Sonntag, 2. April 2023

Sven Giegold: Durchbruch in Brüssel für die Erneuerbaren Energien in der EU

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,

heute in den frühen Morgenstunden wurde nach einer Nachtsitzung im Trilogverfahren zwischen Europäischer Kommission, Europaparlament und Rat der Durchbruch bei der EU-Erneuerbaren-Richtlinie (RED III) erreicht. Vorausgegangen waren fast zwei Jahre intensive Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen.
Die Trilogeinigung ist eine informelle Einigung, die jetzt noch von EP und Rat formell angenommen werden muss.

Die Beschlüsse zur EU-Richtlinie für erneuerbare Energien sind ein Durchbruch für Europa. Das Tempo des Ausbaus der Erneuerbaren wird europaweit verdoppelt. Die Ziele des Koalitionsvertrags für die Erneuerbaren werden damit rechtsverbindlich - und zwar nicht nur für Deutschland sondern für alle Mitgliedsstaaten. Wir machen Tempo bei der Energiewende und um schneller unabhängig von russischem Gas zu werden. Erst 2018 wurde die Erneuerbaren-Energien-Richtlinie während der Großen Koalition in Deutschland reformiert. Das Hauptziel für den Erneuerbaren-Ausbau wurde auf 32,5% am gesamten Energieverbrauch europaweit in 2030 angehoben. Heute haben wir lediglich rund 20% erreicht. Ursprünglich hatte die EU-Kommission nach den Klimaprotesten und der Europawahl 2019 im Rahmen des Green Deals 40% vorgeschlagen. Nach dem Angriff auf die Ukraine erhöhte die EU-Kommission ihren Vorschlag auf 45%.

Was nun herausgekommen ist:

  • Die EU hebt ihr bisheriges Erneuerbaren-Ziel von 32,5% auf 45% an. 42,5% Prozent werden wie bisher durch Mitgliedstaaten erbracht; 2,5% werden durch weitergehende freiwillige Beiträge der Mitgliedstaaten oder EU-Maßnahmen. Daneben sind viele verbindliche Sektorziele vereinbart worden, damit neben dem Stromsektor auch in den anderen Sektoren der Umstieg auf Erneuerbare Fahrt aufnimmt. 
  • Beim Erneuerbare-Wärme-Ziel: Das bisher unverbindliche Ziel für den Wärmebereich wird verbindlich und auf 1,1 Prozentpunkte Steigerung pro Jahr festgelegt. Hinzu kommt ein neues, indikatives Gebäudeziel von 49% Erneuerbare Energien am Wärmebedarf in Gebäuden.
  • Im Verkehrssektor erhöht sich das bereits verbindliche Ziel von 14% auf 29%.
  • In der Industrie muss verbindlich bis 2030 42% des eingesetzten Wasserstoffes aus Erneuerbaren Energien kommen, und dann 60% in 2035. Der Anteil von EE am Energieverbrauch der Industrie insgesamt soll jedes Jahr um 1,6% steigen.
  • Wir beschleunigen die Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien und Netze. Die Regelung aus der Notfallverordnung, die wir letztes Jahr im Zuge der Krise vereinbart haben, werden zukunftsfest gemacht und dauerhaft fortgeschrieben. Auch in der EU sind jetzt Erneuerbare und Netzausbau von überragendem öffentlichen Interesse. Damit kann z.B., wenn es schon bei der Ausweisung der Flächen eine Umwelt- und Artenschutzprüfung stattgefunden hat auf deine weitere Prüfung für die einzelne Anlage verzichtet werden, aber nur, wenn angemessene Vermeidungs- oder Ausgleichsmaßnamen getroffen wurden, das Naturschutzniveau also hoch bleibt. Dies war im ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission so nicht vorgesehen, sondern kommt nun auf deutsche Initiative hin in verstärkter Form.
  • Neuer Schwung für grenzüberschreitende Projekte: jeder Mitgliedstaat muss mindestens 1 grenzüberschreitendes Projekt für die Erneuerbaren angehen. Damit wird die gemeinsame Zusammenarbeit gestärkt, bspw. bei gemeinsamen Offshore-Projekten.

Das alles ist eine gute Nachricht für Investitionen in die Erneuerbaren. Die RED III wird einen Boom von zukunftsfähigen Investitionen überall auslösen. 

Das bedeutet dauerhaft Unabhängigkeit von fragwürdigen Lieferanten von fossilem Öl, Gas, Kohle und Uran. Die Kosten für die Erneuerbaren sinken seit Jahren kontinuierlich. Der Erfolg der Erneuerbaren am Markt wird durch die RED III gesichert. Das verschafft unserer Industrie Wettbewerbsvorteile in Zukunftssektoren.

Besonderer Knackpunkt bei den Verhandlungen war bis tief in die Nacht die Frage, ob mit Atomenergie erzeugter Wasserstoff auf die EE-Ziele angerechnet werden darf, worauf besonders Frankreich gedrängt hatte. Das ist der Kompromiss: Es findet keine Anrechnung auf die EE-Ziele statt. Auch eine Berücksichtigung auf das Hauptziel findet nicht statt. Allerdings erhalten Mitgliedsländer, die ihr Hauptziel erreichen und mit Blick auf die in der Industrie genutzten Brennstoffe weitgehend dekarbonisiert sind, einen Abschlag auf das EE-Wasserstoff-Unterziel in der Industrie und damit etwas mehr Flexibilität. Konkret: Wer a) sein Hauptziel erreicht und b) seinen Anteil fossiler Brennstoffe in der Industrie auf 23% in 2030 gesenkt hat, kann einen Abschlag von 20% auf das EE-H2-Unterziel in der Industrie erhalten (also statt 42% ->  33,6%). Für das 2035-Ziel bekommt man diesen 20% Abschlag nur dann, wenn der Anteil der fossilen Brennstoffe auf 20% gesunken ist (und das EE-Hauptziel erreicht wird). Damit müssen weiterhin alle Mitgliedsländer die Erneuerbaren massiv ausbauen, auch wenn sie künftig auch Atomenergie nutzen wollen. Einen schlanken Fuss kann sich kein Land machen - die anspruchsvollen Hauptziele gelten verbindlich für alle. Gleichzeitig gibt es klimapolitische Fortschritte nur in europäischer Zusammenarbeit. Ein Kompromiss mit Frankreich und anderen Pro-Atom-Staaten war daher notwendig.

Ein Wermutstropfen ist auch die Einigung bei der Nutzung von Holz zur Energiegewinnung, das weiterhin als Erneuerbare Energie gilt. Zwar gibt es dank des Europaparlaments neue Maßnahmen zum Schutz von alten und artenreichen Wäldern. Hier haben sich vor allem die Mitgliedsländer mit einer starken Holzindustrie gegen das Europaparlament durchgesetzt. Als Bundesregierung waren wir im Rat der Mitgliedsländer ebenso für striktere Regeln für die Nutzung der Biomasse, fanden dafür jedoch keine Mehrheit.

Insgesamt ist diese Einigung ein echter Durchbruch für die Erneuerbaren in der EU und zeigt, wie viel sich trotz aller Widerstände in die richtige Richtung bewegen lässt. Die Bundesregierung war hier geeint erfolgreich. Von einem Anteil der Erneuerbaren in 2022 von 20,4% am Endenergieverbrauch, müssen wir in 2030 nun über 40% erreichen.

Klar ist auch: Das reicht immer noch nicht für die Erreichung der Pariser Klimaziele. Gleichzeitig war die EU noch nie so ambitioniert. Wir arbeiten im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz weiter für mehr Ambitionen und Mehrheiten dafür unter den EU-Mitgliedsländern. Dazu beigetragen haben unsere Beamt*innen in Brüssel und Berlin, die auch hier für den Green Deal mit ungezählten Überstunden und hoher Professionalität verhandelt haben.

Mit optimistischen Grüßen,

Ihr und Euer Sven Giegold



hier  im ZDF zum Thema  30.03.2023
Neue Richtlinie: Erneuerbare Energien - EU schraubt Ziele hoch

Mehr Wasserstoff, schnellere Genehmigungen, ein Kompromiss bei der Atomkraft: Die EU setzt sich deutlich ambitioniertere Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien.

Die EU setzt sich selbst ambitioniertere Ziele für den Klimaschutz: Bis 2030 soll der Anteil erneuerbarer Energien am Verbrauch auf mindestens 42,5 Prozent steigen und sich somit nahezu verdoppeln. Das sieht eine Einigung für eine Reform der Erneuerbare-Energien-Richtlinie des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten vor.

Dabei soll insbesondere auf grünen Wasserstoff gesetzt werden und Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien beschleunigt werden. Die Genehmigungsfrist für Anlagen für erneuerbare Energien soll höchstens 18 Monate betragen, wenn die Anlagen in dafür vorgesehen Gebieten errichtet werden sollen. Außerhalb dieser Gebiete soll das Verfahren nicht länger als 27 Monate dauern.

Wasserstoff aus Kernenergie
Aus Atomkraft hergestellter Wasserstoff soll hingegen nicht auf das Gesamtziel angerechnet werden können. Allerdings können Länder, die einen besonders geringen Anteil an Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen wie Öl und Gas verbrauchen und die Ausbauziele für Erneuerbare erreichen, 20 Prozent ihres Anteils an erneuerbarem Wasserstoff durch Wasserstoff aus anderen Energiequellen - einschließlich Kernenergie - ersetzen.

Hintergrund: Die Frage der Kernkraftnutzung ist in der EU umstritten. Insbesondere Frankreich hatte in den Verhandlungen darauf gedrungen, mit Atomstrom hergestellten Wasserstoff auf die Klimaziele anrechnen zu können.

Atomenergie: "Weder grün noch fossil"
Die Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Franziska Brantner, sprach von einem "guten Kompromiss". Es werde klar zwischen wirklichen "erneuerbaren Energien" und "Low Carbon"-Energie inklusive der Atomkraft unterschieden, so die Grünen-Politikerin. Der französische EU-Abgeordnete Pascal Canfin sprach von einer Sonderrolle der Atomenergie - als "weder grüne noch fossile" Energiequelle.

"Es ist zwar ein Erfolg, dass Frankreich sich nicht durchsetzen konnte, Atomkraft als erneuerbar zu deklarieren, erklärte hingegen der Grünen-Europaabgeordnete Michael Bloss.Es ist aber ein Skandal, dass Atomkraft überhaupt eine Rolle spielt.

Die Ziele in Zahlen:
Derzeit liegt der Anteil der Erneuerbaren bei rund 22 Prozent. Der Anteil schwankt dabei von Land zu Land sehr stark. Während Spitzenreiter Schweden auf 63 Prozent kommt, liegen Luxemburg, Malta, die Niederlande und Irland jeweils unter 13 Prozent. In Deutschland lag der Anteil der Erneuerbaren am Bruttoendenergieverbrauch 2021 bei 18,8 Prozent.

Bislang war es Ziel, den Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auf 32 Prozent zu bringen, jetzt sollen es durch Maßnahmen aller 27 Mitgliedstaaten 42,5 Prozent werden.
Gemeinschaftliche Schritte sowie freiwillige weitergehende Beiträge einzelner Länder sollen zudem eine weitere Steigerung um 2,5 Prozentpunkte bringen, sodass der Anteil 2030 nach Möglichkeit bei 45 Prozent liegt.

Der Kompromiss sieht vor, dass bis 2030 42 Prozent und bis 2035 60 Prozent des Wasserstoffs, der von der Industrie verwendet wird, aus erneuerbaren Quellen stammen müssen, also grüner Wasserstoff ist.
Beschlossen wurden auch konkrete Ziele für einzelne Bereiche, die bislang hinterherhinken - etwa im Gebäude- und Verkehrssektor sowie für die Industrie.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine vor mehr als einem Jahr versucht die EU, deutlich schneller unabhängig von Öl- und Gaslieferungen aus Russland zu werden. EU-weit soll dies bis 2027 gelingen. Dafür müssen vor allem erneuerbare Energien und Atomkraft die Lücke schließen. Die EU-Kommission hat die dafür nötigen Zusatzinvestitionen auf 113 Milliarden Euro bis 2030 beziffert. Das Geld soll neben erneuerbaren Energien auch in den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur fließen, die helfen soll, Industrieprozesse künftig klimaneutral zu betreiben.

Das ist der Unterschied zwischen den verschiedenen Arten von Wasserstoff:

Grauer, blauer, türkiser und grüner Wasserstoff
Eigentlich ist Wasserstoff immer Wasserstoff. Allerdings unterscheiden sich die Herstellungsverfahren, bei denen etwa Wasserdampf oder Strom die Energie liefern. Um am Namen die Art der Herstellung ablesen zu können, hat man Farben gewählt - wohlgemerkt nur für die Bezeichnung. Eingefärbt wird nichts.

Man spricht man von "grauem" Wasserstoff, wenn bei der Herstellung das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) entweicht.
Wird das Kohlendioxid gespeichert, bezeichnet man ihn als "blau".
Wird dabei fester Kohlenstoff gewonnen, wird der Wasserstoff "türkis" genannt.
Am liebsten ist den meisten Politikerinnen und Politikern aber "grüner" Wasserstoff, der klimaneutral mit Hilfe von Ökostrom produziert wird. Bei dieser sogenannten Elektrolyse wird unter Einsatz von grünem Strom das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten.

Bundeswirtschaftsminister Habeck zufrieden mit neuer Richtlinie

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck äußerte sich insgesamt zufrieden mit der neuen Richtlinie.

In ganz Europa steigt nun das Tempo bei der Energiewende, auch um schneller unabhängig von fossilen Importen zu werden.



hier in VDI-Nachrichten 31. MRZ 2023 VON THOMAS A. FRIEDRICH
Erneuerbare Energien: EU stuft Reaktoren nicht als grün ein, gibt aber Geld für ihre Renovierung

Die europäischen Gesetzgeber verständigen sich auf die Steigerung der erneuerbaren Energien von 32 % auf 42,5 % bis 2030. Für die Anrechnung von Kernenergie auf kohlenstoffarme Energiegewinnung werden hohe Barrieren für den Industriestromanteil festgelegt.


Revision der Erneuerbare-Energien-Richtline (RED III) der EU: Die einzelnen EU-Staaten sollen bis zum Ende des Jahrzehnts in ihrem nationalen Energiemix einen Mindestanteil von 42,5 % an der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen speisen. Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft legte in ihrem Verhandlungsangebot mit indikativen zusätzlichen 2,5 % eine weitere Schippe als freiwillige Option noch obendrauf. Damit war die Marge von 45 %, die das Europaparlament zuvor als Mindestanteil der Erneuerbaren in der Zukunft sehen wollte, rein nominal erreicht.


Die Glückszahl ist die sieben: In der siebten Trilogsitzung von EU-Kommission, EU-Parlament (EP) und EU-Mitgliedstaaten einigten sich die Verhandlungsteams in einer Nachtsitzung bis 7 Uhr in der Frühe am Donnerstag dieser Woche auf einen Kompromiss bei der Neufassung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III: Renewable Energy Directive). Dann war der gordische Knoten durchtrennt. Es stand viel auf dem Spiel: 2018 hatte die EU die Latte für das Ziel des Erneuerbarenanteils auf 32 % bis 2030 an der Energieproduktion in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr festgelegt. Fünf Jahre später hat die EU jetzt angesichts des fortschreitenden Klimawandels und zunehmender Starkwetterphänomene die Latte für die Erneuerbaren mit der RED-III-Verabschiedung deutlich höher gelegt. 

 EU-Strommarkt: Ökostrom und Atomstrom sollen Strompreise bremsen

Die einzelnen EU-Staaten sollen bis zum Ende des Jahrzehnts in ihrem nationalen Energiemix einen Mindestanteil von 42,5 % an der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen speisen. Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft legte in ihrem Verhandlungsangebot mit indikativen zusätzlichen 2,5 % eine weitere Schüppe als freiwillige Option noch obendrauf. Damit war die Marge von 45 %, die das EP zuvor als Mindestanteil der Erneuerbaren in der Zukunft sehen wollte, rein nominal erreicht und der Weg für einen tragbaren Kompromiss unter den drei europäischen Gesetzgebern frei. 

Den eigentlichen Knackpunkt des zähen Ringens unter den Verhandlern stellten allerdings die Einordnung von Kernkraft in die Klimaschutzbemühungen und die selbst gesteckten Zielen der EU zur Erreichung der Pariser Klimaziele dar. Zwischen 2 Uhr und 4 Uhr in der Nacht kreiste das Tauziehen zwischen den Kernenergiestaaten und den primär auf Erneuerbare als Zukunftsoption setzenden EU-Mitgliedstaaten um die zentrale Frage: Wie halten wir es mit der Kernenergie und welchen Bonus soll den stark auf Atomstrom fokussierten Staaten eingeräumt werden, um das 42,5 %-Ziel bis 2030 de facto zu erreichen? 

„Wir wollen die Kernenergienutzung auf EU-Ebene nicht als grüne Energie eingestuft sehen, aber die unbestreitbare kohlenstoffarme Energieerzeugung als zukunftsfähige Option verteidigen.“
Agnès Pannier-Runacher, Energieministerin Frankreichs

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