Sonntag, 17. November 2024

Die Welt befindet sich im Wandel und unser System findet nur unzureichende Antworten auf diesen Wandel

Noch ein Nachruf auf die Wahl in den USA - Es erscheint mir plausibel, was Michael Blume schreibt. Das passt mit der Erkenntnis zusammen, dass AFD-Wähler unglücklicher sind als Andere. hier
Schade, dass sich die Erzählung einer besseren Zukunft so wenig durchsetzen konnte bisher - ich glaube daran, auch wenn ich immer wieder Kraft dafür brauche: das Leben kann so viel besser und lebenswerter werden, als es heute ist, wenn wir endlich  die richtigen Schritte einleiten.....Und wenn wir endlich erkennen, was wir wirklich brauchen für ein zufriedenes Leben.

hier  SciLogs 16. Nov 2024  Von Michael Blume

Es ist die Zukunftsangst, stupid. 

Die Zeitenumbruch-These zur Wiederwahl von Donald Trump, USA

In einem datenreichen Deep-Dive-Artikel zerlegt der Chef-“Volksverpetzer” Thomas Laschyk die Behauptung, Donald Trump sei “wegen der Wirtschaft” gewählt worden.



"Volksverpetzer" nach Wikipedia
Der Name des Blogs ist ein Wortspiel mit dem Begriff „Volksverhetzer“.  
Spannend! hier geht`s zum Blog

DER Blog wurde 2014 von Thomas Laschyk gegründet und beschäftigte sich zunächst mit Politik in Augsburg. Seit Herbst 2015 hat man sich auf die Auseinandersetzung mit Fake News im Netz spezialisiert und will diesen durch Quellen belegte Argumente entgegensetzen. Das Projekt wurde 2018 selbständig . 

Bekannt wurde der VVP unter anderem durch den Slogan 

„Lebe stets so, dass die AfD etwas dagegen hat.“


Stattdessen nähert er sich mit dem Begriff vom “Status Quo, der nicht (mehr?) die Versprechen einlöst, die er gemacht hat”, der Zeitenumbruch-These, die hier in einfacher Sprache oder hier in komplexer Sprache vorgestellt und diskutiert wird:

“Es stimmt, der Rechtsruck ist auch eine Folge eines politischen und wirtschaftlichen Status Quo, der nicht (mehr?) die Versprechen einlöst, die er gemacht hat. Die Welt befindet sich im Wandel und unser System findet nur unzureichende Antworten auf diesen Wandel. Die Leute sagen zwar Löhne oder Inflation, aber sie möchten nur diejenigen abwählen, von denen sie denken, dass sie für den Status Quo stehen.” 

Hier sehe ich eine große Nähe zum Zeitenumbruch, wie ich ihn nach dem Hamas-Israel-Terrormassaker im Dezember 2023 im Gespräch mit Jay & Marco bei Hossa Talk 226 entfalten durfte:

Zitat von Dr. Michael Blume in der Hossa Talk-Folge 226: “Wenn ich das Gefühl habe, ein System bietet mir nicht mehr das, was es mir versprochen hat, z.B. ein jährliches Wirtschaftswachstum oder eine bessere Zukunft für die Kinder, dann hast Du Menschen, die spielen nicht mehr mit. Sie wollen auch das System zerstören und wählen auch gegen ihre eigenen Interessen z.B. rechtspopulistische Parteien, weil sie das aktuelle System nicht mehr wollen und auch entgegen offensichtlichen Argumenten denken, dass es danach schon irgendwie besser werden wird.”

Ein positives Zeitgefühl ist uns evolutionspsychologisch nicht angeboren, es entstand erst durch die alphabetisierten Religionen und deren Säkularisierung. Über Zehntausende Generationen der Menschheitsgeschichte hinweg haben Menschen die Zeit als zyklisch erfahren und gedeutet: Die Sonne geht auf und unter, wir werden geboren und sterben, es gibt keinen “Fortschritt”. In gewachsenen Religionen wie dem Taoismus, Buddhismus, Jainismus und Hinduismus wird Zeit weiterhin als kreisläufig gedacht, so dass die religiösen Übungen auf ein Ent-Kommen daraus, eine Erlösung wie das Moksha oder Nirvana zielen.

Mit der Alphabetschrift und der griechisch-jafetitischen Philosophie wandelt sich die Zeiterfahrung zu einem linearen Zeitstrahl. Schon Zenon von Elea (490 – 430 v. Chr.) diskutierte bis heute faszinierende Paradoxien der Zeit.

Mit den alphabetisierten Religionen Judentum, Christentum und Islam entstanden die bis heute weltweit gültigen, linearen, aufsteigenden Kalender: Zeit wird als Zeitpfeil erfahren und gedeutet, strebt nun der Gottheit entgegen. Am Ende werde in Gott alles gut – und wenn es noch nicht gut sei, so sei es noch nicht das Ende....

Erst nach dem Buchdruck und der Industrialisierung setzte sich die Zeitdeutung eines säkularen Fortschrittes durch: Die Staatsform der demokratischen Republiken wie in Frankreich und den USA war von Anfang an mit dem Versprechen eines wirtschaftlichen Wachstums und gesellschaftlichen Fortschritts verbunden.

Und dieses säkulare Versprechen – der “Status Quo” beim “Volksverpetzer” Thomas Laschyk – wird nun durch den säkularen Geburtenrückgang, die Klima- als Wasserkrise und die digitale Medienrevolution brüchig: Rapide unterjüngende Gesellschaften bekommen Wirtschaftswachstum allenfalls noch durch massive Migration hin (selbst das erwähnte Japan setzt inzwischen auf die Zuwanderung von Arbeitskräften) und die rasenden und thymotisierenden Algorithmen von Internet-Digitalkonzernen zertrümmern die Alphabet-Erfahrung....

Schon länger zeigen Befragungen, dass die Zustimmung zu rechtsdualistischen Parteien mit keinem anderen Faktor so stark verbunden sind wie mit der Angst vor der Zukunft. So stimmten 2017 noch 74% aller mit CDU/CSU Sympathisierenden der Aussage zu: “Man weiß ja nicht, was die Zukunft bringt, aber ich glaube, dass alles gut wird.” Der gegenteiligen Zeiterfahrung und -deutung stimmten nur 26% der Unionswählenden zu: “Man weiß ja nicht, was die Zukunft bringt, aber ich habe häufiger Angst vor dem, was kommen wird.”

Bei den schon damals mit der AfD Sympathisierenden war das Zeitprofil mehr als umgekehrt: 77% stimmten der Zukunftsangst, nur 23% der Zukunftsverheißung zu. Am nächsten kam ihnen die Wählerschaft der Linken, die mit 51% Zukunftshoffnung zu 49% Zukunftssorge bereits das Ausbrechen des Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) nach dem Ukraine-Krieg vorwegnahm.....

Und hier also erklärt sich auch die schmerzhafte Niederlage von Kamala Harris, die mit dem trotzigen Zukunftshoffnung-Spruch “We won’t go back – Wir werden nicht zurückgehen” antrat, der jedoch nicht mehr funktionierte. Donald Trump blieb dagegen bei seinen Verschwörungsmythen von Migranten-Invasoren, die Katzen und Hunde fressen würden und versprach eine Rückkehr (!) in das vergangene Jahrhundert der säkularen Fortschrittsverheißungen: “Make America Great Again! – Trump will fix it”.

Wer die Gegenwart und Zukunft als bedrohlich erlebt, wird emotional ansprechbar für feindseligen Dualismus, also für Verschwörungsmythen gegen Juden (erste Religion der Alphabetisierung, Bildungsneid) sowie gegen emanzipierte Frauen, gegen Migranten, demokratische Parteien, Medien, Rechtsstaaten & Wissenschaften! 

Wenn wir also ehrlich sind, können wir derzeit nicht garantieren, dass alle säkular-liberalen Demokratien die nächsten Jahrzehnte überleben werden. Denn Demokratien haben nicht nur Mediensysteme, sie sind Mediensysteme!

Wenn wir uns dem Thema des Zeitenumbruchs, der zusammenbrechenden, säkularen Zukunftsverheißungen nicht ehrlich und auch emotional stellen, werden wir immer mehr Menschen an oft fossil finanzierte, rechtsdualistische Medien und vermeintliche politische Erlöser wie Donald Trump, Wladimir Putin, Viktor Orban usw. verlieren. Wir erleben materiell und medial eine politische Zerspaltung und politische Personalisierung, von der durchaus auch Demokraten wie derzeit Boris Pistorius (SPD) profitieren können. 

Deswegen sprach und spreche ich das Thema derzeit wo immer möglich an, diese Woche auch beim source2024-Medienkongress oder nächste Woche an der Universität Freiburg.


Veröffentlicht von Michael Blume

https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/

Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. 

Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

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