nicht nur eine Meinung oder eine Behauptung zu äußern, sondern als Grundlage gut abgesicherte Erkenntnisse der Wissenschaft vorweisen zu können, die in sogenannten peer-reviewten Fachzeitschriften publiziert worden sind."

Die Methode eine Masse an Pseudo-Experten aufzuführen, die behaupten, dass es in der Forschung zu einer bestimmten Frage noch keine gesicherten Erkenntnisse gäbe, zählt zu einen der gängigsten Desinformationsstrategien der Wissenschaftsleugnung. Mit möglichst vielen Namen, die akademische Titel tragen, werde eine fachliche Expertise suggeriert. "Bei genauer Betrachtung aber sind das Personen, die vielleicht auf ihrem eigenen Fachgebiet eine gewisse Kompetenz haben, wie beispielsweise Chemie oder Verbrennermotorenentwicklung, aber zum betreffenden Thema, zu der sie sich hier äußern, praktisch keine fachliche Expertise haben.

"Fachliche Expertise zeichne sich dadurch aus, dass zu speziellen Fachfragen in der Fachdisziplin aktuelle Forschungen publiziert werden. "Genau das aber haben die allermeisten Unterzeichnenden solcher 'Deklarationen' praktisch nie", so Staud.

Pseudo-Experten als typische Desinformationsstrategie

Am Beispiel der "World Climate Declaration" lässt sich das bestätigen. Initiiert ist das Schreiben von Ian Giaver, einem pensionierten Physik-Professor, der 1973 einen Nobelpreis für Arbeiten zur Supraleitung bekommen hat. Seit einigen Jahren tritt der emeretierte Giaver öffentlich hauptsächlich damit in Erscheinung, dass er den Klimawandel in Zweifel zieht.

Giavers Aussagen zum Klimawandel beruhen nach eigenen Bekunden auf einem halben Tag bis Tag der Google-Recherche. Nach Angaben des Rensselaer Polytechnic Institute, der Universität Oslo und Google Scholar hat Giaever keine Arbeiten auf dem Gebiet der Klimawissenschaft veröffentlicht.

Nur weil jemand einen Professorentitel in Physik hat, hieße das nicht, dass sich die Person auch mit dem Klima auskenne, sagt Staud. Er erläutert anschaulich: "Wenn mein Auto kaputt ist, frage ich auch nicht meine Zahnärztin, was ich tun soll, sondern einen kompetenten Kfz-Monteur."

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