Freitag 07.04.2023, Von: Thomas Kaspar
Eine Gesellschaft, die zu polarisiert ist, kann der drohenden Klimakatastrophe nicht entschieden genug begegnen. Wir müssen aufeinander zugehen. Der Leitartikel.
Nach dem Fasten ist vor dem Fasten. Es wäre schön, wenn die Osterbotschaft so einfach wäre. Etwas Reduzierung für alle, weniger Fleisch essen, etwas mehr die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen – so einfach könnte aus der christlichen Verzichtsbereitschaft eine globale Umkehr hergeleitet werden. Doch nun zeigt sich, dass „Degrowth“, das sanfte Ende des kapitalistischen Dauerwachstums, erst einmal nur von einer fortschrittlichen Minderheit als Ziel geteilt wird.
Lebens- und Klimawandel hängen zusammen. So banal diese Einsicht erscheint, so schwer ist zu begreifen, warum sie nicht flächendeckend zu Veränderungen führt.
Starke Gruppen wenden sich dagegen. Das wird überdeutlich, da die Ampel-Regierung nach Pandemiebewältigung und Unterstützung im Krieg gegen die Ukraine nun wieder das Programm aufruft, für das sie ursprünglich gewählt wurde: Der sozialverträgliche Kampf gegen den Klimawandel. Oder indem sie das Gegenteil tut und sich dem Willen der FDP beugt.
Klimawandel stoppen: Die Fronten sind geklärt und verhärten sich zunehmend
Man könnte verzweifeln angesichts der Rückschritte. Doch Ostern ist die richtige Zeit, die Zeichen der Hoffnung zu sammeln.
„Wir müssen auf Wirtschaftswachstum verzichten, um den Klimawandel zu stoppen.“ Jede und jeder kann sich fragen, ob und wie weit man dieser Aussage zustimmen würde. Das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap hat dies in einer repräsentativen Umfrage im November überprüft. 46 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu. Schon fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung scheint also bereit, das Verhalten zu ändern – wenn das nicht Mut macht.Bei Einschätzungsfragen zeigt sich – gerade, wenn ein Thema mitten in der Meinungsbildung ist –, dass viele erst einmal unentschlossen sind und abwarten. Das ist hier nicht der Fall. Denn ebenfalls 46 Prozent lehnen diese These ab. Die Fronten sind geklärt und verhärten sich zunehmend.
Die Studie bestätigt die Frontstellung bei vielen Themen. Zum Beispiel beim Autofahren: 19 Prozent der Befragten sind bereit, „angesichts des Klimawandels, seltener oder gar nicht mehr mit dem eigenen Auto zu fahren“. 35 Prozent können sich etwas Verzicht vorstellen, aber 44 wollen eher nicht oder auf gar keinen Fall verzichten.
Die FDP lässt die Autokultur wieder aufleben
Es ist also absolut frustrierend für die eine Hälfte, wenn die FDP in der Ampelkoalition die Autokultur wieder aufleben lässt. Verbrenner-Aus verhindert, Nein zum Tempolimit, schnellerer Bau von Autobahnen, keine Streichung von Steuerprivilegien etwa für Dienstfahrzeuge. Für die anderen ist es ein Ventil, ein Zeichen dafür, dass der Klimaumbau nicht zu schnell vonstattengeht. Dass sie noch nicht auf das Auto verzichten müssen, während auf der anderen Seite kaum eine Bahn pünktlich einen Anschlusszug erreicht, die Busse nicht auf dem Land fahren und die Infrastruktur zerfällt.
Dieses verschleppte Wandeltempo ist angesichts der drohenden Klimakatastrophe nicht akzeptabel und gleichzeitig wird eine auseinanderfallende Gesellschaft den Tempowandel bestimmt nicht meistern.
Die Friedensbotschaft des Osterfests könnte man auch ganz anders interpretieren. Wie wäre es, wenn wir einander die Hand reichen und miteinander diskutieren. Die Nöte des anderen hören und das Gegenüber nicht schon verdammen, bevor es den Mund aufgemacht hat. Abrüstung ist auch in politischen, in gesellschaftlichen und in privaten Diskussionen dringend nötig.
Wie Til Schweiger aus der Zeit gefallen
Wenn etwa Til Schweiger ausgerechnet jetzt den zweiten Teil seines Manta-Films herausbringt, passt das perfekt zu den unfassbar erscheinenden Entscheidungen der Freien Demokraten. Blondinen-Witze und Gaspedal-Röhren sind wie Autolobby-Parteien komplett aus der Zeit gefallen. Sie sind ein Übergangsphänomen. Ein letztes Aufbäumen einer Kultur, die keine Zukunft hat.
Manchmal lohnt auch etwas Gelassenheit beim Verfolgen der notwendigen Ziele – gerade wenn alte Industrie alles tut, um politischen Einfluss zu nehmen, gerade dann sollten wir einen Schritt zurücktreten und überlegen, welche Manipulationsmechanismen gerade angewendet werden.
Wir sollten nicht auf den Kulturkampf-Trick der Konservativen hereinfallen. Wenn Markus Söder im besten Bildzeitungsdeutsch von „Grünen-Gaga“ stammtischt, Friedrich Merz gleichlautend „Gender-Gaga“ talkshowt, dann tun sie alles, um diese Frontstellung auszuweiten. Sie vermischen konsequent die für eine Minderheit vermeintlich positive Erinnerung an eine männlich dominierte Wachstums- und Ausbeutungsgesellschaft mit der Angst vor Veränderung. Das ist kein zielführender Weg. Die Polarisierungsfalle ist der größte Feind des sozialverträglichen Klimawandels. Gerechter Wandel gelingt nur gemeinsam. Eine gespaltene Gesellschaft wird dagegen nur durch Katastrophen aufwachen.
Die erzwungene Veränderung – also „change by desaster“, wie es die Wissenschaft nennt - ist niemals so gut wie der „change by design“. Doch aktive Gestaltung benötigt Debatte, Zuhören, Ausgleich, Kompromiss. So schmerzhaft es ist, dies ist der Kern demokratischen Wandels. Das Gute ist: Alle können etwas dazu beitragen, indem sie bei sich anfangen: Zuhören, Ausgleich, Kompromiss. Frohe Ostern.
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