Samstag, 21. Oktober 2023

Erst mehr Klimaschutz ermöglicht Freiheit - Freiheit und Klimaschutz sind keine Gegensätze

Und nochmal was zum ernsthaften Nachdenken am Wochenende.....

Zeit hier Ein Gastbeitrag von Felix Ekardt 20. Oktober 2023

Grenzenlose Selbstverwirklichung, aber auch eine radikale Ökodiktatur können die Freiheit ruinieren, findet unser Gastautor Felix Ekardt. 

Felix Ekardt forscht als Leiter der Leipziger Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik sowie Professor an der Uni Rostock nach Politikkonzepten für mehr Nachhaltigkeit. 

Freiheit und Klimaschutz sind Feinde: In dieser zugespitzten Sicht sind sich einige ambitionierte Klimaschützer, aber auch Klimaschutzbremser verblüffend einig. Klimaschutz gelinge eigentlich nur mit Verboten, etwa von Gasheizungen, und das sei wenig freiheitlich und führe zurück in einen autoritären Staat, meinen die einen. Die anderen meinen, dass das heutige Verständnis individueller Freiheit (Fernreisen, tägliche Autofahrten, immer größere Wohnungen) eine schrankenlose, ressourcenintensive Selbstentfaltung sei und damit die Umwelt ruiniere. Daher solle die Gemeinschaft Vorrang vor der Freiheit haben.

Dabei wird die Komplexität des Problems übersehen: Sowohl eine Art Ökodiktatur als auch schrankenlose Selbstverwirklichung können die Freiheit ruinieren. Das war ein zentraler Aspekt der erfolgreichen Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht im Jahr 2021. Umgekehrt heißt das freilich auch – und dieser Kernpunkt wird meist nicht klar benannt: Freiheit könnte das zentrale Argument für eine ambitionierte Klimapolitik sein, die die physischen Grundlagen der Freiheit erhält. So ließe sich auch vermeiden, dass nötige Maßnahmen so lange verschlafen werden, bis irgendwann die Umweltsituation so verzweifelt ist, dass vermeintlich nur noch diktatorische Lösungen denkbar sind.

Der Klimawandel bedroht die individuelle Freiheit

Warum ist also der Schutz der Freiheit zugleich auch Klimaschutz? Das ist auch eine relevante Frage für die Klimaklagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegenüber 30 europäischen Staaten. Der Kern der Antwort lautet: Das Recht auf Freiheit garantiert nicht nur die Selbstentfaltung als Ausdruck von Autonomie, sondern auch die elementaren Freiheitsvoraussetzungen. Denn ohne Leben, Gesundheit und Existenzminimum liefe die Freiheit leer. 

Genau diese Freiheitsvoraussetzungen sind aber durch den Klimawandel massiv bedroht, und zwar besonders zulasten künftiger Generationen und ihrer Freiheit. Weil auch Unternehmen und Verbraucher sich für den bisherigen Lebensstil auf ihre Freiheit berufen können, gibt es beim Klimawandel eigentlich keinen Konflikt Freiheit contra Klimaschutz: Der Konflikt lautet eigentlich Freiheit contra Freiheit.

Die Kritiker der schrankenlosen Selbstverwirklichung mögen jetzt einwenden: Das stimme nicht. Waldspaziergänge und Zeit mit der Familie seien die richtige Freiheit – der Wunsch nach immer mehr Konsum, SUVs und immer weiteren Urlaubsflügen sei dagegen falsche Freiheit und mache einen nur unglücklich. Also gäbe es gar keinen Freiheitskonflikt. Doch das stimmt nicht. In liberalen Demokratien werden seit der Aufklärung aus guten Gründen nur Gesetze zu Gerechtigkeitsfragen gemacht: also zum äußeren Verhalten verschiedener Menschen, wo die Autonomie des einen und der anderen in Konflikt gerät. Nicht staatlich normiert werden dagegen Fragen des guten, glücklichen Lebens. Denn objektive Maßstäbe für vermeintlich richtiges und falsches Glück gibt es nicht. Im Prinzip darf deshalb niemandem abgesprochen werden, den Ferrari, Fernreisen und sonstige Formen ressourcenintensiver Selbstentfaltung für sich als Glück zu begreifen.

Freiheit und Folgenverantwortung gehören zusammen

Sehr wohl zulässig und in keiner Weise diktatorisch ist es aber, das äußere Verhalten von Menschen zu regulieren, wenn es anderen Menschen schadet, also ihre Freiheiten und Freiheitsvoraussetzungen beeinträchtigt. Dieses Abwägen Freiheit contra Freiheit ist das, wofür Staaten und auch die EU mit ihren Parlamenten und Regierungen da sind. Und liberale Demokratien beruhen auf einer zwingenden Verknüpfung von Freiheit und Folgenverantwortung: Wer in einer bestimmten Weise lebt und wirtschaftet, muss für die Folgen und Schäden geradestehen, die so entstehen. Man kann als Bürger oder Bürgerin nicht darauf bestehen, nach Belieben weiter kostenlos andere – die Nachkommen, aber auch die Menschen im Globalen Süden – durch den eigenen Lebensstil schädigen zu dürfen, zum Beispiel durch Fernreisen. Maßnahmen wie etwa eine CO₂-Bepreisung, die uns an die Folgen unseres Handelns erinnern, sind daher freiheitlich und nicht etwa diktatorisch.

Missachten Parlamente und Regierungen bestimmte Grenzen ihrer politischen Spielräume, die sich aus den verschiedenen Freiheiten ableiten lassen, kann man sie vor dem Verfassungsgericht verklagen: wegen zu viel oder auch zu wenig Klimaschutz. Das hat die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht 2021 erfolgreich gezeigt. Deshalb hat der Bundestag die Klimaziele 2021 deutlich angehoben. Wobei nach wie vor nicht genügend Maßnahmen ergriffen werden, um diese Ziele auch mit Leben zu füllen – weshalb auch wahrscheinlich ist, dass erneut dagegen geklagt wird.

Bequemlichkeit und Verdrängung blockieren Klimaschutz

Beim Klimaschutz geht es also nicht um weniger Individualismus, sondern um einen, der daran denkt, dass alle anderen – auch generationenübergreifend und global – auch ein Recht auf Freiheit haben. Klimaschutzrecht ist damit Freiheitsschutz. Niemand würde ja auch das Straf- oder Baurecht als vermeintliche Verbotspolitik verunglimpfen. Regeln sind allerdings, weil es letztlich um Freiheitsschutz geht, nur zulässig, wenn sich Probleme nicht auch durch freiwilliges Handeln der Menschen lösen. Dass reine Freiwilligkeit beim Klimaschutz nicht ausreicht, sieht man indes seit Jahrzehnten. Verwunderlich ist das nicht, da Eigennutz, Gewohnheit, Bequemlichkeit, Verdrängung, Festhalten an alten Normalitätsvorstellungen, das Zeigen auf andere und andere allzu menschliche Motive den Klimaschutz oft blockieren.

Regeln, auch wenn sie Freiheitsvoraussetzungen schützen sollen, müssen allen so viel Handlungsspielraum wie möglich belassen. Deshalb ist eine Steuerung über CO₂-Preise wie etwa beim Emissionshandel besser und effizienter, als allein auf Verbote für Gebäude, Verkehr, Strom und weitere Sektoren zu setzen. Besser als ein neues Heizungsgesetz wäre es deshalb, wenn die Bundesregierung nachdrücklich in der EU auf einen schärferen Emissionshandel mit strengeren Klimazielen, Streichung aller Schlupflöcher und Einbeziehung vergessener Sektoren wie der Intensiv-Tierhaltung drängen würde. Zudem ist ein Emissionshandel, wenn er – anders als teils bislang – richtig konzipiert wird, wirksamer und auch damit besser für unser aller Freiheit. Letztlich werden Freiheit und Klimaschutz nur gemeinsam bestehen. Wer sie gegeneinander ausspielt, zeigt, dass er es mit beiden nicht ernst meint.


FELIX EKARDT

Felix Ekardt ist Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig sowie Professor an der Uni Rostock. Seine Habilitationsschrift unter anderem zu Freiheit und Klima von 2003 entdeckte 2010 der Solarenergie-Förderverein (SFV) und beauftragte Ekardt mit vier Gutachten und 2018 mit der Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht.



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