Euractiv hier Jonathan Packroff | EURACTIV.de
Die Ampel-Koalition glaubt, durch eine Aufweichung des Klimaschutzgesetzes eine schmerzhafte Reduzierung der Verkehrsemissionen vermeiden zu können. Aber auf EU-Ebene wurden die Klimaziele gerade erst verschärft – und auch der deutsche Straßenverkehr wird seinen Beitrag leisten müssen.
Nach ihrem 30-stündigen Sitzungsmarathon vergangene Woche wirkt die Ampel-Koalition vor allem eins: geschafft. Die Grünen gelten gemeinhin als der Verlierer der Verhandlungen, vor allem im Verkehrsbereich, wo statt eines Klimaschutz-Sofortprogramms nun erstmal die Beschleunigung des Autobahnbaus ansteht.
Grünes Trostpflaster ist der neue CO2-Aufschlag zur LKW-Maut, dessen Einnahmen in den Schienenbau fließen sollen – aber damit hat es sich auch schon.
„Mehr ist in dieser Koalition nicht möglich“, sagte Klimaschutzminister Robert Habeck in einem seiner Instagram-Videos, auf die er immer dann zurückgreift, wenn er zwar etwas zu sagen hat, sich aber nicht den quälenden Fragen der Hauptstadtpresse aussetzen will.
Im Gegenzug stimmten die Grünen der Aufgabe der sektorscharfen Klimaziele zu. Ein Herzenswunsch der FDP, die damit die Hoffnung verbindet, schmerzhafte Eingriffe in die Mobilität der Menschen zugunsten des Klimaschutzes vermeiden zu können.
Beide Parteien verbindet der Glaube, dass der Klimaschutz im Verkehrsbereich nun erstmal vertagt wurde.
„Es ist nicht Volker Wissing, der die Klimaziele im Verkehr nicht erreicht. Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die die Klimaziele nicht erreichen, weil die Menschen eben mobil sein wollen“, erinnerte FDP-Chef Christian Lindner die Fernsehzuschauer bei „Maybrit Illner“ dann auch gleich.
Gemeinsame Botschaft von Grünen und Liberalen: Da kannste nix machen.
Aber wie so oft übersieht die Debatte in Deutschland, was in Brüssel passiert. Dort nämlich wurden die nationalen Klimaziele gerade erst verschärft.
Europäische Lastenteilung (Effort Sharing Regulation) heißt das Gesetz, das in der Klimaschutz-Architektur der EU wohl am wenigsten Beachtung findet. Aber dennoch über den Erfolg des gesamten EU-Klimapakets „Fit for 55“ am meisten entscheiden dürfte.
Es legt nationale Klimaziele für alle Wirtschaftsbereiche fest, die nicht vom traditionellen EU-Emissionshandel abgedeckt werden. Und das sind die Meisten. Genauer: Heizen, Landwirtschaft, Abfall, kleine Industrieanlagen und – jetzt kommt’s – Straßenverkehr.
Für reiche, wirtschaftlich starke Länder ist das Gesetz am strengsten. Und ja, Deutschland gehört dazu.
Um genau die Hälfte müssen wir unsere Treibhausgasemissionen in den genannten Sektoren bis 2030 reduzieren, verglichen mit dem Wert von 2005.
2020 standen wir bei gerade mal minus 13,2 Prozent – und damit weit hinter allen anderen Ländern in unserer Kategorie der Reichen und selbsternannten Klimavorreiter (Dänemark, Luxemburg, Finnland, Schweden).Möglichkeiten, diese Ziele aufzuweichen, gibt es zwar: Es können Emissionen von anderen Ländern gekauft oder aus der Zukunft geliehen werden. Aber sie sind begrenzt.
Experten rechnen außerdem nicht damit, dass andere EU-Länder ihre Ziele reihenweise übererfüllen – geschweige denn Schlange stünden, Deutschland überschüssige Emissionen abzugeben.
Und so kommt, was kommen muss: Auch der deutsche Straßenverkehr wird seine CO2-Emissionen senken müssen.
Das stringenteste Konzept dazu kam bisher von der FDP, auch wenn sie es im Eifer des Koalitionsausschusses wieder vergessen zu haben schien: Ein nationaler Emissionshandel für Gebäude und Straßenverkehr schon ab nächstem Januar – dafür hatten sich der FDP-Vize Johannes Vogel und Klimapolitiker Lukas Köhler stark gemacht.
Heißt im Klartext: Preise für Benzin und Diesel hoch – und die Einnahmen über eine Pro-Kopf-Prämie an die Bürger zurückgeben.
Doch das Konzept hat einen Haken: Es trifft die Landbevölkerung am stärksten. Denn dort sind Wohnflächen größer und Pendelwege länger. Nur ist es aber auch die Landbevölkerung, die – außer dem Umstieg auf E-Autos – am wenigsten tun kann, um ihren CO2-Ausstoß im Verkehr überhaupt zu reduzieren.
Und statt nur die Käufer von Neuwagen (tendenziell gutverdienend), die vom Verbrenner-Aus betroffen sind, trifft ein hoher CO2-Preis dann auch eine Krankenschwester mit einem alten Kleinwagen (Halleluja sie ist wieder da und hat 5 kleine Kinder!) unmittelbar.
Auch fossile Heizmittel wären dann von höheren Preisen betroffen. Doch auch die Besitzer einer von der FDP erkämpften, weiterhin erlaubten Gasheizung dürften sich nicht gerade freuen, wenn eine Preiserhöhung ins Haus flattert. Will es die Politik wirklich darauf anlegen, durch einen „ehrlichen“ CO2-Preis (mindestens 50 Cent mehr pro Liter Benzin) all die gesellschaftlichen Konflikte, die zwischen Stadt und Land bereits schwelen, weiter anzuheizen?
Legt sie nicht endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept für Klimaschutz im Verkehr vor – das heißt Tempolimits, mehr Geld für den ÖPNV, Förderung von E-Bikes, Ende des Dienstwagenprivilegs für Verbrenner, und vieles mehr – wird es unvermeidbar.
Sie wurden gewarnt.
Aus der Kronenzeitung hier
Auch Österreich hat so seine Probleme mit der Einhaltung der Klimaziele - und die liegen noch 2 Plätze weiter vorne
Dies geht aus einem Schreiben des Verfassungsdiensts im Bundeskanzleramt an das Klimaministerium von Leonore Gewessler (Grüne) hervor. Die ersten EU-Strafen drohen schon in zwei Wochen.
Das vierseitige Papier, das der „Krone“ vorliegt, lässt - im Gegensatz zur Klimapolitik der Regierung - an Klarheit nichts vermissen. Es gebe nicht einmal einen konkreten Zeitplan für die Umsetzung.
Die Zeit drängt für eine Zweidrittel-Mehrheit
Im Gewessler-Büro ist man sich der Problematik bewusst. Man habe von Beginn an auf rasche Umsetzung des Energieeffizienz-Gesetzes gedrängt. „Der erste Entwurf wurde im Jänner 2021 an die ÖVP übermittelt.“ Es folgten 12 adaptierte Versionen. Februar 2023 ging die Vorlage ans Parlament. Die Verhandlungen mit der Opposition laufen. Man braucht eine Zweidrittel-Mehrheit. Eile ist geboten, will man erste Sanktionen abwenden.
Schweden liegt jetzt noch 3 Plätze hinter Deutschland
Euractiv hier
Klimaziele gerissen: Schwedens Regierung bringt Land auf „falschen“ Pfad
Schweden hat seine Treibhausgasemissionen erhöht, während andere EU-Mitgliedstaaten sie reduzieren. Die Schuld daran wird bei der neuen, rechten Regierung gesehen. Diese hatte die Klimapolitik abgeändert.
Etwas mehr als fünf Monate nach ihrem Amtsantritt wird die schwedische Mitte-Rechts-Regierung für die Ergebnisse ihrer Umweltpolitik kritisiert. Laut der jährlichen Bewertung des schwedischen Rates für Klimapolitik macht Schweden bei den Treibhausgasemissionen Rückschritte, während sich die EU vorwärts bewegt.
Dem Rat zufolge ist es das erste Mal in zwei Jahrzehnten, dass politische Veränderungen zu einem Anstieg der Treibhausgasemissionen geführt haben.
„Anstatt die Emissionen rasch zu senken, werden die bisher beschlossenen und angekündigten Änderungen nach Einschätzung der Regierung in naher Zukunft zu einem Anstieg der Emissionen führen“, heißt es in dem Bericht.
Eine derart klare Aussage hat in der politischen Landschaft Bestürzung ausgelöst.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen