Dienstag, 24. Oktober 2023

Stillstand statt Fortschritt

Schwäbische Zeitung hier Von Kara Ballarin  24.10.2023

Ist die Energiewende im Südwesten abgesagt, Frau Umweltministerin?

Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) sieht großes Potenzial in der Geothermie – vor allem in Oberschwaben.Windräder, Geothermie, Photovoltaik - von allem zu wenig. Die Energiewende in Baden-Württemberg kommt nicht voran. So reagiert Thekla Walker (Grüne) auf die unbequemen Fakten.

Vorletzter Platz unter den deutschen Flächenländern bei der Windkraft, kaum Geothermie, Ziel beim Ausbau der Photovoltaik 2022 verfehlt: Baden-Württemberg tut sich schwer bei der Energiewende.

Warum ist das so und wie geht es weiter? Ein Gespräch mit Umweltministerin Thekla Walker (Grüne).

Statt zu sinken sind 2022 die Treibhausgasemissionen im Energiebereich im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent gestiegen. Der Klimasachverständigenrat des Landes hat dies jüngst mit dem Ukraine-Krieg und fehlendem Gas aus Russland erklärt, das durch Kohle ersetzt werden musste. Ist die Energiewende abgesagt?

Bloß nicht. Die Energiewende macht uns unabhängig von Autokraten und Preisexplosionen bei fossilen Brennstoffen. 2022 mussten wir mehr Kohle einsetzen, das war ein Rückschlag.


Die EnBW wird aber bis 2028 aus der Kohleverstromung aussteigen. Wir werden zunächst verstärkt auf Gaskraftwerke setzen müssen, die aber schnellstmöglich mit grünem Wasserstoff betrieben werden sollen. Auch der Ausbau der Erneuerbaren geht mit großen Schritten voran.

Das Ziel eines Zubaus bei der Photovoltaik um 1150 Megawatt wurde vergangenes Jahr aber verfehlt. Es kamen lediglich 820 Megawatt hinzu.

Dafür haben wir das Ausbauziel für dieses Jahr bereits bis Ende September mit 1340 Megawatt übererfüllt und können das Defizit aus 2022 wohl ausgleichen. Allein der Zuwachs 2023 kompensiert die Maximalleistung des Atomkraftwerks Neckarwestheim. Die politischen Voraussetzungen hierfür haben wir etwa durch die Pflicht zu PV auf Dächern von Neubauten und bei Dachsanierungen geschaffen.

Und die 1000 Windräder, die sich ihre Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode 2026 verordnet hat, entstehen?

Wir haben ganz viele Projekte in der Pipeline, aber Windenergieanlagen sind viel größere Bauvorhaben als PV-Anlagen. Da spielen Lieferengpässe, Preissteigerungen, höhere Zinsen für Baukredite und z.B. gerade auch Genehmigungen für den Schwertransport von Rotorblättern eine Rolle. Hier muss das Bundesverkehrsministerium endlich für eine bürokratische Vereinfachung sorgen. Im Land haben wir mit einer Task Force Erneuerbare die Voraussetzungen geschaffen, um den gesamten Prozess von der Planung bis zur Inbetriebnahme einer Windenergieanlage zu halbieren.

Der Südwesten gehört bei der Windkraft zu den Schlusslichtern, 2022 wurden genau so viele Windräder neu in Betrieb wie außer Betrieb genommen ‐ wenn auch mit mehr Leistung. Wie geht es weiter?

Landesweit produzieren aktuell 770 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 1752 Megawatt Strom ‐ zehn Windenergieanlangen kamen bisher dieses Jahr dazu. 132 Anlagen sind genehmigt, aber noch nicht in Betrieb. Für weitere 172 Anlagen laufen Verfahren, nochmal 170 Anlagen sind als Projekt vorgestellt. Damit sind fast 500 Anlagen in der Pipeline. Ein großes Thema für Projektierer ist dabei die Frage der Rechtssicherheit. Das überragende öffentliche Interesse an der Errichtung von erneuerbaren Energien-Anlagen ist nun gesetzlich verankert. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat etwa kürzlich mehrere Anlagen auf der Gemarkung von Pfullendorf genehmigt, die zuvor abgelehnt worden waren.

Im Altdorfer Wald im Kreis Ravensburg soll der mit 39 Anlagen größte Windpark im Südwesten entstehen. Sie haben dort das Forum Energiedialog besucht, in dem sich die Bürgermeister der sieben angrenzenden Gemeinden, Vertreter von Initiativen sowie zufällig ausgewählte Bürger regelmäßig über das Projekt austauschen. Wie ist die Stimmung?

Das Forum Energiedialog ist ja ein Angebot an die Kommunen, sie bei ihrem Dialog mit der Zivilgesellschaft über strittige Punkte rund um Windenergieanlagen zu unterstützen. Was viele Menschen hier umtreibt, ist der Schutz des Trinkwassers. Aktuell werden umfangreiche hydrogeologische Gutachten erstellt, um sicherzustellen, dass Anlagen nur dort gebaut werden, wo eine Schädigung des Grundwassers praktisch ausgeschlossen werden kann.

Kann es sein, dass sich die Zahl der 39 Windräder verringert?

Das kann sein. Wir wollen aber so viele wie möglich. 39 Windenergieanlagen könnten den Strombedarf aller Haushalte im Landkreis Ravensburg decken.

Vier Naturschutzverbände fordern gemeinsam, den Altdorfer Wald besser zu schützen ‐ zehn Prozent des Waldes sollen aus der Nutzung rausfallen. Passiere dies nicht, werde die Akzeptanz für Windkraft sinken, warnen die Verbände. Haben sie Recht?

Diesen Schuh zieh ich mir nicht an. Die Forderungen richten sich an Forst BW und beziehen sich auf den grundsätzlichen Umgang mit dem Altdorfer Wald. Es ist ein Wirtschaftswald, in dem auch Kies abgebaut wird. Im Kampf gegen den Klimawandel, gerade im Sinne des Naturschutzes, ist der Umstieg auf Erneuerbare prioritär.

Und wann werden sich hier die Rotorblätter drehen?

Der Projektierer will kein beschleunigtes Verfahren, sondern einen Schritt nach dem anderen gehen und sich dafür die ganzen 20er-Jahre Zeit nehmen. Das ist schade, aber ich muss das respektieren.

Ein großer Brocken ist die Wärmewände. Die Sektorziele für Gebäude werden laut Sachverständigenrat wohl deutlich verfehlt, wenn das Land nicht nachsteuert.

Das stimmt. Leider gab es durch die irreführende öffentliche Debatte Rückschläge beim Ziel des Heizungstauschs. Als Land sind wir aber bei der Wärmeplanung vorangegangen. Bis Ende des Jahres müssen alle größeren Städte ihre Planungen fertigstellen. Ich möchte, dass Kommunen, die ihre Pläne schnell umsetzen, besser gefördert werden. Im GEG des Bundes gibt es jetzt schon einen Geschwindigkeitsbonus von zusätzlich 20 Prozent für Privatleute, die schnell auf eine klimafreundliche Heizung umrüsten. Das sollte auch für Kommunen bei Investitionen in neue Wärmenetze gelten.

Geothermie gilt unter Experten als relevante Wärmequelle, liefert aktuell aber noch weniger als ein Prozent der benötigten Wärme im Land. Warum?

Geothermie kann einen veritablen Teil der Wärmeversorgung sicherstellen, neben dem Oberrheingraben gerade auch in Oberschwaben. Wichtig ist dabei die Information der Bürgerinnen und Bürger. Das Land untersagt riskante Methoden, bei denen in Stein gebohrt wird, wodurch es zu Gebäudeschädigungen kommen kann. Wir wollen heißes Wasser fördern, die Wärme nutzen und wieder zurückpumpen. Halb München wird so versorgt. Die Stadt Mannheim prüft das gerade. Für ein Wärmenetz wäre das eine saubere und beständige Energiequelle.

Wie können Sie die Akzeptanz erhöhen?

Wir müssen noch mehr über diese Technologie informieren und Missverständnisse ausräumen, denn wir werden sie für die Wärmewende brauchen. Auf Bundesebene setze ich mich dafür ein, finanzielle Risiken der Probebohrungen durch einen Fonds abzusichern, damit nicht nur große Energieunternehmen, sondern auch Stadtwerke, sich diese leisten können.

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