Sonntag, 9. April 2023

Pipeline-Pläne zur Wasserversorgung: Bayerischer Durst auf den Bodensee

Süddeutsche Zeitung  7. April 2023, Von Claudia Henzler und Christian Sebald

Einfach anzapfen? Im Norden des Freistaats fehlt Wasser. Eine Pipeline könnte helfen - aber diese Idee löst Streit aus

Was die Niederschläge und damit den Wasserhaushalt anbelangt, ist Bayern zweigeteilt. In Oberbayern und im Allgäu regnet es recht ergiebig - aufs Jahr gesehen 1500, bisweilen sogar 2000 Liter pro Quadratmeter. In Franken und der Oberpfalz dagegen nicht einmal die Hälfte. "Wir haben heute schon Gegenden in Franken, in denen es so trocken ist wie im Bergland von Jordanien oder Israel", sagt der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) oft, wenn er über den Wasserhaushalt im Freistaat spricht. Die Dürreperioden der vergangenen Jahre waren für die 5,2 Millionen Menschen in Nordbayern besonders stark spürbar. Und die Experten sind sich einig, dass sich die Wasserknappheit in Franken und der Oberpfalz im fortschreitenden Klimawandel noch zuspitzen wird.

In der Not haben sie im bayerischen Umweltministerium eine kühne Idee geboren. Das Stichwort lautet "Wasserspange". So nennt Umweltminister Glauber den Plan, Wasser aus dem Bodensee über ein gigantisches Netzwerk aus neuen und vorhandenen Fernleitungen nach Franken zu transportieren. Außerdem sollen zwei Talsperren im Bayerischen Wald und im oberfränkischen Fichtelgebirge an die Spange angeschlossen werden.

Pipeline-Pläne zur Wasserversorgung: undefined

Über die beiden Talsperren werden schon heute fast eine Million Menschen versorgt. Künftig sollen sie auch aushelfen, wenn weiter westlich in Franken das Trinkwasser knapp wird. "Wenn das vor Ort nutzbare Grundwasser nicht ausreicht, muss der Mensch eingreifen", sagt Glauber zu der Spange. Entschieden ist freilich noch nichts. Im Gegenteil: "Die Wasserspange ist über das Ideenstadium noch nicht hinausgekommen", sagen alle, die man im bayerischen Umweltministerium darauf anspricht. Ein Ingenieurbüro arbeitet an einer Machbarkeitsstudie. Erste Ergebnisse könnten im Laufe des Jahres vorliegen.

So einfach sich die Idee anhört, so komplex ist sie in Wirklichkeit. Das fängt schon bei der Frage an, ob im Bodensee ausreichend Wasser vorhanden ist, damit man im Notfall auch noch Franken damit versorgen könnte. Etwa vier Millionen Menschen beziehen in Baden-Württemberg ihr Trinkwasser aus Mitteleuropas drittgrößtem Binnensee. "Das ist aber sicher kein Problem", hört man dazu aus dem bayerischen Umweltministerium, "der alpine Rhein liefert so viel Nachschub, dass es für alle reicht - und zwar langfristig." Außerdem heißt es, dass es ausschließlich um eine Notfallversorgung für Zeiten außergewöhnlicher Dürre gehe. "Keiner muss die Befürchtung haben, dass wir unseren Nachbarn das Wasser abgraben wollen."

Richtig kompliziert wird es an Land. So eine Fernleitung hat zwischen einem und 1,5 Meter Durchmesser, die Rohre sind in der Regel aus Stahl. Sollte die Idee also tatsächlich einmal Wirklichkeit werden, müssten zig Kilometer Rohrleitungen verlegt werden. Und zwar über Hügelland und Mittelgebirge hinweg, bergauf und bergab. Dazu Pumpen und anderes technisches Gerät, zur Überwachung beispielsweise. Schon für den Transport muss das Wasser auf Trinkwasserqualität aufbereitet und permanent kontrolliert werden. Allein die Strecke zwischen Bodensee und Donau beträgt hundert Kilometer Luftlinie, die zwischen den beiden Trinkwassertalsperren im Osten Bayerns sogar 200. In den beiden Abschnitten liegt noch kein einziger Meter Fernleitung im Boden. Der Aufwand wäre also riesig, die Kosten dürften locker im Milliardenbereich liegen.

In Baden-Württemberg war man erst mal irritiert

Ob, wie und bis wann Bayern den Bodensee anzapfen will, ist also bis auf Weiteres offen. Umso eifriger wurden in Baden-Württemberg bereits Überlegungen zu diesem Gedankenspiel angestellt. "Trinken die Bayern bald unseren Bodensee leer?", titelte der Schwarzwälder Bote provokant, als die Idee im Sommer bekannt wurde. Im Text kommt die Zeitung selbst zum Ergebnis: "Europas größter Trinkwasserspeicher könnte auch den bayerischen Durst löschen." Auch nach Recherchen des SWR besteht keine unmittelbare Gefahr der Austrocknung: Die Stadtwerke und Zweckverbände, die schon jetzt Wasser aus dem Bodensee gewinnen, pumpen jährlich bis zu 180 Millionen Kubikmeter ab. Etwa 65-mal so viel fließt jedes Jahr in den Bodensee hinein. Laut der baden-württembergischen Bodensee-Wasserversorgung, die mit Abstand am meisten Wasser entnimmt, wirkt sich die Verdunstung deutlich stärker auf den Pegel aus als die Trinkwassergewinnung.

Dennoch ist das Thema sensibel, die Bodenseeanrainer hatten gerade in den vergangenen Jahren nicht den Eindruck, dass hier aus dem Vollen geschöpft werden könnte. Im Sommer 2022 herrschte extremes Niedrigwasser, einige Häfen und Kais konnten nicht mehr angefahren werden, Algenteppiche verdarben den Badespaß. Das wirkt sich auf den Tourismus aus.

In Baden-Württemberg haben viele irritiert auf die noch nicht einmal halbgare Idee reagiert, die ihr Bundesland mehr oder weniger stark betreffen könnte. Es wurde auch darüber spekuliert, ob Bayern wirklich Hunderte Kilometer neuer Leitungen bauen würde oder nicht eher darauf schielt, sich an das bestehende, seit den 1950er-Jahren aufgebaute Fernwassernetz in Baden-Württemberg anzuflanschen. Das reicht nämlich praktischerweise schon vom Bodensee bis knapp an die Landesgrenze und damit fast bis Unterfranken. Heimische Medien haben schon mal darauf hingewiesen: Bei der Bodensee-Wasserversorgung besteht schon jetzt ein Aufnahmestopp.

In München hält man die anfänglichen Irritationen in Baden-Württemberg inzwischen für ausgeräumt. Umweltminister Glauber betont bei jeder Gelegenheit, dass er bei der Aufrüstung der Wasserversorgung eng mit den Nachbarländern zusammenarbeiten will. Anders wird es auch nicht gehen: Selbst wenn die Rohre auf eigenem Grund verlaufen, müsste Bayern mit den anderen Bodenseeanrainern eine Übereinkunft schließen.

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