Montag, 3. April 2023

Technologischer Fortschritt - Die Rückkehr des Wunderglaubens

Spiegel hier  Eine Kolumne von Christian Stöcker  01.04.2023

Hunderte Fachleute und Elon Musk fordern eine Entwicklungspause für künstliche Intelligenz. Einige davon fürchten ein negatives Wunder, das die Menschheit ausrotten könnte. Viel gefährlicher aber ist ein anderer Glaube.

....Yudkowsky und Gleichgesinnte – von denen es mehr gibt, als man denken würde – glauben also daran, dass wir versehentlich einen Gott erschaffen werden, der uns anschließend auslöscht. Man muss an dieses Szenario nicht glauben, um den Unterzeichnern des offenen Briefs in der Sache dennoch zuzustimmen: Die unkontrollierte, unregulierte und rasante Entwicklung von KI-Systemen bräuchte dringend demokratische Kontrolle. Und zwar schnell, denn die Entwicklung ist nun einmal exponentiell. Dazu muss man nicht an Wunder glauben.

Der andere Wunderglaube ist gefährlicher

Der andere Bereich, in dem im Moment ständig Wunder herbeigeredet werden, ist die Bekämpfung der Klimakrise. Hier allerdings mit anderen Vorzeichen. Gerade hierzulande werden derzeit ständig Luftschlösser gebaut, mit dem durchsichtigen Ziel, möglichst wenig gegen die Klimakrise zu unternehmen.

Zur Liste dieser Wunder gehören:

    Die magische Vermehrung des grünen Wasserstoffs

    Die magische Vermehrung von E-Fuels

    Die magische Entfernung von CO₂ aus der Luft

    Die magische Energiequelle Kernfusion

Dieser – anders als beim Thema KI – rückhaltlos technikoptimistische Wunderglaube ist viel gefährlicher als »Erwachende, strafende Götter«-Szenarien. Er dient nämlich dem Zweck, echtes Handeln zu verhindern zu verzögern, die Bevölkerung zum Wohle der Fossilbranchen in falscher Sicherheit zu wiegen.

Unglücklicherweise schlägt sich dieser Wunderglaube in konkretem politischem Handeln, genauer: Nichthandeln nieder. Die FDP setzt groteskerweise durch, dass Verbrennerheizungen auch künftig noch verbaut werden sollen, wenn sie »nur grünen Wasserstoff« verbrennen, also solchen, der aus erneuerbaren Energien und Wasser erzeugt wird. Das ist schon technisch extrem fragwürdig, denn Wasserstoff korrodiert Material , ist extrem flüchtig und hat eine deutlich niedrigere Energiedichte als Erdgas.

Das größte Hindernis aber, und das gilt ebenso für das Thema »E-Fuels«, sind die Gesetze der Thermodynamik. Physik verhandelt nun einmal nicht.

Bei jeder Umwandlung von Strom aus Sonne und Wind geht Energie verloren. Das ist eine unverrückbare physikalische Tatsache. Es wird deshalb immer effizienter sein, Strom etwa vom Solardach direkt zum Betrieb einer Wärmepumpe einzusetzen, als damit aufwendig, unter Explosionsrisiko und großen Verlusten, Wasserstoff herzustellen und den dann zu verbrennen. Man verbraucht mit einer Wärmepumpe ein Viertel bis ein Fünftel des Stromes, den eine Wasserstoffheizung benötigen würde.

Gerade die erklärten Fans der »Effizienz des Marktes« haben mit dem Verständnis des Konzepts Energieeffizienz offenbar massive Schwierigkeiten.

Der grüne Wasserstoff in Europa wird auf absehbare Zeit ohnehin nicht reichen, wie der Energieexperte Michael Liebreich von Bloomberg NEF gerade vorgerechnet hat: Um auch nur die Wasserstoffziele zu erreichen, die die EU sich selbst gesetzt hat, müssten ihm zufolge in den kommenden sieben Jahren pro Jahr zehn Wasserstofffabriken gebaut werden, die dem größten aktuell im Bau befindlichen Projekt Chinas entsprechen. Zehn. Pro Jahr. Klingt, als wären auch dafür Wunder erforderlich.

Grüner Wasserstoff wird auf absehbare Zeit knapp und teuer bleiben. Erneuerbar erzeugter Strom muss immer und überall so eingesetzt werden, dass möglichst wenig davon verloren geht. Und das ist sowohl beim Heizen als auch beim Auto geklärt, denn, wie gesagt, Thermodynamik verhandelt nicht: Den Strom direkt zu nutzen, ist immer die effizienteste Lösung.

Wunderglaube ist auch die zum Beispiel von Friedrich Merz gern beworbene vermeintliche Lösung, CO₂ mit Direct Air Capture (DAC) direkt aus der Luft zu holen. Es wäre schön, wenn das ginge, aber es kostet im Moment 300 Euro pro Tonne CO₂, mehr als dreimal so viel wie der aktuelle Preis für CO₂-Emissionsrechte . Auch hier haben wir es also mit Wunderglauben zu tun, nicht mit Pragmatismus.

Aber DAC gibt es zumindest im kleinen Maßstab immerhin tatsächlich. Für Kernfusion, die Energiequelle, von der Merz, Christian Lindner und andere immer schwärmen, um in der Gegenwart nichts tun zu müssen, gilt das nicht. Es gibt keinen funktionierenden Fusionsreaktor, schon gar keinen, der wirklich Strom ins Netz liefern könnte, und das wird wohl noch jahrzehntelang so bleiben . Die 1,5-Grad Schwelle werden wir aber vermutlich bereits in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren überschreiten.

Vor einem KI-Wunder müssen wir uns nicht fürchten, vor unkontrolliert agierenden KI-Konzernen dagegen schon.

Und beim Thema Klima gilt weiterhin: Wir haben keine Zeit, auf Wunder zu warten.

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