hier Von FOCUS-online-Redakteurin Jacqueline Arend • 13.11.24
Baerbocks Klimazarin im Interview - Deutsche Milliarden-Hilfen trotz Ampel-Aus - wie soll das gehen, Frau Morgan?
Trotz des Scheiterns der Ampel will Deutschland mit Milliardenhilfen die Entwicklungsländer bei der Klimakrise unterstützen, verspricht die Klimazarin Jennifer Morgan. Die erste Staatssekretärin von Baerbock verfolgt ehrgeizige Pläne in Baku: Auch China und die Ölstaaten sollen in Baku zur Kasse gebeten werden.
Frau Morgan, die Ampel hat sich aufgelöst - und trotzdem verhandelt Deutschland auf internationaler Bühne. Wie hat sich das Aus der Ampel auf die Vorbereitung oder die Verhandlungen ausgewirkt?
Jennifer Morgan: Für Deutschland sind zwei Punkte wirklich wichtig. Erstens verhandeln wir über einen neuen Ansatz für Klimafinanzierung für die nächsten zehn Jahre. Es ist keine Konferenz, bei der wir bereits Geld zur Hand haben oder einen spezifischen Haushalt vorweisen müssen. Zweitens haben wir in der aktuellen Bundesregierung klare Entscheidungen zur Energiewende getroffen. Wir arbeiten daran, dass auch andere Länder schneller von fossilen Brennstoffen abkehren und mehr erneuerbare Energien schaffen. Die deutsche Industrie zeigt großes Interesse daran, dass wir hier erfolgreich sind. Wir haben ein volles Mandat und sind handlungsfähig.
Hat Deutschland kein Vertrauen verloren in ihrer internationalen Rolle durch das Ampel-Aus?
Morgan: Deutschland hat eine starke und klare Position. Wir haben bereits Maßnahmen zur Energiewende umgesetzt und setzen uns dafür ein, dass auch andere Länder ihren Beitrag leisten. Unsere Rolle ist es, mit gutem Beispiel voranzugehen und international Druck aufzubauen, damit die globalen Klimaziele erreicht werden.
Können Sie genauer erläutern, wie die Klimafinanzierung für die nächsten zehn Jahre gestaltet werden soll?
Morgan: Wir wollen, dass Länder, die in den letzten Jahrzehnten hohe Wachstumsraten hatten und es sich jetzt leisten können, mehr zur Klimafinanzierung beitragen und auch die Wirtschaft sich stärker beteiligt. Es geht darum, gemeinsam die Mittel zu mobilisieren, um den Übergang zu einer nachhaltigeren Welt und Wirtschaft global zu unterstützen. Dabei müssen wir sicherstellen, dass diese Finanzhilfen zielgerichtet und effizient genutzt werden, um maximalen Nutzen zu erzielen. Und dafür ist die Zusammenarbeit essenziell. Keine Nation kann den Klimawandel allein bekämpfen. Wir müssen kollektiv handeln und sicherstellen, dass alle Länder, insbesondere die großen Industrie- und Schwellenländer, ihren Teil beitragen. Deutschland sieht sich als Vorreiter und arbeitet eng mit internationalen Partnern zusammen, um globale Fortschritte zu erzielen.
Dennoch ist Deutschland nicht das einzige Land, das in der EU mit dem Haushalt zu kämpfen hat. Für die Klimafinanzierung des NCQG sprechen NGOs von Billionen, die benötigt werden. Wie sollen Länder mit engen Haushalten das bezahlen?
Morgan: Es war immer so, dass wir realistische Ziele brauchen – ambitioniert, aber realistisch. Außerdem benötigen wir mehr Privatsektorfinanzierung, besonders in Bereichen wie erneuerbare Energien, die rentabel sind. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist, dass es sich um ein kollektives Ziel handelt, auf das wir ab 2026 bis wahrscheinlich 2035 hinarbeiten. Natürlich analysieren wir verschiedene Szenarien, zum Beispiel was multilaterale Finanzinstitutionen wie die Weltbank leisten können und welche Hebel wir nutzen können, um Investitionen aus dem Privatsektor freizusetzen. Beiträge aus Haushaltsgeldern sind ein wichtiger, aber nur ein Teil des Puzzles, das wir jetzt zusammensetzen müssen.
Wie hoch soll das Ziel ungefähr sein? Was ist eine realistische Summe, auf die man sich einigen könnte?
Jennifer Morgan: Wir sagen, es muss realistisch und ambitioniert sein. Es gab eine Entscheidung, dass Industrieländer mit 100 Milliarden vorangehen, die als Ausgangsposition für die Verhandlungen dienen. Wir sind bereit, etwas mehr zu leisten, wenn auch andere Länder, die bisher keinen Beitrag geleistet haben, ebenfalls beitragen.
Wird Deutschland die Klimafinanzierung von sechs Milliarden Euro pro Jahr weiterhin auszahlen?
Morgan: Wir stehen zu unseren Versprechen, das ist klar. Unsere Regierung hat alles vorbereitet, wir treten hier als Team Deutschland und als Teil des EU-Teams auf. Wir arbeiten eng mit anderen europäischen Mitgliedstaaten und der Kommission zusammen, besonders mit Kommissar Hoekstra und Ungarn als EU-Ratspräsidentschaft.
Die EU hat das große Ziel, mehr Geberländer wie China und andere Ölstaaten zu akquirieren. Glauben Sie, dass es eine Schwachstelle sein könnte, dass Deutschland momentan keine klare politische Führung hat wegen der Ampelkoalition?
Morgan: Deutschland hat einen sehr guten Ruf in der Umsetzung unserer Klimaziele, wie zum Beispiel die Energiewende mit 61% erneuerbaren Energien. Leute wollen mit uns arbeiten. Wir sind anerkannt dafür, dass wir klar unseren Anteil an der Klimafinanzierung leisten. Unsere Demokratie und die politischen Prozesse werden respektiert. Wir bleiben Verhandlungspartner auf politischer Ebene, haben ein starkes Mandat und sind voll handlungsfähig.
Wie wollen Sie Länder wie China oder Ölstaaten überzeugen?
Morgan: Es ist in unserem nationalen Interesse, Klimafinanzierung zu betreiben. Es ist essentiell, dass andere Länder ihre Emissionen schneller reduzieren, und Klimafinanzierung ermöglicht das für viele. In Ländern wie Südafrika leistet deutsche Klimafinanzierung einen Beitrag für den Kohleausstieg und den Übergang zu erneuerbaren Energien, wovon auch deutsche Unternehmen profitieren können. Jedes Zehntel Grad Erderwärmung weniger macht einen Unterschied, auch in Deutschland, vor allem mit Blick auf Überschwemmungen und Waldbrände sowie die Kosten des Klimawandels. Wir befinden uns in einem intensiven Dialog mit allen Ländern. Historisch große Emittenten und Länder, die es sich leisten können, haben eine Verantwortung. Es müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden. Um diese Verantwortung kommen alle, die global gestalten wollen, nicht herum.
Wie ist Ihre Strategie, um China zu überzeugen? Auf der COP hat man ja die Verhandlungsmacht, wenn man die Entwicklungsländer auf seiner Seite hat. Wollen Sie einfach an China appellieren oder wie will die EU das jetzt angehen?
Morgan: In solchen Verhandlungen bleiben die Blöcke nicht bis zum Ende zusammen. Es gibt arme Länder, die dringend mehr Finanzierung benötigen und fordern, dass hierfür alle möglichen Quellen genutzt werden müssen. Sie erwarten von Industrieländern, weiterhin beizutragen und erwarten gleichzeitig mehr Unterstützung von Schwellenländern und Ölstaaten. Der Druck vieler Länder wird in diese Richtung zunehmen, und ich erwarte, dass dieser bis zum Ende der COP noch weiter steigt.
Spielt es eventuell eine Rolle, dass die USA jetzt unter der neuen Regierung von Donald Trump vielleicht ein Vakuum hinterlassen? Könnte China diese Lücke nutzen, um geopolitisch stärker in den Klimaschutz zu wachsen? Haben Sie Hoffnung, dass China dieses Window of Opportunity nutzen wird?
Morgan: China ist ein sehr wichtiges Land für den Klimaschutz, da es das größte emittierende Land ist. Was China tut, ist entscheidend, um die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen. Deswegen haben wir viele Gespräche mit China geführt. Wir alle sind hier, um das Pariser Abkommen umzusetzen und sehen, wie viele Länder, die Vorteile für Wirtschaft und Arbeitsplätze. Länder wie China können hier einen großen Unterschied machen. Wie einzelne Länder auf diese Wahl reagieren, kann ich nicht vorhersagen. Ich finde, die EU ist ein starker Verhandlungspartner, weil wir unsere Klimaziele konsequent umsetzen, zu unserer Klimafinanzierung stehen und auch außerhalb der COP mit anderen Ländern zusammenarbeiten. Die Auswirkungen der Klimakrise machen so viel Druck, dass Handeln notwendig ist, unabhängig vom US-Wahlergebnis.
Ist es eine berechtigte Kritik, dass die EU in ihrer Strategie zu defensiv ist, obwohl sie ambitionierte Ziele hat und ein großer Geldgeber ist? Könnte die EU mit Ursula von der Leyen stärker die Führungsrolle übernehmen?
Morgan: In den letzten zwei Jahren hat die EU eine sehr starke Führungsrolle übernommen. Wir haben mit Inselstaaten und anderen Entwicklungsländern zusammengearbeitet, um wichtige Fortschritte zu erzielen. Ohne die EU wären die Beschlüsse zur Abkehr von fossilen Energien und der Verdreifachung von erneuerbaren Energien nicht möglich gewesen. Letztes Jahr haben wir als Weltgemeinschaft entscheidende Schritte unternommen, und mit diesen Erfolgen kommen wir auch dieses Jahr nach Baku.
Wie stehen die Chancen, dass dieses Jahr nicht nur von „transitioning away“ gesprochen wird, sondern auch „Phase Out“ drinsteht? Wie hoch wird dieses Thema in den Verhandlungen angesetzt?
Morgan: Das Thema ist sehr wichtig und hoch angesetzt, besonders für die EU und Deutschland. Ein ambitioniertes Ergebnis für Emissionsminderungen ist entscheidend. Wir schauen, wie wir die Umsetzung dieser Ziele beschleunigen können. Deswegen hat die EU im Umweltrat einen zügigen globalen Ausstieg aus der Kohle gefordert. Wir wollen auch Entscheidungen zu Speichern, Netzen und der Ausbildung von Fachkräften.
Um die Klimaziele zu erreichen, braucht es nächstes Jahr gute Klimapläne, die sogenannten NDCs. Für die Umsetzung brauchen die Entwicklungsländer wieder die Gelder, und je weniger Gelder zusammenkommen, desto weniger ambitioniert werden die NDCs sein. Wie gehen Sie damit um?
Morgan: Viele dieser Projekte, wie erneuerbare Energie in Afrika, hängen von den Finanzierungskosten für Kredite ab. Es ist derzeit teurer, erneuerbare Energieprojekte in Afrika zu finanzieren als in Europa. Daher hat Deutschland die Green Guarantee Group gegründet, um die Kapitalkosten zu senken und mehr private Investitionen zu ermöglichen. Ich bin im Gespräch mit vielen Entwicklungsländern, die ihre Wirtschaft aufbauen, sich entwickeln und mehr private Investitionen anziehen wollen.
Wie steht Deutschland zu möglichen Finanzquellen wie der Milliardärssteuer? Wie ist hier die Position von Deutschland?
Morgan: Ministerin Schulze hat diese Steuer unterstützt und andere prüfen diesen Vorschlag ebenfalls. Es ist ein Beispiel für sogenannte innovative Finanzierungsquellen. Hier wird viel diskutiert, auch über eine Abgabe auf Profite aus Öl- und Gasverkäufen. Solche Vorschläge und Mechanismen prüfen wir und sie werden Teil der Gespräche sein.
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