Dienstag, 24. Oktober 2023

Was die Bratwurst mit Naturkatastrophen in Deutschland zu tun hat

 hier  Watson Interview Josephine Andreoli  19.10.2023

Der Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens geht in seiner Doku-Reihe der Frage auf den Grund, was unsere Bratwurst mit dem Regenwald zu tun hat – und wie wir die Menschheit ernähren können.

Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens hat für RTL eine neue Doku gedreht. In "Die große Geo-Story – Wie wir die Welt gesund essen" sucht er nach Lösungen für das größte Umweltproblem der Welt: die nachhaltige Lebensmittelversorgung.

Watson: Für Ihr Buch "Eat it" und die RTL-Show "Die große Geo-Story" sind Sie um die Welt gereist, um herauszufinden, wie wir zehn Milliarden Menschen ernähren und gleichzeitig den Planeten retten können. Sind Sie fündig geworden?

Dirk Steffens: Ja, im Guten wie im Schlechten. Tatsächlich ist die Lage ernster, als wir befürchtet hatten. Aber das Gute ist: Die Lösungen sind auch offensichtlicher, als wir dachten.

Warum haben Sie diese Geschichte an der Bratwurst aufgezogen?

Wir haben überlegt, wie man dieses riesige Problem nah am Menschen erzählen kann. Da ist uns das Lieblingsessen der Deutschen eingefallen: die Bratwurst. In Deutschland essen wir pro Sekunde etwa 200 Bratwürste, das sind sieben Milliarden im Jahr. Und woher kommen die?

Meist aus der konventionellen Tierhaltung.

Richtig, und da wird sehr viel Soja verfüttert, das überwiegend aus Brasilien kommt, wo dafür Regenwald abgeholzt wird. Für die vielen Bratwürste wird viel Wald gerodet - so gerät einer der größten Klima-Stabilisatoren der Welt aus dem Gleichgewicht. Der Klimawandel wird schlimmer – und am Ende haben wir Überschwemmungen im Ahrtal.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen unserer Bratwurst und Überschwemmungen im Ahrtal?

Ja, es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Verhalten jedes Einzelnen von uns und den Folgen für die Umwelt. Für acht Bratwürste wird schlimmstenfalls ein Quadratmeter Regenwald gefällt. Kaufe ich aber eine Bio-Bratwurst, fällt dafür kein einziger Baum, weil die Schweine nicht mit Soja aus Brasilien gefüttert werden.

Haben wir durch die Globalisierung den Bezug zu unserem Essen verloren?

Ja, das ist ein Riesenproblem. Wir wissen gar nicht mehr, wo unser Essen oder seine einzelnen Bestandteile herkommen. Das Steak kommt aus Argentinien, die Avocado aus Mexiko, die Mango von den Philippinen. Und selbst wenn ich Fleisch beim Metzger nebenan kaufe, wurden die Tiere vermutlich mit dem brasilianischen Soja gefüttert, weil es sich um Tiere aus konventioneller Haltung handelt.

"Wenn wir im Supermarkt billige Bratwurst kaufen, tragen wir zu diesem Krieg bei."

Ein anderes Beispiel: Die Tomaten, die wir essen, kommen aus Mar de Plástico in Südspanien. Das ist eine der trockensten Gegenden auf dem Kontinent. Und ausgerechnet dort gibt es die größten Gewächshäuser Europas. Das ist eine Katastrophe für den Wasserhaushalt vor Ort.

Für Ihre Recherche haben Sie sich in den Amazonas begeben. Was haben Sie erlebt?

Wir sind in die sogenannte Konfliktzone gegangen, wo Indigene mit Sojafarmern Konflikte um das Land haben. Die Indigenen leben da und die Soja-Farmer wittern die Chance, sich zu vergrößern und mehr Soja und Mais für den internationalen Markt anzubauen, meistens für Tierfutter. Dieses Land kaufen sie aber nicht legal, sondern eignen sich das einfach an.

Die Konflikte werden oft blutig ausgetragen – dutzende Menschen werden jedes Jahr getötet. Genau dort war ich mit einem Häuptling, der zu den wichtigsten Fürsprechern der Indigenen zählt. Er wurde selbst von der Mafia entführt und gefoltert, Familienmitglieder von ihm wurden ermordet. Wir reden über einen ernsthaften Krieg. Und wenn wir im Supermarkt billige Bratwurst kaufen, tragen wir zu diesem Krieg bei.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Das hat mich schockiert, ich liebe Grillen selbst. Das ist eigentlich ein harmloses, freudiges Vergnügen. Aber es betrifft diverse Bereiche beim Essen. Egal, was ich tue, was ich esse – an einem anderen Ort auf der Welt hat das Folgen. Dieses Bewusstsein müssen wir schärfen.

Gibt es etwas, das bei Ihnen seitdem nicht mehr im Einkaufswagen landet?

Die größte Veränderung bei uns in der Familie ist, dass wir unseren Kühlschrank anders managen. Denn: Ein Drittel der Lebensmittel, die wir auf dieser Welt produzieren, schmeißen wir weg. Wenn man den Prozentsatz deutlich verkleinern würde, könnten wir die Belastung unserer Erde vermutlich so sehr verringern, dass wir genügend Zeit hätten, um die großen Probleme zu lösen: Klimawandel, Artensterben, Biodiversitätskrise.

So einfach ist die Lösung?

Ja. Dafür muss man weder eine andere Partei wählen, noch auf irgendetwas verzichten. Man spart sogar Geld. Und das Beste: Wir können heute damit beginnen. Was in Ihrem Kühlschrank steht, ist vermutlich wichtiger, als ob Sie in den Urlaub fliegen. Wir streiten oft über die falschen Dinge.

Es gibt Expert:innen, die voraussagen, dass wir nur noch 60 Ernten erhalten, bevor die Erde kapituliert.

Wie so oft bei Weltuntergangs-Prognosen wäre das richtig, wenn wir unser Verhalten nicht ändern würden. Aber so sind wir ja nicht. Wenn die Probleme dramatisch werden, sind wir in der Lage, Dinge zu verändern.

"Wenn die Weltbevölkerung steigt und gleichzeitig die Ackerflächen abnehmen,
haben wir bald ein ernstes Problem."

Die Zahl führt zumindest vor Augen, dass unsere Ressourcen endlich sind.

Auf der Erde können wir fünf Milliarden Hektar landwirtschaftlich nutzen. Schon jetzt haben wir acht Milliarden Menschen auf der Welt, was bedeutet: Pro Nase haben wir weniger als ein Fußballfeld zur Verfügung, um Nahrungsmittel zu produzieren. Dazu kommt, dass wir davon pro Jahr zwölf Millionen Hektar verlieren, weil wir die Böden durch die hoch-industrialisierte Landwirtschaft auslaugen. Man muss nicht Mathe studiert haben, um zu wissen: Wenn die Weltbevölkerung steigt und gleichzeitig die Ackerflächen abnehmen, haben wir bald ein ernstes Problem.

80 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen gehen für die Tierfutter-Produktion drauf. Also müssen wir vermutlich doch unseren Fleischkonsum herunterfahren.

Das heißt aber nicht, dass man keines essen darf! Große Flächen unserer Erde sind nicht für den Ackerbau geeignet. Würde man da keine Viehwirtschaft betreiben, könnten die Menschen an diesen Orten gar keine Lebensmittel produzieren. Auf komplexe Probleme gibt es nie einfache Antworten. Kein Fleisch muss nicht sein, weniger wäre für die Menschheit insgesamt allerdings eine sehr gute Sache.

Sie sind sehr optimistisch, dass wir Menschen unser Verhalten ändern. Gleichzeitig verhärten sich die politischen Fronten. Was macht Sie hoffnungsvoll?

Auch wenn das ein bisschen populistisch klingt: Wir brauchen die Politik gar nicht so sehr, um Dinge zu verändern. Um ehrlich zu sein, ist mein Vertrauen, dass die das für uns regeln, erschüttert. Aber die gute Nachricht ist: Wir alle treffen jeden Tag Entscheidungen für oder gegen Nachhaltigkeit.

Inwiefern?

Wie bewegen Sie sich fort? Was für Urlaub machen Sie? Wie heizen Sie? Und vor allem: Was für Lebensmittel kaufen Sie? Durch unsere Entscheidungen haben wir Macht. Wenn sich die Nachfrage verändert, verändert sich, was produziert wird.

Was Bildung voraussetzt.

Da haben Sie völlig recht. Wenn ich mitentscheiden will, muss ich die Zusammenhänge verstehen: Ist ein Windrad gut, oder sterben zu viele Vögel darin? Genau darin sehe ich die Aufgabe vom Wissenschaftsjournalismus: Menschen zu ermächtigen und mitreden zu lassen.

Wie gelingt es, ein breites Publikum zu erreichen?

Wir haben in der Vergangenheit den Fehler gemacht, Naturschutz als negatives Narrativ anzubieten. Wir haben immer nur erzählt, was wir verlieren, was kaputtgeht. Die Wahrheit ist aber: Wenn wir die Umwelt schützen, dann verlieren wir nicht, sondern gewinnen. Wir gewinnen mehr Wohlstand, mehr Gesundheit, mehr Glück. Naturschutz ist keine Weltuntergangs-Geschichte, sondern eine Weltrettungs-Geschichte.

Glauben Sie, dass Fridays for Future dafür den richtigen Ansatz hat?

Fridays for Future sind super, um junge Menschen für den Klimaschutz zu sensibilisieren. Die haben große Verdienste geleistet. Bei den Klima-Klebern ist das anders. Die wollen zwar das Richtige, tun aber das Falsche. Jeder, der etwas verändern will, muss sich vorher überlegen, wie er die Menschen am besten davon überzeugt. Das tut man garantiert nicht, indem man die Menschen auf dem Weg zur Arbeit oder zur Kita verärgert, weil man für Stau sorgt.


"Die große Geo-Story – Wie wir die Welt gesund essen" hier auf YouTube

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