hier von Jan Hegenberg | Nov 11, 2024 |
Faktencheck zur E-Auto Debatte: „Jeder Dritte wechselt zurück zum Verbrenner“
Die meisten E-Auto-Fahrer behalten ihr E-Auto und wollen nicht mehr zum Verbrenner zurück. Es wechseln mehr Menschen vom Verbrenner zum E-Auto als umgekehrt.
In deutschen Medien findet sich seit einiger Zeit aber die Behauptung “Jeder dritte” E-Auto-Fahrer habe zu Verbrenner zurück gewechselt. Die Quelle dafür kann das weder belegen, noch hat sie es behauptet. Wieder ein kollektives Medienversagen im Auge einer Desinformations-Kampagne.Die große Mehrheit behält ihre E-Autos
Vor einiger Zeit wurde von diversen Medien behauptet, dass eine hohe Zahl von Menschen in Deutschland vom E-Auto wieder zum Verbrenner zurück wechseln würde. Das Internet war anschließend voll von Meinungen, dass E-Autos ganz offenbar eine noch dümmere Idee seien, als eine Modern-Talking-Reunion oder Pizza mit Kürbis, denn sonst würden die Menschen ihre E-Autos ja wohl behalten!
Der Witz an der Sache ist: Die allermeisten tun genau das. Sie behalten ihr E-Auto. Und der noch größere Witz ist: Wie viele das genau sind, weiß weder die F.A.Z., noch der MDR, die Auto Motor Sport oder das ZDF und natürlich auch nicht die Boulevarderzeugnisse WELT, Merkur.de und BILD (verlinke ich nicht, googelt bei Interesse gerne „ein drittel aller e-auto fahrer“).
Dennoch konnten wir dort überall lesen: oder „Jeder dritte E-Autofahrer will zurück zum Verbrenner“ (die F.A.Z. hatte mit „Immer mehr E-Auto-Fahrer wechseln zurück zum Verbrenner“ noch die beste Überschrift, wenn auch das nicht korrekt ist).
Was wir aufgrund des HUK-E-Barometers tatsächlich wissen: Wenn ich von der Menge aller E-Auto fahrenden Menschen in Deutschland diejenigen abziehe, die das Auto gar nicht privat besitzen (Die HUK-Coburg versichert keine gewerblichen Fahrzeuge) und dann von der übrigen Menge wiederum die 75 Prozent rausrechne, die nicht bei der HUK-Coburg versichert sind, und dann von diesem Rest noch mal alle abziehe, die ihr Auto im Jahr 2024 behalten haben, dann haben von diesem übrig gebliebenen Rest der Menschen 66 Prozent ein E-Auto gekauft und 34 Prozent einen Verbrenner (Seite 9). Letztes Jahr lag diese Quote mit 28 Prozent noch 6 Prozentpunkte niedriger.
Es wechseln mehr Menschen vom Verbrenner zum E-Auto als zurück
Um die Bedeutung dieser Nachricht einzuordnen, wäre es natürlich wahnsinnig spannend zu wissen, wie viele Menschen das gemessen an allen E-Auto-Fahrern überhaupt sind. Ich habe also mal bei der HUK-Coburg nachgefragt und recht schnell die nette, wenn auch etwas enttäuschende Auskunft bekommen, dass darüber aus geschäftspolitischen Gründen keine Aussage gemacht wird.
Für die Behauptung „jeder dritte E-Autofahrer wechselt wieder zum Verbrenner“ gibt es also keine Grundlage, denn das hat die HUK Coburg auf Seite 9 weder geschrieben noch impliziert. Das stimmte nur, wenn im Jahr 2024 ein Drittel aller E-Autos im Bestand, immerhin etwa eine halbe Million Stück, gegen einen Verbrenner eingetauscht worden wären. Das ist, vorsichtig gesagt, unwahrscheinlich.
HUK-Coburg hat das auch nicht behauptet
Die HUK-Coburg hat das aber wie gesagt auch nicht behauptet, im E-Barometer steht lediglich „Vergleich der jährlichen Treuquoten“ (sic) und „Quoten-Analyse je 100 versicherte Fahrzeugwechsel im HUK-Bestand“. Das ist insbesondere im Jahresverlauf betrachtet eine durchaus interessante Größe, denn für die Antriebswende, die Klimaziele im Verkehrssektor und auch den deutschen Industriestandort ist ein dauerhaftes Absinken dieser Quote keine gute Nachricht.
Daraus einen Rückschluss auf die Grundgesamtheit aller E-Autos in Deutschland zu ziehen, ist aber schon etwas abenteuerlich. Grundsätzlich ist es natürlich etablierte Praxis, auf Basis einer Stichprobe zu schätzen, was mit einer viel größeren, nicht so ohne weiteres messbaren Menge passiert.
Wenn ihr beispielsweise lest, dass letzten Sonntag 5 Millionen Deutsche den Tatort gesehen haben, dann ist das „nur“ eine Schätzung auf Basis der Fernsehgewohnheit von etwa 11.000 Testpersonen in Deutschland, von denen an diesem Sonntag 730 den Tatort gesehen haben. Das mag ungenau klingen, kommt aber gut an den tatsächlichen Wert heran, solange die Stichprobe gewissenhaft gewählt wird. Bedeutet: Die ausgewählten 11.000 Personen entsprechen bezogen auf Bundesland, Haushaltsgröße, Schulbildung, Geschlecht, Alter usw. ziemlich genau den 78 Millionen Deutschen ab 3 Jahren.
Stichprobe reicht für eine Aussage bezogen auf alle E-Autos nicht aus
Die Frage ist nun: Können wir genauso von besagter Stichprobe der HUK-Versicherten, die 2024 ein E-Auto verkauft haben, auf die Grundgesamtheit aller Menschen mit E-Auto hochgerechnet werden? Wohl kaum, denn die meisten Menschen mit einem 1 bis 4 Jahre alten Auto dürften über einen Verkauf bislang noch gar nicht nachdenken, ein sogenannter Selection Bias.
Von allen Autos in Deutschland fahren etwa 3 Prozent rein elektrisch. In Deutschland werden wiederum etwa 6 Millionen Gebrauchtwagen pro Jahr verkauft, diese Autos sind im Schnitt 7 Jahre alt. Selbst wenn wir jetzt mal davon ausgehen, dass tatsächlich 3 Prozent all dieser verkauften Gebrauchtwagen E-Autos waren (was unwahrscheinlich ist, da 91 Prozent der deutschen E-Autos keine 4 Jahre alt sind und damit weit unter dem Alter, in dem die Deutschen ihre Autos verkaufen), kommen wir bei 174.000 verkauften E-Autos raus. Wenn davon jetzt besagtes Drittel zurück zum Verbrenner gewechselt ist, reden wir von 58.000 Verbrenner-Rückfälligen. Gemessen am Gesamtbestand aller E-Autos wären das dann 3,7 Prozent aller E-Auto-Fahrer, nicht 34 Prozent.
Ist das eine seriöse Rechnung? Nein, die Annahmen sind wirklich sehr grob und ich würde die tatsächliche Zahl niedriger vermuten. Aber im Sinne einer Plausibilitätsprüfung würde ich mich dem Ergebnis so nähern und halte das für so viel wahrscheinlicher als 34 Prozent, dass ich einen größeren Geldbetrag darauf verwetten würde. Keine Sorge, den Gewinn verprasse ich nicht, sondern spende ihn für den erneuten Dreh der achten Staffel von Game of Thrones.
Ebenfalls verzerrend könnte hier übrigens wirken, dass vor 2 Jahren aufgrund der staatlichen Hilfen extrem günstige Leasing-Raten angeboten wurden, die jetzt auslaufen. Auf eine Kundin mit einem solchen Vertrag, die sich primär wegen des günstigen Preises für ihn entschieden hat, und die jetzt vor der Wahl steht, für ein gleichwertiges E-Auto deutlich mehr zu bezahlen, könnte das schon eine Wirkung haben.
2 bis 4 Jahre alte E-Auto-Leasingverträge laufen jetzt aus
Ihr merkt schon, auch ich muss hier im Trüben fischen und kann mit Sicherheit nur sagen, dass es für die in vielen Medien-Überschriften kolportierte Zahl keinen Beleg gibt und er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch ist. Es sind bestimmt nicht ein Drittel E-Autos gegen Verbrenner eingetauscht worden, die überwältigende Mehrheit dieser Wagen wurde nämlich weder gegen ein zweites E-Auto, noch gegen einen Verbrenner eingetauscht, sondern wie etwa 88 Prozent aller Autos in Deutschland schlicht von derselben Person weiter gefahren wie auch schon 2023.....
bitte im Original weiter lesen
hier e-fahrer 11. März 2024 | Tobias Stahl
Zweifelhafte Studie über E-Autos: Jetzt nimmt sie ein Chemiker auseinander
Eine Studie des deutschen Ingenieurverbands VDI hat die Umweltbilanz von Elektroautos im Vergleich zu Verbrennern untersucht – und damit hohe Wellen geschlagen. Faktenchecker und Batterieexperten hegen allerdings Zweifel an den Studienergebnissen.
Der Verein deutscher Ingenieure (VDI) hat Ende 2023 eine Studie zur Klimabilanz von Elektro- und Verbrenner-Pkw vorgelegt – EFAHRER.com berichtete. Das Expertengremium „Antriebe“ der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik hat dazu Fahrzeuge der Kompaktklasse wie VW ID.3, Ford Focus, Toyota Corolla Hybrid und VW Golf auf den Prüfstand gestellt.
Im Rahmen der Analyse wurden die CO₂-Emissionen beim Fahren und Aufladen beziehungsweise Tanken, aber auch die bei der Produktion des Autos, der Motoren und der Batterien entstehenden Emissionen untersucht. Der VDI kommt in der Studie unter anderem zum Ergebnis, dass ein durchschnittliches E-Auto der Kompaktklasse ab etwa 90.000 Kilometern Laufleistung klimafreundlicher fährt als ein vergleichbarer Verbrenner. Würde man ausschließlich Ökostrom tanken, sinkt diese Schwelle auf 65.000 km. Ein Elektroauto stößt demnach 24,2 Tonnen CO₂ in seinem Lebenszyklus aus, den der VDI auf eine Laufleistung von 200.000 Kilometern festgelegt hat. Ein Diesel-Pkw verursacht auf der gleichen Strecke 33 Tonnen CO₂, ein Benziner 37 Tonnen.
„Wenn ich als Grundannahme wähle, dass jeder Partygast 200 Milliliter Bier trinkt, dann wird's am Ende trotzdem eng“
Im Berufsnetzwerk LinkedIn meldete sich der deutsche Autor Jan Hegenberg mit seinen Betrachtungen und Berechnungen zur VDI-Studie zu Wort. Hegenberg ist Gründer und Betreiber des Faktencheck-Blogs Graslutscher und Verfasser des Buchs „Weltuntergang fällt aus“. Hegenberg zweifelt einige der für die VDI-Berechnungen zugrunde gelegten Werte an. Diese wirken laut dem Faktenchecker zwar „erst mal plausibel“, das Problem seien jedoch die Parameter. „Ich kann ja so gut rechnen, wie ich will, aber wenn ich als Grundannahme wähle, dass jeder Partygast 200 Milliliter Bier trinkt, dann wird's am Ende trotzdem eng“, erklärt Hegenberg.
So habe der VDI die CO₂-Emissionen bei der Herstellung von Batterien mit 105 Kilogramm CO₂ pro kWh Kapazität angegeben. „Das bisher als am robustesten geltende Ergebnis aus der 2019er-IVL-Studie [die sogenannte „Schwedenstudie“, Anm. d. Red.] war eine Range von 61 bis 106 kg CO₂/kWh“, stellt der Faktenchecker fest. Der VDI ordnet die CO₂-Emissionen also am oberen Ende der Skala an, die im Rahmen der „Schwedenstudie“ errechnet wurde. Diese ist inzwischen zudem vier Jahre alt, die Zellfertigung dürfte in dieser Zeit umweltverträglicher geworden sein, nicht jedoch umweltschädlicher. „Warum er überhaupt die Fertigung pauschal mit (dem zudem noch falschen) chinesischen Kohlemix durchrechnet, wird nicht ganz klar, verwenden deutsche Autofabriken gerade perspektivisch Batterien aus Europa, Südkorea und China“, merkt Hegenberg weiter an.
Hegenbergs zweiter, wichtiger Kritikpunkt bezieht sich auf den in der VDI-Studie angesetzten Verbrauch des VW Golf 2.0 TDI, für den der VDI „fantastische 3,6 Liter (!) Diesel“ auf 100 Kilometern angibt. Der Onlinedienst Spritmonitor gibt für dieses Modell einen Durchschnittsverbrauch von 5,83 Litern auf 100 Kilometer an, zudem setze das Verkehrsministerium den Schnitt aller Diesel-Pkw laut Hegenberg doppelt so hoch an. Das Branchenmagazin Auto Motor und Sport (ams) kommt für den VW Golf 2.0 TDI auf einen Verbrauch zwischen 4,4 Litern (ams-Eco-Verbrauch) und 7,5 Litern (ams-Sportfahrer-Verbrauch). Der Pendler-Verbrauch soll bei 5,9 Litern liegen. Der VDI gibt den Verbrauch des Diesel-Pkw also offenbar zu niedrig an.
Verbrenner gegen Stromer: Sind die vom VDI zugrunde gelegten Werte plausibel?
Hegenberg kritisiert weiter: Die VDI-Studie berechne die Emissionen für ein E-Auto für den schlechtesten Wert „nicht etwa mit dem Strommix“, sondern mit dem sogenannten 'Marginalmix'“. „Die Idee: Wenn ich ein E-Auto ans Netz anschließe, dann muss in dem Moment ein Kohlekraftwerk hochfahren, um die Mehrleistung zu erbringen, denn all der erneuerbare Strom wird schon von anderen verbraucht“, stichelt der Faktenchecker. Dieses Konzept habe aber zahlreiche Unstimmigkeiten. So sei etwa unklar, welche Verbraucher stattdessen den Erneuerbaren-Strom laden. Die Berechnungsmethode impliziere zudem, dass E-Autos null Gramm CO₂ ausstoßen, wenn aktuell mehr erneuerbarer Strom zur Verfügung steht als benötigt wird. Außerdem können Kohlekraftwerke nicht so schnell hochfahren, dass sie überhaupt zur Netzstabilisierung verwendet werden können. „Wenn überhaupt, müsste Gasstrom angenommen werden“, erklärt Hegenberg.
Der Strommix in Deutschland liege aktuell bei unter 400 Gramm CO₂/kWh, mit sinkender Tendenz in den kommenden Jahren aufgrund des Erneuerbaren-Ausbaus. Der VDI ziehe zur Berechnung bis 2025 im Marginalstrom-Szenario jedoch 750 Gramm CO₂/kWh an, kritisiert der Faktenchecker. „Interessant in diesem Zusammenhang: Für die Produktion von Diesel und Benzin macht der VDI diese pfiffige Unterscheidung komischerweise nicht“, schreibt Hegenberg. „Da fährt der VW Golf TDI mit Standard-Diesel, auch wenn die OPEC die Förderung drosselt und mehr kanadisches Schieferöl hier ankommt.“
Hegenbergs bissiges Fazit: „Wenn Batterien viel klimaschädlicher wären als sie sind, der Strommix viel schmutziger wäre als er ist und Verbrenner viel sparsamer gefahren würden als es der Fall ist, dann wären beide Antriebsarten etwa gleich gut. Und wenn meine Oma ein Auto wäre, könnte sie hupen.“
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