Alle drei Schlagzeilen stammen vom
Mittwoch – und weil sie in der Zusammenstellung fasst ein wenig
unglaubwürdig wirken können: Ja, sie sind echt. Für das traditionelle
Geschäftsmodell von einigen der größten Ölkonzerne der Welt war es
eine schlechte Woche.
Seit Jahren ist belegt, dass die
Verbrennung fossiler Rohstoffe für die Erhitzung des Planeten
verantwortlich ist, doch für viele der Firmen, die sie tagtäglich
in großem Stil zutage fördern, änderte sich wenig. Ein paar grüne
Investitionen hier, einige Versprechen auf künftige
Emissionsminderungen da, mehr aber auch nicht. In dieser Woche kam
der Veränderungsdruck gleich im Dreierpack.
Das Intro für das Klima-Triple kam schon
am 18. Mai von der Internationalen Energieagentur IEA. In
einem viel beachteten Report forderte
die Behörde, die noch vor 15 Jahren dazu aufgerufen hatte, mehr Erdöl zu fördern, weil das Öl
knapp werde, eine unverzügliche Abkehr von fossilen Brennstoffen:
- Schon ab heute dürfte
es keine Investitionen in neue Projekte zur Versorgung mit
fossilen Brennstoffen mehr geben.
- Es dürften keine
weiteren endgültigen Investitionsentscheidungen für neue
Kohlekraftwerke getroffen werden.
- Die am wenigsten
effizienten Kohlekraftwerke müssten bis 2030 abgeschaltet werden,
und die verbleibenden Kohlekraftwerke, die bis 2040 noch in
Betrieb sind, nachgerüstet werden.
- Es brauche außerdem eine
Politik, die den Verkauf von Neuwagen mit
Verbrennungsmotor bis 2035 beende, schreiben die
Fachleute.
Am Mittwoch dann fällte ein
niederländisches Gericht in Den Haag ein historisches Urteil gegen
den Ölkonzern Shell. Dieser sei, befand das Gericht, für
CO₂-Emissionen aus der eigenen Ölförderung verantwortlich. Bis zum
Jahr 2030 muss das Unternehmen deshalb seinen Treibhausgasausstoß
um 45 Prozent netto verringern, gemessen am Stand des Jahres 2019.
Besonders macht das Urteil, dass Shell dazu aufgerufen wurde,
Schäden durch weitere Förderung fossiler Brennstoffe gar nicht erst
entstehen zu lassen, und nicht etwa nur, bereits entstandene
Zerstörung nachträglich zu kompensieren. »Das ist die erste Klage
in Europa, die sich mit den Pflichten eines multinationalen
Unternehmens befasst hat, ein in die Zukunft gerichtetes Verfahren.
Das Urteil ist bahnbrechend«, sagte die Hamburger
Rechtsanwältin Roda Verheyen dem SPIEGEL.
Remo Klinger, Anwalt der Berliner Kanzlei
Geulen & Klinger sieht nun weitere Klagen auf große Konzerne
zukommen, und zwar auf all jene, die groß und für den Klimaschutz
relevant seien, »etwa aus dem Energiebereich, aber auch der
Autoproduktion, die keinen glaubhaften Pfad zur beschleunigten
Treibhausgasneutralität vorweisen können«, so der Jurist zum SPIEGEL. Schon das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts, dass kürzlich zu verschärften nationalen
Klimazielen in Deutschland führte, zeigt, dass Gerichte eine immer
wichtigere Rolle beim Klimaschutz einnehmen. Mit dem Urteil in den
Niederlanden sei erstmals ein global agierendes Unternehmen
gerichtlich zum Klimaschutz verpflichtet worden, sagt Verheyen. Was
auch bedeute: Diese Verpflichtungen sind einklagbar.
Wenige Stunden nach dem Gerichtsentscheid
in Den Haag musste der US-Ölriese Exxon eine Niederlage aus den
eigenen Reihen hinnehmen. Die Aktionäre des Unternehmens wählten
zwei Kandidaten des kleinen aktivistischen Hedgefonds Engine No. 1
in den Vorstand, obwohl dieser nur 0,02 Prozent der Anteile an
Exxon hält. Engine No. 1 hatte Exxon zu mehr Klimaschutz gedrängt,
offenbar mit Zustimmung der Eigner – und gegen den erklärten Willen von
Vorstandschef Darren Woods. Die dritte Wende betrifft Chevron, ebenfalls einer der
weltgrößten Ölkonzerne mit Sitz in Kalifornien. Mit einer Mehrheit von 61
Prozent zwangen die Investoren das Unternehmen, die Anstrengungen für den
Klimaschutz zu erhöhen. Neu ist, dass der Konzern nach dem Willen seiner
Besitzer auch die sogenannten Scope 3-Emissionen in den Blick nehmen soll. Das
sind jene Treibhausgase, die anfallen, wenn Kunden, etwa in Form von
Treibstoff, die Produkte des Konzerns verbrennen. Damit würde sich die
Verantwortung des Unternehmens nicht mehr nur auf die eigene Ölförderung
erstrecken, sondern auch auf die Folgen durch die spätere Anwendung seiner
Produkte.Alle drei Entwicklungen unterstreichen: Unternehmen,
die sich der Energiewende verschließen oder sie zu zögerlich angehen, geraten
nicht nur durch langfristige Klimaschutzvorhaben von Regierungen, sondern auch
durch Gerichte und die eigenen Aktionäre zunehmend unter Druck. Ein
Selbstläufer wird die Dekarbonisierung deshalb allerdings nicht. Zumal für
große staatliche Ölkonzerne, etwa in Saudi-Arabien, Russland und Lateinamerika,
andere Regeln gelten. Ihren Ausstieg aus dem Geschäft müssen die Regierungen
vorantreiben – und die internationalen Verabredungen etwa zu einheitlichen CO2-Steuern
und Emissionshandel. Protest der Gruppe Extinction
Rebellion gegen den Ölkonzern Shell im September 2020
Mike Kemp / In Pictures / Getty Images Bericht von Kurt Stukenberg hier zum ganzen Newsletter
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