ARD hier 03.10.2023 Von Ute Jurkovics, NDR
Um die Klimaziele zu erreichen, muss mehr Energie aus Solarstrom gewonnen werden. Dafür braucht es unter anderem Ackerflächen - was oft zu Konflikten führt. Doch Kompromisse sind möglich.
In der Solarbranche herrscht Goldgräberstimmung. Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, will die Bundesregierung das Ausbautempo für Photovoltaik bis 2026 auf 22 Gigawatt pro Jahr verdreifachen. Die Hälfte der Solaranlagen soll auf Dächern, die andere Hälfte auf Freiflächen entstehen.
Dafür wird neben versiegelten Flächen auch Agrarland benötigt: nach Berechnungen des Braunschweiger Thünen-Instituts voraussichtlich etwa 1,7 Prozent der derzeit landwirtschaftlich genutzten Fläche. Das sind 280.000 Hektar, eine Fläche etwas größer als das Saarland.
Entscheidung liegt bei Gemeinden
Abhängig vom Wirkungsgrad der installierten Panels kann sich der Flächenbedarf auf bis zu vier Prozent des Agrarlands erhöhen. Dabei liegt die Entscheidung, welche Flächen mit Solar-Panels bebaut werden dürfen, bei den Gemeinden. Sie werden mit Anfragen von Investoren überrannt, die in ganz Deutschland nach geeigneten Flächen suchen.
Doch was den Ausbau der Erneuerbaren Energien voranbringen soll, hat auch Schattenseiten. So verstärkt die Jagd auf mögliche Nutzflächen den Konkurrenzdruck auf Agrarflächen, treibt Pachtpreise nach oben und lässt fruchtbare Äcker und Wiesen unter dunklen Solarmodulen verschwinden.
Erneuerbare Energien - Kampf ums Ackerland
Der Solarboom setzt Landwirte in Deutschland unter Druck - Investoren kaufen riesige Flächen. mehr Gewerbesteuer und Pachteinnahmen locken
Gemeindevertreter stehen vor der schwierigen Frage: Sollen weiter Nahrungsmittel angebaut oder soll lieber Strom erzeugt werden? Für Kommunen sind Solaranlagen attraktiv, weil sie Einnahmen - etwa durch die Gewerbesteuer - in die Gemeindekasse spülen.
Landwirte und Landbesitzer profitieren durch höhere Pachteinnahmen. Denn die "Solarernte" ist lukrativer als der Anbau von Weizen, Mais oder Raps. Bei Dorfbewohnern aber stoßen die Ausbaupläne oft auf Skepsis. Sie befürchten, dass sie Solarparks zwar vor der Nase, aber selbst nichts von den Erlösen haben werden.
Bewohner fühlen sich nicht ausreichend informiert
In der Gemeinde Pronstorf nahe Lübeck etwa haben sich die Bewohner mit einem Bürgerentscheid gegen einen Solarpark gewehrt und ein vorläufiges Bauverbot erreicht. Auch in Mecklenburg-Vorpommern, das mit seinen riesigen Ackerflächen für Investoren besonders attraktiv ist, gibt es Streit: zum Beispiel in Stretense, einem Ortsteil von Anklam.
Dort ist mit rund 150 Hektar einer der größten Solarparks in der Region geplant. Die Befürworter argumentieren mit Einnahmen für die Stadtkasse in Millionenhöhe und hoffen, durch "grünen" Strom neues Gewerbe nach Anklam zu locken. Die Bewohner von Stretense aber fühlen sich übergangen und nur unzureichend informiert. Sie befürchten, von Solarmodulen umzingelt zu werden und lehnen das Projekt direkt an ihrem Ortseingang ab.
Sie wehrten sich mit Demonstrationen und einer Unterschriftensammlung. Der Stadtrat von Anklam stimmte trotzdem mehrheitlich für die Photovoltaikanlage. Das Genehmigungsverfahren läuft - gebaut wird voraussichtlich Ende 2024.
Bürger-Energieparks in der Diskussion
Diese Konflikte sind symptomatisch für die Auseinandersetzungen in vielen Regionen. Entschärfen könnten sie sogenannte Bürger-Energieparks, von denen die Gemeinden und die Bewohner, etwa durch verbilligte Strompreise, stärker profitieren. Das setzt jedoch voraus, dass sich Kommunalpolitiker in die schwierige Materie einarbeiten und die Bürger in Entscheidungen einbeziehen.
In Wöbbelin nahe Schwerin gibt es bereits einen Bürgerenergiepark auf gemeindeeigenen Flächen. "Die Anlage umzusetzen war nicht einfach", sagte Bürgermeisterin Viola Tonn (parteilos). Nur mit viel Überzeugungsarbeit, einer Energiemesse und weiteren Events sei es gelungen, die Bevölkerung dafür zu gewinnen.
Häufig jedoch stehen ehrenamtliche Gemeindevertreter finanzstarken Investoren mit versierten Rechtsabteilungen gegenüber und müssen sich mit Gutachten und komplizierten Vertragswerken auseinandersetzen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte dazu dem NDR, er setze auf Beratung und Leitfäden. "Den Kommunen das jetzt wegzunehmen, wie es bei der Windplanung häufig passiert ist", so Habeck, "erscheint mir bei Photovoltaik zu früh oder gar nicht richtig."
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