Hier war es einige Monate etwas stiller. Das hat verschiedene Gründe. Bevor wir uns Europas Klimanewsletter zuwenden will ich einige Worte loswerden. Einerseits ein großes Dankeschön an alle Leser*innen. Ob Kritik oder Zustimmung oder Unterstützung und ob per Mail oder hier bei LinkedIn direkt als Nachricht: Stets habe ich mich über eure Hinweise gefreut, auch wenn ich nicht jeder Person einzeln antworten konnte. Das gilt für die unzähligen Kommentare unter dem Newsletter ebenso wie bei meinen zwei bis drei Posts pro Woche. Wir leben hier vom Diskurs, der in Zeiten von Empörung ausgerichteter Algorithmen doch viel zu oft ausfällt – und auch angesichts der weiteren Entwicklung dieser Netzwerke sich doch noch verschärfen dürfte. LinkedIn ist hier im Gegensatz zu Facebook, Instagram, X oder TikTok doch noch eine vielleicht letzte Möglichkeit, ein größeres Publikum für eine Idee oder ein Thema zu gewinnen und so möchte ich mich an dieser Stelle für fast 50.000 Follower*innen und rund 30.000 Leser*innen dieses Newsletters bedanken – aber auch bei der DACH-LinkedIn-Redaktion, die täglich großartige Arbeit leistet. Warum wurde es hier aber etwas stiller? Das liegt schlicht daran, dass die Fülle an Kommentaren, Nachrichten oder Mails nicht mehr zu bewältigen ist. Gleichzeitig nahm mich mein Herzensprojekt – THE GOODFORCES (TGF) – immer stärker in Anspruch. Mittlerweile sind wir ein großes und wunderbares Team aus unterschiedlichsten Bereichen der politischen Kommunikationslandschaft. Wir leben von der Auftragsarbeit. Kein Millionär wie bei NiUS & Co, keine seltsame Finanzstruktur – schlicht das, was wir täglich erarbeiten. Auch dafür an dieser Stelle mein großes Dankeschön an alle, die dem Team bislang ihr Vertrauen gegeben haben. Was ihr als Abonnent*innen lest, sind oft viele Gedanken, Anmerkungen und Diskussionen aus diesem Team, ohne die keine einzige Zeile hier stehen könnte. Zugleich sind alle hier geschriebenen Wörter – ob im Newsletter oder den täglichen Posts – kostenfrei für euch lesbar. Bis dato und auch in Zukunft werde ich von Spenden, Honoraren oder Kooperationsposts absehen. Einerseits, um unabhängig zu bleiben, andererseits weil ich meine Liebe zu Europa nicht entlohnen lassen will, sondern mit euch zusammen für ein geeintes, arten- und klimafreundliches Europa streiten will. Meine publizistische Tätigkeit bleibt damit kostenlos und ist damit auch der Kern, wieso dieser Newsletter in den letzten Monaten etwas zurückstecken musste. Das führt zu meinen letzten beiden Punkten, bevor wir uns wieder dem neuesten Stand in Brüssel zuwenden. Punkt 1: Ich werde weiter hier schreiben, gerade weil wir als Demokrat*innen und Europäer*innen in diesen Zeiten lauter denn je sein müssen. Blicken wir in die tägliche politische Gemengelage, so muss ich aus meiner Sicht zugeben: Das erscheint hoffnungslos. Einerseits, weil gegen physikalische Realitäten (Klimawandel) vehement gearbeitet oder wider besseren Wissens entschieden wird, andererseits weil, wie oben schon am Rande erwähnt, soziale Netzwerke in der Hand weniger Tech-Oligarchen stecken, deren Interesse offentlich nicht dem demokratischen Gemeinwohl, sondern vielmehr dem Schutz ihres eigenen Reichtums gilt. Gepaart mit Multimillionären und anderen gut betuchten, die NiUS & Co aufbauen, wohl wissend, dass sie skrupellos Menschen für ihre Interessen manipulieren. Das erwähne ich, weil sich dieser Newsletter nicht um KI oder soziale Netzwerke dreht, wohl aber im Kern im Klimaschutz in Brüssel. Die soeben kurz skizzierten Entwicklungen berühren dieses Feld aber direkt. Wer Klimapolitik umsetzen will, muss es mehrheitsfähig machen. Sprich: “Es ist ein Irrglaube zu denken, die Fakten reichen aus und die Fakten sprechen für sich. Die Wahrheit muss kampagnenfähig werden”, wie es kürzlich die Brüsseler WDR-Journalistin Helga Schmitt formulierte. Sie hat recht. Wir alle erinnern uns an die Geschichte des Öl-Konzerns ExxonMobile. Er wusste, dass sein fossiles Geschäft das Klima anheizt. Er wusste um die Folgen, er hatte alle Daten und entschied sich doch dagegen. Er entschied sich, eine Kampagne zu starten, Wissenschaftler*innen dafür zu bezahlen, die Daten zu relativieren und er wusste, wie zu damaligen Zeiten Mehrheiten über lineare Medien zu gewinnen sind. Heute ist das ein vielfaches leichter: Ein Instagram-Account reicht, um Zweifel am menschengemachten Klimawandel zu streuen oder, wie wir kürzlich gesehen haben, eine anerkannte Top-Juristin abzusägen und so das Bundesverfassungsgericht zu beschädigen. Deshalb müssen wir am Ball bleiben. Dagegenhalten, Gegenöffentlichkeiten schaffen – auch wenn das die Maschine füttert, die wir so sehr verachten. Uns kommt dadurch eine besondere Rolle zu: Wir haben (noch) das Privileg, dass wir uns damit beruflich beschäftigen dürfen – im Falle dieses Newsletters mit der Klima- und allgemeinen Politik Europas. Dieses Privileg verpflichtet in meinen Augen genau das zu tun, statt sich zurückzuziehen. Aufgeben ist also keine Option, sondern sich vernetzen, Bündnisse schmieden und dem trumpischen Sadopopulismus einen hoffnungsvollen Populismus, eine hoffnungsvolle Erzählung entgegenstellen, der eint statt zu spalten. Und das führt mich zum zweiten und damit letzten Punkt: Wir müssen neue demokratische Allianzen schmieden – quer durch die Gesellschaft und quer durch Europa. Dieser Newsletter wird das natürlich nicht schaffen, aber dazu ist er auch gar nicht da. Er soll aber einen Denkanstoß liefern und vielleicht bringt er ja was ins Rollen, was durch uns alle größer werden kann. Zugleich soll dieser letzte Punkt erklären, wieso es in letzter Zeit hier etwas ruhiger war. Weil wir mit einem Team daran arbeiten, diese neuen Allianzen zu schmieden. Das kostete Zeit, Kraft, Liebe und Zuneigung – und das ging auf Kosten dieses Newsletters und auch der ein oder anderen fehlenden Antwort in den direkten Nachrichten. Bitte verzeiht, dass es dementsprechend etwas ruhiger wurde. In Zukunft werdet ihr 1x im Monat in diesem Newsletter von mir lesen.
"Die Automobilindustrie ist eine der Kernindustrien des europäischen Kontinents und wir dürfen uns die nicht zerstören lassen durch eine Verengung auf Technologien, von denen wir gar nicht wissen, ob sie zu diesem bestimmten Datum alle schon so marktfähig sind.” Ein Satz, der tief blicken lässt, und er stammt vom Kanzler der größten europäischen Volkswirtschaft: Friedrich Merz. Der Satz lässt deshalb tief blicken, weil er nicht nur einen Blick ins Innere einer verunsicherten und unwissenden konservativen Partei zulässt, sondern auch, wie ernst es der größten Fraktion im EU-Parlament um den Klimaschutz geht und wie es insgesamt um diesen bestellt ist. Gleichzeitig zeigt der Satz, wie groß die Diskrepanz beim Klimaschutz zwischen Zielsetzung, Maßnahmen und Mitnahme der Bürger*innen ist. Fest steht aber: Dem müssen wir ein klares “Halt Stop!” entgegenstellen. Denn im Kern läutet dieser Satz ein, was mittlerweile ohne Umschweife erkennbar ist: Europas Angst vor der Zukunft zerlegt Europas ehemaliges Hoffnungsprojekt, den Green Deal und mit ihm ungewollt aber umso mehr das Einigungsprojekt Europa – und das, obwohl dieses dringender denn je gebraucht wird. Um das zu verstehen, schauen wir uns vier Ebenen an, die der Satz von Friedrich Merz uns eröffnet. Ebene 1: Worte zählen, die Realität aber auchEines müssen wir uns bewusst machen: Merz Worte zählen. In diesem Fall kündigen sie an, dass mit ihm das Verbrenner-Aus 2035 für Autos fallen wird – wohl im Herbst dieses Jahres, was die Erreichung der Klimaziele 2030 und 2040 direkt in Frage stellt. Im Raum steht eine Verschiebung des Verbrenner-Aus auf 2040, aber auch weitere Schlupflöcher, die schon der damalige FDP-Verkehrsminister Volker Wissing – wohl auf Druck seiner Partei als vielmehr seiner Überzeugung – einfädelte. Bevor wir uns anschauen, warum Merz nicht nur im Kern falsch mit seiner Aussage zum Stand und der Entwicklung der E-Mobilität liegt, müssen wir uns noch einmal heranziehen, woher das Ziel bei den EU-CO2-Flottengrenzwerten für 2035 kam. Im sogenannten Fit for 55-Klimapaket der EU-Kommission ging es in erster Linie um ein Ziel: Das Erreichen des Klimaziels 2030 von minus 55 Prozent der Treibhausgasemissionen. Das Ziel ist festgeschrieben im Europäischen Klimaschutzgesetz (ECL) – ein Meilenstein in der Geschichte der Menschheit. Erstmals verpflichtet sich ein Kontinent auf Basis des Pariser Klimaabkommens nicht nur zur Klimaneutralität 2050, sondern auch mit einem ambitinoierten Klimaziel. Für das 1,5-Grad-Klimaziel und der historischen Klimaschuld Europas reichte es zwar nicht, aber ja, es war historisch. Die Zielsetzung wurde in ein Gesetz gegossen, nun musste es an die Maßnahmen gehen. Wir stellten uns als Kontinent also die Frage: Wie erreichen wir das? Einer der großen Sorgenkinder im Klimaschutz ist der Verkehr. Zwischen 1990 und 2022 erhöhte sich der jährliche CO2-Ausstoß im Straßenverkehr EU-weit um 24 %. Am deutlichsten stieg der CO2-Ausstoß bei den leichten Nutzfahrzeugen (+56 %) – sprich Autos. Sie machen bis heute einen Mammutanteil im Verkehr aus, Busse und Lkw sind mit rund 30 % dabei. Einer der Gründe für den Anstieg in diesem Sektor: Der SUV-Boom. Entgegen dem Märchen der Autoindustrie gibt es keinen sauberen Verbrenner. Die Effizienzkurve der letzten Jahre ist minimal und wurde vor allem durch eine Sache aufgefressen: Immer größere, schwerere und luxuriöse Autos bei gleichbleibender Anzahl der transportierten Personen. Der sogenannte Rebound-Effekt. Mehr Effizienz wird in mehr Masse gesteckt – die Effizienz verpufft. Was die Margen der Autohersteller nach oben schnellen ließ, ließ gleichzeitig die Kurve der Emissionen nach oben schnellen. SUVs brauchen nicht nur mehr Platz und verbrauchen mehr Material, sondern verursachen heute 31 % aller PKW-Emissionen. Freie Hand dafür gab es von Seiten der Politik und die Autoindustrie verließ sich darauf. Wie schon im Flugsektor, kündigte sie wahlweise den sauberen Verbrenner an oder aber redete vom Wasserstoffauto bzw. E-Fuels. Nichts davon wird kommen, schlicht weil der Markt es nicht hergibt. Und damit sind wir wieder bei Friedrich Merz fataler Aussage. Pikant wird es, wenn man sich den Kontext seiner Aussage anschaut: Seine Worte fallen auf einer Pressekonferenz mit dem norwegischen Ministerpräsident. Im Jahr 2024 wurden in Norwegen fast 90% der neu zugelassenen Autos als Elektroautos registriert. Elektroautos, nicht Wasserstoff, nicht E-Fuels, nicht irgendwas dazwischen. Die Logik dieser Entwicklung entspricht einfacher Physik: Ob E-Fuels, Wasserstoff oder herkömmliche Benziner, sie erreichen niemals die Effizienz einer Batterie. Doch Merz wählte diese Worte mit Bedacht und ist sich sicher, dass er Zuspruch von Seiten BMW & Co. erhalten wird. Deshalb gilt: Seine Worte zählen und werden die EU-Klimapolitik in diesem Jahr weiter zerlegen, um den Autoherstellern scheinbar etwas Zeit zu erkaufen. Zeit, die sie eigentlich nicht haben und angesichts dessen muss klar gesagt werden: Die Realität des Marktes und die des Klimas zählen ebenso. Merz müsste sich ehrlich machen und im Grunde tut er das auch. Erst vor wenigen Wochen relativierte er sowie seine Wirtschaftsministerin Reiche die Klimaziele Deutschlands – aus oben genannten Gründen. Überraschend kommt das alles nicht, denn wie gesagt: Worte zählen – auch die seines Parteikollegen von der CSU, Manfred Weber. Der Chef der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament sprach Merz Worte schon lange vor ihm aus – nur in andere Sätze verpackt. Bereits zum Höhepunkt der Corona-Pandemie 2020 forderte Weber ein Aussetzen der Green Deal-Bestrebungen. Damals war das Mammutprojekt Green Deal kein halbes Jahr alt, als die Corona-Pandemie die Welt in Atem hielt. "Wir müssen die Industrie stabilisieren, bevor wir sie in eine klimaneutrale Zukunft führen", sagte Weber und verwies damit auf die wirtschaftlichen Verwerfungen, die die Weltwirtschaft durch die Coronapandemie erlebte. Einen Satz, den Merz heute genau so sagt. Damals wie heute lautet Webers Mantra: Erst Wirtschaft, dann der Rest – sprich: Klimaschutz muss man sich leisten können. Merz führt diesen Kurs national fort und unterstützt Weber auf EU-Ebene über den Rat. Weber griff damit direkt an, was seine Parteikollegin und Chef der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen im Dezember 2019 sagte. Sie sprach von “Europas Mann auf dem Mond-Moment”. Der Klimawandel sei "ein existenzielles Thema für Europa - und für die Welt". Von der Leyen war klar: Egal was kommt, der Klimaschutz ist immer das Fundament für alle Entscheidungen und als klare Chance für eine wirtschaftliche Neuaufstellung zu verstehen. Genau das war der Kern des Projekts: Wir bauen die Rakete zum Mond, auch wenn es hart wird – so wie jede Transformation hart ist, Geld und vor allem politischen Willen braucht. Fünf Jahre später sind wir bei Kanzler Friedrich Merz angekommen und damit in einer neuen Realität, die uns Europäer*Innen Sorgen bereiten sollte: Merz verzwergt uns Europäer*innen auf einen Museumskontinent, der bekannt für Verbrenner, aber nicht für die Zukunft ist. Denn was Merz als Sätze der Stärke und des Schutzes einer Industrie betrachtet, sind im Kern Sätze der Schwäche, die Chinas Machthaber frohlocken lassen dürfte. BYD, CATL, XPeng, Xiaomi, Tongwei, JA Solar und wie sie alle heißen wissen, dass sie damit die weltweite Vormachtstellung in der Green Tech-Industrie dauerhaft sichern werden – samt Wertschöpfungskette. Sie wissen, dass sie damit alle Hebel in der Hand haben, um geopolitisch tun und lassen zu können, was sie wollen – Taiwan grüßt. Die Vergangenheit ist nicht mehr, doch Merz und seine Koalition hierzulande sowie Weber und seine Fraktion in Brüssel halten verzweifelt daran fest – allen voran aus Angst. Angst, weil ihnen mächtige fossile Konzerne für kurzfristige Gewinne im Nacken sitzen und diese sich im Notfall, wie in den USA, an die Rechtsextremen wenden könnten. Damit einhergehend auch die Angst vor schlechten wirtschaftlichen Nachrichten. Was man vor drei Jahren noch ohne Grundlage Robert Habeck (“die Grünen!”) zugeschoben werden konnte, landet jetzt bei Merz und damit Weber. Diese schlechten Nachrichten wiederum verstärken ihre Angst vor einem weiteren Aufstieg rechter Parteien, die die Union von ihrem mächtigen Thron ablösen könnte – ob national oder europäisch. Diese Spirale der Angst gepaart mit dem nie vorhandenen Glauben an eine europäische Transformation – dem “Europas Mann auf dem Mond-Projekt” – ist das, was wir derzeit erleben, ist das, was Merz Sätze wie diese sagen lässt. Und so wurde dieser Green Deal seit Ausruf systematisch von der größten Fraktion im EU-Parlament in seine Einzelteile zersetzt – immer wieder aus unterschiedlichen Gründen: Corona, Krieg, Energiekrise, jetzt Trump. Jeder Prototyp, um in der Metapher von von der Leyen zu bleiben – von der Trägerrakete bis zur Startrampe – wurde gestoppt, verkleinert oder derzeit wieder zurückgebaut. Genauso müssen wir uns den physischen Zustand Green Deal derzeit vorstellen – es gibt ihn nur noch auf dem Papier mit einigen Zielen, aber immer weniger klaren Maßnahmen. Als ich vor über einem Jahr das erste Mal in diesem Newsletter vor dem Rückbau des Green Deals samt Folgen warnte, erreichten mich etliche wütende Nachrichten: Schwarzmalerei, Glaskugelschreiberling oder was mir denn einfiele, das alles so negativ zu sehen. Leider ist es genauso gekommen. Der Abbau von Berichtspflichten bei der Nachhaltigkeit, das Zurechtbiegen der Strafzahlungen beim Verstoß von CO2-Flottengrenzwerten, das Ignorieren von Gesetzen zur Renaturierung oder die fehlende europäische finanzielle Unterstützung beim Aufbau einer grünen Stahl-, Erneuerbaren- oder Batterieindustrie (samt ihren Folgen): All das vollzog sich in den letzten drei Jahren, wobei vieles von dem in den letzten 12 Monate seit dem Rechtsruck bei der Europawahl besonders rasch vonstatten ging. Dabei war Europas Green Deal nicht nur ein Versprechen für eine klimaneutrale Welt, sondern ein Paradigmenwechsel. Denn zum ersten Mal beschloss die EU ein Programm, das definitiv nicht in den typischen nationalen wie europäischen Wahlzyklen umzusetzen ist. Alle bisherigen Schritte sind nur Grundlagen für das, was kommen wird. Der Anstoß der gesellschafts- und wirtschaftlichen Transformation ist kein Fingerschnips. 250 Jahre Kohle, Öl- und Gasinfrastruktur und Abhängigkeit müssen in 30 Jahren umgebaut und umgesetzt werden. Dass das nicht ohne Veränderung geht, sollte logisch sein und dass das langfristig ökonomisches Verständnis braucht, anstatt kurzfristige Wachstumsschübe, sollte ebenfalls logisch sein. Doch Merz Worte lassen all das verpuffen und seine Worte zählen aktuell – ebenso die unzähligen Angriffe der letzten Jahre seit Ausrufung des Green Deals von EVP-Chef Manfred Weber. Das führt uns direkt zur zweiten Ebene: der fehlende Mut. Ebene 2: die konservative MutlosigkeitDie Kehrtwende des Green Deals kam nicht erst gestern. Wie oben gezeigt, hatte sie nie ein ernsthaftes stabiles politisches Fundament, weil die Überzeugungen oder eben der Mut fehlten – und diese konservative Mutlosigkeit wird uns nun zum Verhängnis. Wie ist das zu verstehen? Unionspolitiker*innen würden dem nämlich jetzt entgegengehalten, dass sie doch für das Europäische Klimaschutzgesetz gestimmt hätten, für etliche im Green Deal enthaltene gesetzliche Maßnahmen, die sich im Fit for 55-Paket wiederfinden. Das stimmt. Nicht selten haben sie dafür gestimmt – zwar nicht immer, aber doch oft genug. Ohne ihre Mehrheit wäre vieles nicht möglich gewesen. Doch in den letzten Jahren hat sich etwas verschoben, wurde mit Zunahmen der Krisen immer stärker stark rechts geblinkt. Kein einzelnes politisches großes Beben hat dazu geführt, sondern viele kleine, die nicht nur das Fundament des Green Deals, sondern das gesamteuropäische Fundament – also das der Europäischen Union – ins Wanken gebracht haben. Dazu müssen wir verstehen, dass eine Europawahl nicht gleichbedeutend mit einer nationalen Wahl im herkömmlichen Sinne ist. Weder die Kommission noch der Rat oder das Parlament können durchregieren. Mehrheiten verschieben sich fast im Monatsrhythmus, was in Brüssel eine andere Form der Stabilität brauchte – die der Normen und Absprachen. Nehmen wir nur die letzten 15 Monate: Seit der Europawahl im Juni 2024 gab es in Deutschland Neuwahlen, in Polen Präsidentschaftswahlen, in Portugal, Rumänien und Bulgarien Wahlen. Noch gar nicht einbezogen sind regionale Wahlen und so weiter und so fort. Mit jeder Wahl verschieben sich Machtverhältnisse im EU-Rat, die das langfristige Projekt der Kommission entweder stärken oder schwächen können – definitiv aber Einfluss auf die Abgeordneten im EU-Parlament haben. Bei all den Wahlen müssen wir feststellen: Es gibt einen starken Ruck nach rechts – und das nicht erst seit der Europawahl 2024. Mit den vermehrten Krisen (Corona, Krieg, Energie …) und dem Aufstieg eines digitalen Überwachungskapitalismus sowie hybriden Kriegsführungen aus Putins Propagandaarmee sowie Chinas Einflussnahme über TikTok & Co wurden schrittweise neue Allianzen geschmiedet. Merz Äußerungen zum Verbrenner sind deshalb so interessant, weil sie den offensichtlichen Bruch zwischen der konservativ geführten Europäischen Kommission und den Konservativen hierzulande und anderswo in Europa offenbart. Hat man sich noch während der letzten Jahren redlich bemüht, Ursula von der Leyen nicht völlig vor den Kopf zu stoßen und ihr politisches Erbe – den Green Deal – zu sichern, tun Merz und seine Verbündeten dies nun offensichtlich. Am Offensichtlichsten zeigte sich das in der Green Claims Richtlinie. Von jetzt auf gleich kündigte von der Leyen auf Druck der “Entbürokratisierungs”-Kampagne der EVP-Fraktion das Aus dieser Richtlinie an, nur um es einen Tag später wieder zurückzunehmen. Diese politische Verschiebung findet sich im EU-Parlament mittlerweile offen wieder: Noch vor einigen Monaten sagte Weber ganz unverblümt, dass man die politischen Rechte – also Rechtspopulisten ebenso wie Rechtsradikale – für die Mehrheitsfindung nutzen wird. Man darf ihnen kein Amt geben, aber für die Mehrheitsfindung geht das in Ordnung. Damit endet eine konservative Haltung auf dem europäischen Kontinent, die seit der Nachkriegszeit eine stetige, immer tiefere Verankerung der europäischen Idee überhaupt ermöglichte: Eine inoffizielle Koalition zwischen Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten (und seit einigen Jahren auch Grünen), durch die im vergangenen Jahr Ursula von der Leyen zur Chefin der Kommission gewählt werden konnte. Webers Aussagen kamen wenige Wochen, nachdem erstmals ein Kanzlerkandidat namens Friedrich Merz ganz bewusst die Mehrheit im Bundestag mit den Rechtsextremen gesucht hat. Wahlkampfmanöver hin oder her: Der Bruch ist eindeutig – nur in Brüssel ist man schon deutlich weiter als hierzulande. Die bürgerliche Brandmauer gilt nicht mehr. Die Gründe dafür sind vielfältig, haben aber im Kern mit einer Sache zu tun: Mutlosigkeit. An eine andere Zukunft, was die wirtschaftliche Fähigkeit eines Kontinents angeht, der nichts außer eine Sache zu bieten hat: technologischen Fortschritt. Vom Verbrenner zum E-Auto, von der Kohle in die Erneuerbaren, von der Müllproduktion zur Kreislaufwirtschaft, von einer mit Chemikalien belasteten in eine ökologisch intakte Natur oder von einer durch Hitze, Dürren oder Starkregenereignissen Zukunft in eine Zukunft, die kommenden Generationen einen erlebbaren Planeten hinterlässt und die Klimakrise eindämmt, in dem sie eine bürgernahe Energiewende umsetzt. Das war das Versprechen des Green Deals, losgetreten von einer konservativen Kommissionschefin, die trotz Rechtsruck dafür eine Mehrheit im Rat und im Parlament sah. Doch sie hat die Rechnung nicht mit der Mutlosigkeit eines signifikant großen Teils ihrer Parteikolleg*innen gemacht. Vielleicht zeigt sich hier der Anti-Merkel-Flügel, vielleicht aber auch einfach die Ideenlosigkeit der noch größten Volkspartei des Kontinents. Diese Mutlosigkeit führt zwangsläufig zu Macht- weil Bedeutungsverlust. In der Zusammenarbeit mit den Rechten und Neo-Faschisten werden genau die gestärkt, die sie klein halten wollen: die Melonies, Orbáns und Höckes dieses Europas. Nationale Umfragen in den Mitgliedsländern zeigen das zuhauf, in Europa werden wir es 2029 bei den Wahlen sehen, sollte diese Mutlosigkeit zum Status Quo der europäischen Politik werden. Ebene 3: die Unwilligkeit, Europa weiterzuentwickelnDas führt uns zur Kampagne von Konservativen. Ihr offensichtlicher Widerspruch mit dem Green Deal brauchte eine Antwort die da lautet: Entbürokratisierung. Dabei ist klar: Europa ist kein Bürokratiemonster. Nein, das ist keine gewagte These. Wer sich einmal genauer anschaut, wie viele Institutionen und Menschen es braucht, um eine mittelgroße deutsche Stadt am Laufen zu halten und das ins Verhältnis zu Brüssel setzt, was für 450 Millionen Europäer*innen zuständig ist, der kann niemals ernsthaft sagen: Brüssel ist ein Bürokratiemonster. Im Gegenteil. Brüssel überlässt es den Nationalstaaten oftmals selbst, wie sie Richtlinien umsetzt. Ein schönes Beispiel ist die Digitalisierung. Während in Estland alles über eine digitale ID ohne Probleme möglich ist, kann man hierzulande selten bis gar nicht einzelne Amtsschritte online tätigen. Nicht Brüssel sorgt dafür, sondern die fehlende Fähigkeit von 16 deutschen Ministerpräsident*innen sich zu einigen. Nicht Brüssel verhindert den Ausbau der Smartmeter für die Energiewende, sondern die fehlende gesetzliche Grundlage hierzulande. Nicht Brüssel verhindert eine funktionale Bahn, sondern die fehlende Investition hierzulande. Es ist ein Trugschluss zu glauben, die EU-Kommission und der Green Deal wären ein einziges Regelwerk nur dafür geschaffen, um Europas Büger*innen zu knebeln. Wer das sagt, macht sich zum Steigbügelhalter der Rechten, weil sie diesen Mythos vom bösen bürokratischen Brüssel geschaffen haben – aber genau das ist geschehen. Konservative übernahmen schrittweise diesen Mythos in ihre Erzählung und landen zwangsläufig in einer erzählerischen Sackgasse. Europa ja, aber eben nicht zu viel. Das ist der Tod des europäischen Einigungsprozesses und wirft Trump & Co. Europa zum Fraß hin. Die Europäische Union wurde lange Zeit so hingenommen, weil wir uns selten bis gar nicht damit beschäftigt haben. Fehlende Grenzkontrollen, EU-weites Roaming, einheitliche Lebensmittelstandards oder die IBAN haben das Leben erleichtert – ebenso wie einheitliche Klimaschutzziele nicht nur dem Planeten zugutekommen, sondern die Energiewende vereinheitlichen und uns dadurch resilienter gegen Interessen aus Russland, den USA oder China machen. Europas Green Deal wäre damit ein logischer nächster Schritt gewesen angesichts global nie gekannter Herausforderungen – ob physischer (Klimawandel) oder geopolitischer (Putins Angriffskrieg, Trump, China) Natur. Dafür braucht es klare Ziele. Für diese Ziele braucht es klare Regeln und für diese Regeln braucht es einen politischen Willen – doch genau da stockt es, weil man sich festgefahren hat. Wie oben beschrieben, geht es wie so oft bei der Umsetzung von Klimazielen ans Eingemachte und wie so oft stellt sich die Frage: Wer bezahlt das? Bereits die Ampel-Regierung konnte darauf trotz Mehrheit in den Koalitionären keine Antwort liefern. FDP-Finanzminister Christian Lindner blockierte neue Investitionen in Europa und die neue Koalition? Merz schloss vor Kurzem neue Eurobonds aus – d.h. neue Investitionen in die Europäische Union. Doch genau die braucht es. Anfang des Jahres stellte der italienische Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige EZB-Chef Mario Draghi klar: Will die EU global mitspielen, das Klima schützen und neue wirtschaftliche Wege gehen, braucht es eine jährliche (!) Finanzierung von 750 bis 800 Milliarden Euro – was etwa 4 bis 5 % des EU-BIP entspricht. Das klingt viel, ist aber im Verhältnis zur Investitionsquote Chinas oder den USA in ihren jeweiligen Sektoren (Cleantech, Verteidigung und ja, Soziales (!)) nur ein Anfang – aber eben ein notwendiger. Der Draghi-Report fasst zusammen, woran viele EU-Gesetzgebungen wie der Net Zero Industry Act (NZIA) oder Clean Industry Act der EU derzeit scheitern: Nicht an der Zielsetzung, sondern am finanziellen Fundament dafür. Ursula von der Leyen war das schon 2019 klar, als sie die Chancen wie aber auch den finanziellen Bedarf dieser Transformation skizzierte, und ihr war klar: Nach den Gesetzen durch das Fit for 55-Paket und den anschließenden Umsetzungen braucht es neue finanzielle Mittel. Vor dieser Debatte stehen wir nun und doch scheint es wie schon beim Verbrenner auch hier das merzische Mantra zu sein: Mit uns nicht. Ob aus Angst vor der rechtsextremen AfD oder aus dem noch immer in der Union gelebte schäublischen Abneigung gegen gemeinsame Investitionen (die Griechen!), das erneute kategorische Nein aus Berlin wird wohlwollend von Trump, Putin oder Xi Jinping aufgenommen. Wohlwollend, weil sie wissen, dass Europas Wirtschaftsmacht ohne klare gemeinsame Investitionen das Rennen nicht machen wird. Damit machen wir uns zum geopolitischen Spielball. Ebene 4: Die erzwungene Verzwergung Europas Wie real diese schrittweise Verzwergung aussieht, konnten wir kürzlich bei der Zoll-Verhandlung zwischen Ursula von der Leyen und US-Präsident und Autokrat Donald Trump sehen. Europäische Unternehmen zahlen ab Ende nächster Woche auf viele Waren, die sie in die USA exportieren, Zölle von 15 %, US-Unternehmen hingegen nichts. Damit aber nicht genug: Von der Leyen hat ebenfalls zugesagt, große Mengen fossiler Brennstoffe aus den USA zu kaufen. In den kommenden drei Jahren sollen die Europäer*innen aus den USA Energieprodukte – also vor allem Öl und Gas – im Wert von 750 Milliarden Dollar kaufen. Eine Verdreifachung der aktuellen Menge aus den USA, obwohl wir doch eigentlich klimaneutral werden wollten. Was hier passiert, ist klimapolitisch noch gar nicht in Worte zu fassen, geopolitisch aber für die Europäische Union eine Katastrophe. Trump triumphierte nicht ohne Grund, wenn auch ohne sichere Grundlage (die EU kann diese Einkäufe nicht selbst tätigen), während sich wohl Putin und Xi Jinping angeschaut haben, wie die EU hier verhandelt. Und die Botschaft dieser Verhandlungen war klar: Die EU ist sich nicht einig, hat nichts mehr in der Hand, auch weil sie sich selbst blockiert und eben kleiner macht, als sie denkt. Aus der Abhängigkeit Putins geht es damit direkt in die Abhängigkeit eines erratischen Autokraten Trump und während noch kurz nach Putins Einmarsch in die Ukraine kurzerhand die Erneuerbarenziele der EU nach oben geschraubt wurden, sitzt nun von der Leyen neben Trump und lässt sich von Merz sagen: Gut verhandelt. Nichts an diesem “Deal” ist gut für Europa, aber es zeigt, wie besonders wichtig ein richtiger Green Deal heutzutage wäre. Es zeigt, wie wichtig gemeinsame Investitionen in unsere Energiewende und der Aufbau einer resilienten Cleantech Wirtschaft wären. 750 Milliarden Euro für Öl und Gas aus den USA? Es wäre mit Blick auf Draghis-Report genau jene Summe, die wir dringend hier in Europa bräuchten. Und anstatt sich beim rechten Rennen nach immer niedrigeren Klima- und Arbeitsstandards zu beteiligen – natürlich alles im Namen der Entbürokratisierung –, sollten wir die Standards nach oben schrauben und sie Trump entgegenhalten. Das ist schmerzhaft, aber genau das ist die Formel, die im Grunde dem Green Deal inhärent ist: Nur wenn wir klare Ziele, Regeln und damit Standards setzen, diese mit Investitionen untermauern, werden sich die Autokraten dieser Welt davon beeindrucken lassen – ob sie wollen oder nicht. Trump, Putin und Xi Jinping geht es nicht um die Demokratie und auch nicht Klimaschutz, sondern um Macht. Europas Wandel durch Handel ist vorbei, was für die Exportnation Europa bedeutet: Investieren – in seine Wirtschaft, Verteidigung, Energieautarkität und ja, in Europas Bürger*innen. Statt also den Green Deal abzusägen muss es jetzt klarer denn je heißen: Green Deal 2.0 bitte. Mit Investitionen und damit einem geeinten Europa, dass sich geopolitisch behaupten kann statt zur Verbrennerinsel in einer Welt zu werden, die uns technologisch davon rast. |
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