Süddeutsche Zeitung hier Von Thomas Hummel 24. Oktober 2023
Die Internationale Energieagentur sagt einen rasanten Wandel voraus, getrieben von E-Autos und Solarmodulen. Die weltweite Nachfrage nach fossilen Brennstoffen soll bald sinken - mit enormen wirtschaftlichen und geopolitischen Folgen.
Der Boom vor allem bei Elektroautos und in der Solarindustrie ändert schneller als bislang angenommen die globale Energiewelt. Erstmals prognostiziert die Internationale Energieagentur IEA in ihrem jährlichen Ausblick, dass noch in diesem Jahrzehnt die Nachfragen nach Kohle, Öl und Gas ihre Höhepunkte erreichen werden. Danach sinke das Geschäft mit den fossilen Brennstoffen, was zu enormen wirtschaftlichen und geopolitischen Veränderungen führen könnte.
"Der Übergang zu sauberer Energie findet weltweit statt und ist unaufhaltsam", erklärte IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol zur Vorstellung des Berichts am Dienstag. "Es ist keine Frage des 'ob', sondern nur des 'wie bald'." Im Hinblick auf die Gefahren durch die Erderwärmung, die maßgeblich durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe angetrieben wird, fügte Birol hinzu: "Je früher, desto besser für uns alle."
Dabei geht die Agentur mit Sitz in Paris von einem weiterhin steigenden Energiebedarf der Menschheit aus, getrieben durch Schwellen- und Entwicklungsländer wie Indien oder afrikanische Staaten. Doch der "phänomenale Aufstieg sauberer Energietechnologien" führe dazu, dass die bislang dominierenden fossilen Brennstoffe zurückgedrängt würden, erklärt die IEA. Wie stark, hänge von politischen Entscheidungen ab.
Für die Einhaltung der Klimaziele reicht es noch nicht
Denn die Prognose basiert auf aktuell angewandter Politik. Würden die Länder ihre Zusagen etwa in der Klimapolitik einhalten, schreite der Wandel schneller voran. Für das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, würde aber auch das nicht reichen. Aktuell bewege sich die Welt auf eine Erwärmung auf etwa 2,4 Grad bis Ende des Jahrhunderts zu mit teils katastrophalen Auswirkungen für Ökosysteme der Erde.
Halten aktuelle Trends an, sind die Umwälzungen aber bereits enorm. So war laut IEA im Jahr 2020 einer von 25 weltweit verkauften Neuwagen ein Elektroauto, in diesem Jahr bereits einer von fünf. 2030 dürfte mindestens jedes zweite neue Auto elektrisch betrieben sein. Das stellt etwa die deutschen Hersteller VW, BMW und Mercedes, führend in der Verbrenner-Technologie, vor große Herausforderungen. Da derzeit 45 Prozent des geförderten Erdöls als Benzin oder Diesel im Tank landen, hat dies auch für die Ölindustrie enorme Folgen.
Die Wärmewende kommt ebenfalls voran. Elektrische Systeme wie Wärmepumpen werden laut Prognose der Energieagentur bereits in sieben Jahren die am häufigsten eingebauten Heizungen sein. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtbedarf erhöht sich bis dahin von heute etwa 30 Prozent auf 50 Prozent. Allein in Windparks auf See (Offshore) würde dann drei Mal mehr Geld investiert als in neue Kohle- oder Gasprojekte. Besonders stark entwickle sich der Ausbau der Photovoltaik. Das gibt sogar Anlass zur Annahme, dass erneuerbare Energien noch stärker wachsen als heute gedacht.
Von 2025 an kommen enorme Mengen von Flüssiggas auf den Markt
Die politischen Ziele der Länder führten laut IEA dazu, dass Anfang der 2030er-Jahre jährlich etwa 500 Gigawatt an Photovoltaik neu installiert werden. Bestehende und geplante Produktionsstätten erlauben es jedoch, dann Solarmodule mit einer Gesamtleistung von 1200 Gigawatt herzustellen. Daraus ergibt sich ein erhebliches Potenzial, falls die Länder mit dem Ausbau der Stromnetze und Speicherkapazitäten wie Batterien hinterherkommen.
Zu anderen Prognosen kommen etwa die Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec) oder die großen Ölkonzerne Nordamerikas. Sie sagen einen steigenden Öl-Bedarf bis Mitte des Jahrhunderts voraus. Weshalb sie weiterhin massiv in neue Projekte investieren, etwa vor der Küste Guyanas in Südamerika.
Ebenso kündigt sich ein beispielloser Zuwachs an Flüssigerdgas (LNG) an, vor allem in den USA und Katar. Von 2025 an könnte sich die weltweite Fördermenge um 45 Prozent erhöhen. Falls sich gleichzeitig die Prognose der IEA bewahrheiten und die Nachfrage stagnieren sollte, läuft die LNG-Branche in einen scharfen Wettbewerb. Zu spüren bekäme das etwa Russland, das sich dann sehr schwertäte, nach dem Bruch mit dem Westen neue Kunden für sein Erdgas zu finden.
In der EU deutet sich der Trend auch schon an
Kritiker verweisen darauf, dass sich die IEA in ihrem jährlichen Ausblick immer wieder getäuscht hat. So unterschätzte die Agentur bis weit in die 2010er-Jahre hinein den Ausbau der erneuerbaren Energien erheblich, ebenso sagt sie häufig eine rosige Zukunft für die Atomkraft voraus, was sich zuletzt nicht bewahrheitete. Auch diesmal prognostiziert die IEA der Atomkraft einen Zuwachs.
Ein Schwenk weg von fossilen Brennstoffen bestätigt sich indes in der Europäischen Union. Laut Zahlen der britischen Umweltorganisation Ember ging im ersten Halbjahr 2023 der Verbrauch von Kohle für die Stromproduktion im Vergleich zum Vorjahr um 23 Prozent zurück. Der von Erdgas um 13 Prozent. Getrieben ist die Entwicklung durch einen gesunkenen Verbrauch sowie Steigerungen bei Wind-, Sonnen- und Wasserkraft.
IEA-Chef Birol forderte Regierungen und Investoren auf, den Wandel noch zu forcieren, denn die Vorteile seien immens: "Neue industrielle Möglichkeiten und Arbeitsplätze, größere Energiesicherheit, sauberere Luft, universeller Energiezugang und ein sichereres Klima für alle." Die Konflikte in der Ukraine und in Nahost, Regionen mit großen Öl- und Gasexporteuren, stellten zudem mehr denn je infrage, ob die fossilen Brennstoffe auch in Zukunft eine sichere Energieversorgung garantieren.
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