Mittwoch, 18. Oktober 2023

Vollstreckte Haftstrafe für satirische Kritik: Samuel Bosch und Charlie Kiehne rechtskräftig verurteilt

 


Ravensburger Baumhausklimacamp, Pressemitteilung vom 18.10.2023

Richter hätte noch strenger verurteilen wollen, kritisiert Fridays for Future

Am heutigen Mittwoch (18.10.2023) standen die Klimaaktivist*innen Samuel Bosch (20) und Charlie Kiehne (21) in Augsburg vor dem Landgericht. Sie hatten im Oktober 2022 gemeinsam mit dem ebenfalls Beschuldigten Ingo Blechschmidt (35) satirische Kritik an der Fassade der Regierung von Schwaben platziert (siehe  Pressemitteilung vom 17.10.2023). Der Vorsitzende Richter bekräftigte nun das Urteil des Amtsgerichts aus dem Juni und verwarf die Berufung. In seiner Urteilsbegründung bedauerte er, dass er keine noch höhere Strafe verhängen könnte – das Verschlechterungsverbot verhinderte das, weil die Staatsanwaltschaft vor Prozessbeginn ihre Berufung zurückgezogen hatte. Weil das Jugendstrafrecht keine dritte Instanz vorsieht, sind Samuel Bosch und Charlie Kiehne damit rechtskräftig zu drei bzw. einer Woche Gefängnis (vollstreckt als Jugendarrest, nicht zur Bewährung ausgesetzt) verurteilt. Blechschmidt erwartet nun ebenfalls eine vollstreckte Haftstrafe, das Urteil dazu wird am 26.10.2023 fallen. Weil bei ihm Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommt, werden es bei ihm voraussichtlich mehrere Monate.

Zentral ging es im Prozess um die Banneraufschriften "Lohwald-Rodung trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!" und "Lohwald verhökern für 250 €? Frech!", die zur Begründung des Straftatvorwurfs § 188 StGB (üble Nachrede bei Personen des politischen Lebens) herangezogen wurden.

Anwohner*innen des Lohwalds, die den Prozess verfolgten, kündigten direkt nach der Verhandlung an, eben jene Bannersprüche auch bei der besonderen Fridays-for-Future-Demonstration am 22.10.2023 (11:00, Augsburger Innenstadt) zum Thema "Ein Jahr nach der vorgezogenen Lohwald-Rodung: Wird die Regierung von Schwaben in Zukunft obergerichtliche Rodungsprüfungen respektieren?" zu präsentieren. Ein Anwohner (knapp 60 Jahre, möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen) erklärte: "Erst die Ausnahmegenehmigung der Regierung von Schwaben öffnete der Lohwald-Rodung Tür und Tor. Ohne sie hätten die Lech-Stahlwerke die laufende obergerichtliche Prüfung ihres Rodungsvorhabens abwarten müssen." Insofern seien die verfahrensgegenständlichen Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof legt bei umstrittenen Rodungsvorhaben immer wieder die Notbremse ein, bewahrte in einem viel beachteten Urteil zuletzt einen Bannwald bei Planegg (München) vor der Rodung (https://www.sueddeutsche.de/muenchen/vgh-entscheidung-kiesabbau-waldrodung-planegg-1.6093536). Entsprechend könnte die Fridays-for-Future-Demonstration diesen Sonntag von den Behörden gestoppt werden.

In der Urteilsbegründung äußerte der Vorsitzende Richter zudem allgemeine Kritik an Fridays for Future. Aktivismus bedrohe die Lebensgrundlagen von acht Milliarden Menschen; man könne nicht alles verbieten. Kurz vor diesen Vorwürfen hatten Bosch und Kiehne in ihrem letzten Wort betont, wie sie sich in ihren Heimatstädten in verschiedene städtische Gremien und Projekte einbringen, um konstruktiv an Lösungen zur Klimakrise zu arbeiten, zudem Müll sammeln, Bäume pflanzen und Workshops an Schulen leiten. Ingo Blechschmidt, der für verschiedene Klimainitiativen den Telefondienst macht, erklärt: "Immer wieder rufen Bürger*innen bei mir an, weil sie gehört haben, dass Aktivist*innen alles verbieten wollen würden. Das Gegenteil ist der Fall: Wir stehen für die Rückkehr des 9-Euro-Tickets ein, für die Erlaubnis von Balkonsolaranlagen, für die Schaffung eines sicheren Radwegenetzes. Letztendlich geht es uns darum, dass das vom Bundestag demokratisch beschlossene Klimaschutzgesetz umgesetzt wird."

Klaus Schulz, erfahrener Anwalt im Strafrecht und Rechtsbeistand von Bosch, erklärte: "Aus württembergischer Sicht ist das Urteil definitiv überzogen –  in Bayern sind die drauf wie's Messer. Samuel und Charlie sind kaum vorbestraft und trotzdem wurde hier gnadenlos fast die Höchststrafe verhängt. Ich schätze, das ist im Strafmaß fast Faktor drei im Verhältnis zu Baden-Württemberg". Auch die Situation im Gerichtsgebäude sei in Bayern grundlegend verschieden. In flughafenähnlichen Polizeikontrollen wurden der Öffentlichkeit nahezu alle mitgeführten Gegenstände, wie zum Beispiel Bleistifte verboten. Ein Zuschauer, der auf einem Blatt mitschreiben wollte, lieh von einem der Prozessbeteiligten einen Stift, woraufhin der Staatsanwalt erbost aufsprang und laut rufend in den Nachbarraum lief. Dem Zuschauer wurde angedroht, aus dem Saal verwiesen zu werden, wenn er den Stift nicht umgehend zurückgebe. Auch der Angeklagte Samuel Bosch musste die Verwendung eines Stifts erst beantragen.

Das Urteil überraschte Kiki Köffler (19), eine Freundin der drei Angeklagten, im Verhältnis zu den Vorwürfen und der Tat. Schließlich sei der Protest zielgerichtet gewesen und habe auch keine Dritten tangiert. Die satirische Kritik habe nichts mit Straßenblockaden der Letzten Generation zu tun. Aus ihrer Sicht füge es sich in die zunehmende Kriminalisierung von Klimaschutzprotesten ein. Das wurde im vergangenen September von Amnesty International in deutlichen Worten kritisiert. In Deutschland würden Proteste vonseiten der Behörden mitunter als Bedrohung wahrgenommen, statt sie als Kernelement eines lebendigen gesellschaftlichen Diskurses zu ermöglichen und zu schützen, heißt es in dem Bericht (https://netzpolitik.org/2023/interaktive-karte-amnesty-kritisiert-einschraenkung-der-versammlungsfreiheit-in-deutschland/). Vielmehr bestünde in Deutschland die Gefahr, Menschen davon abzuschrecken, zu demonstrieren.

Bei aller Kritik an der Haftstrafe erklärt Bosch: "Das eigentlich Schlimme ist nicht die Haftstrafe, sondern die Klimazerstörung, die wir im globalen Süden verursachen. Wenn alle Bürger der Erde darüber entscheiden könnten, würden bei uns im globalen Norden keine Wälder mehr gerodet werden würden."

Auf das schwere Urteil reagierten die den Prozess verfolgenden Anwohner*innen, Unterstützer*innen und Aktivist*innen unterschiedlich. Blechschmidt, der sein Urteil am 26.10.2023 erfahren wird, erklärt: "Heute wurden zwei meiner besten aktivistischen Freund*innen zu Gefängnis verurteilt. Charlie und Samuel sind für mich inspirierende Vorbilder. Wenn auch nur ein paar mehr Menschen sich gelegentlich aktivistisch engagieren würden, wäre die Welt ein ganzes Stück besser." Köffle erklärte: "Das Urteil ist unnötig hart und zeigt, dass es dem Gericht um Einschüchterung und die Verhinderung von Protest im Allgemeinen geht. Eine Gefängnisstrafe für drei Stunden in einem Behördenflur. So ein freches Urteil sucht seinesgleichen." Bosch erlebte Rückhalt von seiner Familie, seine Eltern drückten aus, dass sie weiter hinter Samuel stehen und sein Engagement zu schätzen wissen. Eine Anwohnerin und gläubige Christin betete nach der Verhandlung und bat um Verzeihung für das Unrecht, das wir in Deutschland zulassen würden. Aktivist*innen aus dem Klimacamp erklärten, für die Dauer der Haft ein Protestcamp vor der Regierung von Schwaben zu errichten.

Pressemitteilung vor dem Prozess: https://etherpad.wikimedia.org/p/r.9007a9da571c3e9038476fd1406c3142

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