Montag, 23. Oktober 2023

Problematische Klimaentwicklung: Es wird heißer und heißer im Schussental

Gemeindeverband Schussental hier zur Klimaanpassung

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Schwäbische Zeitung  20.10.2023, Von Stefanie Rebhan

Im Schussental wird es in Zukunft immer mehr heiße Tage im Jahr geben und der Regen wird hauptsächlich im Winterhalbjahr fallen ‐ dann aber heftig. Das kann weniger Lebensqualität für die Bevölkerung bis gesundheitliche Risiken mit sich bringen. So lauten die Ergebnisse des Klimaanpassungskonzepts für den Gemeindeverband Mittleres Schussental (GMS). Es gibt aber Möglichkeiten, in den Städten und Gemeinden gegenzusteuern ‐, und zwar durch die entsprechende Gestaltung von Quartieren, Freiräumen und Gebäuden. Schwäbische.de beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ist das Klimaanpassungskonzept?

Der Klimawandel macht auch vor dem GMS ‐ der aus Ravensburg, Weingarten, Berg, Baienfurt und Baindt besteht ‐ nicht Halt. Im Juli 2020 beschloss der Verband, ein Klimaanpassungskonzept zu erstellen. Das ist nun fertig, erstellt von einem Expertenteam. Es soll dabei helfen, den GMS zukunftsfähig zu machen und ihn trotz der Probleme des Klimawandels qualitätsvoll zu entwickeln, wie Projektleiter Marius Eisele sagt. Auf einer Karte haben Experten etwa eingezeichnet, wo Grünflächen oder Kaltluftleitbahnen bestehen bleiben sollten.

So sieht der Sommer im GMS momentan aus, wenn es um die Wärme geht. Blau bedeutet, dass die Wärmebelastung schwach ist, im grünen Bereich ist die Belastung „mäßig“, während die orangenen bis roten Bereiche für eine starke Wärmebelastung stehen. (Foto: Projektleitung Klimaanpassung )

Das Konzept soll auch dann helfen können, wenn es um Faktoren wie Bevölkerungszuwachs, wirtschaftliches Wachstum, Infrastrukturentwicklung, Strukturwandel in der Landwirtschaft und mehr geht.

Wie entwickelt sich das Klima im GMS?

Bisher werden laut dem Weltklimarat auf der Erde nicht wirklich weniger Treibhausgase ausgestoßen als bisher. Sollte sich da noch etwas bessern, kann es zu einem schwachen Klimawandel kommen, Stand jetzt sieht es jedoch nach einem starken Klimawandel aus. Für die Region des GMS würde Letzteres bedeuten, dass es bis Mitte des Jahrhunderts um 2,2 Grad wärmer wird, so Eisele. In den Jahren von 1991 bis 2020 hat sich das Klima bereits um 0,7 Grad stärker erwärmt als in den Jahren von 1971 bis 2000. Im Vergleich zum Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen (1881 bis 1910) hat die Temperatur sogar um 1,2 Grad zugenommen.

Gibt es in der GMS-Region immer mehr heiße Tage?

Ja. Im Vergleich der Zeiträume 1991 bis 2020 mit 1971 bis 2000 ist die Anzahl von Sommertagen (mindestens 25 Grad) von durchschnittlich 36 auf 48 Tage pro Jahr gestiegen. Stärker noch hat sich die Anzahl heißer Tage (ab 30 Grad) erhöht. Sie ist im Vergleich der beiden Zeiträume von durchschnittlich fünf auf zehn pro Jahr gestiegen. In den vergangenen vier Jahren waren es im Schnitt gar rund 20 heiße Tage.

    „Es wird immer häufiger Jahre mit so vielen oder sogar mehr heißen Tagen geben“,
berichtet Marius Eisele.

 Damit werde die Gesundheit der Menschen belastet, vor allem in dicht besiedelten Räumen. Die Rede ist vom „städtischen Wärmeinseleffekt“. Außerdem nimmt die Trockenheit in den Sommermonaten zu, Eis- und Frosttage werden generell abnehmen.

Was bedeutet das für die Bürger?

Stark bebaute Flächen oder volle Gewerbegebiete seien im GMS schon heute überwärmte Hitze-Hotspots wie zum Beispiel im Baienfurter Ösch in Weingarten, um den Marienplatz in Ravensburg oder im Gewerbegebiet Bechters. Die Experten sind sich sicher: „Das führt zu einer Minderung der Aufenthaltsqualität und Beeinträchtigungen der Lebensqualität der Bevölkerung bis hin zu höheren gesundheitlichen Risiken.“

Was bedeutet das für die Natur?

In den Sommermonaten wird es zu Tockenphasen kommen, was für Gewässer und Landwirtschaft schlecht ist. Hitzesensible Tier- und Pflanzenarten im GMS sind gefährdet, außerdem werden große Bereiche der Wälder Altdorfer Wald, Locherholz und Adelsreuter Wald durch Sturmwurf und Schädlinge leiden. Der Pflege- und Bewässerungsbedarf für Grünflächen in dicht besiedelten Bereichen steigt damit an.

Wenn es wie bisher weiterläuft, dann wird die Wärmebelastung bis 2030 und 2040 fast überall im GMS stark bis extrem hoch sein, wie ein Schaubild zeigt. (Foto: Projektleitung Klimaanpassung )

Es wird weniger Regentage geben, die sich eher auf das Winterhalbjahr konzentrieren. Bislang hätten sich die Regenmengen auf das Gesamtjahr gesehen in der Region kaum verändert, doch nun kommen sie häufig geballt. Das wird vermutlich zu mehr Überschwemmungen führen. Das wiederum erhöht das Risiko für Erosionsschäden, vor allem auf landwirtschaftlichen Böden. Auch Stürme häufen sich.

Was kann getan werden?

Wenn es darum geht, einen Flächennutzungsplan für den GMS zu erstellen, haben die Experten um Marius Eisele Empfehlungen zusammengefasst. Auf einer Landkarte ist eingezeichnet, wo Grünflächen bleiben müssen, um klimatisch wertvolle Ausgleichsräume zu bewahren. Es ist zudem zu sehen, wo Kaltluftleitbahnen und -abflüsse bestehen bleiben oder entstehen sollten. Schließlich sind die dichter besiedelten Gebiete markiert, wo kleinere Grünflächen gesichert und entwickelt werden müssten. An diesen Stellen müssten auch Pläne zur Verbesserung des „thermischen Komforts“ her. Dieser beschreibt, wie wohl sich die Menschen mit dem Raumklima (zum Beispiel Lufttemperatur, Luftfeuchte, Luftbewegung oder Wärmestrahlung) fühlen.

Gibt es ein konkretes Beispiel?

Kommunen könnten ihr Vorverkaufsrecht entlang von Fließendgewässer geltend machen, um sie richtig zu pflegen und zu entwickeln. Überschwemmungen oder Trockenheit könnten so besser gehändelt werden, sagt Eisele. Flüsse würden die Luftqualität verbessern, Wasser vor Ort speichern, Grünkorridore erschaffen und extreme Sommerhitze reduzieren.

Wie geht es jetzt weiter?

Das Klimaanpassungskonzept soll am 26. Oktober in der Verbandsversammlung des GMS beschlossen werden.


EnergieZukunft hier   schon vom 24.10.2017 
Was hat sich seither getan?

Klimawandel: Schussental muss sich anpassen

Der Klimawandel bringt auch die Gemeinden im Schussental im Landkreis Ravensburg ganz schön ins Schwitzen. Zur Anpassung ist nun mehr Grün, Schatten und Wasser in den Kommunen gefragt, gepaart mit der Offenhaltung von Kaltluftschneisen, Entsiegelung, Verkehrsvermeidung und energetischer Sanierung.

– „In Baden-Württemberg ist es nicht nur wärmer, sondern auch heißer geworden“, sagt der Stuttgarter Klimatologe Prof. Jürgen Baumüller. So haben die Sommertage, in denen es über 25 Grad Celsius warm ist, seit Anfang der 1960 Jahre um 35 Prozent zugenommen. Die heißen Tage mit über 30 Grad sind sogar um rund 84 Prozent gestiegen. Gab es in den 1960er Jahren in Weingarten noch fünf heiße Tage im Jahr, sind es nun schon 14. Zugenommen haben auch die „tropischen Nächte“, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad fällt. Im Jahre 2003 waren dies in Stuttgart 17 Nächte und 23 im Jahr 2015. 2.250 Hitzetote gab es laut Angaben des Statistischen Landesamtes im Sommer 2015 in Baden-Württemberg. Wenn nicht gegengesteuert werde sei damit zu rechnen, dass es im Südwesten bis Ende des Jahrhunderts nochmals um bis zu 3,5 Grad wärmer werde und die mittlere Jahrestemperatur auf über 12 Grad klettert, so Baumüller. Von 1880 bis 2016 nahm die mittlere Jahrestemperatur im Südwesten bereits um 1,4 Grad zu.

Trockene Sommer machen auch den Landwirten zu schaffen

Dazu kommen Überflutungen durch Starkregen. So löste ein Starkregen in Braunsbach (Landkreis Schwäbisch Hall) Ende Mai 2016 eine Sturzflut aus, die große Teile der 2.500 Einwohner zählenden Gemeinde innerhalb kurzer Zeit verwüstete. 71 Millimeter Niederschlag prasselten dort innerhalb einer Stunde nieder. Auch für das Schussental sei damit zu rechnen, dass Starkregen immer häufiger zu Überflutungen führe, so der Klimatologe. Dazu kommt Trockenheit im Sommer. So hat sich die klimatische Wasserbilanz im Sommer in Ravensburg innerhalb der vergangenen Jahrzehnte stark verändert. Der Überschuss an Niederschlägen im Sommermittel ging von über 100 Millimeter in den 1950er Jahren auf knapp 30 Millimeter zurück. Künftig wird es voraussichtlich ein Defizit an Niederschlägen im Sommer geben, was unter anderen den Landwirten zu schaffen machen wird, prognostiziert Baumüller.

Wassertretanlagen in der Innenstadt

Wie kann sich die Region an diese Folgen anpassen? Diese Frage stand im Fokus einer gut besuchten Informationsveranstaltung zum Klimawandel im Schussental, zu der jüngst der Gemeindeverband in Kooperation mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) eingeladen hatte. „Die Städte müssen grüner, blauer, schattiger und heller werden“, so Baumüller. Parkanlagen, begrünte Dächer und Fassaden, von Bäumen beschattete Parkplätze, das alles würde helfen, um die Bevölkerung vor Hitze zu schützen. Auch öffentliche Wasserflächen, beispielsweise Wassertretanlagen in der Innenstadt, könnten zur Abkühlung beitragen. Zudem rät der Klimatologe zu hellen Fassaden und Dächern, welche die Wärmestrahlung besser reflektieren als dunkle.

Kaltluftschneisen offenhalten

Wichtig ist auch die Freihaltung von Kaltluftschneisen, damit an heißen Sommertagen kältere Luft von den teils bewaldeten Hängen des Schussentals in die bebauten Kernlagen fließen kann. Solche Kaltluftschneisen können laut der örtlichen BUND-Gruppe Bäche, Grünzüge oder stark begrünte Straßen sein. „Vorteilhaft ist ein möglichst großes Gebiet, in dem Kaltluft entstehen kann (Wälder, Wiesen, Felder, Kleingärten), eine starke Hangneigung für schnellen Luftabfluss und eine möglichst breite Kaltluftschneise“, heißt es in Empfehlungen für örtliche Anpassungen an den Klimawandel. Dies müsse bei der Überarbeitung von Bebauungsplänen und der Ausweisung neuer Baugebiete beachtet werden. „Auch der Abfluss der Kaltluft im Tal sollte als Kriterium bei der Überarbeitung von Flächenwidmungsplänen und Bebauungsplänen prioritär berücksichtigt werden“, so Mitautor Manfred Walser.

Entsiegelung in den Bebauungsplänen festschreiben

Für mehr Grün und Wasser in der Stadt hält der BUND zudem eine Festschreibung von Entsiegelungsmaßnahmen in allen Bebauungsplänen für notwendig. Ergänzt werden sollte dies durch verstärkten vorbeugenden Hochwasserschutz um Umland. Auch die energetische Sanierung von Gebäuden sollte forciert werden. Nicht nur um das Klima zu schützen, sondern auch weil sich dann das Gebäude und die Umgebung weniger durch eintretende bzw. austretende Wärme aufheizen. Durch Verkehrsvermeidung kann auch eine lokale Erwärmung entlang viel befahrener Straßen durch Verbrennungsmotoren im Sommer reduziert werden.

Zudem plädiert der BUND für neue Formen der Nachbarschaftshilfe wie Einkaufsservice an heißen Tagen oder Urban Gardening, um mit den Bedingungen des Klimawandels besser fertig zu werden.

Klimaschutzkonzept Mittleres Schussental

Mit der Erarbeitung und Umsetzung eines Klimaschutzkonzeptes für den Gemeindeverband Mittleres Schussental ist die Klimaschutzmanagerin Veerle Buytaert betraut. Sie arbeitet bei der Stabsstelle Klimaschutz der Stadt Ravensburg. Ziel ist, den Ausstoß an Kohlendioxid zu verringern und die fünf Verbandsgemeinden baulich auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten. Hierbei arbeitet sie eng mit dem BUND zusammen. Die BUND-Arbeitsgruppe Stadtentwicklung erarbeitete einen Katalog mit 20 Maßnahmen, der nun in den Gemeinderäten vorgestellt wird. Hans-Christoph Neidlein

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