Deutschlandfunk hier zum Anhören Schmidt -Mattern, Barbara | 05. September 2022,
Entlastungspaket Energieökonomin: Der Klimaschutz wird völlig vernachlässigt
Energieökonomin Claudia Kemfert (DIW) fehlt bei den neuen Entlastungen ein Booster-Programm für erneuerbare Energien. Es sei ein völlig falsches Signal der Ampel-Koalition, die Strompreise zu senken und für fossile Energien alles in Bewegung zu setzen.
Bundespressekonferenz mit Prof. Dr. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW Berlin und Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit
Focus hier FOCUS-online-Redakteurin Jacqueline Arend 06.04.2023
„Schockwellen“. Ihr Buch-Titel beschreibt, was die Wirtschaftsexpertin Claudia Kemfert fühlt, nachdem sie jahrelang die Bundesregierung beraten und vor russischer Energie-Abhängigkeit gewarnt hat - ohne Erfolg
FOCUS online Earth: Frau Kemfert, in Ihrem Buch „Schockwellen“ beschreiben Sie, wie Sie als Wirtschaftsexpertin jahrelang die Bundesregierung bei energie-, klima- und verkehrspolitische Entscheidungen beraten und vor der russischen Gas-Abhängigkeit gewarnt haben. Dennoch war das Land lange Zeit abhängig von russischem Gas und steckt nun mitten in der Energiekrise. Wie fühlen Sie sich als Wissenschaftlerin, die davor ja so eindringlich gewarnt hat?
Claudia Kemfert: Ich bin schockiert, sehr schockiert. Weil wir einerseits sehenden Wissens und trotz massiver Warnungen - nicht nur aus der Wissenschaft - absichtlich in die zu große Abhängigkeit Russlands geschlittert sind. Aber auch, weil wir aus der Vergangenheit noch immer zu wenig lernen. Die Abhängigkeit zu Russland hätte verhindert werden können, wenn die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht einfach in den Wind geschlagen worden wären. Was genau da alles schiefgelaufen ist, erläutere ich in meinem neuen Buch.
Warum wurden die Entscheidungen trotz wissenschaftlicher Warnungen dennoch getroffen?
Kemfert: Eine Ursache für diese russische Gas-Abhängigkeit liegt auch in der engen Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft. Die wirtschaftlichen Drahtzieher in der Politik spielen dabei eine enorme Rolle. Das Ignorieren der Wissenschaft und der Einfluss aus der Wirtschaft – das hat uns in der Summe in diese Misere manövriert. Unsere Abhängigkeit von russischen Energielieferungen ist ein teures Energie-Drama für die Bürger und Bürgerinnen.
Claudia Kemfert: RWE, Eon und BASF haben Deutschland
an den wirtschaftlichen Abgrund gedrängt
Dennoch war die günstigere Energie in Deutschland gewiss ein wirtschaftlicher Standortvorteil für etliche Jahre. Zahlreiche Unternehmen profitierten von der günstigen Energie aus Russland und damit auch die Wirtschaft. Können Sie vor diesem Hintergrund die Entscheidungen der Regierung nicht nachvollziehen?
Kemfert: Nur schwerlich, weil es eben nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprach, so viel Gas aus Russland zu beziehen und auch alle Warnungen aus den USA und aus Osteuropa ignoriert worden sind. Und eines muss klar sein: Es handelte sich nur um vermeintlich günstiges Gas, welches zwar für bestimmte Industriezweige günstig war, aber unglaublich teuer erkauft wurde für die gesamte Volkswirtschaft. Einzelne Unternehmen haben da enormen Einfluss auf die Politik geübt und Deutschland damit an den wirtschaftlichen Abgrund gedrängt. Für all diese Entscheidungen ist die Kanzlerin uns noch einige Erklärungen schuldig.
Welche Unternehmen sind in ihren Augen die Schuldigen?
Kemfert: Ich nenne im Buch einige, die wichtigsten sind sicherlich vor allem BASF, Eon und RWE. Die großen Energiekonzerne wollten diese russischen Gas-Verträge nur zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Vorteil. Die Aufgabe der Regierung ist es aber, die gesamte volkswirtschaftliche Abhängigkeit im Blick zu haben, die mit allen Risiken und Nebenwirkungen einhergehen. Und das Nichtstun der Regierung haben die Konzerne dreist ausgenutzt – ohne Rücksicht auf Verluste. Das hat so eine Dimensionalität, die ist schon fast historisch. RWE, Eon und BASF haben Deutschlands Volkswirtschaft an den Rand der Existenz gebracht. Und hinterher versuchen sie uns einzureden, die Energiewende sei schuld. Das ist unerhört.
Deutschland leidet jetzt also in der Energiekrise unter immensen Kosten, weil die alte Bundesregierung sich von der Wirtschaft hat beeinflussen lassen, als auf die Wissenschaft zu hören. Wie sehr frustriert Sie das?
Kemfert: Weniger frustrierend als vielmehr enorm schockierend! Das Schlimme ist ja nicht nur das Faktenverdrehen, Ignorieren oder Lächerlichmachen der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Das Schlimme ist: Es geht alles weiter wie bisher. Als wäre nichts gewesen und wir befinden uns noch immer in den endlosen Zirkeldebatten. Die Politik macht erneut dieselben Fehler wieder. Ob LNG-Terminals, Kohleabbau, Lützerath, Atomdebatte. Das ist alles schon x-mal durchdiskutiert. Und immer wieder wurden neue fossile Abhängigkeiten geschaffen und jedes Mal war es falsch. Zwar sehe ich bei der Ampel-Regierung wenigstens Weiterentwicklung, wenn es beispielsweise beim Ausbau der Erneuerbaren Energien geht, aber dennoch wird nicht aus den alten Fehlern gelernt, sondern direkt in die nächste Abhängigkeit gerannt.
Bei LNG-Terminals werden alte Fehler wiederholt. Was meinen Sie damit genau?
Kemfert: Ich meine den völlig überdimensionierten Ausbau der LNG-Terminals, die uns wieder mehr als 20 Jahre an fossiles Erdgas ketten werden. Dieser Zubau von Gas-Kapazitäten ist nicht kompatibel mit den Klimazielen bis 2045. So viele Flüssiggas-Terminals werden nicht gebraucht, das wurde selbst in einer von der Bundesregierung beauftragten Studie transparent offenbart. Ich verstehe, dass die Bundesregierung und Robert Habeck unter Druck standen, um das Land kurzfristig mit Gas zu versorgen. Aber einige schwimmende LNG-Terminals hätten für ein paar Jahre gereicht. Die festen LNG-Terminals müssen jetzt für 20 bis 30 Jahre ausgelastet werden, was nicht mit den Klimazielen vereinbar ist.
Oft wird argumentiert, dass die LNG-Terminals dann umgerüstet werden können für grünen Wasserstoff, welcher ja besonders in der Industrie benötigt wird, um klimaneutral zu werden.
Kemfert: Dass die LNG-Terminals einfach mal eben so umgerüstet werden können, ist ein Mythos. In einer jüngst veröffentlichten Studie wurde deutlich gemacht, dass es technisch sehr anspruchsvoll ist und die Terminals nicht einfach für grünen Wasserstoff genutzt werden können. Wasserstoff hat ganz andere Eigenschaften als Flüssiggas, dafür braucht es eine eigene Infrastruktur mit eigenen Pipelines und Tanks.
Wie erklären Sie sich dann, dass in dem schnellen Tempo, trotz Studienlage so viele LNG-Terminals gebaut wurden?
Kemfert: Ich kann es mir nur so erklären, dass wieder mit überdimensionierten angeblichen Bedarfsprognosen der Eindruck erweckt wurde, wir benötigten sehr viele Gas-Kapazitäten, die zwar die Industrie aufgrund hoher Gewinne will, uns aber gesellschaftlich in die nächste teure Sackgasse manövrieren werden. Das ist für die Unternehmen zwar nachvollziehbar, aber dem sollte die Regierung nicht einfach so ohne Weiteres nachgeben. Und das alles in einer Geschwindigkeit, wie man sie sich für den Ausbau der Erneuerbaren Energien wünscht. In vier Monaten werden LNG-Terminals genehmigt und gebaut. Dagegen braucht es bis zu sieben Jahre, bis ein Windrad steht. Das darf doch alles nicht wahr sein!
Für die Energiewende braucht es MacGyver-Lösungen
Sie fordern also, wie viele andere auch, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigt wird?
Kemfert: Absolut, das Tempo muss verdreifacht oder sogar vervierfacht werden. Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt und vereinfacht werden. Es wurden nun auch etwas bessere Rahmenbedingungen geschaffen, in denen die Bundesländer beispielsweise verpflichtet werden, Flächen für Windenergie auszuweisen. Die Richtlinien für den Artenschutz wurden auch vereinfacht. Dennoch braucht es bei der Wind- und Solarenergie ein Booster-Programm für die Energiewende. Es ist wirklich ein Drama: Hätten wir die Energiewende nicht ausgebremst, und damit über 150.000 wertvolle Industrie-Arbeitsplätze vernichtet und Unternehmen die Marktbasis entzogen, hätten wir heute nicht nur ausreichende Fachkräfte und Anlagen, sondern auch einen Anteil von Erneuerbaren Energien von über 80 Prozent. Jetzt muss alles in kürzester Zeit passieren.
Gibt es irgendeine Entwicklung bei den Erneuerbaren Energien, die ihnen Hoffnung macht?
Kemfert: Absolut! Es gab und gibt noch immer viele Regionen, Unternehmen und Akteure, die sich allen Hindernissen zum Trotz auf dem Weg zu einer echten Energiewende mit erneuerbaren Energien gemacht haben. Sie können heute über die explodierenden fossilen Energiepreise müde lächeln. Die MacGyvers der Energiewende. Ein Paradebeispiel ist das SolAhrtal, dort werden Solarzellen über Agrarflächen gebaut. Im Ahrtal wurde aus der Katastrophe gelernt und auf Erneuerbaren Energien gesetzt. Es gibt einige Städte oder Regionen, die auf erneuerbare Energien umgestellt haben. Die beispielsweise mittels nachhaltiger Biomasse oder aus Krankenhausabfällen Strom und Wärme herstellen und selber nutzen. Die Lösungen liegen auf dem Tisch, aber es braucht viel mehr von diesen MacGyver-Lösungen bundesweit.
Teil 2 des Interviews mit Claudia Kemfert erscheint am Freitag auf FOCUS online Earth
FOCUS online Earth: Frau Kemfert, in Ihrem Buch „Schockwellen“ beschreiben Sie, wie Sie als Wirtschaftsexpertin jahrelang die Bundesregierung bei energie-, klima- und verkehrspolitische Entscheidungen beraten und vor der russischen Gas-Abhängigkeit gewarnt haben. Dennoch war das Land lange Zeit abhängig von russischem Gas und steckt nun mitten in der Energiekrise. Wie fühlen Sie sich als Wissenschaftlerin, die davor ja so eindringlich gewarnt hat?
Claudia Kemfert: Ich bin schockiert, sehr schockiert. Weil wir einerseits sehenden Wissens und trotz massiver Warnungen - nicht nur aus der Wissenschaft - absichtlich in die zu große Abhängigkeit Russlands geschlittert sind. Aber auch, weil wir aus der Vergangenheit noch immer zu wenig lernen. Die Abhängigkeit zu Russland hätte verhindert werden können, wenn die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht einfach in den Wind geschlagen worden wären. Was genau da alles schiefgelaufen ist, erläutere ich in meinem neuen Buch.
Über die Expertin
Claudia Kemfert ist deutsche Wirtschaftswissenschaftlerin und leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsfolgen. Sie ist außerdem Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität. Die gefragte Energieökonomin berät seit Jahren die Bundesregierung und die EU.
Warum wurden die Entscheidungen trotz wissenschaftlicher Warnungen dennoch getroffen?
Kemfert: Eine Ursache für diese russische Gas-Abhängigkeit liegt auch in der engen Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft. Die wirtschaftlichen Drahtzieher in der Politik spielen dabei eine enorme Rolle. Das Ignorieren der Wissenschaft und der Einfluss aus der Wirtschaft – das hat uns in der Summe in diese Misere manövriert. Unsere Abhängigkeit von russischen Energielieferungen ist ein teures Energie-Drama für die Bürger und Bürgerinnen.
Claudia Kemfert: RWE, Eon und BASF haben Deutschland an den wirtschaftlichen Abgrund gedrängt
Dennoch war die günstigere Energie in Deutschland gewiss ein wirtschaftlicher Standortvorteil für etliche Jahre. Zahlreiche Unternehmen profitierten von der günstigen Energie aus Russland und damit auch die Wirtschaft. Können Sie vor diesem Hintergrund die Entscheidungen der Regierung nicht nachvollziehen?
Kemfert: Nur schwerlich, weil es eben nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprach, so viel Gas aus Russland zu beziehen und auch alle Warnungen aus den USA und aus Osteuropa ignoriert worden sind. Und eines muss klar sein: Es handelte sich nur um vermeintlich günstiges Gas, welches zwar für bestimmte Industriezweige günstig war, aber unglaublich teuer erkauft wurde für die gesamte Volkswirtschaft. Einzelne Unternehmen haben da enormen Einfluss auf die Politik geübt und Deutschland damit an den wirtschaftlichen Abgrund gedrängt. Für all diese Entscheidungen ist die Kanzlerin uns noch einige Erklärungen schuldig.
Welche Unternehmen sind in ihren Augen die Schuldigen?
Kemfert: Ich nenne im Buch einige, die wichtigsten sind sicherlich vor allem BASF, Eon und RWE. Die großen Energiekonzerne wollten diese russischen Gas-Verträge nur zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Vorteil. Die Aufgabe der Regierung ist es aber, die gesamte volkswirtschaftliche Abhängigkeit im Blick zu haben, die mit allen Risiken und Nebenwirkungen einhergehen. Und das Nichtstun der Regierung haben die Konzerne dreist ausgenutzt – ohne Rücksicht auf Verluste. Das hat so eine Dimensionalität, die ist schon fast historisch. RWE, Eon und BASF haben Deutschlands Volkswirtschaft an den Rand der Existenz gebracht. Und hinterher versuchen sie uns einzureden, die Energiewende sei schuld. Das ist unerhört.
Deutschland leidet jetzt also in der Energiekrise unter immensen Kosten, weil die alte Bundesregierung sich von der Wirtschaft hat beeinflussen lassen, als auf die Wissenschaft zu hören. Wie sehr frustriert Sie das?
Kemfert: Weniger frustrierend als vielmehr enorm schockierend! Das Schlimme ist ja nicht nur das Faktenverdrehen, Ignorieren oder Lächerlichmachen der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Das Schlimme ist: Es geht alles weiter wie bisher. Als wäre nichts gewesen und wir befinden uns noch immer in den endlosen Zirkeldebatten. Die Politik macht erneut dieselben Fehler wieder. Ob LNG-Terminals, Kohleabbau, Lützerath, Atomdebatte. Das ist alles schon x-mal durchdiskutiert. Und immer wieder wurden neue fossile Abhängigkeiten geschaffen und jedes Mal war es falsch. Zwar sehe ich bei der Ampel-Regierung wenigstens Weiterentwicklung, wenn es beispielsweise beim Ausbau der Erneuerbaren Energien geht, aber dennoch wird nicht aus den alten Fehlern gelernt, sondern direkt in die nächste Abhängigkeit gerannt.
Bei LNG-Terminals werden alte Fehler wiederholt
Was meinen Sie damit genau?
Kemfert: Ich meine den völlig überdimensionierten Ausbau der LNG-Terminals, die uns wieder mehr als 20 Jahre an fossiles Erdgas ketten werden. Dieser Zubau von Gas-Kapazitäten ist nicht kompatibel mit den Klimazielen bis 2045. So viele Flüssiggas-Terminals werden nicht gebraucht, das wurde selbst in einer von der Bundesregierung beauftragten Studie transparent offenbart. Ich verstehe, dass die Bundesregierung und Robert Habeck unter Druck standen, um das Land kurzfristig mit Gas zu versorgen. Aber einige schwimmende LNG-Terminals hätten für ein paar Jahre gereicht. Die festen LNG-Terminals müssen jetzt für 20 bis 30 Jahre ausgelastet werden, was nicht mit den Klimazielen vereinbar ist.
Oft wird argumentiert, dass die LNG-Terminals dann umgerüstet werden können für grünen Wasserstoff, welcher ja besonders in der Industrie benötigt wird, um klimaneutral zu werden.
Kemfert: Dass die LNG-Terminals einfach mal eben so umgerüstet werden können, ist ein Mythos. In einer jüngst veröffentlichten Studie wurde deutlich gemacht, dass es technisch sehr anspruchsvoll ist und die Terminals nicht einfach für grünen Wasserstoff genutzt werden können. Wasserstoff hat ganz andere Eigenschaften als Flüssiggas, dafür braucht es eine eigene Infrastruktur mit eigenen Pipelines und Tanks.
FOCUS online Earth - unsere Klima-Marke
Der Klimawandel ist die Jahrhundertaufgabe der Menschheit. FOCUS online Earth zeigt, wie der Klimawandel uns heute schon betrifft - und welche Ideen es gibt, um die Wende zu schaffen. Alle Artikel von FOCUS online Earth finden Sie hier.
Wie erklären Sie sich dann, dass in dem schnellen Tempo, trotz Studienlage so viele LNG-Terminals gebaut wurden?
Kemfert: Ich kann es mir nur so erklären, dass wieder mit überdimensionierten angeblichen Bedarfsprognosen der Eindruck erweckt wurde, wir benötigten sehr viele Gas-Kapazitäten, die zwar die Industrie aufgrund hoher Gewinne will, uns aber gesellschaftlich in die nächste teure Sackgasse manövrieren werden. Das ist für die Unternehmen zwar nachvollziehbar, aber dem sollte die Regierung nicht einfach so ohne Weiteres nachgeben. Und das alles in einer Geschwindigkeit, wie man sie sich für den Ausbau der Erneuerbaren Energien wünscht. In vier Monaten werden LNG-Terminals genehmigt und gebaut. Dagegen braucht es bis zu sieben Jahre, bis ein Windrad steht. Das darf doch alles nicht wahr sein!
Für die Energiewende braucht es MacGyver-Lösungen
Sie fordern also, wie viele andere auch, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigt wird?
Kemfert: Absolut, das Tempo muss verdreifacht oder sogar vervierfacht werden. Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt und vereinfacht werden. Es wurden nun auch etwas bessere Rahmenbedingungen geschaffen, in denen die Bundesländer beispielsweise verpflichtet werden, Flächen für Windenergie auszuweisen. Die Richtlinien für den Artenschutz wurden auch vereinfacht. Dennoch braucht es bei der Wind- und Solarenergie ein Booster-Programm für die Energiewende. Es ist wirklich ein Drama: Hätten wir die Energiewende nicht ausgebremst, und damit über 150.000 wertvolle Industrie-Arbeitsplätze vernichtet und Unternehmen die Marktbasis entzogen, hätten wir heute nicht nur ausreichende Fachkräfte und Anlagen, sondern auch einen Anteil von Erneuerbaren Energien von über 80 Prozent. Jetzt muss alles in kürzester Zeit passieren.
Gibt es irgendeine Entwicklung bei den Erneuerbaren Energien, die ihnen Hoffnung macht?
Kemfert: Absolut! Es gab und gibt noch immer viele Regionen, Unternehmen und Akteure, die sich allen Hindernissen zum Trotz auf dem Weg zu einer echten Energiewende mit erneuerbaren Energien gemacht haben. Sie können heute über die explodierenden fossilen Energiepreise müde lächeln. Die MacGyvers der Energiewende. Ein Paradebeispiel ist das SolAhrtal, dort werden Solarzellen über Agrarflächen gebaut. Im Ahrtal wurde aus der Katastrophe gelernt und auf Erneuerbaren Energien gesetzt. Es gibt einige Städte oder Regionen, die auf erneuerbare Energien umgestellt haben. Die beispielsweise mittels nachhaltiger Biomasse oder aus Krankenhausabfällen Strom und Wärme herstellen und selber nutzen. Die Lösungen liegen auf dem Tisch, aber es braucht viel mehr von diesen MacGyver-Lösungen bundesweit.
Teil 2 des Interviews mit Claudia Kemfert erscheint am Freitag auf FOCUS online Earth
FOCUS online Earth: Frau Kemfert, in Ihrem Buch „Schockwellen“ beschreiben Sie, wie Sie als Wirtschaftsexpertin jahrelang die Bundesregierung bei energie-, klima- und verkehrspolitische Entscheidungen beraten und vor der russischen Gas-Abhängigkeit gewarnt haben. Dennoch war das Land lange Zeit abhängig von russischem Gas und steckt nun mitten in der Energiekrise. Wie fühlen Sie sich als Wissenschaftlerin, die davor ja so eindringlich gewarnt hat?
Claudia Kemfert: Ich bin schockiert, sehr schockiert. Weil wir einerseits sehenden Wissens und trotz massiver Warnungen - nicht nur aus der Wissenschaft - absichtlich in die zu große Abhängigkeit Russlands geschlittert sind. Aber auch, weil wir aus der Vergangenheit noch immer zu wenig lernen. Die Abhängigkeit zu Russland hätte verhindert werden können, wenn die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht einfach in den Wind geschlagen worden wären. Was genau da alles schiefgelaufen ist, erläutere ich in meinem neuen Buch.
Über die Expertin
Claudia Kemfert ist deutsche Wirtschaftswissenschaftlerin und leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsfolgen. Sie ist außerdem Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität. Die gefragte Energieökonomin berät seit Jahren die Bundesregierung und die EU.
Warum wurden die Entscheidungen trotz wissenschaftlicher Warnungen dennoch getroffen?
Kemfert: Eine Ursache für diese russische Gas-Abhängigkeit liegt auch in der engen Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft. Die wirtschaftlichen Drahtzieher in der Politik spielen dabei eine enorme Rolle. Das Ignorieren der Wissenschaft und der Einfluss aus der Wirtschaft – das hat uns in der Summe in diese Misere manövriert. Unsere Abhängigkeit von russischen Energielieferungen ist ein teures Energie-Drama für die Bürger und Bürgerinnen.
Claudia Kemfert: RWE, Eon und BASF haben Deutschland an den wirtschaftlichen Abgrund gedrängt
Dennoch war die günstigere Energie in Deutschland gewiss ein wirtschaftlicher Standortvorteil für etliche Jahre. Zahlreiche Unternehmen profitierten von der günstigen Energie aus Russland und damit auch die Wirtschaft. Können Sie vor diesem Hintergrund die Entscheidungen der Regierung nicht nachvollziehen?
Kemfert: Nur schwerlich, weil es eben nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprach, so viel Gas aus Russland zu beziehen und auch alle Warnungen aus den USA und aus Osteuropa ignoriert worden sind. Und eines muss klar sein: Es handelte sich nur um vermeintlich günstiges Gas, welches zwar für bestimmte Industriezweige günstig war, aber unglaublich teuer erkauft wurde für die gesamte Volkswirtschaft. Einzelne Unternehmen haben da enormen Einfluss auf die Politik geübt und Deutschland damit an den wirtschaftlichen Abgrund gedrängt. Für all diese Entscheidungen ist die Kanzlerin uns noch einige Erklärungen schuldig.
Welche Unternehmen sind in ihren Augen die Schuldigen?
Kemfert: Ich nenne im Buch einige, die wichtigsten sind sicherlich vor allem BASF, Eon und RWE. Die großen Energiekonzerne wollten diese russischen Gas-Verträge nur zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Vorteil. Die Aufgabe der Regierung ist es aber, die gesamte volkswirtschaftliche Abhängigkeit im Blick zu haben, die mit allen Risiken und Nebenwirkungen einhergehen. Und das Nichtstun der Regierung haben die Konzerne dreist ausgenutzt – ohne Rücksicht auf Verluste. Das hat so eine Dimensionalität, die ist schon fast historisch. RWE, Eon und BASF haben Deutschlands Volkswirtschaft an den Rand der Existenz gebracht. Und hinterher versuchen sie uns einzureden, die Energiewende sei schuld. Das ist unerhört.
Deutschland leidet jetzt also in der Energiekrise unter immensen Kosten, weil die alte Bundesregierung sich von der Wirtschaft hat beeinflussen lassen, als auf die Wissenschaft zu hören. Wie sehr frustriert Sie das?
Kemfert: Weniger frustrierend als vielmehr enorm schockierend! Das Schlimme ist ja nicht nur das Faktenverdrehen, Ignorieren oder Lächerlichmachen der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Das Schlimme ist: Es geht alles weiter wie bisher. Als wäre nichts gewesen und wir befinden uns noch immer in den endlosen Zirkeldebatten. Die Politik macht erneut dieselben Fehler wieder. Ob LNG-Terminals, Kohleabbau, Lützerath, Atomdebatte. Das ist alles schon x-mal durchdiskutiert. Und immer wieder wurden neue fossile Abhängigkeiten geschaffen und jedes Mal war es falsch. Zwar sehe ich bei der Ampel-Regierung wenigstens Weiterentwicklung, wenn es beispielsweise beim Ausbau der Erneuerbaren Energien geht, aber dennoch wird nicht aus den alten Fehlern gelernt, sondern direkt in die nächste Abhängigkeit gerannt.
Bei LNG-Terminals werden alte Fehler wiederholt
Was meinen Sie damit genau?
Kemfert: Ich meine den völlig überdimensionierten Ausbau der LNG-Terminals, die uns wieder mehr als 20 Jahre an fossiles Erdgas ketten werden. Dieser Zubau von Gas-Kapazitäten ist nicht kompatibel mit den Klimazielen bis 2045. So viele Flüssiggas-Terminals werden nicht gebraucht, das wurde selbst in einer von der Bundesregierung beauftragten Studie transparent offenbart. Ich verstehe, dass die Bundesregierung und Robert Habeck unter Druck standen, um das Land kurzfristig mit Gas zu versorgen. Aber einige schwimmende LNG-Terminals hätten für ein paar Jahre gereicht. Die festen LNG-Terminals müssen jetzt für 20 bis 30 Jahre ausgelastet werden, was nicht mit den Klimazielen vereinbar ist.
Oft wird argumentiert, dass die LNG-Terminals dann umgerüstet werden können für grünen Wasserstoff, welcher ja besonders in der Industrie benötigt wird, um klimaneutral zu werden.
Kemfert: Dass die LNG-Terminals einfach mal eben so umgerüstet werden können, ist ein Mythos. In einer jüngst veröffentlichten Studie wurde deutlich gemacht, dass es technisch sehr anspruchsvoll ist und die Terminals nicht einfach für grünen Wasserstoff genutzt werden können. Wasserstoff hat ganz andere Eigenschaften als Flüssiggas, dafür braucht es eine eigene Infrastruktur mit eigenen Pipelines und Tanks.
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Wie erklären Sie sich dann, dass in dem schnellen Tempo, trotz Studienlage so viele LNG-Terminals gebaut wurden?
Kemfert: Ich kann es mir nur so erklären, dass wieder mit überdimensionierten angeblichen Bedarfsprognosen der Eindruck erweckt wurde, wir benötigten sehr viele Gas-Kapazitäten, die zwar die Industrie aufgrund hoher Gewinne will, uns aber gesellschaftlich in die nächste teure Sackgasse manövrieren werden. Das ist für die Unternehmen zwar nachvollziehbar, aber dem sollte die Regierung nicht einfach so ohne Weiteres nachgeben. Und das alles in einer Geschwindigkeit, wie man sie sich für den Ausbau der Erneuerbaren Energien wünscht. In vier Monaten werden LNG-Terminals genehmigt und gebaut. Dagegen braucht es bis zu sieben Jahre, bis ein Windrad steht. Das darf doch alles nicht wahr sein!
Für die Energiewende braucht es MacGyver-Lösungen
Sie fordern also, wie viele andere auch, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigt wird?
Kemfert: Absolut, das Tempo muss verdreifacht oder sogar vervierfacht werden. Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt und vereinfacht werden. Es wurden nun auch etwas bessere Rahmenbedingungen geschaffen, in denen die Bundesländer beispielsweise verpflichtet werden, Flächen für Windenergie auszuweisen. Die Richtlinien für den Artenschutz wurden auch vereinfacht. Dennoch braucht es bei der Wind- und Solarenergie ein Booster-Programm für die Energiewende. Es ist wirklich ein Drama: Hätten wir die Energiewende nicht ausgebremst, und damit über 150.000 wertvolle Industrie-Arbeitsplätze vernichtet und Unternehmen die Marktbasis entzogen, hätten wir heute nicht nur ausreichende Fachkräfte und Anlagen, sondern auch einen Anteil von Erneuerbaren Energien von über 80 Prozent. Jetzt muss alles in kürzester Zeit passieren.
Gibt es irgendeine Entwicklung bei den Erneuerbaren Energien, die ihnen Hoffnung macht?
Kemfert: Absolut! Es gab und gibt noch immer viele Regionen, Unternehmen und Akteure, die sich allen Hindernissen zum Trotz auf dem Weg zu einer echten Energiewende mit erneuerbaren Energien gemacht haben. Sie können heute über die explodierenden fossilen Energiepreise müde lächeln. Die MacGyvers der Energiewende. Ein Paradebeispiel ist das SolAhrtal, dort werden Solarzellen über Agrarflächen gebaut. Im Ahrtal wurde aus der Katastrophe gelernt und auf Erneuerbaren Energien gesetzt. Es gibt einige Städte oder Regionen, die auf erneuerbare Energien umgestellt haben. Die beispielsweise mittels nachhaltiger Biomasse oder aus Krankenhausabfällen Strom und Wärme herstellen und selber nutzen. Die Lösungen liegen auf dem Tisch, aber es braucht viel mehr von diesen MacGyver-Lösungen bundesweit.
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