Dienstag, 18. Mai 2021

"Klimahölle oder notwendige Entwicklung?"

Darum geht es im Streit um den neuen Regionalplan

Dieser Artikel von ULRICH MENDELIN erschien in der Schwäbischen Zeitung
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Auszüge: 

Eigentlich eine trockene Materie, doch in den vergangenen Monaten hat sich Protest formiert. Es geht um Flächenfraß, Waldrodung, Neubaugebiete, Frischluftschneisen. Und im Kern um die Frage:
Wie viel Wachstum verträgt eine Region, ohne die eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören?...

Etwa 30 Initiativen machen gegen den Regionalplan mobil. Es geht nicht nur um Flächenverbrauch, sondern, damit verbunden, auch um Klimaschutz. Eine regionale Gruppe der „Scientists for Future“ hat ausgerechnet, die dem Regionalplan zugrunde liegenden Wachstumsprognosen würden gegenüber dem Status quo einen zusätzlichen Ausstoß von etwa drei Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid bis 2050 bedeuten.

Dabei werde das verbleibende CO2-Budget der Region, das die Einhaltung des globalen 1,5-Grad-Klimaziels ermöglichen würde, schon 2025 aufgebraucht sein. Höchstens 1250 Hektar Fläche dürften nach Ansicht der Wissenschaftler neu bebaut werden – in allen drei Landkreisen, für alle Nutzungsarten zusammengerechnet. Geplant sind 2200 Hektar. Und da sind die ebenfalls umstrittenen Flächen für Kiesabbau – etwa im Altdorfer Wald – noch nicht eingerechnet....

Auf der anderen Seite drängt die Wirtschaft auf mehr Platz. Der sei nötig, „damit sich ortsansässige Betriebe weiterentwickeln und dem Standort die Treue halten können“, betont Peter Jany, scheidender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bodensee-Oberschwaben. Man bekenne sich zum verantwortungsbewussten Umgang mit der Inanspruchnahme von Gewerbeflächen, betont die IHK.....
Es sei aber ein Trugschluss zu glauben, mit einer restriktiven Flächenpolitik ließen sich Flächen sparen, so Jany. „Expandierende Betriebe holen sich ihre Flächen, wenn nicht bei uns, dann außerhalb der Region oder an ausländischen Standorten, sie nehmen dann die Arbeits- und Ausbildungsplätze mit, ebenso die Gewerbesteuer, die in unserer Region für mehr als ein Drittel des Steueraufkommens sorgt.“

Der Klimawandel wird weltweit zu einer immer drängenderen Herausforderung. Im Südwesten haben die Grünen die Landtagswahl klar gewonnen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann gibt den Kampf gegen die Erderwärmung als wichtigstes Ziel seiner Regierung aus. Und jetzt hat auch noch das Bundesverfassungsgericht gemahnt, Nachlässigkeit beim Klimaschutz bedrohe die Freiheit künftiger Generationen. Die Bundesregierung will Deutschland nun schon bis 2045 klimaneutral machen....

Aber zwischen Salem, Sigmaringen und Wangen soll alles weiterlaufen wie bisher. Zumindest empfinden es so die Regionalplangegner. „Die Region Bodensee-Oberschwaben verpasst gerade den Anschluss an ein zukunftsfähiges Wirtschaften“, beklagt Barbara Herzig vom Umweltverband BUND in Bad Saulgau.

Alles was an Flächen bebaut wird, ist für immer für die Landwirtschaft verloren“, begründet Karl-Heinz Mayer, BLHV-Kreisvorsitzender von Überlingen-Pfullendorf und Hofbesitzer aus Owingen, sein Engagement. Und nicht nur die Bauflächen gingen seinen Kollegen als Ackerland verloren, sondern zusätzlich auch noch die dann vorgeschriebenen ökologischen Ausgleichsflächen. „Da kommen wir als Landwirte nicht mehr hin.“....

Der Widerstand hat die Verantwortlichen des Regionalverbands überrascht......Bereits im Februar war ein Klimaaktivist im Vorfeld einer ersten Protestveranstaltung dem Regionalverband buchstäblich aufs Dach gestiegen und hatte dort ein Transparent entrollt.

Stefan Bubeck (CDU), Bürgermeister von Mengen, gab auf einer Pressekonferenz von Regionalplanbefürwortern im Kreis Sigmaringen zu Protokoll, die Bilder vor dem Regionalverband hätten ihn an den Sturm auf das Kapitol in Washington erinnert. Beim Sturm auf das Kapitol in Washington drangen 800 Aufrührer in das amerikanische Parlament ein, fünf Menschen starben, Abgeordnete und ihre Mitarbeiter rannten um ihr Leben.
Beim Protest in Ravensburg stieg ein Aktivist auf das Dach des Regionalverbands und beschädigte einige Dachplatten, es entstand ein Schaden von 4500 Euro. Die Stadt Ravensburg als Eigentümerin der Liegenschaft erstattete Anzeige.

Drinnen, im Kapitol von Oberschwaben, sitzt einige Wochen später Wilfried Franke und will einige Dinge geraderücken. ...Die Kritik der Klimaschützer findet er ungerecht. ...

Allein der Bundesverkehrswegeplan sehe in den nächsten Jahren zwölf Projekte im Raum Bodensee-Oberschwaben vor, vom Ravensburger Molldiete-Tunnel bis hin zur B 31 bei Hagnau. Das seien Planungen anderer, die im Plan berücksichtigt werden müssten. „Der Regionalverband plant null Quadratmeter Straße“, betont Franke. Auch Wohngebiete, die schon von den jeweiligen Gemeinderäten abgesegnet, aber noch nicht bebaut worden sind, würden in den Zahlen zum Flächenbedarf auftauchen.

Daran könne er ebenfalls nichts ändern. Und die Planungshoheit liege noch immer bei den Kommunen. Wenn sich herausstelle, dass ein Gemeinderat ein Vorranggebiet für Gewerbe oder Wohnungen nicht nutzen wolle, dann bleibe die Fläche unbebaut. Vom ausgewiesenen Flächenpotenzial sei „erfahrungsgemäß bis zur Hälfte tatsächlich nicht umsetzbar“.

Schon gar nicht will sich Franke als Klimakiller darstellen lassen. Die rechtliche Grundlage, das Landesplanungsgesetz, gebe einfach wenig Möglichkeiten her. So sei es nicht möglich, Vorranggebiete für Photovoltaik auszuweisen. 

Der Regionalplan mit den zugehörigen Landkarten, Berichten und Gutachten ist einsehbar unter: www.rvbo.de

Die Petition der Gegner des aktuellen Regionalplanentwurfs und die Stellungnahme von Scientists for Future finden sich unter: www.openpetition.de/!regionalplan


Immer wieder bemerkenswert finde ich die Regionalverbands-Aussage
"
Der Widerstand hat die Verantwortlichen des Regionalverbands überrascht. „Die Diskussion ist in der Qualität neu“, wundert sich Thomas Kugler (CDU), Bürgermeister von Pfullendorf und Vorsitzender der Verbandsversammlung.„Der Protest ist mit voller Wucht über uns hereingebrochen.“ 

Echt jetzt? Und das nachdem bei beiden Offenlegungen tausende von Widersprüchen eingegangen waren? Und nachdem die betroffenen Bürger von beiden Anhörungen keinerlei Rückmeldung erhalten hatten? Nachdem seit Jahren immer wieder Gesprächsangebote vorlagen, Gutachten eingereicht wurden, Unterschriften gesammelt wurden - die alle irgendwo in den Schubladen verschwanden? 

Und auch die Sache mit der Planungshoheit der Kommunen ist bemerkenswert. Es ist so eine nette kleine Gemeinschaft, die sich da einig ist. Bürgermeister können - ohne dass Rücksprache mit ihren Gemeinderäten verlangt wäre - ihre Wünsche einreichen und befinden dann - jetzt umgekleidet im Gewand des Regionalverbandsmitglieds - die Wünsche wunderbar und notwendig. Und die Gegner sollen gefälligst still sein, wie  IHK-Geschäftsführer Jany mahnt : „Das Ergebnis gilt, und wer dieses nicht als bindend und ausreichend legitimiert ansieht, bewegt sich außerhalb unserer demokratischen Grundordnung.“
Große Worte von einem, der die demokratische Grundhaltung offenbar nicht so ganz wichtig nimmt....

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