Freitag, 31. März 2023 Susanne Götze
Vor zwanzig Jahren gab es noch eine Menge Klimaleugner und aktive Bremser, die jeden Fortschritt in der Klimapolitik behinderten. Das hat sich verändert. Fast alle politischen Parteien sind zumindest der Rhetorik nach für Klimaschutz. Uneinig ist man sich hingegen, welchen Weg man bis zur Klimaneutralität im Jahr 2045 gehen soll. Klimaschutz ist schließlich nicht gleich Klimaschutz. Sicher ist nur, dass am Ende eine grüne Null da stehen muss, wo jetzt noch 746 Millionen Tonnen Klimagase die Bilanz verhageln.
Dieser Streit um das »Wie« radikalisiert derzeit die Klimabewegung, entzweit die Gesellschaft und vergiftet die Zusammenarbeit der Ampel-Koalition. Die Beschlüsse der Koalition von dieser Woche sind dafür ein Paradebeispiel.
Vereinfacht gesprochen gibt es drei Optionen, um zum 45er-Ziel zu kommen: Den langsamen und teureren, den schnellen und unsozialen oder den schnellen und sozialen aber drastischen Weg. Und dann gibt es noch die Möglichkeit, die Klimaziele komplett zu reißen. Auch das ist – Stand heute – zumindest nicht unwahrscheinlich.
Klimawissenschaftler versuchen diese Wege in komplexen Szenarien zu errechnen. Dafür speisen sie in ihre Modelle politische und ökonomische Annahmen ein. Im aktuellen Weltklimabericht (S+) sind Tausende dieser Szenarien eingeflossen, wurden gegeneinander abgewogen und daraus Trends und Wahrscheinlichkeiten für die nächsten zehn bis 80 Jahre abgeleitet.
Im Jahr 2023 steht Deutschland nun genau an dem Punkt, wo man sich auf ein Szenario festlegen muss. Welche Weichen im Klimaschutz gestellt werden, entscheidet darüber, wie teuer, sozial-gerecht, effizient und wirtschaftlich dieser Weg wird.
Die Beschlüsse der Ampel-Koalition von dieser Woche zementieren vor allem das »langsam und teuer«-Szenario. Ursächlich dafür ist das liberale Klimaschutz-Verständnis. Die FDP könnte uns noch teuer zu stehen kommen – und das vielleicht sogar noch dann, wenn die Partei absehbar gar nicht mehr im Bundestag ist. Zwei Beispiele:
• Verkehr
Laut den Beschlüssen soll es einen beschleunigtem Neu- und Ausbau von Autobahnen an Engpässen geben. Laut FDP-Chef Lindner handelt es sich um eine Lise mit 144 Projekten. Es geht also etwa um breitere Fahrbahnen, wo besonders viel zusätzlicher Verkehr zu erwarten ist. Eine Karte zeigt, dass es dabei besonders um Pendlerzentren im Westen und Süden der Republik handelt. Gerade dort, wo der Verkehr besonders dicht ist und wo ein Ausbau noch mehr Autoverkehr anlocken dürfte.
Doch wie sehr schadet das dem Klima? Die Liberalen argumentieren, dass es durch mehr Autobahnen und Straßen auch weniger Staus gibt – und dadurch am Ende CO₂ eingespart wird. Allerdings gibt es dafür keine Belege. In einem Gutachten des Bundestages heißt es etwa, dass »trotz verschiedener Rechercheansätze« keine Studien gefunden werden konnten. Mehr Straßen führen weder zu weniger Verkehr, noch zu mehr Klimaschutz.
Richtig ist: Wer 2023 noch in Autobahnnetze investiert, statt etwa in öffentlichen Nahverkehr, zementiert fossile Strukturen. So fließen Milliarden in die Straße statt in klimafreundliche Infrastruktur. Als Faustregel unter Verkehrsexperten gilt, dass ein Kilometer Autobahn je nach Lage zwischen 15 und 200 Millionen Euro kostet.
Und das, wo beim Klimaschutz jeder Euro zweimal umgedreht wird. Diese Entscheidung hat zudem ganz direkte Auswirkungen auf die Emissionen im Verkehrssektor: Selbst, wenn es irgendwann einmal einen deutlich höheren Anteil an Elektroautos auf deutschen Autobahnen gibt, wird es bis weit in die 2040er-Jahre hinein noch eine große Flotte von Benzinern und Diesel-Autos geben. Die belasten das Emissions-Konto. Jeder, der sich einen Diesel oder Benziner anschafft – weil man damit nun staufrei zur Arbeit kommt – statt eine Jahreskarte für den Nahverkehr, trägt dann zu dem Minus bei.
Fazit: Die Verkehrswende wird verlangsamt und durch die Milliardeninvestitionen in überholte Infrastruktur auch teurer.
• Technologieoffenheit
Ähnlich verhält es sich bei alternativen Kraft- und Brennstoffen. Die Herstellung von sogenannten E-Fuels, ist äußerst energieintensiv, weil sie durch den Zwischenschritt der Wasserstoffproduktion große Mengen Ökostrom verschlingt. Laut Volkswagen haben die Kraftstoffe unter dem Strich einen Wirkungsgrad von gerade einmal 10 bis 15 Prozent. Zum Vergleich: Im Elektroauto treiben 80 bis 90 Prozent der Ausgangs-Energie die Räder vorwärts.
Fachleute mahnen deshalb die absehbar knappen wie teuren E-Fuels im Luft- und Schiffsverkehr einzusetzen – also in Vehikeln, die sich nicht so leicht elektrifizieren lassen wie Autos. Es ist also recht eindeutig, dass die E-Fuel-Lösung für Pkw ein teurer Weg zur Klimaneutralität ist – und weil Ökostrom knapp wird, verlangsamt er wahrscheinlich sogar die Umstellung in anderen Bereichen.
Ähnlich ist es beim Heizen: Ab Januar 2024 solle »möglichst« jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden, heißt es in den Ampel-Beschlüssen. Lässt »möglichst« also Spielraum für alternative Lösungen, etwa Wasserstoff-Heizungen? »Wenn die 65 Prozent etwa nicht ab dem Zeitpunkt der Installation gelten, sondern es nur darum geht, dass die Heizung potenziell auch mit Wasserstoff statt Erdgas beheizt werden kann, haben wir ein Problem«, sagte diese Woche Klimaforscher Felix Creuzig dem SPIEGEL. Die Befürchtung ist real. Denn technisch würde es beispielsweise nicht ohne Weiteres funktionieren (S+), Wasserstoff statt Erdgas durch bestehende Netze zu leiten. Und wenn es nicht klappt mit dem Wasserstoff, dann laufen die Gasheizungen bis und nach 2045 weiter.
»Teilen der Bundesregierung mangelt es an technologischem Verstand«, glaubt Forscher Creutzig. »E-Fuels und Wasserstoff sind genauso Teil der Elektrifizierung, sie benötigen aber mindestens viermal so viel Ökostrom.« Das werde »industriepolitisch nach hinten losgehen, weil Investitionen in Sackgassen gelenkt werden«.
Durch solche Klimaschutz-Lösungen wird Klimaschutz also langsamer und hofiert extrem kostspielige Technologien. Und er wird immer teurer, je mehr sogenannte Restemissionen es 2045 gibt. Das sind Emissionen die – technisch oder politisch – als unvermeidbar gelten und ab 2045 der Atmosphäre wieder entzogen werden müssen. Bisher rechnen Forscher für Deutschland mit 60 bis 130 Millionen Tonnen solcher Restemissionen im Jahr 2045.
CO₂ technisch aus der Atmosphäre wieder einzufangen (weil man es vorher vergeigt hat) und es dann unterirdisch zu speichern, kostet übrigens derzeit bis zu 300 Euro pro Tonne. Selbst wenn diese Preise noch sinken, ist das echter Luxus-Klimaschutz. Wir sollten deshalb gut überlegen, ob wir uns liberalen Klimaschutz als Gesellschaft leisten können.
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